Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Kai Vogel das Wort.

(Volker Dornquast)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den kommenden Wochen starten die neuen Anmelderunden für die weiterführenden Schulen. Im Vorwege haben die Schulen bei Tagen der offenen Tür ihre eigenen Leistungen und Besonderheiten präsentiert. Ausschlag dafür war auch PISA 2000. Dies war ein Wendepunkt, der den Blick der Deutschen bei Öffentlichkeit auf unsere Schulen entscheidend verändert hat.

PISA hat in allen 16 Bundesländern nicht nur Debatten, sondern auch sehr konkrete Entscheidungen darüber ausgelöst, wie wir unter Wahrung der föderalistischen Pluralität unsere Schulsysteme weiterentwickeln sollen. Die deutsche Schule des Jahres 2016 ist nicht mehr die Schule des Jahres 2000, sie ist sehr viel besser geworden. Dieser Landtag und die Landesregierungen der letzten zehn Jahre, jedenfalls soweit Sozialdemokraten an ihnen beteiligt waren, haben Reformen auf den Weg gebracht, in deren Mittelpunkt die Eigenverantwortung der Schulen und die der einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen stehen.

Nach dem Jahr 2000 wurden in Schleswig-Holstein Schulprogramme geschrieben, die es ermöglichten, die eine mit der anderen Schule zu vergleichen. Heute sind diese eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für Eltern und Kinder, eine Schule zu wählen oder auch nicht. Ab dem Jahr 2003/04 wurde in Schleswig-Holstein EVIT, die externe Evaluation, auf den Weg gebracht. Sie war bundesweit bestaunt, und alle anderen Bundesländer sprangen auf diesen Zug mit auf. Es war eine bedauerliche Fehlentscheidung der CDU/FDP-Regierung, das System EVIT nicht zu verbessern, sondern ersatzlos abzuschaffen.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Warum wurde zum Beispiel nicht versucht, die Schulen gemeinsam mit dem IQSH auf dem Weg zu einer besseren Qualität zu begleiten, statt nur die Kosten zu sehen und deswegen das Fallbeil zu senken? Evaluation ist kein Ausdruck von Misstrauen, sondern die Chance, die Schwächen einer Schule zu erkennen und diese dann sinnvoll aufzuarbeiten.

Wir glauben an den Nutzen einer Evaluation und die sich daraus ergebende Qualitätssteigerung. Es ist deshalb der richtige Weg, angesichts der verhältnismäßig geringen personellen Ressourcen, die für das Schul-Feedback zur Verfügung gestellt werden können, die Teilnahme bis auf Weiteres für freiwillige Schulen anzubieten. Ich traue unseren Schulen

mehr Fähigkeit zur Selbstreflexion zu als die Opposition, und ich glaube nicht, dass sich nur die Schulen nach vorne drängen, an denen sowieso alles rundläuft.

Ich traue auch denjenigen, die an der Evaluation beteiligt sind, mehr zu als die Opposition; denn natürlich werden Lücken in der Personalversorgung, die es bei allen unseren Bemühungen noch gibt, und die zusätzlichen Herausforderungen durch die minderjährigen Flüchtlinge auch Gegenstand der Betrachtung sein,

(Beifall SPD)

weil nicht jede Schule gleichermaßen souverän mit diesen Rahmenbedingungen umgeht. Es kann und wird definitiv kein Ziel des Schul-Feedbacks sein, einer Schule die Schwächen aufzuzeigen und sie dann alleinzulassen.

Es geht nicht um das Sammeln von Punkten oder gar um landesweite Rankings, die völlig kontraproduktiv wirken würden, weil die Schulen mit schwächeren Bewertungsresultaten, statt besser zu werden, von den Eltern gemieden würden, womit sich deren Probleme potenzieren würden.

Bereits in der 16. Legislaturperiode hat das Bildungsministerium einen äußerst innovativen Landesbildungsbericht vorgelegt. Das ist seitdem leider nicht fortgesetzt worden. Dass wir in diesem Jahr, also nach acht Jahren, einen neuen Landesbildungsbericht erhalten sollen, der dann alle zwei Jahre fortgeschrieben wird, ist eine gute Nachricht nicht nur für die Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker im Landtag, sondern auch für die gesamte Öffentlichkeit.

Dieses Jahr wird das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen in Berlin einen neuen Vergleich der Bundesländer für die Sekundarstufe I präsentieren, und im Dezember wird die neue PISA-Studie veröffentlicht. Wir haben also ein ganzes Jahr vor uns, in dem die Qualitätssicherung und die -weiterentwicklung an unseren Schulen im Mittelpunkt stehen werden.

Wir wollen nach einer Anlaufphase die Befunde des Schul-Feedback im Ausschuss erörtern, und wir wollen, dass der Bildungsbericht des Ministeriums auch zum Gegenstand einer Parlamentsdebatte wird. Der Bericht der Landesregierung wirft verschiedene Fragen zur Qualitätsentwicklung an unseren Schulen auf und gibt darauf unterschiedliche Antworten. Wir sollten ihn im Bildungsausschuss weiter beraten und konkrete Schlussfolgerungen ziehen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt die Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich anders anfangen, Herr Dornquast, weil ich den Eindruck hatte, dass die Große Koalition eigentlich ein großes Übel ist, jedenfalls in den meisten Fällen,

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

aber im Bereich der Schulreform in Schleswig-Holstein wirklich für ein Tauwetter gesorgt hat und dass die alte Grabenkampfrhetorik von Einheitsschule und Einheitslehrer eigentlich der Vergangenheit angehören müsste. Aber Sie haben noch einmal voll in die sozialistische Mottenkiste gegriffen und uns den Einheitslehrer vorgeworfen. Ich kann es einfach nicht verstehen. Wir hatten vorher fünf Lehramtsstudiengänge, und wir haben jetzt fünf Lehramtsstudiengänge. Das sollten Sie als hochschulpolitischer Sprecher eigentlich wissen.

Aber außer Herrn Dornquast und der FDP redet eigentlich kaum noch jemand von der Einheitsschule. Dies gibt super Raum für Qualitätsdebatten. Diese hatten wir lange nicht.

Sehr interessant war eine Studie von John Hattie, einem neuseeländischen Bildungsforscher. Der hat nämlich einmal untersucht, welche Einflussfaktoren es auf Lernerfolge gibt. Er hat in einer Meta-Studie 138 Einflussfaktoren untersucht, was interessant ist: Denn was gehört zu den Top Ten? Die Debatten, die wir hier normalerweise führen, sind nicht dabei. Strukturfragen spielen bei Hattie keine große Rolle. Die Klassengröße, sagt er, ist eigentlich irrelevant. Er sagt auch, ob es leistungshomogene Gruppen oder Differenzierung gibt, ist auch nicht das Entscheidende. Aber Klarheit und Glaubwürdigkeit der Lehrkraft sind entscheidend. Vor allem - und da setzt auch dieser Bericht an - Klarheit, Reflektionsperspektive der Lehrkräfte und die Frage: Sind Lehrkräfte in der Lage, auf die Perspektive ihrer Schülerinnen und Schüler einzugehen, und zwar auch im Unterricht, und daraus Schlüsse zu ziehen und ihr Unterrichtskonzept gegebenenfalls anzupassen?

Das klingt jetzt vielleicht nicht griffig. Deshalb erzähle ich einmal ein Beispiel. Ich war in der Deutschen Schulpreis-Schule, der Anne-Frank-Schule in Bargteheide; das ist eine Gemeinschaftsschule mit Oberstufe. Dort war ich während einer Klassenlehrerstunde in der 6. Klasse. Es war sehr interessant mitzuerleben, was dort passierte. Der Klassenlehrer, der auch Englisch unterrichtet hat, hat die Schülerinnen und Schüler gefragt: „Sagt mal, warum geht ihr eigentlich nie zu mir in den Englisch-Kurs, sondern zu meinem Kollegen?“ Dann kamen einige vorsichtige Bemerkungen, und eine Schülerin sagte dann zu dem Englischlehrer: „Sie sind so englischfanatisch.“ Das ist für einen Englischlehrer vielleicht nicht schlecht. Aber daraus ergab sich, dass die Schülerinnen und Schüler Angst vor dem hohen Niveau und den Eindruck hatten, sie könnten nicht alles verstehen, müssten aber alles verstehen, was er an englischen Instruktionen in den Unterricht gibt.

Danach entspann sich eine Debatte darüber, ohne dass er seine Position verlassen hätte, warum er das mit ihnen macht, und die Schülerinnen haben gesagt, was ihnen helfen würde, um auf dem Niveau anzukommen. Sie haben also kleine Zugbrücken besprochen, was es den Schülerinnen und Schülern konkret einfacher machen würde, seinem Unterricht zu folgen. Das ist genau das, was John Hattie und was die Qualitätsdebatten wollen. Das bedeutet Reflektion über den eigenen Unterricht und über Unterrichtsmethoden.

Das ist für uns im Parlament vielleicht ein bisschen bitter, weil solche Sachen nicht durch den Automatismus, dass wir das Schulgesetz ändern oder dass wir einen neuen Haushaltstitel machen, bewirkt werden, sondern es hat eben ganz viel mit der Frage von Qualität in Schule zu tun. Das heißt nun auch wiederum nicht, dass unsere Debatten total irrelevant sind, logischerweise nicht. Die finanzielle Ausstattung der Schulen muss besser werden; darüber sind wir uns einig. Auch die Strukturen müssen verlässlich sein. Dafür sind die Weichen aber bereits sehr gut gestellt. Zu dem Maßnahmebündel hat gerade Britta Ernst bereits sehr viel ausgeführt.

Ich freue mich besonders über das Schul-Feedback, weil es - das ist nur für Herrn Dornquast eine Selbstbeschäftigung - sehr viel mit Unterrichtsqualität zu tun hat. Es war schon ärgerlich - vielleicht lag es daran, dass die Hattie-Studie damals noch nicht bekannt war -, dass die bildungspolitischen Leistungsverweigerer von der FDP dieses EVIT-Programm abgeschafft und ersatzlos gestrichen haben. Umso besser ist es, dass Frau Ernst

(Kai Vogel)

das jetzt mit ihrem kleinen und kompetenten Team wieder einführt, und zwar freiwillig und passgenau.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

- Genau, das ist einen Applaus wert.

Das Einzige, das einen traurig machen kann, ist, dass wir nicht noch mehr Mittel dafür aufwenden können. Aber das wird möglicherweise noch.

Für die Qualitätsdebatte müssen wir natürlich noch andere Punkte im Blick behalten, die jetzt nicht aufgeführt sind. Das ist die Frage Lehrernachwuchs, das ist die Frage Inklusion - auch da sind wir dran -, und es ist die Frage Übergänge zwischen den einzelnen Systemen. Aber auch da geht es in großen Schritten voran.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Es wurde auch mal Zeit. Let‘s talk about quality.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrtes Präsidium! Wenn man die bildungspolitischen Denke der Regierungskoalition verstehen will, dann muss man sich nur den ersten Satz des sogenannten Berichts zur schulischen Qualitätsentwicklung in Schleswig-Holstein zu Gemüte führen. Dort heißt es:

„Nach dem Beschluss des Schulgesetzes 2014 mit der Verankerung von zwei weiterführenden Schularten in Schleswig-Holstein werden die bildungspolitischen... Fachdiskussionen stärker von Fragen der Qualität des Bildungssystems... bestimmt.“

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das heißt, meine Damen und Herren, nichts anderes als: Jetzt, da SPD und Grüne den Weg für das Einheitsschulsystem nach ihren ideologischen Vorstellungen bereitet haben, kümmern Sie sich endlich auch einmal um die Qualität im Schulsystem. Das ist, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis. Wir reden als Elternvertreter seit gefühlt zehn Jahren darüber, dass es nicht auf die Struktur einer Schule ankommt, sondern auf die Inhalte.

Frau Kollegin Erdmann hat es ja gerade gesagt. Die Hattie-Studie hat bewiesen, dass es nicht auf die Struktur einer Schulform ankommt, sondern auf die Lehrkraft und auf die Inhalte, mit denen der Unterricht gestaltet wird.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Frau Abgeordneten Erdmann?

Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrte Frau Kollegin Klahn, wie bewerten Sie es, dass im Schulgesetz ab Klasse 5 sowohl die Zweigliedrigkeit festgeschrieben sind als auch die Ergebnisse des Bildungsdialogs? Genau diese Zweigliedrigkeit wurde vonseiten der Landesregierung abgefragt und vorgeschlagen und dann vom breiten Plenum bestätigt. Wie bewerten Sie das, und was ist daran Einheitsschule? Das verstehe ich nicht.

Liebe Frau Kollegin Erdmann, was ich mit meiner Aussage eben darstellen wollte, ist dieses: Wir hatten ein gutes Schulsystem mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen sowie mit Schulen in freier Trägerschaft, die noch ganz besondere Angebote hatten.

(Zurufe SPD)

Ich wollte darauf hinweisen, dass wir ein großes, buntes und individuelles Schulsystem hatten, in dem jedes Kind den Bereich finden konnte, in dem es am besten aufgehoben war. In der Großen Koalition haben Sie es geschafft, die Schulformen kaputt zu machen. Heute haben wir weder die Hauptschule noch die Realschule. Es war ein unsäglicher Kompromiss, in deren Folge Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen nebeneinander existierten.

(Zuruf SPD: In welches Jahrhundert wollen Sie zurück?)

Die Gymnasien leben Gott sei Dank noch. Mit all Ihren Maßnahmen bringen Sie aber schon deutlich zum Ausdruck, dass Sie den Gymnasien nicht über