Protokoll der Sitzung vom 10.06.2016

Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:

Entflechtungsmittel schwerpunktmäßig für die Sanierung von Kreisstraßen einsetzen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/4260

Zukunftsfähige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur sicherstellen

Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/4309

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Johannes Callsen von der CDU-Fraktion das Wort.

(Minister Reinhard Meyer)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Entflechtungsmittel hört sich in der Tat sperrig an. Es geht nicht um Kunsthandwerk, sondern es geht im Kern um die Gelder, die der Bund den Ländern für die Sanierung der Kreisstraßen zur Verfügung stellt. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein hat diese Mittel des Bundes aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 70 zu 30 zulasten der kommunalen Straßen umgeschichtet. Das ist genau das Gegenteil von dem, was CDU und FDP bis 2012 gemacht haben. Diese Landesregierung hat aktuell nur noch 17 Millionen € für die kommunalen Straßen und deren Sanierung übrig - 17 Millionen € für 4.100 km Kreisstraßen in Schleswig-Holstein! Ich erinnere daran: 2012 waren es noch mehr als 30 Millionen € für diesen Zweck.

Nach vier Jahren rot-grün-blauer Regierung entfaltet diese Umschichtung jetzt ihre volle Wirkung. Wir merken es überall vor Ort. Die Kreise in Schleswig-Holstein beklagen in zunehmendem Maße, dass nicht mehr alle zuschussfähigen Kreisstraßen und Radwege eine Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bekommen, und das - das ist ein wichtiger Hinweis -, obwohl der Bund nach wie vor jährlich 43 Millionen € hierfür zur Verfügung stellt. Kürzungen hat es von Bundesseite nicht gegeben.

Vielmehr hat die Landesregierung von diesen Mitteln mittlerweile mehr als 10 Millionen € umgeschichtet und damit der Sanierung von Kreisstraßen entzogen. Das ist der wahre Grund für den Reparaturstau und die Schlaglöcher, die wir auf vielen Kreisstraßen im Lande haben.

Wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo selbst förderfähige Baumaßnahmen nicht mehr bezuschusst werden. So geschehen im Kreis Stormarn, wo dem Kreis auf diese Weise bis 2019 ein Betrag von über 1,2 Millionen € für zwei wichtige Projekte fehlen werden. Der Kreis muss das mit eigenen Mitteln - umfinanzieren mit dem Ergebnis, dass das Geld an anderer Stelle fehlt.

Ein zweites Beispiel ist Lübeck. Lübeck finanziert die Hälfte seiner Straßensanierungen aus GVFGMitteln. Jährlich sind bisher 3 bis 6 Millionen € nach Lübeck geflossen. Der Bedarf in Lübeck liegt allerdings bei 18 Millionen € pro Jahr. Das sind 1 Million € mehr, als die Landesregierung für das gesamte Land Schleswig-Holstein einplant. Außerdem plant man in Lübeck schon gar keine Straßen

mehr, weil man sich nicht sicher ist, wie es nach 2020 weitergeht.

Denn das Entflechtungsgesetz läuft aus. Zwar haben sich Bund und Länder darauf verständigt, im Rahmen der Föderalismusreform Umsatzsteuerpunkte für die kommunale Straßenbauförderung einzuplanen, wann die Föderalismusreform allerdings kommt, steht in den Sternen und ist für die Kreise heute keine Geschäftsgrundlage, auf der sicher geplant und gebaut werden kann. Deswegen muss sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine verlässliche Nachfolgeregelung einsetzen.

Drittes Beispiel: Die Landkreise und kreisfreien Städte in Schleswig-Holstein haben im vergangenen Jahr insgesamt 75 Einzelmaßnahmen für die Förderung von Deckenerneuerungen angemeldet, von denen nur 68 Vorhaben bewilligt und umgesetzt werden konnten. Für 2016 sieht die Lage noch dramatischer aus: Insgesamt wurden 72 einzelne Sanierungsmaßnahmen angemeldet, 41 Vorhaben wurden in das Förderprogramm aufgenommen. Damit bleiben in diesem Jahr 31 Deckenerneuerungen unberücksichtigt. Das ist fast die Hälfte aller in Schleswig-Holstein angemeldeten Maßnahmen.

Noch einmal: Das liegt nicht daran, dass der Bund weniger Geld gibt, das liegt einzig und allein daran, dass die Koalition von SPD, Grünen und SSW die Gelder umschichtet. Das ist in der jetzigen Situation reiner Wahnsinn und ein verkehrspolitischer Offenbarungseid. Damit wird deutlich: Jedes Schlagloch auf Kreisstraßen ist das Ergebnis Ihres Koalitionsvertrags.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist der Antrag der Koalition an Peinlichkeit nicht zu überbieten, weil Sie auf das Kernproblem, das Sie selbst verursacht haben, mit keinem einzigen Wort eingehen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen - das ist wirklich zu wenig für die Sanierung der Kreisstraßen.

Wir fordern Sie mit unserem Antrag auf: Steuern Sie jetzt um, setzen Sie die Entflechtungsmittel wieder mit einem klaren Schwerpunkt von mindestens 70 zu 30 für die Unterhaltung und Sanierung der kommunalen Straßen ein!

Ich beantrage Überweisung an den Wirtschaftsausschuss.

Ich möchte zum Abschluss gern noch den von mir sehr geschätzten Fraktionsvorsitzenden der SPD im Kreistag Schleswig-Flensburg, Ingo Degner, zitieren. Der Kreistag und die Ausschüsse dort haben

sich mit der schwierigen Situation befasst. Ingo Degner hat heute laut „sh:z“ gesagt:

„Ich habe den Eindruck, dass da in Kiel Ideologen am Werk sind.“

- Dem ist nichts hinzuzufügen. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU - Unruhe)

Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Kai Vogel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Callsen, 68 von 72 finde ich wahrlich keine so schlechte Quote. Halten Sie eine Quote nur dann für vernünftig, wenn man 100 % erfüllt hat? Ich finde eine Quote von deutlich über 90 % nicht schlecht.

(Johannes Callsen [CDU]: Die aktuelle Zahl!)

Sie haben allerdings recht: Deutlich mehr finanzielle Unterstützung aus Berlin wäre richtig gut.

(Johannes Callsen [CDU]: Nein!)

Sie fordern in einem Punkt Ihres Antrags unsere Landesregierung auf, sich in Berlin dafür einzusetzen, dass eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur stattfindet. Ich glaube zwar nicht, dass Minister Meyer dazu Ihrer Aufforderung bedarf, finde es aber schön, dass Sie beim Thema Nachfolge von GVFG an unserer Seite beim Bundesfinanzminister streiten. Die angesprochene finanzielle Unterstützung umfasst zum Beispiel die sogenannten Entflechtungsmittel. Neben den Regionalisierungsmitteln erhält SchleswigHolstein bis Ende 2019 pro Jahr 43 Millionen € für Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Welches hier die klügste Verteilung ist, darüber lässt sich trefflich streiten.

Herr Callsen, die 43 Millionen € erhalten wir nicht erst seit Regierungsübernahme in Schleswig-Holstein, sondern seit 2009. Wenn Sie uns vorwerfen, dass die gesamten Probleme der Kreisstraßen in unserer Regierungszeit entstanden sein sollen, frage ich Sie, was in den vielen Jahren vorher mit den Kreisstraßen geschehen ist, als das Land ebenfalls bestimmte Mittel aus Berlin erhalten hat. Warum ist da nicht komplett saniert und alles schier gemacht

worden? Sie werfen uns das jetzt vor; das ist doch keine Logik!

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die CDU verlangt nun eine Umverteilung. Doch die Konsequenz müssen Sie dann auch ehrlich benennen. Sie wollen beziehungsweise müssen die Zuschüsse für den ÖPNV an die Kreise radikal kürzen. Ich kann mich an kein Gespräch mit Landräten erinnern, die auf Zuschüsse des Landes aus den Entflechtungsmitteln verzichten wollten oder gar könnten. Eine Kürzung dieser Mittel würde ein gnadenloses Streichen vieler Busverbindungen bedeuten, die für die Standortattraktivität einzelner Regionen unverzichtbar sind.

Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang den Konkurrenzantrag der CDU zum Thema „Sicherung und Stärkung der Mobilität im ländlichen Raum“. Dieser Antrag stammt aus der Tagung vor drei Monaten - nicht vor drei Jahren. Die CDU forderte im März den Ausbau des ÖPNV als Rückgrat im ländlichen Raum und eine feste finanzielle Zusage für die Kommunen für den ÖPNV, damit diese sicher und langfristig planen können.

Der Antrag ist im Ausschuss noch nicht einmal abschließend beraten worden, und nun fordern Sie, das Geld nicht mehr in den ÖPNV, sondern in den Straßenbau zu investieren. Lieber Herr Callsen, Sie stehen als Verfasser unter beiden Anträgen. Mal fordern Sie das eine, mal das andere. Was wollen Sie denn nun?

(Vereinzelter Beifall SPD - Minister Rein- hard Meyer: Alles ideologisch! - Weitere Zu- rufe)

Wir hatten eine Anhörung zum Thema Bürgerbusse. Da fordert die CDU, diese zu fördern. Das macht sich ja auch gut vor den Betreibern und Interessenten von Bürgerbussen. Jetzt ist Landesparteitag, und es geht um Listenplätze. Da ist es dann wohl gut, den ÖPNV und die Bürgerbusse kurz zu vergessen und nur noch Straßenbau zu fordern, wobei erst am Mittwoch Ihre Kollegen Arp und Rickers großspurig ihre Forderung zum Beitritt Steinburgs zum HVV kundgetan haben. Wie Sie das finanzieren wollen - kein Wort. Ihr Schlingerkurs ist kaum zu überbieten.

(Unruhe)

Wie geht es mit den Entflechtungsmitteln weiter? Eigentlich läuft die Förderung nach 2019 aus. Hier sind wir uns mit der CDU einig, dass dieses Programm weiterlaufen muss. Der Minister hat mehr

(Johannes Callsen)

fach dargelegt, dass er sich für ein Nachfolgeprogramm in Berlin einsetzt. Am Ende des Tisches auf der anderen Seite sitzt Bundesfinanzminister Schäuble, ein Mann der CDU. Vielleicht sollten Sie hier einmal den eigenen Einfluss auf Ihren Parteifreund nutzen.

Wir unterstützen die Landesregierung in ihrem Bemühen, eine Nachfolgeregelung für die Entflechtungsmittel und die Regionalisierungsmittel zu erreichen. Seien Sie sicher, dass wir dies nicht vergessen. Und wir wollen erreichen, dass die Gelder auf Landesebene weiter klug zwischen Straßenbau und ÖPNV verteilt werden. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Danke schön. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Herr Abgeordneter Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Callsen, Ihnen wird bekannt sein, dass die Entflechtungsmittel des Bundes keine Zweckbindung haben. Sie haben vorhin gesagt, der Bund gebe das Geld für Kreisstraßen. Das ist mitnichten der Fall.

Der Bund gibt dieses Geld an die Länder, und die Länder haben in ihrer freien Entscheidung zu bestimmen, was sie mit diesem Geld machen. Sie müssen es nur für Investitionen ausgeben, und sie dürfen es nicht für laufende Betriebskosten verwenden. Aber ansonsten gibt es keine Zweckbindung.

Zu dem, was Sie hier über diese Schlaglöcher sagen, darf ich doch einmal sagen: Wenn in dieser Landesregierung Löcher gestopft werden, dann ist es durch diese Finanzministerin. Sie stopft nicht nur Finanzlöcher, sie stopft auch Schlaglöcher.

(Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wie viel Geld ist in den letzten Jahren in Landesstraßen geflossen? - Keine einzige Landesregierung hat so viel Geld in die Hand genommen, um unsere Löcher zu stopfen. Das macht sie übrigens sehr gut, und da hat sie auch einmal einen Applaus verdient.