Protokoll der Sitzung vom 10.06.2016

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP], Uli König [PIRATEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN] - Zurufe SPD)

Mit langjähriger Erfahrung in der Beobachtung von Kommunalpolitik in bedeutenden Städten im Land muss man auch sagen, dass SPD und CDU zusammengenommen in Lübeck eine Bilanz vorzuweisen haben, die nicht ganz so grandios ist und vielleicht auch mit zu den Problemen in der Stadt beigetragen hat.

(Beate Raudies [SPD]: Was soll das jetzt hier?)

Wahlrechtsänderungen sind also auch in der Vergangenheit schon verschiedentlich aus ziemlich durchsichtigen parteipolitischen Interessen heraus angeregt worden. Das ist gelegentlich grandios schiefgegangen. Ich darf daran erinnern, dass damals, als die CDU hier noch die absolute Mehrheit gehabt hat, in den 80er-Jahren, eine Landtagsmehrheit die Zahl der Mitglieder des Landtages von einer ungeraden Zahl auf eine gerade Zahl abgeändert hat. Das hat dann bei der Landtagswahl 1987 dazu geführt, dass die CDU - auch gemeinsam damals mit der FDP - keine Mehrheit mehr im SchleswigHolsteinischen Landtag erreichen konnte. Bei einer ungeraden Mandatszahl, also wenn sozusagen Herr Barschel es beim alten Wahlrecht belassen hätte, hätte man ein anderes Wahlergebnis gehabt.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Dieses Beispiel zeigt also: Wenn Sie Probleme haben, gehen Sie nicht an das Wahlrecht, um eigene Interessen - beispielweise durch die Einführung von Sperrklauseln und so weiter - zu verfolgen, sondern machen Sie einfach überzeugendere Politik, dann werden Sie eher zum Ziel kommen.

(Beifall Wolfgang Kubicki [FDP] - Beate Raudies [SPD]: Was soll das? - Weitere Zu- rufe SPD)

Herr Abgeordneter, jetzt gibt es doch noch eine Bitte, eine Bemerkung machen zu dürfen.

Bitte sehr, ja.

Herr Kollege Klug, ich wollte Sie nach Ihrer Bemerkung, die Sie vorhin zum Thema Wahlrecht von Menschen, die unter Betreuung stehen, gemacht haben, fragen, ob es nicht zutrifft und auch aus dem Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung hervorgeht, dass von diesem Ausschluss vom Wahlrecht insbesondere ganz viele Menschen mit Behinderung betroffen sind. Erstens.

Zweitens: Finden Sie nicht als Liberaler auch, dass man eher aktiv begründen muss, warum man Menschen das Wahlrecht nicht gibt, und nicht, warum man es ihnen gibt? Diese beiden Fragen müssten Sie doch beantworten.

(Dr. Ekkehard Klug)

- Herr Kollege Stegner, ich habe gesagt, dass man über die Problematik sehr wohl nachdenken kann. Ich habe aber Zweifel geäußert, ob eine schlichte Streichung dieses Passus im jetzigen Landeswahlgesetz ausreicht, um ein vernünftiges Ergebnis zu bekommen.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Dann müsste man eventuell über ein Partizipationsgesetz für Menschen mit Behinderung nachdenken,

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

das dann vielleicht auch präzisere und klare Reglungen zum Inhalt haben müsste. Der einfache Weg, der mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschritten werden soll, ist aus unserer Sicht nicht überzeugend. - Danke schön.

(Beifall FDP)

Vielen Dank. - Für die Fraktion der PIRATEN hat nun Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Redezeit mit den Vorrednern der Koalitionsfraktionen so aufgeteilt, dass sie das Gute an den Änderungen vorgestellt haben, und ich zu dem rede, was in den Anträgen fehlt. Das will ich natürlich auch gern tun.

(Zurufe Dr. Kai Dolgner [SPD] und Lars Harms [SSW])

Die Reform des Wahlrechts ist ein Beweis für die Kooperationsfähigkeit der PIRATEN und auch die Fähigkeit der Fraktionen zur konstruktiven Zusammenarbeit miteinander. Es ist sehr erfreulich, dass Anregungen anderer Fraktionen und auch der Piratenfraktion aufgegriffen wurden, wie zum Beispiel die Einführung eines Wahlrechts für Menschen mit Betreuer.

Ich möchte an der Stelle noch einmal darauf hinweisen: Während dieses Thema in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 diskutiert wird, stammt unser entsprechender Gesetzentwurf bereits aus dem Jahr 2013. Ich glaube, das macht ganz deutlich, von wem die Initiative kam, Herr Kollege.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Nun aber zu den Schattenseiten, um nicht zu sagen zu den Schwarzen Löchern dieser Initiative. Meine sehr verehren Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, nur mit Mühe, mit einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes und Androhungen von Verfassungsklagen, konnten wir Sie davon abhalten, die politische Vielfalt in den Kommunalparlamenten abzubauen. Doch auf der Landesebene halten Sie weiterhin stur an der Fünfprozentsperrklausel fest, wegen der zuletzt in Sachsen-Anhalt 14 % der abgegebenen Wählerstimmen wirkungslos einfach so verfallen sind. Diese Sperrklausel bedeutet nichts anderes, als dass die AfD in ein Parlament nach dem anderen einzieht, während demokratische Kräfte draußen bleiben müssen. Wollen Sie das?

(Zurufe)

Der massenhafte Verfall von Wählerstimmen bedeutet zusätzliche Sitze für Parteien wie die AfD, obwohl die Wähler diese gerade nicht unterstützen wollten. Die Sperrklausel verfälscht deshalb teilweise den Willen der Wähler in sein Gegenteil. Und Sie lehnen den Vorschlag ab, betroffenen Wählern wenigstens eine Ersatzstimme zuzugestehen, damit sie ohne Angst vor einem Verschenken ihrer Stimme wenigstens ehrlich wählen und, falls ihr Favorit die Hürde nicht nimmt, eine zweite Wahl treffen könnten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das funktioniert in Irland, das funktioniert in Malta, und das würde auch hier funktionieren - wenn man es nur wollte.

(Beifall Uli König [PIRATEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was für ein Quatsch ist das denn!)

Wenn Sie das nicht wollen, zeigt das eigentlich nur, dass Ihre Furcht vor politischer Konkurrenz größer ist als Ihr Respekt vor dem Wählerwillen. Das bedauere ich sehr.

Auch einen anderen demokratischen Missstand wollen Sie nicht beheben. Wie wollen Sie eigentlich den Bürgern von amtsangehörigen Gemeinden erklären, dass ihre Nachbarn über die Aufstellung von Bebauungsplänen oder über die Schließung von Außenstellen von Schulen per Bürgerentscheid abstimmen dürfen, sie selbst aber möglicherweise nicht, weil das Amt zuständig ist? Es gibt direkte Demokratie auf Gemeindeebene, auf Kreisebene, auf Landesebene, nur in den Ämtern nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bürgerentscheide auf Amtsebene gibt es in Brandenburg, und sie würden auch hier funktionieren wenn man nur wollte.

(Dr. Ekkehard Klug)

In Anbetracht der verbleibenden Redezeit kann ich nur noch kurz auf die weiteren Kritikpunkte eingehen.

Erstens: Nach Ihrem Gesetzentwurf können unliebsame Volksentscheide weiterhin ausgebremst werden, indem sie nicht auf den nächsten Wahltermin gelegt werden und dann an mangelnder Beteiligung scheitern. Warum eigentlich?

Zweitens: Die erstmals mögliche Unterstützung von Volksinitiativen über das Internet machen Sie durch technische Hürden so schwierig, dass sie faktisch unbrauchbar wird.

Dritter Punkt: Die Bürger sollen vor Volksabtimmungen keine Informationsbroschüre mit den Argumenten beider Seiten erhalten - was bei Bürgerentscheiden längst selbstverständlich ist.

Und viertens: Selbst die vom Datenschutzzentrum unterstützen Vorschläge zum Schutz persönlicher Daten der Unterzeichner von Volksinitiativen und der Kandidaten lehnen Sie ab, ohne eine Begründung zu nennen.

Vor diesem Hintergrund kann ich auch heute wieder nur mit dem etwas abgewandelten Zitat von Neil Armstrong schließen: Das neue Wahl- und Volksabstimmungsrecht mag ein großer Schritt, besonders für SPD und SSW, sein, kann aber doch nur ein kleiner Schritt für die Bürger in unserem Land, ein erster Schritt in die richtige Richtung, sein.

Ihr Ziel, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, erreichen Sie so jedenfalls nicht. Meiner Überzeugung nach ist es so: Erst wenn die Politik der Mündigkeit der Bürger vertraut und die direkte Demokratie auch massiv stärkt, sodass wir regelmäßige Volksabstimmungen hier in unserem Land bekommen - wie es beispielsweise in der Schweiz üblich ist -, erst dann werden auch die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik fassen und sich stärker beteiligen was wir ja alle wollen.

Wir PIRATEN bleiben deshalb weiter die Schrittmacher für mehr direkte Demokratie in SchleswigHolstein, und wir werden nicht locker lassen, bis die direkte Demokratie hier auch funktioniert. Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen des SSW erteile ich nun Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf möchte einerseits die Wahlverfahren optimieren und andererseits den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Wahlen erleichtern. Wir haben für diese Zwecke ein ganzes Bündel an Maßnahmen vorgeschlagen: Unter anderem haben wir Fristen für Wähler und Gewählte verkürzt; wir wollen die Einführung mobiler Wahlstationen testen; die Briefwahl soll erleichtert werden, und es wird sogar die Wahl des Stiftes freigegeben - vieles andere eben auch.

Ich möchte angesichts der Vielzahl der Maßnahmen drei Kernthemenkomplexe herausgreifen.

Erstens. Das Verhältniswahlrecht soll den Wählerwillen besser abbilden als das Mehrheitswahlrecht, da ja bei ihm unter Umständen bis zu 49,9 % aller Stimmen unter den Tisch fallen. Das Verhältniswahlrecht ist allerdings vergleichsweise kompliziert. Es führte in der Vergangenheit zu Situationen, in denen die absolute Stimmenmehrheit nicht zu einer Sitzmehrheit führte. Auf diese Weise kann das Verfahren im extremen Einzelfall ungerecht sein. Die Bürgerinnen und Bürger stellen dann mit Recht die Frage nach der Legitimität der Wahl. Wir wollen diese Gefahr durch die vorgeschlagene Wahlrechtsänderung mit zusätzlichen Mandaten bannen. Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch deutlich machen, dass dieser Fall bislang nur selten bei uns aufgetreten ist. Ich finde, dass wir hier eine kluge Lösung gefunden haben, die auch zukunftsfähig ist. Zweitens. Ursprünglich sollte der Teiler im Verhältniswahlrecht beim ersten Mandat auf 0,7 festgelegt werden. Dieser Wahlrechtseingriff sollte lediglich eine Korrektur sein und den Wählerwillen ausdrücklich weder einschränken noch verfälschen. Diese Änderung sollte dazu dienen, unerwünschte kleine Parteien, die sogenannten Splitterparteien, außen vor zu halten. Das war zumindest die offizielle Argumentation. Es gibt aber keinen Grund, sie außen vor zu halten. Verfassungsgemäß wäre eine solche Regelung am Ende doch sehr angreifbar gewesen. Das ist auch in den Ausschussberatungen klar geworden. Deshalb wird auf die Erhöhung des Teilers verzichtet, und wir bleiben weiterhin bei 0,5. Das heißt, mit der Stimmenzahl für ein halbes Mandat erreicht man bereits das erste Mandat.

Die Vielfalt in der Parteienlandschaft empfinden nicht nur ich persönlich, sondern viele Menschen in unserem Land als eine ausgesprochene Bereicherung.

(Beifall PIRATEN - Zurufe)

(Dr. Patrick Breyer)

- In Lübeck mag das vielleicht keine Bereicherung sein. Aber ich glaube, in Lübeck wollte man auch eine Sperrklausel von 30 %, um da endlich Ruhe reinzubringen.

Wir haben aber ein ganz anderes Demokratiedefizit, meine Damen und Herren. Das sage ich ganz ausdrücklich auch vor dem Hintergrund, dass in 327 schleswig-holsteinischen Gemeinden nur eine einzige Wählergruppe bei der letzten Kommunalwahl kandidierte. Das entspricht jeder dritten Kommune in unserem Land, in denen die Leute faktisch gar kein Wahlrecht mehr hatten. Das ist das eigentliche Demokratiedefizit, das wir im Land haben.

Schleswig-Holsteins Gemeinden sind eben so klein, dass es nicht einmal den großen Parteien, oft auch nicht der CDU, gelingt, ausreichend Bürgerinnen und Bürger für die politische Arbeit zu motivieren. Für die kleinen Parteien ist es dann umso schwerer. In einer kleinen Gemeinde findet sich niemand, der ohne Unterstützung und allein in einem Gemeinderat für seine Partei politisch mitgestalten kann. Also schließt er oder sie sich dann einer Wählergemeinschaft an. So kommt es, dass die Kleinheit der Strukturen das Aufkommen der angeblich parteiübergreifenden Wählervereinigungen natürlich auch befördert.