Protokoll der Sitzung vom 20.07.2016

Deshalb mahne ich an, dass wir dieses Thema nicht immer nur unter sicherheitspolitischen Aspekten diskutieren, sondern unseren Blick viel weiter öffnen.

Dazu gehört, dass wir Präventionsarbeit weiter finanzieren. Unsere Landesregierung war es, die 300.000 € in die Hand genommen und gesagt hat:

Wir machen Präventionsarbeit im Bereich religiös motivierten Extremismus. - Das hat es vorher nie gegeben. Genau diese Ansätze müssen wir weiter verfolgen.

Frau Kollegin!

Ich meine nur - und deswegen schließe ich jetzt mit dem, mit dem ich angefangen haben -: Wir sind gar nicht so weit auseinander. Wir sollten nicht reflexhaft Hysterie verbreiten, die wir hier nicht verbreiten müssen. - Ich bedanke mich.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Abgeordneten Burkhard Peters.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Würzburg hat gezeigt, dass Deutschland auch Ziel von terroristischen Anschlägen ist. Da kommt man jedoch gleich ins Stocken: Ist Orlando, ist Nizza, ist Würzburg islamistischer Terror, wie wir ihn bisher mit Paris und Brüssel in Verbindung gebracht haben? Allein schon deswegen, weil sich die Täter in diffuser Weise auf den Islam oder den IS berufen? Oder weil der IS sofort die Chance nutzt, diese Taten für sich zu reklamieren? Oder haben wir es in Nizza und Würzburg mit verwirrten Amokläufern zu tun, die psychisch labil und sozial depraviert sind? Amokläufer, die kurzfristig, durch die Videobotschaften des Dschihad radikalisiert, ein Fanal setzen wollen, um ihrem verkorksten Leben eine letzte, grausame Bedeutung zu geben? Meine Damen und Herren, die Grenzen zwischen politischem Terrorismus und Amoklauf verschwimmen zunehmend.

Man nennt Täter wie in Nizza in der Kriminologie ,,lone actors“. Man begegnet diesem Tätertyp nicht nur in islamistischen Zusammenhängen - das ist sehr wichtig -, sondern auch auf den Schulhöfen von Littleton und Winnenden sind sie schon tätig geworden und haben brutalen Terror ausgeübt. Auch der rechtsradikale Hintergrund eines Breivik in Norwegen ist in diesem Zusammenhang zu nennen.

(Simone Lange)

Meine Damen und Herren, für Sicherheitsbehörden ist dieser Tätertyp ein Albtraum. Er ist nicht berechenbar. Als Einzeltäter ist er völlig unvernetzt, lange völlig unauffällig, aber mit primitivsten Mitteln wie einem Lastwagen oder mit einer Axt und einem Messer kann er gnadenlos effektiv sein. Es sind leise tickende menschliche Zeitbomben, die jederzeit an jedem Ort hochgehen können.

Allein schon deshalb halte ich die Verknüpfung des Vorfalls in Würzburg mit Forderungen weiterer Aufstockungen im Bereich des Verfassungsschutzes für problematisch. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, liebe FDP, dass Sie diese Forderung in diesem Antrag so auch gar nicht erheben. Ich kann mich Ihrer Forderung bezüglich der Prüfung von Mitteln und Ausstattung der Sicherheitsbehörden voll und ganz anschließen.

Meine Damen und Herren, die Täter von Paris und Brüssel passen nicht in das vorhin gezeichnete Bild des isolierten Einzeltäters. Das waren terroristische Gruppen mit im Nachhinein offenkundig gewordenen Kontakten zum IS. Sie gingen sehr arbeitsteilig vor und waren bewaffnet mit Sturmgewehren und grauenhaft wirkenden Bomben.

Wenn wir heute über die Terrorgefahren in Schleswig-Holstein und über die Frage diskutieren, wie unsere Landespolizei aufgestellt sein sollte, um Sicherheit zu gewährleisten, dürfen wir nicht alles in einen Topf werfen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Welche Szenarien sind für Schleswig-Holstein realistisch? Mit welchem Tätertyp müssen wir hier rechnen? Müssen Polizei und Verfassungsschutz personell verstärkt werden? Braucht es andere Waffen und Mittel des Selbstschutzes?

Die bei Weitem sinnvollste und nachhaltigste Gegenmaßnahme - darauf bin ich vorhin in meiner anderen Rede schon eingegangen -, ist eine verstärkte soziale Präventionsarbeit. Darauf muss meines Erachtens unser Hauptaugenmerk liegen.

Die FDP setzt bereits richtige Akzente: Prävention und Deradikalisierung. Ich ergänze: Integration aller Flüchtlingsgruppen mit Bleibeperspektive, zivilgesellschaftliche Strategien zur sozialen Einbindung. Jetzt kommt ein ganz wichtiger Punkt, der vielleicht auch im Würzburger Fall eine wichtige Rolle gespielt hat: psychologische Betreuung von Traumatisierten. Das kann auch der Hintergrund für die Tat von Würzburg gewesen sein. Wir wissen nicht, was dieser junge Mensch auf seiner Flucht nach Deutschland alles Hässliches und Grausames

erlebt hat und was ihn zu dem gemacht hat, was er dann wurde.

All das ist die richtige Antwort auf solche Ereignisse, und das ist auch unsere grüne Antwort. Mit Ihrem Antrag werden wir uns gern vertieft im Innenund Rechtsausschuss auseinandersetzen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Piratenfraktion hat der Abgeordnete Patrick Breyer.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Es ist emotional nachvollziehbar, dass die FDP spontan nach dem schrecklichen Amoklauf bei Würzburg diesen Antrag eingebracht hat. Der Antrag ist aber viel zu kurz gegriffen und schürt Ängste.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dafür haben wir ja Sie, Herr Breyer!)

Die Grenze zwischen Amoklauf, Terror und Terrorismus ist längst nicht mehr klar zu ziehen. Das betrifft Nizza genauso wie Würzburg. Der Umgang damit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur eine staatliche.

Wir wissen noch zu wenig über die Hintergründe der Tat in Würzburg. Wurde der Täter vom IS zu seiner Tat aufgestachelt, oder wollte er einen in Afghanistan gestorbenen Freund rächen, wie wir aus den Medien erfahren?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist auch eine echte Entschuldigung!)

Müssen wir vor diesem Hintergrund vielleicht auch einen Bundeswehreinsatz überdenken, der von der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung seit Jahren abgelehnt wird? Wäre das nicht der wirkungsvollste Schutz vor Vergeltung?

Wie unterstützt man eigentlich labile, anfällige Menschen in Krisensituationen? - Da komme ich auf das Stichwort posttraumatische Belastungsstörungen zu sprechen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie zuvor eine Bemerkung des Kollegen Kubicki?

(Burkhard Peters)

Wenn ich meine Ausführungen beendet habe, Frau Präsidentin.

Wie viele Therapeuten gibt es eigentlich in Schleswig-Holstein, die solcher Sprachen mächtig sind und posttraumatische Belastungsstörungen auch behandeln können? Müssen wir die Kapazitäten verstärken, können wir die Mechanismen verbessern in dem Bereich, um Krisen frühzeitiger zu entdecken und zu helfen? All das wohlwissend, dass Amokläufe nicht vorhersehbar sind.

Jetzt hat Herr Kubicki das Wort für eine Bemerkung.

Herr Dr. Breyer, nicht dass ich etwas falsch verstanden habe, bevor ich anfange, wirklich wütend zu werden. Habe ich es gerade richtig vernommen, dass Sie den Anschlag in Würzburg als Vergeltungsmaßnahme für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan sehen?

Herr Kubicki, ich habe gesagt, es gibt Informationen in der Presse, beziehungsweise es gibt Aussagen aus seinem Umfeld, wonach der Täter beabsichtigt haben soll, einen in Afghanistan gestorbenen Freund zu rächen und dass das die Motivation für die Tat gewesen sei. Es ist ein Fakt, dass Kriegseinsätze im Ausland, auch der Syrieneinsatz, ein Rekrutierungsbecken für den IS und andere terroristische Gruppierungen sind, dass sie dadurch enormen Zulauf bekommen, wenn westliche Staaten anfangen, sich in Kriege einzumischen oder sogar Waffen liefern und solche Länder unterstützen. Das ist natürlich ein Unsicherheitsfaktor, das ist gar nicht zu bestreiten. Richtig ist natürlich, dass das alleine nicht ein Grund sein kann zu sagen, wir beenden einen solchen Einsatz. Die Wahrheit ist aber auch, dass das ein massiver Unsicherheitsfaktor ist.

Gibt es noch den weiteren Wunsch nach einer Bemerkung, Herr Kubicki?

Das macht mich wirklich nahezu sprachlos, was Sie gerade gesagt haben. Das macht mich nicht nur sprachlos, sondern das macht mich auch betroffen, dass Sie eine Verbindung dazu herstellen, dass die Bundeswehr in Afghani

stan ist und ein Mensch in Würzburg glaubt, weil sein Freund dort getötet worden sei, habe er die Berechtigung, in Deutschland Menschen umzubringen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das eine komplette Aufforderung, dass sich die Bundeswehr aus dem Einsatz gegen den IS und aus der Verteidigung beispielsweise der Peshmerga auf Angriffe vonseiten des IS, zurückzieht. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Herr Kollege Kubicki, Sie haben mir das Wort im Munde verdreht, wenn Sie behaupten, dass irgendetwas eine Rechtfertigung für eine Tat sei. Das ist völliger Blödsinn. Ich habe gesagt, dass wir dies unabhängig davon zum Anlass nehmen sollten, darüber nachzudenken, ob es richtig ist, sich an einem Kriegseinsatz zu beteiligen. Das haben wir schon immer infrage gestellt, und zwar unabhängig von dieser Tat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann hat der IS ja sein Ziel erreicht!)

Jetzt fahre ich mit meiner Rede fort. Anders, als es in Ihrem Antrag steht, Herr Kubicki, wird terroristische Gewalt mitnichten wegen bestimmter Merkmale der Opfer verübt

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

wegen Herkunft oder wegen Geschlecht. Oft genug sind doch auch Muslime Opfer solcher Taten. Das heißt, solche Taten richten sich gar nicht gegen einzelne Personen, sondern sie haben politische Ziele, die damit verfolgt werden.

Würzburg zeigt uns - nach den jetzigen Erkenntnissen -, wie schnell sich Menschen radikalisieren können. Wer hilft eigentlich Familien, Freunden oder Betreuern, so etwas zu erkennen? Ist es überhaupt erkennbar in jedem Fall?

Eins ist aber klar: Mehr Polizei, mehr Verfassungsschutz sind keine Lösung, wie gerade dieser Fall zeigt. Keine Überwachung der Welt kann Einzeltäter an solchen Verbrechen hindern, übrigens auch keine Internetzensur, wie sie jetzt gefordert wird, und auch keine Videoüberwachung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Nicht umsonst ist Nizza eine der besten videoüberwachten Städte Frankreichs. Und was soll das helfen gegen einen Lastwagen, der mit terroristischem Hintergrund in eine Menge gefahren wird? Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch eine Verstärkung der Telekommunikationsüberwachung, Frau Lange, bietet

keinen Schutz und hätte auch in diesem Fall keinen Schutz geboten, genauso wenig wie eine Vorratsdatenspeicherung.

Es gibt nun einmal keine hundertprozentige Sicherheit, schon gar nicht vor solchen Einzeltätern. Wer trotzdem als Politiker ständig mehr Sicherheit durch immer neue Verschärfung verspricht, dann aber die Anschläge doch nicht verhindern kann, schürt die innere Verunsicherung der Bevölkerung und verspielt letztlich ihr Vertrauen in Politik und Demokratie.

Deswegen jetzt die Angst nach einer solchen Tat zu schüren und auszubeuten oder aktionistisch eine Überprüfung von Aufrüstung des Sicherheitsapparats zu fordern, ist mit uns PIRATEN nicht zu fordern. Und nur, weil die AfD das tut, Herr Kubicki, ist es genau falsch, es ihr gleich tun zu wollen und mit ihr in einen Wetteifer treten zu wollen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu erklären, warum genau das der falsche Weg ist.

Die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag erheben, sind völlig unbestimmt und es bleibt unklar, was Sie eigentlich wollen. Sie ignorieren, was wir schon im Land an Präventionsarbeit haben, und deswegen erteilen wir PIRATEN einem solchen Aktionismus eine klare Absage.

(Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)