Protokoll der Sitzung vom 23.09.2016

doch eine wirksame Alternative zur Freiheitsstrafe darstellen können. Alle rechtlichen Bedenken, die dazu geäußert werden, halte ich dennoch für wichtig. Deswegen würde ich mich über eine Ausschussüberweisung freuen. Wenn es heute zur Abstimmung kommt, tendieren wir dazu, dem Antrag der FDP zuzustimmen.

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag von CDU/ CSU und SPD auf Bundesebene heißt es auf Seite 102:

„Um eine Alternative zur Freiheitsstrafe und eine Sanktion bei Personen zu schaffen, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt, werden wir das Fahrverbot als eigenständige Sanktion im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht einführen. “

Seit dem 6. Juni dieses Jahres liegt nunmehr ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vor, der diese und andere Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zur Umsetzung bringt. Koalitionsverträge sind schlichtweg einzuhalten, auch wenn Frau Ostmeier eine Abweichung im Text identifiziert hat.

Der Entwurf fußt im Wesentlichen nicht auf der Idee von Frau Schwesig, Herr Dr. Klug, sondern auf dem Text einer zuletzt Hamburger Bundesratsinitiative aus dem Jahr 2008 eines damals CDU-geführten Senats.

Bereits jetzt umfassen die geltenden strafrechtlichen Maßgaben die Möglichkeit des dauerhaften Entzugs der Fahrerlaubnis oder die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe. Im Referentenentwurf soll die Öffnung der Nebenstrafe Fahrverbot und nicht der Entzug der Fahrerlaubnis für alle Straftaten und keineswegs nur für solche, bei denen ein Zusammenhang zwischen der Tat und dem Führen eines Kfz besteht, verhängt werden können und öfter angewendet werden.

Begründet wird dies damit, dass eine Geldstrafe nicht immer einen hinreichenden Eindruck hinterlässt oder oftmals als Ersatzfreiheitsstrafe abgesessen werden muss, wenn das Geld fehlt. Hinzu

kommt, dass Verurteilungen zu Freiheitsstrafen so vermieden werden können. Hintergrund ist sicherlich auch, dass sich die Ideengeber dieser Maßnahme kaum etwas Schlimmeres auf dieser Welt vorstellen können, als auf das Auto verzichten zu müssen.

Zu diesem Vorhaben gibt es nun Zustimmung und Ablehnung gleichermaßen. Herr Dr. Klug, beim Googeln werden Sie feststellen, dass es auch in der SPD dazu sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Vor Kurzem wurde presseöffentlich die Diskussion über die Einsichtnahme in Girokonten - vor allem derjenigen, die ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen - eröffnet. Sicherlich wäre der Blick in das eine oder andere Bankschließfach sehr viel hilfreicher. Das macht deutlich, dass wir in Schleswig-Holstein eher auf der skeptischen Seite sind, wenn es um diesen Gesetzentwurf geht. Dafür gibt es gute Gründe.

Ein empirisch belegbarer Beweis - beispielsweise aus anderen Staaten -, dass diese Maßnahme zur Prävention bei allgemeinen Straftaten geeignet wäre, fehlt. Wir alle hier haben bestimmt genug Fantasie, uns noch andere erstaunliche Sanktionsmaßnahmen auszudenken, ein Internet-, Smartphoneoder Fernsehverbot beispielsweise, wie Sie das vielleicht auch von zu Hause kennen.

(Vereinzelte Heiterkeit)

Doch im Ernst: Straftäter, die keine Fahrerlaubnis haben, könnten mit dieser Maßnahme gar nicht sinnvoll bestraft werden. Das ist schon angesprochen worden. Im ländlichen Raum würde diese Strafe ganz anders wirken als im städtischen Bereich mit einem umfassenden ÖPNV-Angebot. Eine Kontrolle der Maßnahme ist kaum möglich und wäre rein dem Zufall überlassen. Daher verbietet sich ein Vergleich mit Maßnahmen unter dem Motto: „Schwitzen statt Sitzen“. Dort ist meist ein sichtbares und vor allem kontrollierbares Ergebnis vorzuweisen. Ich behaupte, wer seine Geldstrafe nicht zahlen kann, wird auch nicht unbedingt ein großes Auto haben. Auch bei dem Einsatz der sogenannten elektronischen Fußfessel ist zumindest eine Kontrolle gegeben.

Dennoch ist es richtig, dass Freiheits- und Geldstrafen nicht immer die abschreckende oder bessernde Wirkung haben, die sie haben sollten und die wir uns wünschen. Wenn es so einfach wäre, wären auch die Gefängnisse leerer.

Freiheitsstrafen tragen zudem das Risiko einer „kriminellen Infektion“ in der Haft und einer Stigmatisierung infolge beziehungsweise nach der Inhaftie

(Barbara Ostmeier)

rung in sich. Doch stehen Freiheitsstrafen natürlich nicht immer in einem Zusammenhang mit der Tat. Bei Geldstrafen ist bei dem Straftäter - wie schon gesagt - oftmals nichts zu holen.

Vor diesem Hintergrund ist aus meiner Sicht eine Diskussion um die Erweiterung des Sanktionssystems um neue Formen ambulanter Strafen tatsächlich sinnvoll. Und daher - insoweit stimme ich mit der Frau Kollegin Ostmeier überein - ist auch eine Überweisung des Antrags in den Innen- und Rechtsausschuss sinnvoll. Dazu könnte auch eine wirklich interessante Anhörung erfolgen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Dr. Klug, ich hoffe, es ist jetzt nicht unparlamentarisch, wenn ich sage, dass Sie sozusagen wie ein Trüffelschweinchen genau bei den Themen fündig werden, bei denen die Große Koalition in Berlin etwas umsetzen will, was in der Küstenkoalition nicht wohlgelitten ist. Andere Beispiele sind die Vorratsdatenspeicherung oder das Thema sichere Herkunftsstaaten. Heute kommt mal das Fahrverbot bei allgemeiner Kriminalität dran.

Kürzlich hat Bundeskanzlerin Merkel den Bundesjustizminister Maas aufgefordert, den Koalitionsvertrag zu beachten und zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den Fahrverbote als eigenständige Sanktion im allgemeinen Erwachsenen- und Jugendstrafrecht eingeführt werden.

Meine Damen und Herren, wir Grüne sehen das wer hätte das anders erwartet - kritisch. Fahrverbote im Strafrecht sind verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Es besteht ein Gerechtigkeitsproblem, weil die Pläne unter dem Gesichtspunkt der schuldangemessenen Gleichbehandlung sehr problematisch sind. Denn ein Fahrverbot kann nicht individuell im Verhältnis zur jeweiligen Schuld ausgestaltet werden, wie es bei Geldstrafen möglich ist. Ein reicher und ein armer Dieb zahlen nicht die gleiche Geldstrafe, wenn sie 30 Tagessätze aufgebrummt bekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass § 40 StGB den

Höchsttagessatz mit 30.000 € festsetzt. Das ist dann schon deutlich spürbar. 30 mal 30.000 € wird auch ein Millionär nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen.

Bereits jetzt ist problematisch: Was auf dem Land für eine berufliche Existenz bedrohlich werden kann, belastet die Bewohnerinnen und Bewohner in einer Metropolregion mit öffentlichem Nahverkehr wenig. Darauf wurde schon hingewiesen. Das wird noch dadurch verschärft, dass das Fahrverbot auf sechs Monate verlängert werden soll. Eine solche Zeit ist dann arbeitsrechtlich praktisch nicht zu überbrücken, auch nicht durch Urlaub und Sonstiges.

Möglicherweise wird auch benachteiligt, wer keine Fahrerlaubnis hat und dadurch auch keine Freiheitsstrafe abwenden kann. Besonders die oft angeführte Hoffnung, Unterhaltspflichtige durch die Wegnahme des Führerscheins zu motivieren, Kindesunterhalt zu zahlen, ist trügerisch. Die überwiegende Zahl der Unterhaltspflichtigen wird schon deshalb nicht zur Zahlung verurteilt, weil sie schlicht nicht leistungsfähig ist, oder die Zwangsvollstreckung scheitert an der Pfändungsfreigrenze.

Alle diese Fälle sind zudem strafrechtlich nicht relevant, es sei denn, man kann die Verschleierung von anderweitigem Einkommen nachweisen. Durch den Entzug von Mobilität werden die Erwerbsaussichten der Unterhaltspflichtigen jedenfalls in keinem Fall besser.

Fahrverbote als Nebenstrafe sollten also wie bisher nur da verhängt werden, wo das abzuurteilende Delikt einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr hat, zum Beispiel bei Trunkenheitsfahrten oder bei einer Unfallflucht. Hier macht die Denkzettelfunktion der zeitweiligen Einziehung des Führerscheins durchaus Sinn.

Immerhin erwägenswert - ich habe lange überlegt, was ich erwägenswert finden kann - könnte der Gedanke sein, durch die Erweiterung des sanktionsrechtlichen Instrumentenkastens den Strafgerichten die Möglichkeit zu geben, teure und in ihrer Wirkung fragwürdige kurze Freiheitsstrafen zu vermeiden. Darauf hatte der Kollege Rother schon hingewiesen. Die Parole heißt dann also statt des bereits praktizierten „Schwitzen statt Sitzen“ jetzt „Laufen statt Sitzen“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine vorläufige Haltung ist: „Laufen statt Sitzen“ kann ich nur als gesundheitsfördernde Maßnahme ohne jeglichen Vorbehalt unterstützen.

(Thomas Rother)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Zum Vorschlag des Fahrverbots als sanktionsrechtliche Allzweckwaffe will ich mir im Innen- und Rechtsausschuss erst mal anhören, was die Richterverbände und vor allem die Strafverteidigervereinigung, aber auch die Reso-Hilfe und der Verband für soziale Strafrechtspflege in Schleswig-Holstein zum Thema „Laufen statt Sitzen“ zu sagen haben.

Ich beantrage daher Ausschussüberweisung. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Piratenfraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Patrick Breyer das Wort.

(Zuruf: Wir wissen schon, was Sie sagen wollen!)

Im Übrigen, Herr Abgeordneter, wählen Sie Ihre parlamentarischen Formulierungen nicht ungeschickt.

(Heiterkeit)

Ja, Lob vom Präsidium muss auch mal sein.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Peters, dass wir hier so oft über Sachen streiten, die in Berlin von der Großen Koalition geplant werden, liegt vielleicht daran, dass sie großen Mist baut. So ist es auch bei diesem Thema, das Fahrverbot als Strafe einführen zu wollen, weil angeblich die bewährten Strafformen nicht mehr spürbar seien. Das bringt uns in eine ganz gefährliche Diskussion und ist im Übrigen auch kontraproduktiv. Denn selbst wer spürbare Sanktionen will, kann hiermit das Gegenteil erreichen, nämlich eine solche Sanktion könnte gerade davon abhalten, zum Beispiel eine eigentlich gebotene Freiheitsstrafe zu verhängen. Das heißt, man würde gerade zu weniger spürbaren Strafen kommen. Insofern ist das auch unter diesem Gesichtspunkt ungeeignet.

Vielleicht noch ein Argument: Stellen Sie sich die Situation vor, in der es mehrere Mittäter gibt. An der gleichen Straftat sind also mehrere Personen beteiligt. Die eine hat einen Führerschein, die andere aber nicht. Soll jetzt die eine für dieselbe Tat ein Fahrverbot bekommen, für die die andere eine an

dere Strafe bekommen muss, weil sie keinen Führerschein hat? Das kann evident nicht gerecht sein. Und deswegen ist dieser Vorstoß falsch.

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon eine ganze Reihe von Gründen genannt, wonach dies zu Ungerechtigkeiten führen kann, je nachdem, wo man wohnt, wie viel Geld man hat. Es gibt aber auch Personen, die zum Beispiel gesundheitlich auf Kraftfahrzeuge angewiesen sind, um sich fortbewegen zu können und zum Arzt zu kommen. Da wirkt eine Strafe auch völlig anders als bei anderen Personen. Vor diesem Hintergrund ist es eine ganz schlechte Idee, solche Sonderstrafen einzuführen.

Wenn wir anfangen, darüber nachzudenken, welche Strafen spürbar sind, dann kommen wir auch in das gefährliche Fahrwasser einer ganz anderen Richtung. Der Kollege Rother hat schon vom Fernsehverbot gesprochen. Was kommt als Nächstes? Handyverbot, Internetverbot vielleicht oder wie in den USA: Creative Sentencing. Da werden Personen dazu verurteilt, sich mit einem Schild in die Öffentlichkeit stellen, auf dem zum Beispiel steht: „Ich bin ein Dieb“. Wollen wir das in Deutschland, oder ist das nicht doch mit unserem Rechtsstaatsverständnis unvereinbar? Im letzten Jahr haben wir sogar eine Diskussion über eine ganz andere Strafe gehabt. Da hatte nämlich die FDP gefordert, die Ausweisung als Nebenstrafe einzuführen. Sie sehen also, hier sind keine Grenzen mehr gesetzt, wenn man einmal anfängt, darüber nachzusinnen, Herr Kubicki, was denn wohl gut und spürbar sein könnte.

Wir haben bewährte Strafformen. Ich glaube deshalb auch nicht, dass uns eine Anhörung sehr viel weiterhelfen wird; denn die Verbände haben bereits Stellungnahmen abgegeben zum Referentenentwurf des Ministeriums. Diese sind auch im Internet nachlesbar. Zum Beispiel gab es vom Richterbund eine ganz klare Ablehnung, aber auch vom Bewährungshelferverband; vielleicht sollte uns auch wichtig sein, was die dazu sagen, nämlich eine klare Ablehnung. Der Deutsche Juristentag hat sich zweimal mit dem Vorschlag beschäftigt und hat diesen Vorschlag beide Male mit einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt.

Vor dem Hintergrund hätte ich mir gewünscht, dass wir heute ein Signal nach Berlin senden würden, dass wir das für falsch halten. Wir sollten an die Koalition in Berlin appellieren, die Finger von diesem Vorschlag zu lassen, der kontraproduktiv sei kann.

(Burkhard Peters)

(Beifall PIRATEN)

Ein Wort noch zu einem weiteren Element des Referentenentwurfs des Bundesjustizministers. Darin soll auch der Richtervorbehalt für das Entnehmen von Blutproben gegen den Willen der Betroffenen eingeschränkt werden. Das sehe ich kritisch, denn Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Menschen sind schwerwiegend. Hier sollte nicht ohne Weiteres und leichtfertig auf diese richterliche Überprüfung verzichtet werden.