Protokoll der Sitzung vom 16.12.2016

Das Problem ist ja schon angesprochen worden: Es geht nicht nur um Konflikte in der Familie, sondern, wenn der türkische Pass zurückgegeben wird, hat die betreffende Person vor allem in der Türkei Riesenprobleme, wenn Erbschaften angetreten werden müssen; dann gibt es ein Riesenproblem, wenn Liegenschaften übertragen werden müssen. Das heißt, es geht auch um ökonomische Grundtatbestände in einer Welt, die immer offener wird, in einer Welt, in der wir um die besten Köpfe ringen, auch in Deutschland. Dort zu erklären: Wenn ihr zu uns kommt und euch hier integrieren wollt, auch Deutsche werden wollt, müsst ihr gleichzeitig -

(Serpil Midyatli [SPD]: Die wollen nicht nur zu uns kommen, sondern die wollen hier auch leben!)

- Wir wollen ja Leute anwerben, wir wollen Fachkräfte anwerben; wir wollen ja auch ein Einwanderungsgesetz machen. Wir wollen ja wirklich die Besten der Welt zu uns holen. Denen aber gleichzeitig zu sagen: „In dem Moment, in dem ihr bei uns seid und in dem ihr das Gefühl habt, ihr seid hier integriert, ihr wollt auch Deutsche sein, müsst ihr aber eure Vergangenheit, eure Geschichte, eure Heimat zurücklassen“, das ist, wie gesagt, eine politische Gestaltung aus dem letzten Jahrtausend ich spreche bewusst nicht mal vom letzten Jahrhundert.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

In der Tat geht es wirklich darum - all die Erklärungen darum herum von der Jungen Union haben das doch belegt -, der AfD das Wasser abgraben zu wollen, indem man genau auf diese Schleimspur aufsteigt, die die AfD anlegt. Man kann sich als demokratische Partei offen dazu bekennen; man kann offen seine Ausländerskepsis, seinen Ausländerhass, seine Ausländerfeindlichkeit über diesen Weg dokumentieren. Ich bedaure wirklich sehr, dass die christdemokratische Union sich dafür hergibt. Das ist eigentlich das Schlimmste. Wir sollten als Landtag tatsächlich beschließen, dass wir damit nichts gemein haben wollen. Es wäre eine Größe, die viele in der Union an den Tag legen würden - Parteitagsbeschluss der CDU hin oder her -, zu dokumentieren, dass man sich auf diesen Weg nicht begeben wird. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Das Wort für die Piratenfraktion hat die Frau Abgeordnete Angelika Beer. - Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne weitere Gäste des Jürgen-Fuhlendorf-Gymnasiums Bad Bramstedt und der Beruflichen Schulen Bad Oldesloe. - Seien Sie herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der vorherigen Debatte über die Aufarbeitung der NSDAPVergangenheit fällt es mir etwas schwer, jetzt in den Wahlkampfmodus umzuschalten. Ich will auch versuchen, das nicht zu tun. Wir stehen als Antragsteller mit auf dieser Resolution, genauso wie die FDP.

Liebe Astrid Damerow, ich möchte Ihnen auch aus unserer Sicht noch einmal darlegen, warum wir das heute diskutieren und beschließen, und warum das so wichtig ist. Man kann nicht einfach sagen: Es ist doch egal, was die Bundespartei da in Berlin oder wo auch immer beschließt. Das hat doch für Schleswig-Holstein keine Auswirkungen, das hat doch mit uns nichts zu tun. - Das, was die CDU mit der Zustimmung des Spitzenkandidaten der CDU für die nächste Landtagswahl beschlossen hat, ist bestimmt von dem Ziel, diese Frage im Wahlkampf zu thematisieren. Wir haben Wahlkampf nicht nur auf der Bundesebene, sondern auch in Schleswig-Holstein. Man will dafür sorgen, dass dies auch politisch umgesetzt wird, und zwar in einer anderen Regierungskonstellation, als wir sie im Moment in Berlin haben.

Das ist ein Schlag gegen die Migrantinnen und Migranten, die bei uns leben, nicht nur in SchleswigHolstein. Es ist ein Rechtsruck sowohl der CDU als auch der CSU; das will ich hier gern noch einmal sagen. Wenn sich Herr Seehofer hinstellt und sagt: „Ohne Obergrenze geht gar nichts“, dann sage ich: Okay, ich wäre auch für eine Obergrenze, aber nicht für eine Obergrenze für Flüchtlinge, sondern für eine Obergrenze für den Einfluss der CSU auf Bundesebene.

(Vereinzelter Beifall)

Sie können sich doch nicht einfach hier hinstellen und sagen: Das hat doch mit uns allen nichts zu tun.

Wenn ich mir nach dem legendären Beschluss der Bundes-CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Aussage von Daniel Günther anschaue,

(Wolfgang Kubicki)

nachzulesen über dpa und NDR, und dann zum Beispiel die Information von heute Morgen über die jüngste Umfrage zur Kenntnis nehme, die in Auftrag gegeben worden ist unter dem Titel „Veränderungen der Zustimmung zu den Parteien, wenn morgen Wahlen wären“, dann sage ich nur: Sie riskieren, einen hohen Preis zu zahlen. Die CDU hat nach dieser Umfrage um einen Prozentpunkt zugelegt, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben jeweils einen Prozentpunkt verloren. Wollen Sie so weitermachen?

(Zuruf CDU: Ja, so wollen wir weiterma- chen!)

Wollen Sie so weitermachen und damit letztlich der AfD die Stimmen in die Arme treiben? Denn nichts anderes wird passieren nach dieser dogmatischen Debatte, wie sie sich auch hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag, finde ich, gerade abgespielt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir manchmal wirklich, dass gerade bei der CDU mehr Mitglieder eine doppelte Staatsangehörigkeit hätten. Vielleicht würde dies den kulturellen Horizont ein bisschen erweitern und ein bisschen mehr Verständnis dafür schaffen, dass wir Kulturen akzeptieren und Gemeinsamkeit pflegen. Das ist ja unser politischer Auftrag, jeden Tag aufs Neue, gerade auch im Hinblick auf die Integration der zu uns kommenden Flüchtlinge, die wir integrieren wollen, die integriert werden wollen.

Es geht doch nicht an, diesen Menschen irgendwann die Pistole auf die Brust zu setzen, egal woher sie kommen - Serpil hat dazu genug gesagt -, und zu sagen: So, 20 Jahre durftet ihr hier leben und euch wohlfühlen mit eurer doppelten Kultur, ihr durftet beides leben, aber jetzt ziehen wir da mal einen Schlussstrich. - Das ist in meinen Augen verdeckter Rassismus, der gerade in der jetzigen Zeit eines wachsenden Rechtspopulismus äußerst gefährlich ist. Ich kann nur an Sie appellieren, diese Debatten nicht weiter durch eine rechtsgerückte Politik der Landes-CDU zu provozieren. Haben Sie Zivilcourage, bleiben Sie bei dem gemeinsamen Tenor, den wir hier oft im Landtag hatten, und gefährden Sie nicht die politische Aufgabe, die wir haben und die wir gestern noch einmal gemeinsam beschlossen haben, nämlich, hier eine menschengerechte, menschenwürdige und multikulturelle Gesellschaft nicht nur zu tolerieren, sondern diese auch zu wollen. - Danke schön.

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW spricht jetzt der Abgeordnete Lars Harms.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Du hast auch einen doppelten Pass!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was konnten wir eben aus der Rede der Kollegin Damerow mitnehmen? - Das Erste, was man mitnehmen kann, ist, dass Bundesparteitage der CDU nicht unbedingt bedeutende Gremien sind, an die sich die Abgeordneten der CDU unbedingt zu halten hätten.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN - Zuruf: Das gilt für den SSW auch so!)

- Das ist in der Tat, lieber Kollege, für den SSW und seinen Landesparteitag tatsächlich etwas anderes. Das nehmen wir schon ernster.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Was man darüber hinaus sehen kann, ist, dass - so zitiere ich die Kollegin Damerow einmal - man die Haltung nicht geändert habe. Ich werde gleich noch einmal darauf eingehen, was dies denn in realiter bedeutet. Das hat sie hier ja nicht so richtig sagen wollen. Herr Kollege Kubicki hatte extra noch einmal nachgefragt. Sagt doch mal, was ihr als Landespartei dazu sagt!

Ich kann Ihnen sagen, dass ich es bei der Diskussion, die ja von der Jungen Union initiiert wurde, übrigens besonders schockierend finde, dass gerade die jungen Leute,

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ein Denken von gestern bei den jungen Leuten!)

denen Europa offensteht, mit so einem Vorschlag kommen. Was sie vorgeschlagen haben, ist, dass die deutsche Staatsbürgerschaft Kindern und Jugendlichen verweigert werden soll, deren Eltern ich rede jetzt nur über die Formalien - sich mindestens acht Jahre hier aufgehalten haben und über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügen. Besser integrierte Menschen gibt es eigentlich gar nicht. Das ist eigentlich der Idealzustand, wie wir ihn uns wünschen. Und dann werden deren Nachkommen auch noch Deutsche und stehen für diesen Staat gerade, wollen sich für diesen Staat engagieren,

(Zuruf CDU: Das können sie auch tun!)

(Angelika Beer)

wollen in diesem Staat mitbestimmen. Genialer geht es gar nicht. Und das wollen Sie schon am Anfang verhindern? - Das finde ich völlig schockierend.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Zweistaatlichkeit ist Normalität. Es gibt massenhaft binationale Ehen, Ehen, bei denen etwa der eine aus Amerika kommt und der andere aus Deutschland, Ehen, bei denen der Mann aus Belgien kommt und die Frau Deutsche ist.

(Zuruf SPD: Um die Länder geht es ja auch gar nicht!)

Das ist im Übrigen ja nicht das, was Sie anführen; das stimmt schon. Es geht hier um Muslime, es geht hier um Türken, es geht letzten Endes auch um Fremdenhass.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Angelika Beer [PIRATEN])

Genau darum geht es. Denn der Beschluss ist ja nicht auf einer Argumentation aufgebaut, die lautet: Oh, diese vielen Amerikaner im Land, die wollen wir hier nicht haben, die sind ganz fürchterlich.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Jetzt hör mal mit den Amerikanern auf! - Heiterkeit)

Genau das ist es eben nicht. - Heiner muss das mal ertragen. - Heiner, ich bin an deiner Seite.

Es geht hier vielmehr wirklich um ganz tiefe Ressentiments gegen ganz bestimmte Gruppen, und das ist etwas, was wir hier überhaupt nicht haben wollen.

Meine Damen und Herren, niemand, der in irgendeiner Art und Weise in zwei Kulturen lebt, hat einen Loyalitätskonflikt. Denn diese Personen haben Loyalitäten zu zwei und manchmal sogar zu mehreren Seiten. Es mag sogar drei oder vier Loyalitäten geben, je nachdem, wie die Familiengeschichte aufgebaut ist. Trotzdem stehen diese Menschen dafür ein, dass sie hier dieses Land weiter voranbringen wollen.

Ich glaube, das ist das Entscheidende. Wenn wir im Übrigen darüber reden, dass die Leute keinen Pass haben sollen, muss man irgendwann auch einmal darüber reden - das ist nämlich die Folge -, unter welchen Bedingungen man einem deutschen Staatsbürger den Pass entziehen kann. Wenn wir erst einmal da sind, wird es richtig haarig. Ich glaube, es ist gut, dass man, wenn man einen deutschen Pass hat,

ihn nur unter der Bedingung, dass man ihn erschlichen hat, entzogen bekommen kann. Dass man Bürgerrechte, dass man staatsbürgerliche Rechte einfach so entzieht, kennen wir nur aus ganz bestimmten Staaten, deren Verhältnisse ich hier nicht haben will.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die wir hatten!)

Ich habe vorhin gesagt, die Kollegin Damerow hat gesagt: Wir haben unsere Haltung nicht geändert. Ich will Ihnen sagen, was das bedeutet. Das kann man immer noch nachlesen. Am 8. Dezember - es ist noch nicht so lange her - wird der Kollege Günther in „NDR Info“ zitiert mit:

„…, der Vorstoß sei ein Signal dafür, was die CDU anders machen würde, wenn sie nicht in der Großen Koalition gefangen wäre.“

- Das bedeutet nichts anderes, als dass die Haltung der Landes-CDU genau die ist, die auf dem Bundesparteitag der CDU beschlossen worden ist, nämlich dass man diesen jungen Menschen den Pass nicht geben will. Das ist Ihre Haltung.

Ich sage Ihnen eines: Das ist nicht machbar mit der SPD, das ist nicht machbar mit den Grünen, das ist nicht machbar mit dem SSW, das ist nicht machbar mit den PIRATEN, und das ist auch nicht machbar mit der FDP. Wissen Sie, wer übrig bleibt? Als Bündnispartner in dieser Frage bleibt nur die AfD übrig.