Protokoll der Sitzung vom 14.12.2012

Wir wissen, dass bei vielen Patientinnen und Patienten die Manifestation dieser Krankheit frühzeitig vermeidbar gewesen wäre und dass es an Information zu Diabetes und einer Aufklärung offensichtlich fehlt oder diese sehr unsystematisch ist. Ich bin davon überzeugt, dass Prävention und Aufklärung ein Weg zur Umkehr dieses Trends sein könnte. Eine gesunde Lebensweise von Kindheit an ist also der Schlüssel, dort sind wir alle gefordert.

Allerdings gibt es anders als im Bereich Sucht oder in vielen anderen Bereichen für Diabetes bisher nirgendwo ein qualifiziertes Konzept. Weder in Schleswig-Holstein noch im Bund ist hier in irgendeiner Form ein systematisches Vorgehen zu erkennen. Vieles wird zu punktuellen Aspekten gesagt: Wir brauchen Schutz vor ungesunden Lebensmitteln. Ein Weg dazu kann die Ampelkennzeichnung auf den Verpackungen sein, die aber leider nicht zum Zug kommt. Also haben wir hier Schwierigkeiten. Wir betonen immer wieder, Rauchen könne tödlich sein, meine Damen und Herren - Essen aber auch.

Deswegen ist es wichtig, dass wir in der Kindheit schon richtiges Ernährungs- und Bewegungsverhalten anlegen. Kinder sind wissbegierig, Kinder haben eine Neigung, neugierig zu sein, sie lassen sich begeistern. Diese Chancen müssen wir stärker nutzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir brauchen mehr Lust auf gesundheitsfördernde Ernährung. Menschen, bei denen Diabetes diagnostiziert wurde, müssen sofort unterstützt werden. Dabei geht es nicht vorrangig um medikamentöse Behandlungsformen, denn 50 % der Typ-2-Diabetiker können ohne Arzneimittel deutliche Besserung erreichen. Eine Ernährungsumstellung ist hier ein wichtiger Schritt - und mehr Bewegung ohnehin.

Die häufig dramatischen Langzeitschäden wie zum Beispiel mehr als 40.000 Amputationen jedes Jahr können deutlich reduziert werden, gerade bei diesem Typus. Schon 15 Minuten Bewegung am Tag sind effektiver als jedes derzeit verfügbare Medikament.

Mitwirkung der Patientinnen und Patienten, des Umfeldes und spezielle Schulungen sind unver

zichtbare Bausteine dazu, müssen aber auch umgesetzt werden. Daher ist es notwendig, dass wir strukturell an dieses Problem herangehen. Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen, schauen, wo wir stehen und dann systematisch vorgehen, zunächst einmal durch eine Bundesratsinitiative, denn dort liegen die Hauptentscheidungsfelder. Wir sollten uns dorthin auf den Weg machen.

Es gibt inzwischen durchaus Erfolge, aber die reichen bisher nicht aus. Das sehen wir: Die Kosten explodieren. Jedes Jahr geben wir 1,8 Milliarden € zusätzlich zu den ohnehin 36 Milliarden € aus. Das ist also die teuerste chronische Erkrankung, die wir haben. Da ist es an der Zeit, dass wir diese große Herausforderung annehmen. Ich hoffe, wir alle das ganze Haus gemeinsam - werden uns auf den Weg machen, erstens eine Bestandsaufnahme für unser Land zu machen und zweitens einen Nationalen Diabetesplan zu schaffen. - Ich danke für Ihre Unterstützung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Karsten Jasper.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Bernd Heinemann, es ist richtig, dass wir heute beide Anträge gleichzeitig beraten. In Antrag 18/378 fordern wir, einen Bericht von der Landesregierung aus dem Ministerium von Frau Alheit zu bekommen, damit wir überhaupt den Status quo kennen, damit wir wissen, wo wir stehen, was wir bis jetzt gemacht haben und was an präventiven Maßnahmen eingeleitet ist. Es ist auch richtig, dass wir - das möchte ich gleichzeitig beantragen - den Antrag Drucksache 18/379 in den Ausschuss überweisen, um dort noch die Details zu klären.

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Sieben Millionen Menschen sind in Deutschland an Diabetes erkrankt. Diabetes ist die am häufigsten diagnostizierte Krankheit in Deutschland. Jeden Tag erkranken 700 Menschen - jeden Tag 700 Menschen! - an Diabetes, und ab dem 35. Lebensjahr haben wir wahrscheinlich zusätzlich eine Dunkelziffer an Menschen, die diabeteskrank sind. Das sind im Jahr 270.000 Menschen, darunter immer mehr Kinder und Jugendliche. Das wurde vorhin auch schon an

gesprochen. Deshalb ist es notwendig, dass die Prävention im frühen Kindesalter ansetzt.

Lieber Herr Heinemann, ich kann auf die von Ihnen genannte Zahl von 36 Milliarden € noch etwas draufsetzen. Es ist richtig, dass die 36 Milliarden € die Zahl ist, die die GKV uns genannt hat für Kosten, die jährlich durch Diabetes entstehen. Es sind aber insgesamt 42 Milliarden €, also noch einmal 6 Milliarden € zusätzlich, wenn man die Kosten der Rentenversicherungen hinzunimmt. Mögliche Folgeschäden bei Diabeteserkrankungen sind Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Netzhautschädigungen. Allein in den letzten fünf Jahren gab es hier eine Zunahme in Höhe von 33 %. Das sind aber auch Nervenschädigungen, Depressionen, Hauterkrankungen und Nierenschäden - hier hat es in den letzten fünf Jahren ebenfalls eine Steigerung von 33 % gegeben.

Es ist zwar richtig, dass es heute schon sehr viele Managementprogramme der unterschiedlichen Krankenkassen gibt, aber diese müssen intensiver untersucht und ausgewertet werden. Ursächlich für vieles ist die mangelhafte Datenlage.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Prävention, Früherkennung, Versorgungsstrukturen und Versorgungsforschung. Wir brauchen vor allen Dingen mehr Patienteninformation, die Übernahme der Kosten für diese Information durch die Kostenträger und Informationen zu Selbsthilfeorganisationen in Deutschland, speziell in Schleswig-Holstein.

Lassen Sie mich zum Schluss noch anmerken: Es gibt bereits erste Runden zur Erstellung eines solchen Nationalen Diabetesplans. Auf Bundesebene ist am 31. Oktober 2012 ein sogenanntes Basispapier vorgestellt worden. Das ist also nicht neu.

Lassen Sie mich noch ein Fazit ziehen: Ein Nationaler Diabetesplan könnte helfen, Leid von Betroffenen und Angehörigen zu verhindern. Deswegen freue ich mich, dass wir den Antrag in der Drucksache 18/379 intensiv im Ausschuss debattieren werden. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Marret Bohn das Wort.

(Bernd Heinemann)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das süße Leben in der Wohlstandgesellschaft tut unserer Gesundheit nicht gut. Die Deutschen werden immer dicker.

(Heiterkeit)

Wir essen das Falsche, wir essen zu viel, wie essen zu süß. So geht es gar nicht. Es kommt noch etwas Weiteres hinzu: Wir alle bewegen uns viel zu wenig.

(Zurufe und Heiterkeit)

- Über Ausnahmen hier im Auditorium freue ich mich sehr.

Nach den neusten Zahlen der Internationalen Diabetes Föderation ist Deutschland das Land mit dem höchsten Vorkommen an Diabetes in Europa. Das ist ein trauriger Rekord. 12 % der 20- bis 79-Jährigen sind zuckerkrank, haben einen Diabetes. In jedem Jahr kommen 270.000 Neuerkrankungen hinzu. Daraus resultieren - das hat der Kollege Heinemann eben schon ausgeführt - jährliche Kostensteigerungen in Höhe von 1,8 Milliarden € für die Behandlung. Mit anderen Worten, liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder vierte Euro im Gesundheitswesen geht jetzt schon in die Behandlung des Diabetes mellitus. Es rollt eine Welle auf uns zu wie eine Lawine - auch hier müssen wir handeln. Diese Last werden wir nicht schultern können, gesundheitlich nicht und finanziell auch nicht. Es ist allerhöchste Zeit, etwas zu tun. Da kommt diese Initiative genau richtig.

Wir brauchen eine nationale Strategie. Das wollen wir mit unseren Anträgen auf den Weg bringen. Dazu gehört zunächst einmal eine Analyse auf Landesebene. Es gibt einzelne Initiativen, zum Beispiel die meines Kollegen Carsten Petersen in Schleswig-Flensburg, aber wir brauchen viel mehr solche Initiativen, und diese müssen auch koordiniert werden.

,,To do nothing is no longer an option“, war die Botschaft von Kofi Annan anlässlich der UN-Resolution zu Diabeteserkrankungen 2006. Bereits vor sechs Jahren verabschiedete die UN diese Resolution. Was ist bisher geschehen? - Wenn Sie mich fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, viel zu wenig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Die UN warnen vor einer Diabetespandemie. Deutschland muss - das ist ganz klar - handeln,

Schleswig-Holstein muss handeln. Alles andere wäre ein gesundheitspolitisches Armutszeugnis. Das werden wir von den regierungstragenden Fraktionen nicht zulassen.

Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Typ-1-Diabetes ist mit 90 % die häufigste Diabetesform in diesem Alter. Die Neuerkrankungsrate steigt jährlich um 3 bis 4 % an.

Aber auch Typ 2, ursprünglich bei übergewichtigen Erwachsenen sehr häufig, wird zunehmend bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. Das süße Leben in unserer Wohlstandsgesellschaft tut unserer Gesundheit nicht gut, in keinem Alter. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche.

Wir wollen das ändern, wir wollen mit einer nationalen Strategie darauf hinwirken, dass wir sowohl die Erkrankungen reduzieren, die jetzt zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen, die Folgeschäden, die mit schweren Erkrankungen einhergehen, bis hin zu Todesfällen, die früher eintreten, als auch die Kosten im Gesundheitswesen im Blick haben.

Wir würden gern den einen Antrag nachher in der Sache abstimmen - das ist mir gerade so gesagt worden. Den anderen Antrag, das haben Sie, lieber Herr Kollege Jasper - da hinten sitzt er -, vorhin schon vorgeschlagen, würden wir gern mit den anderen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss weiter beraten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Anita Klahn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es gleich vorweg klarzustellen: Den von den Regierungsfraktionen beantragten Bericht zum Sachstand der Diabeteserkrankungen in Schleswig-Holstein werden wir sehr gern unterstützen. Ich freue mich, dass Frau Dr. Bohn schon angeboten hat, den Nationalen Diabetesplan im Ausschuss weiter zu beraten.

(Bernd Heinemann [SPD]: Anders herum! Nationaler Diabetesplan in der Sache abstim- men, Berichtsantrag zu Schleswig-Holstein dann im Ausschuss beraten!)

- Okay, das schaue ich mir gleich noch einmal an.

Auch wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, eine Situationsanalyse zu chronisch kranken Kindern zu erstellen, und unterstützen das. Denn leider ist eine Zunahme von Diabeteserkrankungen gerade bei Kindern wahrzunehmen. Das scheint sich zu einer Volkskrankheit zu entwickeln.

Diabetes ist aber eine vermeidbare Krankheit. Mit einem gesunden Lebensstil kann maßgeblich zur Veränderung dieser Stoffwechselerkrankung beigetragen werden. Es wurde bereits gesagt, Übergewicht, Bewegungsmangel, falsche Ernährung, Rauchen und Stress sind die Hauptursachen für Diabetes und ziehen - wie der Kollege Jasper ausgeführt hat - eine Reihe von Begleiterkrankungen nach sich. Die Zahlen dazu sind genannt worden. Die WHO schätzt sogar, dass sich in den nächsten Jahren bis 2030 die Zahlen sogar verdoppeln werden. Damit werden wir dann natürlich auch erhebliche Kosten haben.

Bei den 70-Jährigen ist inzwischen jeder Dritte betroffen. Bei den 35-Jährigen - und das finde ich sehr erschreckend - schätzt man auf jeden diagnostizierten Fall einen unentdeckten. Das bringt natürlich noch zusätzliche Begleiterkrankungen mit sich. Bei den 3- bis 17-jährigen Kindern haben heute schon 15 % so starkes Übergewicht, dass sie eindeutig zu der Risikogruppe gehören. Ich denke, da wird uns eine Situationsanalyse über die genaue Verteilung in den Altersgruppen, über die unterschiedlichen Erkrankungsformen, für die weitere Beratung sehr dienlich sein.

Die geforderte Darstellung der bereits vorhandenen Präventivangebote ist ebenfalls ganz wichtig, denn die Entstehung von Diabetes in jungen Jahren gilt es, einzudämmen. Ich denke, die Pizza am PC und FIFA 13 am Nintendo sind vielen bekannt. Alle wissen, dass das eigentlich nicht dem gesunden Lebensstil entspricht, aber der Alltag sieht leider so aus, dass das praktiziert wird. Hier müssen wir ansetzen.

Ich begrüße die Überlegungen von FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr, bereits im Wege der Vorsorgeuntersuchungen bei den Kindern eine Beratung zu Ernähungs- und Bewegungsgewohnheiten vorzusehen. Denn nur informierte Eltern könnten präventiv wirken.

Aus liberaler Sicht ist generell jeder Mensch für seine Gesunderhaltung selbst verantwortlich. Dazu

muss er motiviert, informiert sein und seine persönliche Lebensführung und Gesundheitsführung auch optimieren können. Eine ausgewogene Ernährung, die allgemeine Verbesserung des Ernährungswissens und damit auch der Ernährungsgewohnheiten sind hier ein wichtiger Ansatz.

Der Aspekt des Sports muss weiter hervorgehoben und über Kita und Schule an unsere Kinder herangetragen werden. Im Weißbuch der EU wird dargestellt, welche wichtige Bedeutung Sport im Allgemeinen für das Gesundheits- und Wohlbefinden hat und zur Krankheitsverhütung beitragen kann, aber insbesondere auch zur Vermeidung des Diabetes.

Bei der Vorbereitung auf die heutige Debatte, der wirklich erstaunlich viele folgen, die es eigentlich alle betreffen könnte, habe ich allerdings festgestellt -