Diese Entscheidungen beruhten darauf, dass der eingangs erwähnte Eingriff in den Zählwert einer abgegebenen Stimme - und damit in die Chancengleichheit der Parteien - eines zwingenden Grundes bedarf. Eine Vorschrift im Wahlrecht, die den Verhältnismäßigkeitsausgleich einschränkt, hat somit immer einen Ausnahmecharakter und bedarf einer sehr tragfähigen Begründung. Das immer wieder zu hörende Argument, die Fünfprozentklausel solle als Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik den Einzug radikaler Parteien von rechts und von links in die Parlamente behindern, ist mit Sicherheit kein zwingender Grund für die Sperrklausel;
denn eine Sperrklausel trifft alle kleinen Parteien ausnahmslos - unabhängig von ihren politischen Zielen - und kann schon aus diesem Grund nicht als zulässiges Mittel zur Verteidigung der demokratischen Grundordnung eingesetzt werden. Regelungen des Wahlrechts müssen ihrem Charakter nach immer abstrakt und generell sein und dürfen daher von den bereits in den Parlamenten vertretenen Parteien niemals im Sinne einer inhaltlich-politischen Beeinflussung mit Blick auf zukünftige Wahlen genutzt werden.
Als zulässiges Differenzierungskriterium gilt vielmehr allein die Sicherung und Aufrechterhaltung der Funktionalität der aus der Wahl hervorgehenden Volksvertretungen. Hier macht das Bundesverfassungsgericht einen maßgeblichen und entscheidenden Unterschied daran fest, ob die zu wählende Volksvertretung Grundlage für die Bildung einer stabilen Regierung ist oder nicht.
Im Bereich des Kommunalrechts gibt es keine Gemeindevertretung oder vom Kreistag gewählte oder von den dortigen Mehrheitsverhältnissen abhängige Regierung. Genauso ist es auf europäischer Ebene. Das ist der maßgebliche Grund dafür, dass das Bundesverfassungsgericht das Bestehen einer Fünfprozenthürde bei den Wahlen zu Kommunalvertretungen und zur Europawahl für unzulässig hält, bei den Wahlen zu den Landesparlamenten und zum Bundestag aber sehr wohl für zulässig.
Wir Grünen halten diese Differenzierung aus mehreren Gründen für stichhaltig und überzeugend. Die Abschaffung der Fünfprozenthürde begünstigt den Einzug kleiner und kleinster Parteien in das Parlament. Es liegt aber im Wesen dieser kleinen Parteien, dass sie ganz überwiegend keine das Gemeinwohl der Gesellschaft im Blick habende Programmatik vertreten. Sie fühlen sich in den allermeisten Fällen partikularen Interessen verpflichtet. Ich erinnere an die Grauen, an die Tierschutzpartei, an die Partei Bibeltreuer Christen oder auch an die Violetten.
Unter diesen Bedingungen werden die Bildung und vor allem die Aufrechterhaltung einer politischen Parlamentsmehrheit als Fundament für eine funktionsfähige Regierung erheblich erschwert, denn eine Regierung ist nach Recht und Gesetz der Wahrung und Förderung des gesellschaftlichen Gemeinwohls verpflichtet. Wenn sie aber in ihrem Bestand von fragilen parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen abhängig ist, die auf einem ständig vom Scheitern bedrohten Prozess der Kompromissfindung zwischen divergierenden Partikularinteressen beruht, dann kann eine solche Regierung die erforderliche Stabilität und Handlungsfähigkeit nicht erlangen. Es besteht die ständige Gefahr, dass koalitionsbeteiligte Kleinstparteien eine ihrem Stimmgewicht nicht entsprechende Macht dadurch missbrauchen, dass sie ein drohendes Scheitern einer Regierungsmehrheit dafür ausnutzen, ihre partikularen Interessen in unangemessener Weise durchzusetzen.
Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer? - Ihre Redezeit ist abgelaufen, aber Sie hätten durch die Frage oder die Anmerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer eine Verlängerungsmöglichkeit.
Lieber Herr Kollege Peters, würden Sie die Behauptung aufstellen wollen, dass die Regierungsfähigkeit und die Handlungsfähigkeit der Regierung in Dänemark, in den Niederlanden und in Portugal nicht gegeben seien?
Ja. Die benannten Aspekte sind nur einige, die dazu führen, dass wir Grünen der von den PIRATEN angestrebten Abschaffung der Fünfprozenthürde im Landeswahlrecht äußerst kritisch gegenüberstehen. Jetzt kommt es gleich: Wir sehen in unserer bundesrepublikanischen Parlamentskultur eben nicht den pragmatisch-nüchternen Politikstil verankert, der einen weitgehenden Verzicht auf eine Sperrklausel wie zum Beispiel in Dänemark ermöglicht und erlaubt. Das ist übrigens ein Politikstil, der durch die Vertreterinnen und Vertreter des SSW in unserer Küstenkoalition personell und inhaltlich hervorragend repräsentiert wird
und genau aus diesem Grund das Bestehen und Gedeihen einer Dreierkoalition in Schleswig-Holstein ausnahmsweise zu einem Erfolgsmodell machen wird.
Der Kollege Eichstädt hat es schon gesagt: Die Fünfprozenthürde ist nicht in Stein gemeißelt. Das sagt das Bundesverfassungsgericht auch in ständiger Rechtsprechung. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel Richtiges und Gutes wurde schon gesagt. Herr Kollege Peters, was die Befreiung von der Fünfprozentklausel bei der Kommunalwahl angeht, so weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen kann, dass mit einem Ergebnis von 1,2 oder 1,6 % nun Nazis in Kiel und Lauenburg ihre Hetzparolen loswerden können.
Juristisch haben Sie aber durchgehend sauber argumentiert. Daher kann ich mich, weil wir in der Zeit bereits fortgeschritten sind, auf einige andere Ausführungen beschränken. Beginnen möchte ich mit einem Zitat des Römischen Philosophen Seneca, das man auch auf den Antragsteller, die PIRATEN, übertragen könnte.
- Ich habe nachgefragt. Neuerdings habe ich über den Bischofsvertreter einen guten Draht. Ich bei der Eminenz nachgefragt, ich darf zitieren. In Senecas Werk „Vom glückseligen Leben“ heißt es, Herr Kollege:
„Unglücklich ist die Seele, die des Zukünftigen wegen ängstlich ist, und elend ist schon vor dem Elend, wer in Sorgen schwebt, ob das, woran er sich erfreut, ihm auch bis ans Ende verbleiben werde.“
Die PIRATEN haben einen Gesetzentwurf eingebracht, den man ohne große Übertreibung auch als ein Dokument der Angst verstehen könnte, denn wie sonst sollte man es verstehen, wenn die PIRATEN einen solchen Vorschlag einbringen, der ihnen in der jetzigen Stimmungslage zugutekommen würde, von dem sie also im Lichte der aktuellen Entwicklung selbst profitieren würden?
- Herr Kollege Dr. Breyer, im Gegensatz zu Ihnen gehöre ich diesem Parlament seit über 20 Jahren an.
Ich diskutiere in diesem Parlament seit über 20 Jahren zusammen mit anderen Beteiligten auch über die Fünfprozenthürde. Es gab nicht ein einziges Mal einen Vorschlag der FDP oder eine Beteiligung der FDP an einem Vorschlag, von dieser Fünfpro
Im Übrigen stellt sich die Frage, warum Sie Ihren Vorschlag nicht schon mit demjenigen Entwurf eingebracht haben, mit dem Sie das Wahlalter auf 16 Jahre herabsenken wollten. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, das in Kombination zu erörtern.
Ich möchte zu Ihrem Transparenzbegriff kommen, weil mir auffällt, dass Sie eigentlich immer nur diejenigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts heranziehen, von denen Sie glauben, dass Sie Ihre Vorlagen stützen. Sie verschweigen jedoch schlicht, dass es andere Entscheidungen gibt, die das genaue Gegenteil von dem aussagen, was Sie vorlegen.
„Würde der Grundsatz der getreuen verhältnismäßigen Abbildung der politischen Meinungsschichtung im Volk bis zur letzten Konsequenz durchgeführt, so könnte sich eine Aufspaltung der Volksvertretung in viele kleine Gruppen ergeben, die die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde.“
„Klare und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl bewusste Mehrheiten im Parlament sind aber für die Bildung einer nach innen und außen aktionsfähigen Regierung und zur Bewältigung der sachlichen gesetzgeberischen Arbeit erforderlich.“
„Mit dieser Begründung dürfen daher sogenannte ‚Splitterparteien’ bei der Zuteilung von Sitzen in der Verhältniswahl ausgeschaltet werden, um Störungen des Verfassungslebens vorzubeugen.“
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kann es also in bestimmten Fällen sogar geboten sein, Beschränkungen vorzunehmen, um einer Destabilisierung des Verfassungslebens entgegenzuwirken. Herr Kollege Dr. Breyer, es wäre transparent gewesen, hätten Sie sich in Ihrer Begründung auch mit diesem Urteil auseinandergesetzt.
Verehrter Herr Kollege Kubicki, verstehe ich Sie richtig, dass Sie behaupten wollen, dass die Sperrklausel verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben sei, dass wir sie weder absenken noch abschaffen dürfen?
Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass es Umstände geben kann, in denen es tatsächlich verfassungsrechtlich geboten ist, Splitterparteien auszuschalten, um das verfassungsmäßige Leben nicht zu stören. Es kann geboten sein. Selbstverständlich ist es dem Gesetzgeber überlassen, festzulegen, dass wir die Klausel absenken oder anheben können oder andere Maßnahmen ergreifen können, um das parlamentarische Leben zu sichern. Ich glaube, das hat der Kollege Peters zitiert. Ich komme gleich noch einmal dazu. Ihre Erklärung aber, die Klausel sei verfassungswidrig, ist mit Sicherheit unzutreffend.