Protokoll der Sitzung vom 14.12.2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein, zusammen mit uns im Innen- und Rechtsausschuss zu diskutieren und uns mit Sachverständigen im Rahmen einer Anhörung eine Meinung dazu zu bilden, ob wir die Sperrklausel abschaffen oder doch wenigstens - wie bei unserem europäischen Nachbarn in Dänemark und wie es auch der Europarat empfiehlt - deutlich absenken können. Wir PIRATEN werden bei den Beratungen dafür streiten, dass wir mehr Demokratie in Schleswig-Holstein wagen.

(Beifall PIRATEN)

Für die CDU-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender Johannes Callsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zu beratende Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN zeigt, dass Ihre Fraktion in Sachen Geschichtsunterricht jede Menge Nachholbedarf hat, Herr Dr. Breyer. Das hat nichts mit Spannung zu tun. Das hat auch nichts mit mehr oder weniger De

mokratie zu tun. Deswegen will ich Ihnen gern die notwendige Nachhilfe zu dieser Thematik geben.

Die Sperrklausel ist eine Lehre aus der Weimarer Republik. Damals gab es eine solche Regelung nicht. Eben weil dieses Regulativ fehlte, bedurfte es bereits einer relativ geringen Anzahl von Stimmen, damit eine Partei in den Landtag oder in den Reichstag einziehen konnte. Dadurch bedingt saßen in den Parlamenten nicht - wie heute - fünf oder sechs, sondern zum Teil weitaus mehr als zehn Fraktionen.

Wer meint, diese Parteienvielfalt habe die Demokratie gestärkt, der irrt gewaltig; denn genau das Gegenteil war der Fall. Die Vielzahl der Parteien hat die Mehrheitsbildung erheblich erschwert und vielfach auch gänzlich verhindert. Es sind aber genau diese Mehrheiten in demokratischen Mehrheitssystemen die Voraussetzung dafür, dass politische Entscheidungen getroffen werden können. Es ist eben nicht das Ziel parlamentarischer Arbeit, lediglich Gesetzentwürfe zu verhindern, sondern es geht darum, diese auf den Weg zu bringen.

Die Zersplitterung der Parlamente hat das Scheitern der ersten demokratischen Ordnung in Deutschland mit begünstigt und trägt eine Mitverantwortung am Untergang der Weimarer Republik. Eben weil so viele Parteien in den Landesparlamenten und im Reichstag saßen, konnten damals stabile Mehrheiten nicht zustande kommen.

Die Vielzahl der Fraktionen hat die Arbeit der Parlamente gelähmt und die parlamentarische Demokratie handlungsunfähig gemacht. Das Fehlen einer Sperrklausel hat in der deutschen Vergangenheit eben nicht zu mehr, sondern zu weniger Demokratie geführt. Sehr geehrte Kollegen der Piratenfraktion, dies ist der Grund, warum die Fünfprozenthürde sowohl im Bund als auch in Schleswig-Holstein fest im Wahlrecht verankert ist. Einzige Ausnahme ist in Schleswig-Holstein die Befreiung des SSW als Partei nationaler Minderheiten.

Die Fünfprozenthürde ist ein wichtiger Garant für die Handlungsfähigkeit unserer Parlamente. Mit der Sperrklausel werden zwei Ziele verfolgt. Erstens verhindert die Sperrklausel eine Zersplitterung des Parlaments. Eine solche Zersplitterung schadet der Arbeitsfähigkeit des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Sie schadet auf lange Sicht auch der Demokratie unseres Landes. Zweitens erschwert sie es extremistischen Parteien, in den Landtag einzuziehen.

(Dr. Patrick Breyer)

Es kann doch nicht unser Interesse sein, solchen Demokratiefeinden hier im Landtag von SchleswigHolstein auch noch eine politische Bühne zu bieten.

(Beifall CDU)

Allein deshalb ist diesem Antrag nicht zuzustimmen. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind es unserer Demokratie schuldig, die Lehren aus Weimar niemals zu vergessen, und lehnen als CDUFraktion Ihren Antrag daher ab. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Peter Eichstädt das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dies ist ein Thema, über das man durchaus reden kann. Andere tun das auch, Herr Breyer. Ich finde aber: So, wie Sie immer darüber reden, kann man es nicht machen. Wir beide sind Freunde des schnellen Internets. Ich habe das Argument, das Sie eben ins Zentrum gestellt haben, dass das Vorhandensein einer Sperrklausel zu Politikverdrossenheit führe, gegenrecherchiert. Sie sagten, in Holland sei das nicht so, da sei die Wahlbeteiligung sehr viel höher. Ich kann das nicht erkennen. In den Niederlanden ist mit einer 73-prozentigen Wahlbeteiligung gewählt worden, in Deutschland waren die Beteiligung bei der letzten Wahl 71,5 %. Also irgendwie kann das nicht stimmen. Ich finde es schade, dass immer solche Argumente in den Raum gestellt werden, die keiner Überprüfung standhalten.

(Beifall SPD, CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, Wahlrecht ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen und verfassungsgerichtlichen Überprüfungen. Die Ausgestaltung eines Wahlrechts kann – das haben wir oft gemerkt - über die Zusammensetzung von Parlamenten und Regierungen entscheiden. Oft geht es um das möglichst gleiche Gewicht jeder einzelnen abgegebenen Stimme, das aber kaum vollumfänglich herzustellen ist.

Wie schwierig es ist, zwischen den verschiedenen Anforderungen und Erwartungen einen Ausgleich herbeizuführen, haben wir in Schleswig-Holstein das letzte Mal durch die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts erfahren, welche zur Änderung unseres Wahlgesetzes und zu den Neuwah

len im Jahr 2012 geführt hat. Auch damals waren es nicht einfach einzelne Bestimmungen, sondern es ging um das Zusammenwirken verschiedener Bestimmungen im Wahlgesetz und in der Verfassung, die zu Beanstandungen geführt haben.

Wir haben heute den Gesetzentwurf der PIRATEN zu beraten, die unser Landeswahlgesetz dahin gehend ändern möchte, dass die Fünfprozentklausel abgeschafft wird. Damit wollen die PIRATEN im Kern erreichen, dass Wählerstimmen, die auf kleinere Parteien entfallen, welche nicht die Fünfprozenthürde überspringen, in Zukunft nicht mehr wertlos entfallen.

Ausgangspunkt ist der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wahlgleichheit, der bei der Verhältniswahl bedeutet, dass bei der Zusammensetzung des Parlaments jede von einem Wähler oder einer Wählerin abgegebene Stimme das gleiche Gewicht haben sollte. Das ist ein Grundsatz, der durch eine Sperrklausel - das sei zugestanden -, aber, Herr Breyer, auch durch andere Bestimmungen des Wahlgesetzes auf unterschiedlichste Art und Weise verfehlt wird.

(Beifall PIRATEN)

- Das ist ein bisschen früh, aber wir haben noch einen Augenblick Zeit. - So waren zum Beispiel bei der letzten Landtagswahl für die Erlangung eines Mandats über die Zweitstimme für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.475 Stimmen erforderlich, beim SSW hingegen 20.341. Aufgrund unterschiedlicher Abweichungen von der Durchschnittsgröße der Wahlkreise kann in dem einen Wahlkreis ein Abgeordneter mit deutlich weniger Stimmen direkt gewählt werden, als das in einem anderen, kleineren Wahlkreis der Fall ist. Auch das Zweistimmenwahlrecht an sich führt zu einer unterschiedlichen Gewichtung einzelner Stimmen.

Meine Damen und Herren, es ist unstrittig, dass die Fünforozentklausel zu einem unterschiedlichen Erfolgswert der abgegebenen Stimmen führt. Entscheidend ist aber die Abwägung der Folgen, die sich ergeben, wenn man auf diese Sperrklausel verzichtet. Die Fünfprozentklausel in Schleswig-Holstein - wie in vielen anderen Ländern und im Bund - ist damit begründet, dass sie für die Funktionsfähigkeit der Parlamente erforderlich ist. Dies gilt im Besonderen für die Wahlen zu Parlamenten, die Regierungen wählen und Gesetze erlassen. Eben deshalb kann auch aus Unzulässigkeiten von Sperrklauseln bei Kommunalwahlen oder bei Wahlen zum Europaparlament, die vom Verfassungsgericht festgehalten wurden, nicht geschlossen werden,

(Johannes Callsen)

dass so etwas auch für unser Landesparlament unzulässig ist. Ganz im Gegenteil. Vielmehr ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen verschiedenen Dingen zu schaffen, nämlich zwischen dem Gebot der Wahlgleichheit - das ist richtig -, der Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Parlamentes und - das ist auch nicht zu vernachlässigen - der Transparenz und der Klarheit des Wahlvorganges selbst.

Man könnte sehr theoretisch mit dem Ziel der Wahlgleichheit Regelungen schaffen, die dann aber wiederum so kompliziert wären, dass die Bürgerinnen und Bürger diese nicht mehr nachvollziehen könnten. Das würde zu sehr komplizierten Wahlvorgängen führen, die dann auch wieder Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung haben könnten.

Die gängige Rechtsprechung stützt diese Motive. Der bestimmende Grund für die Sperrklausel ist die angestrebte Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments. Dadurch soll verhindert werden, dass es zu einer Aufspaltung der Volksvertretungen in viele kleine Gruppen kommt, die dann die Bildung stabiler Mehrheiten erschweren und die Regierungsfähigkeit eines Landes infrage stellen.

Entscheidend ist, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden kann. Deshalb soll der Wahlgesetzgeber immer dann, wenn er besondere Umstände vorfindet, diesen Rechnung tragen. Er kann dabei eine Sperrklausel einführen, auf sie ganz verzichten, ihre Höhe herabsetzen oder andere geeignete Maßnahmen ergreifen.

Nach unserer Auffassung ist die Fünfürozentsperrklausel in Schleswig-Holstein nicht zu beanstanden. Sie erfüllt ihren wichtigen Zweck als Instrument zur Herstellung eines arbeits- und entscheidungsfähigen Parlaments.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin gleich am Ende. - Mit all diesen Fragen wird sich angesichts des Gesetzentwurfs der PIRATEN der Ausschuss beschäftigen.

(Beifall PIRATEN)

- Das können nicht einmal wir verhindern. Das ist bei Gesetzen so. Wir sind in der ersten Lesung, und

wir werden natürlich eine Ausschussberatung haben. Das ist auch in Ordnung so. Wir werden das das ist wichtiger - möglicherweise länger tun, als das Landesverfassungsgericht braucht, um über anstehende Wahlprüfungsverfahren zu entscheiden. In diesem Kontext danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und denke, wir werden spannende Beratungen im Ausschuss haben. - Vielen Dank.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die in § 3 Abs. 1 Landeswahlgesetz festgeschriebene Fünfprozenthürde ist aus demokratietheoretischer und wahlrechtlicher Sicht zweifellos ein Problem,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

denn sie bewirkt ein Ungleichgewicht der Wählerstimmen. Durch die Fünfprozenthürde wird der Erfolg einer Wählerstimme ungleich behandelt - je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als 5 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine, die an der Fünfprozenthürde scheiterte. Bei der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein fielen auf diese Weise ungefähr 35.450 Stimmen unter den Tisch.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Nein, das entspricht ungefähr der Zahl der Wahlberechtigten in einer Stadt wie Pinneberg. Das muss man einfach einmal sehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Dies steht im Widerspruch zu dem sich aus Artikel 21 Grundgesetz ergebenden Grundsatz der Chancengleichheit, der für alle Parteien gelten muss, die nicht verboten sind. Trotz dieser grundsätzlichen Systemwidrigkeit gilt die Fünfprozenthürde seit vielen Jahrzehnten ausnahmslos in den Wahlgesetzen aller Bundesländer und auch im Bundeswahlgesetz.

Von ihren Befürworterinnen und Befürwortern wird ihr deshalb ein gewohnheitsrechtlicher Status zugeschrieben, zumal das Bundesverfassungsgericht ihre Rechtmäßigkeit in vielen Urteilen und Beschlüssen immer wieder bestätigt hat. Wie Sie wissen, gilt diese höchstrichterliche Weihe der Fünf

(Peter Eichstädt)

Prozent-Hürde aber nicht ausnahmslos bei allen Wahlen. Durch das Urteil vom 13. Februar 2008 gegen den Landtag in Schleswig-Holstein hat das Bundesverfassungsgericht der Fünfprozentklausel im schleswig-holsteinischen Kommunalwahlrecht den Todesstoß versetzt. Sie wissen vielleicht, dass ich an dieser Entscheidung nicht ganz unbeteiligt war.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Auch bei der Wahl zum Europäischen Parlament hat das Bundesverfassungsgericht die Fünfprozenthürde kürzlich gekippt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)