Protokoll der Sitzung vom 25.01.2013

(Lars Harms)

Die Ausweitung der Videoüberwachung ist - wie der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut treffend formulierte - vielmehr Sicherheitssuggestion.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Ist Videoüberwachung deshalb aber überflüssig und nutzlos? - Keineswegs. Ob Videokameras dort, wo es rechtlich gemäß den Polizeigesetzen der Länder und des Bundes sowie dem Bundesdatenschutzgesetz erlaubt ist, auch tatsächlich eingesetzt werden sollen, ist immer eine Einzelfallentscheidung anhand der konkreten Situation vor Ort. Dabei gilt: Es muss fortlaufend geprüft werden, ob das Gefahrenpotenzial eine Videoüberwachung rechtfertigt. Fällt die Erforderlichkeit weg, ist die Anlage abzuschalten. Bei anhaltender Entschärfung der Lage ist sie gar abzubauen. Bauliche Maßnahmen und eine gute Ausleuchtung können an vielen Orten bereits gefahrenmindernd wirken. Im Einzelfall kann dann auf den Technikeinsatz verzichtet werden.

Will man per Videoüberwachung Straftaten verhindern oder Gefahren rechtzeitig erkennen, so muss das Geschehen live von geschultem Personal am Monitor beobachtet werden. Die Kamera liefert nur die Bilder. Sie springt aber nicht herunter und greift ein oder schlägt Alarm und benachrichtig die Polizei. Zur Strafverfolgung ist Videoüberwachung ebenfalls sinnvoll und wirksam, sofern die Bilder aufgezeichnet werden. Dann können aus dem Video ein Fahndungsfoto oder ein Beweismittel gewonnen werden, mit deren Hilfe die Festnahme ermöglicht werden kann. So mancher U-BahnSchläger konnte beweissicher überführt und verurteilt werden.

Mein Fazit lautet: Videoüberwachung ist unverzichtbar. Sie braucht aber ein durchdachtes Konzept. Anlass und Ziel des Konzepts kann immer nur ein konkreter Fall vor Ort sein. Die Entscheidung darüber liegt bei den jeweils fachlich und örtlich zuständigen Behörden. Meine Bitte lautet daher: Führen wir über Videoüberwachung nicht immer wieder die gleichen theoretisch-ideologischen Diskussionen von gestern und vorgestern, sondern sorgen wir dafür, dass unsere Polizei technisch und vor allem personell stets so gut ausgestattet ist, dass sie wirksam von ihren rechtlichen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung Gebrauch machen kann,

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

denn die Polizei gewährleistet die Freiheit, sie schränkt sie nicht ein. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 18/447 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss einstimmig beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15:

Steuerrechtliche Gleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/430 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Aussprache. Zunächst hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Gerichtshof führt ganz konkret aus, es bestehe kein ins Gewicht fallender rechtlicher Unterschied mehr zwischen den Personenständen, wie sie in der deutschen Rechtssprechung konzipiert seien. Der verbleibende Unterschied liege im Wesentlichen nur noch darin, dass die Ehe die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner, die eingetragene Lebenspartnerschaft deren Gleichgeschlechtlichkeit voraussetze.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was der Europäische Gerichtshof bereits 2011 ausgeführt hat und was die Europäische Union schon sehr viel früher in Richtlinien festgeschrieben hat, wurde nach wie vor nicht in deutsches Recht umgesetzt.

Dabei kann man sich auf die Argumentation zurückziehen, man warte erst einmal ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu ab, wie das in der vergangenen Legislaturperiode auch der Fall gewesen ist. Ich will ganz neutral formulieren: Das kann man machen.

Sie alle, die schon einmal Regierungsverantwortung in einer Koalition trugen, wissen, wie das

(Minister Andreas Breitner)

läuft, wenn man sich nicht einig wird. Man enthält sich dann im Zweifel im Bundesrat. Diese Enthaltung, die auch die Vorgängerregierung bei zwei bis drei Initiativen im Bundesrat abgegeben hat, hat mich zu einem Nachdenken darüber geführt, worum es bei der Frage außerhalb der Gleichstellung im Steuerrecht wirklich geht.

Aus meiner Sicht geht es zum einen um die Frage: Müssen wir die Gleichstellung vollziehen, weil uns ein Gericht dazu zwingt, oder wollen wir als offene und moderne Gesellschaft selbstverständlich gleichgeschlechtlichen Paaren, die bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen, und zwar in allen Fällen des Lebens, aus freien Stücken heraus dieses Recht gewähren, auf das sie ein Recht haben?

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Es sollte aus meiner Sicht keine Frage des Zwangs oder des Müssens sein. Es sollte vielmehr dieser Standpunkt sein: Wir sind eine erwachsene Demokratie. Ich glaube nicht, dass Deutschland Südafrika, Kanada oder Spanien hinterher stehen sollte in der Frage, wie wir mit Menschen umgehen, die bereit sind, füreinander Verantwortung zu tragen, und zwar im Zweifel für ein ganzes Leben.

Meine Damen und Herren, um Missverständnisse auszuräumen: Ich kämpfe hier gar nicht in eigener Sache. Wenn ich mich entscheide, mit meinem Lebenspartner eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, dann tue ich das ganz bestimmt nicht, um Steuerprivilegien zu bekommen. Ich tue es dann, weil ich bereit bin, ja zu sagen, Verantwortung zu übernehmen und das auch entsprechend zu dokumentieren. Es ist meine Entscheidung, ob ich dazu ein Stück Papier möchte oder brauche. Ich möchte aber all denjenigen, die das bereits getan haben, und all denjenigen, die im Zweifel bereit sind, das zu tun, sagen: Wir erkennen an, dass Ihr genau den gleichen Wert für unsere Gesellschaft habt wie Mann und Frau, die eine Ehe eingehen, weil auch ihr Teil der Gesellschaft seid.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Das ist einfach eine herzliche Bitte.

Ich glaube, ich kann mir das Zitieren weiterer Urteile und Richtlinie ersparen, da ohnehin fast alle Fraktionen im Landtag in der Sache derselben Auffassung sind. Ich habe viel Verständnis dafür und auch Respekt davor, dass es der Unionsfraktion an der Stelle etwas schwerer fällt. Ich will Ihnen ganz

deutlich sagen: Niemand möchte in irgendeiner Weise der Ehe etwas wegnehmen oder ihre Stellung infrage stellen. Ich glaube, es ist ein fundamentales Missverständnis, wenn man glaubt, dass man Menschen benachteiligt oder herabsetzt, indem man anderen Menschen ein Recht, das ihnen zusteht, einräumt. Nein, man stellt sie auf dieselbe Stufe, weil sie für dasselbe stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, unabhängig davon, dass Sie Ihre eigene Jugendorganisation gebeten hat - nein, eigentlich hat sie Sie aufgefordert -, sich der interfraktionellen Initiative anzuschließen, könnte ich mir vorstellen, dass die eine oder andere Kollegin, der eine oder andere Kollege von Ihnen ganz genauso denkt. Unser ehemaliger Landtagspräsident hat das jüngst auf Ihrem Parteitag ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht, was mich freut.

Deswegen wäre es schön, wenn Sie an der Stelle vielleicht ohne Fraktionszwang einfach Ihrem Gefühl - ich will gar nicht sagen: Ihrem Gewissen folgen könnten. Ich glaube, dass die Zeit reif dafür ist, und ich glaube, dass Politik der Gesellschaft nicht immer nur hinterherlaufen darf. Vielleicht kann sie auch einmal etwas ohne Karlsruhe aus freien Stücken entscheiden, gerade in einer, wie ich meine, durchaus wichtigen gesellschaftspolitischen Frage. Vielleicht können Sie sich heute einen Ruck geben. Ich würde mich sehr darüber freuen, weil das zeigen würde, dass die Mehrheit hier noch größer ist als die Mehrheit der antragstellenden Fraktion. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vergleicht man die Lage hinsichtlich der völligen Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften in Europa, stellt man fest, dass acht Länder im Sinne des vorliegenden Antrags von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW entschieden haben. Die weitaus größere Anzahl der Länder in Europa verfährt ähnlich wie Deutschland mit dem Gesetz

(Dr. Heiner Garg)

über die eingetragene Lebenspartnerschaft, genannt Lebenspartnerschaftsgesetz.

Bei uns gibt es für gleichgeschlechtliche Beziehungen nur diesen rechtlichen Rahmen, die eingetragene Lebenspartnerschaft. Hier bestehen aus bürgerlicher Sicht fast die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer Ehe. Gleichheit mit der Ehe besteht in vielen Bereichen, beispielsweise im Sozialrecht, im Arbeitsrecht, im Namensrecht, im Güterrecht, im Erbrecht und so weiter. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied im Verfassungsrecht; denn diese Form des Zusammenlebens fällt nicht in den Schutzbereich der Ehe nach Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, und zwar mit der Begründung, dass die Ehe nur mit einem Partner des jeweils anderen Geschlechts geschlossen werden könne.

(Zuruf SPD: Warum?)

Unterschiede zur Ehe gibt es deswegen beim Steuerrecht, hier insbesondere beim Ehegattensplitting und beim Steuerklassenwahlrecht. Hierzu steht noch in diesem Jahr - Heiner Garg hat es eben erwähnt -, wahrscheinlich im Sommer, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, das sich aktuell mit einer Klage zum Steuerrecht befasst.

Statistisch gesehen gab es vor drei Jahren an die 23.000 gleichgeschlechtliche Paare in eingetragenen Partnerschaften. Das ist viel weniger als 1 % der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Wir als Union haben jüngst auf unserem Bundesparteitag im Dezember letzten Jahres intensiv, aktiv und wirklich kontrovers diskutiert. Mehrheitlich haben wir, wenn auch mit 60 % relativ knapp, dafür plädiert, eine steuerliche Gleichbehandlung und Gleichstellung abzulehnen, und zwar mit der Begründung, dass die Ehe und die Familie mit Kindern das Fundament unserer Gesellschaft sind. Gleichwohl respektieren wir es, wenn Menschen sich entscheiden, eine andere Form der Partnerschaft zu wählen.

(Serpil Midyatli [SPD]: Danke!)

Wir wissen, dass auch in diesen Partnerschaften die Werte gelebt werden, die die Basis unserer Gesellschaft sind. Das gilt selbstverständlich auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Gemeinsam werben wir für Toleranz und wenden uns vehement gegen jede Form von Diskriminierung.

(Beifall CDU, vereinzelt FDP, PIRATEN und SSW - Zuruf SPD: Außer im Steuer- recht!)

Eingetragene Lebenspartner verpflichten sich ebenso zur wechselseitigen Verantwortung wie Ehe

gatten. Sie tragen damit die gleichen gesetzlichen Unterhalts- und Einstandspflichten füreinander. Die steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe ist daher nach Ansicht vieler die Kehrseite der Einstandspflichten. Diese Diskussion wird auch bei uns in der Union weitergeführt und fortgesetzt werden.

Trotz deutlich wahrnehmbarem gesellschaftlichen Wandel ist der Familienstand der Ehe nach wie vor eng mit der Gründung einer Familie mit Kindern verbunden. Für uns ist es wichtig, dass wir weiterhin für eine Politik zur Stärkung von Ehe und Familie stehen und sie zu deren Wohl fortsetzen.

Wir haben vor, das Ehegattensplitting zu erhalten und es fortzuentwickeln und im Sinne eines realen Familiensplittings die steuerliche Berücksichtigung von Kindern auf den für Erwachsene geltenden Grundfreibetrag von 8.004 € anzuheben. Jedoch lehnen wir als Union die steuerliche Gleichstellung, wie zuvor von mir dargestellt, ab. Wir treten für die Förderung und die Beibehaltung der steuerlichen Privilegien der vom Grundgesetz besonders geschützten Ehe und Familie ein.

Wir würden darüber gern im Ausschuss vertieft mit Ihnen diskutieren. Da sich die Mehrheit in diesem Parlament aber wahrscheinlich anders entscheiden wird, werden wir wohl in der Sache abstimmen, und wir werden dagegen sein. - Danke schön.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Simone Lange das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt den Vorstoß der FDP. Sie ist selbstverständlich als Mitantragsteller sofort aktiv geworden. Ich kann nur sagen: Wenn Sie das nicht angestoßen hätten, wäre es von den Koalitionsfraktionen sicherlich angestoßen worden. Vielen Dank für Ihren Vorstoß!

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)