Protokoll der Sitzung vom 25.01.2013

„Unter Videoüberwachung vermeiden Menschen unbefangene, kreative, individuelle Verhaltensweisen, um nicht aufzufallen. Dadurch droht zunehmend eine gleichförmige Gesellschaft zu entstehen.“

Beinahe hätte ich Ihnen scherzhaft zugerufen, dass das dann auch für die Videoübertragung von Ausschusssitzungen gelten würde, dass Abgeordnete dann ihre Kreativität verlieren. Weiter möchte ich an dieser Stelle aber nicht darauf eingehen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich wünsche mir nach wie vor, dass der Kollege Matthiessen kreativ ist, insbesondere wenn er als dienstältestes Mitglied des Wirtschaftsausschusses den Wirtschaftsausschuss leitet, so wie das gestern der Fall war.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Nun wieder ernsthaft. - Beim Weiterlesen bin ich über einen weiteren Einschub gestolpert, Herr Dr. Breyer. In der Begründung nennen Sie als Beispiel für einen Justizirrtum im Zusammenhang mit Videoaufzeichnungen einen Hausmeister, der über Jahre hinweg nachweislich unschuldig im Gefängnis gesessen hat. Dabei nennen Sie auch seinen Namen und zählen seine diversen Krankheiten auf. Das kann man so machen. Dass Sie das so machen, hat mich trotzdem gewundert. Wenn es Ihnen ernst

damit ist - und das unterstelle ich Ihnen -, Menschen ihre Anonymität jederzeit wieder zurückgeben zu wollen, dann will ich Ihnen die Frage stellen, warum ausgerechnet Sie einen Menschen ins Licht der Öffentlichkeit ziehen, der gerade wegen dieser Justizfehler größtmögliche Anonymität verdient hat.

Ich möchte hinzufügen, dass die Nennung des Namens dieses Menschen sowie seiner Krankheit nun in einer Landtagsdrucksache auf ewig festgehalten ist und aus Gründen der politischen Transparenz für jedermann jederzeit einsehbar ist.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Selbstverständlich.

Bitte schön.

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der Betroffene über seinen Fall und sein Schicksal öffentlich und namentlich in Fernsehshows berichtet hat, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren?

Herr Kollege Breyer, das ist mir bekannt. Ich habe ja auch gesagt, dass man das so machen kann. Trotzdem hätte ich es so nicht gemacht. Ich weiß, dass es hier um die Begründung des Antrags geht. Trotzdem war ich verwundert darüber. Wir haben an anderer Stelle schon einmal darüber diskutiert, ob man gezielt einen persönlichen Einzelfall nennen muss, um ein politisches Ziel inhaltlich zu hinterlegen; es sei denn, man ist es selbst. Dann hat man das Recht, damit so umzugehen, wie man es möchte. Ob man das auf diese Art und Weise tun möchte, daran habe ich meine Zweifel. Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.

Nach den Debattenbeiträgen der Kolleginnen und Kollegen gehe ich davon aus, dass wir Ihren Antrag im Ausschuss in Ruhe beraten werden.

Es gilt nach wie vor: Mit der Intention sind wir absolut einverstanden. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich bei der Umsetzung dieser Intention allerdings Probleme habe. Deswegen nehme ich mir das Recht

(Dr. Heiner Garg)

heraus, meine Probleme hier darzustellen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab: Es muss möglich bleiben, Bahnhöfe per Videokamera zu überwachen. Die Frage bezieht sich nach unserer Auffassung nicht auf das Ob, sondern auf das Wie. Bahnhöfe gehören nämlich zu den Orten, an denen sich viele Personen aufhalten und wo es gleichzeitig zu Pöbeleien, Vandalismus oder Schlägereien kommt. Sie sind ein Gefahrenbrennpunkt.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, stellte in einem Internet-Blog klar, dass es keine Datenschutzbedenken gegen die Videoüberwachung an gefährlichen Orten gebe.

Bei der Videoüberwachung muss allerdings der gesamte Bahnhof gefilmt werden, sodass alle Reisenden gefilmt werden. Bei verdachtsunabhängigen Verfahren geraten somit logischerweise auch unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier. Der verdeckte Einsatz von Videoüberwachung kommt daher nach unserer Auffassung nicht infrage.

Offene Kameras mit entsprechenden Infotafeln hingegen haben sich bereits als ein tragfähiges Instrument zur Prävention von Straftaten erwiesen. Täter lassen sich nämlich ungern beobachten und weichen auf andere Plätze aus, wenn sie Kameras bemerken. Genau aus diesem Grund kommen zum Beispiel in manchen Kaufhäusern Kameraattrappen zum Einsatz. Bereits das Gefühl, per Kamera beobachtet zu werden, reicht offensichtlich aus, um die Zahl der Ladendiebstähle zu verringern. Das Gefühl, beobachtet zu werden, kann natürlich auch den einen oder anderen potenziellen Gewalttäter von einer möglichen Tat abhalten, zumindest dann, wenn durch eine Beschilderung offensiv auf die Videoüberwachung hingewiesen wird, meine Damen und Herren.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?

Selbstverständlich, gern.

Herr Kollege, Sie haben die Videoüberwachung an Bahnhöfen damit begründet, dass dort viele Menschen seien und Bahnhöfe deswegen ein potenzielles Anschlagsziel seien. Sind Sie der Meinung, dass alle Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, videoüberwacht werden sollten? Sollten zum Beispiel auch Schulen, Kirchen und so weiter videoüberwacht werden? Sollte es überall dort zu einer Videoüberwachung kommen, wo Menschen zusammenkommen?

- Nein. Lieber Kollege Breyer, um es sofort richtigzustellen: Ich habe gar nicht von Anschlägen gesprochen, sondern lediglich von Gewalttaten. Das ist mir ganz wichtig. Das ist eine andere Baustelle, über die wir gern einmal reden können.

Außerdem bin ich nicht der Auffassung, dass man überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen, auf irgendeine Art und Weise Videoüberwachung betreiben sollte, sondern nur dort, wo es Gefahrenschwerpunkte gibt. Diese Gefahrenschwerpunkte werden in einem ganz bestimmten Verfahren festgelegt. Nicht jeder Bahnhof muss überwacht werden.

Da Sie den Antrag stellen, an allen Bahnhöfen die Videoüberwachung zu unterbinden, muss ich leider zunächst einmal allgemein argumentieren. Wenn Sie weiter zuhören, werden Sie feststellen, dass meine Argumentation sehr abgewogen ist und Sie vielleicht zumindest mit Teilen meiner Argumentation durchaus konform gehen können.

Meine Damen und Herren, die Deutsche Bahn zeichnet bei den wenigsten Kameras auf, weil sie die Kosten scheut, wie man jetzt im Zusammenhang mit dem Fund der Kofferbombe in Bonn lesen kann. Es sind also ausdrücklich nicht die Bedenken der Datenschützer, die der Aufzeichnung im Wege stehen.

Anders hingegen gestaltet sich der Fall, wenn es nicht um Prävention, sondern um Aufklärung von Verbrechen geht. Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Thilo Weichert hat in seinem Tätigkeitsbericht 2011 ausdrücklich hervorgehoben, dass die Videoüberwachung vorrangig der Gefahrenabwehr zu dienen habe. Die Möglichkeit, Aufzeichnungen für die Strafverfolgung zu nutzen, ist demnach nur ein zulässiger Nebenzweck der Gefahrenabwehr. Wenn das Videomaterial also

(Dr. Heiner Garg)

gespeichert wird, muss diesen Aufzeichnungen unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. Mit diesen ist besonders sorgfältig umzugehen.

Allerdings verfügen wir hierbei kaum über aussagefähiges statistisches Material. Wir kennen nur Zahlen aus Berlin, wobei Berlin mit dem ländlich geprägten Schleswig-Holstein nur bedingt zu vergleichen ist. Dort hat die Polizei im vergangenen Jahr in mehr als 3.800 Fällen die Berliner Verkehrsbetriebe um Videomaterial zur Verbrechensaufklärung gebeten. Dadurch konnten immerhin mehr als 400 Täter überführt werden.

Es gibt also durchaus auch eine namhafte Anzahl von Fällen, bei denen Videoaufzeichnungen dazu beigetragen haben, Täter zu überführen. Das ist eine Tatsache, die wir berücksichtigen müssen. Deshalb erscheint es interessant, die Deutsche Bahn nach ihren Erfahrungen zu fragen. Wie schätzt die Bahn die Wirksamkeit der Videoüberwachung in diesem Bereich ein?

Solange diese Fakten nicht verfügbar sind, müssen wir uns ehrlicherweise eingestehen, dass wir über die Wirksamkeit der Videoüberwachung nur spekulieren können.

(Beifall PIRATEN)

Das geht allerdings auch in die andere Richtung. Der Antrag behauptet, dass die Kosten einer anlasslosen Videoüberwachung insgesamt nicht im Verhältnis zu dem behaupteten Nutzen stünden. Diese Behauptung ist ebenfalls durch keine Fakten gedeckt. Das ist das Problem. Ich will dies nicht als Kritik sagen, sondern es ist einfach so. Man weiß weder das eine noch das andere.

Von einer Totalüberwachung sind wir in diesem Land allerdings glücklicherweise weit entfernt. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass man sehr skeptisch an das Thema herangeht. Gleichzeitig aber ist es wichtig aufzupassen, dass man nicht Gefahr läuft, nicht verifizierte und angebliche Fakten anderen nicht verifizierten und angeblichen Fakten gegenüberzustellen.

Wir müssen insbesondere die datenschutzrechtlichen Fragen im Vorwege klären, damit man diese im Vorwege rechtlich abgearbeitet hat. Hier kommt es zum Beispiel darauf an, genau und restriktiv festzulegen, wie lange Aufnahmen gespeichert werden können, und dass Videoaufnahmen auch automatisch, also ohne willkürlichen Eingriff des Menschen getätigt werden. Wir müssen deshalb weiter mit Augenmaß gerade die verdachtsunabhängige Überwachung überprüfen und dabei genau darauf

achten, dass nicht in Rechte der Menschen eingegriffen wird. Letztendlich muss auch hier ein Abwägungsprozess zwischen dem Schutzbedürfnis der Menschen, der Verbrechensaufklärung und den Selbstbestimmungsrechten der Menschen erfolgen. Dieser muss aber auf einer umfassenderen Datenlage erfolgen als der, die bisher vorliegt. Das ist unser großes Problem, es ist aber auch gleichzeitig eine große Herausforderung.

Ich glaube, man sollte daher erst einmal versuchen, die Daten zu gewinnen. Wenn wir diese Daten haben, dann werden wir gern ergebnisoffen mit dem Antrag der PIRATEN umgehen. Unser Problem ist, dass die Datenlage so ist, wie sie ist. Ich glaube, an dieser müssen wir noch sehr intensiv arbeiten, damit man mit diesem Instrument gerecht umgeht und es verantwortungsvoll nutzen kann.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die Landesregierung hat Herr Innenminister Breitner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme den Antrag der Piratenfraktion gern zum Anlass, meine Auffassung zur Videoüberwachung als Mittel der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung darzulegen. Ich habe bereits nach dem Bombenfund im Bonner Hauptbahnhof öffentlich geäußert, dass spontane Angriffe auf Personen oder gar Terroranschläge auch an videoüberwachten Orten nicht zu verhindern sind.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Videoüberwachung hat die Totschläger in der Münchener U-Bahn nicht von ihren Taten abgehalten. Auch Ladendiebe greifen im Kaufhaus zu, obwohl sie wissen oder annehmen müssen, dass sie beobachtet werden.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Die nach dem Bonner Fall reflexhaft erhobene und seitdem gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach Ausweitung der Videoüberwachung ist deshalb kein Allheilmittel zur Kriminalitätsbekämpfung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

(Lars Harms)