Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Nennen Sie mir einen konkreten Fall, bei dem ein Mann und eine Frau in einem Betrieb die gleiche Tätigkeit verrichten und die Frau weniger bekommt, weil es im Tarif steht.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Herr Dr. Stegner, jetzt haben Sie die Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, sonst wird Ihnen unterstellt, Sie wollten sie nicht beantworten.

Das wäre ja furchtbar. Mich von Ihnen intellektuell fordern zu lassen und dem nicht zu genügen, damit könnte ich nicht leben, Frau Kollegin. Könnte es nicht vielleicht sein, dass es völlig schnurz ist, ob der Unterschied des Gehalts im Tarif festgelegt ist oder in der betrieblichen Realität? Kommt es nicht hauptsächlich darauf an, diesen Unterschied zu beseitigen? Das ist die Frage, die ich an Sie stellen möchte.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Lieber Herr Dr. Stegner, Sie möchten mich nicht verstehen, und Sie möchten es auch nicht akzeptieren, wo an welcher Stelle Unterschiede auftreten und dass sie nicht im Tarifvertrag beinhaltet sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der hat doch kei- ne Ahnung! Das ist doch bereits heute verbo- ten!)

Wenn Sie darauf abzielen wollen, dass es bestimmte Branchen gibt, in denen überwiegend Frauen tätig sind und dass diese Branchen niedrigere Gehälter haben, sind wir uns einig. Das ist tatsächlich der Fall. Dann möchte ich aber auch eine andere Frage stellen: Der DGB hat - soweit ich recherchieren konnte - ausschließlich männliche Vorstände

(Anita Klahn)

gehabt. Wäre es nicht auch einmal an der Zeit, dass sich ein weiblicher Vorstand für die weiblichen Belange einsetzt? Vielleicht würde sich dann ja einmal etwas ändern.

(Zuruf SPD)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Nachfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner?

Ich will das nicht ad infinitum verlängern, aber ich stelle fest: Die Abgeordnete Klahn wird für ihre Abgeordnetentätigkeit genauso bezahlt wie der Abgeordnete Kubicki.

(Zurufe Christopher Vogt [FDP] und Wolf- gang Kubicki [FDP]: Nein, nein!)

- Das ist leider nicht der Fall, weil er -

- Für seine Abgeordnetentätigkeit, nicht für den Vorsitz.

- Ach so, dann haben Sie das gut formuliert. Wir differenzieren, genau.

- Sie müssen genau zuhören, ich sagte: für seine Abgeordnetentätigkeit. Zum Vorsitz wollte ich gleich kommen. Ich fände es eine Verbesserung, wenn es bei der FDP-Landtagsfraktion eine weibliche Vorsitzende gebe.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Da waren Sie schon ein leuchtendes Vorbild!)

- Da Sie für uns die Personalentscheidungen treffen, Herr Dr. Stegner, wende ich mich demnächst vertrauensvoll an Sie.

Ich weise darauf hin, dass es richtig ist, dass Maßnahmen ergriffen werden, damit Frauen in die typisch männlichen Berufe einsteigen können. Ich weise auf eine Langzeitstudie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für die Jahre 1983 bis 2004 hin. Sie könnte eine Antwort auf die Frage sein, warum es immer noch die Diskussion über die unterschiedliche Einkommenssituation gibt. Nach wie vor sind Frauen bei gleicher Schulnotenleistung wie die Männer eher in den Berufen zu finden, in denen es eindeutig niedrige Gehälter gibt. Das sind die Kulturwissenschaften. Das sind die Sozialwissenschaften. Männer gehen, weil sie

eher daran interessiert sind, ein hohes Einkommen zu haben, weil sie Führungsfunktionen haben wollen, in die Naturwissenschaften und in die Ingenieurswissenschaften.

Wir haben einen Änderungsantrag eingereicht, der sich damit auseinandersetzt, berufliche Perspektiven erweitern und Frauen fördern soll. Ich würde mich freuen, wenn Sie dem zustimmen könnten.

Herr Dr. Tietze - es lässt mich einfach nicht in Ruhe -, Ihnen möchte ich gern Folgendes mitgeben: Eine Kirchenvertreterin, eine Pastorin, hat neulich so wunderschön formuliert, sie habe immer gesagt, sie sei keine Feministin, aber nachdem sie gemerkt habe, dass sie auch in der Kirche an die gläserne Decke stoße, habe sie diese Meinung geändert. Vielleicht setzen Sie persönlich sich dafür ein, dass Frauen auch in der Kirche die gleichen Chancen haben wie die Männer.

(Beifall FDP)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Für die Landesregierung spricht jetzt in Vertretung für den Wirtschaftsminister Reinhard Meyer Frau Finanzministerin Monika Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Reinhard Meyer vertritt heute die Interessen des Landes in Berlin. Er redet im Bundestag zum Nord-Ostsee-Kanal. Ich wünsche ihm viel Glück, dass er etwas erreichen möge!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Gerechtigkeit ist ein hehres Wort. Dennoch ist es genau dieser Grundgedanke, der den aktuellen Tagesordnungspunkt beschreibt. Es geht um Gerechtigkeit oder - besser - um mehr Gerechtigkeit in unserem Land. Dabei mag es sicherlich unterschiedliche Vorstellungen darüber geben, was genau gerecht ist. Ich gehe einmal davon aus, dass es nahezu alle gerecht fänden, wenn Menschen, die Vollzeit arbeiten, von ihrer Arbeit leben könnten.

(Unruhe - Glocke Präsident)

- Herr Klug ist da vorne irgendwie beschäftigt.

(Anita Klahn)

Ich bitte um etwas mehr Konzentration auf die Rednerin. Anderes verlängert die Redezeit. Wenn Sie alle bald zum Essen möchten, versuchen Sie bitte, sich zu konzentrieren.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich gehe davon aus, dass Herr Klug und Herr Garg noch über die Rede der Kollegin der FDP diskutieren. Das war bei uns auch Diskussionsstoff.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich gehe davon aus, dass es nahezu alle gerecht fänden, wenn Frauen für die gleiche Arbeit das Gleiche bezahlt bekämen, dass sich insgesamt die Lücken der Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen schlössen. Leider können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Schleswig-Holstein nicht von ihrer vollen Arbeitsstelle leben. Der Niedriglohnsektor hat sich in den vergangenen Jahren auf einem konstant hohen Niveau verstetigt. Nach Angaben des Statistikamts Nord arbeiteten im Jahr 2010 21,6 % aller Beschäftigten in Schleswig-Holstein für einen Niedriglohn. Das ist verdammt viel. Das ist zu viel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Niedriglöhne führen dazu, dass in vielen Fällen eine Existenzsicherung trotz einer Vollzeitarbeit nicht erreicht werden kann und aufstockende staatliche Leistungen in Anspruch genommen werden müssen. Gleichzeitig sind diejenigen, die über einen längeren Zeitraum nur wenig verdienen, von Altersarmut betroffen. Das wird in den nächsten Jahren immer mehr werden.

Die Einführung eines Mindestlohns ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenwürde. Ein Mindestlohn sorgt aber auch für faire Wettbewerbsbedingungen. Unternehmen, die ihre Beschäftigten angemessen entlohnen, müssen vor der Billigkonkurrenz, die sich mit Dumpinglöhnen Wettbewerbsvorteile verschafft, geschützt werden. Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn erhöht zudem die Einnahmen aus Steuern und Beiträgen und entlastet die öffentlichen Kassen.

Schleswig-Holstein hat gemeinsam mit anderen Ländern einen Gesetzentwurf für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in den Bundesrat eingebracht. Nach vielen gescheiterten Anläufen ist es endlich gelungen, im Bundesrat am

1. März 2013 einen entsprechenden Gesetzentwurf durchzusetzen. Bis wir es aber schaffen, dass diese Initiative im Bundestag eine Mehrheit bekommt, müssen auch andere Möglichkeiten genutzt werden. Wir wollen dort Regelungen treffen, wo das Land selbst Einfluss nehmen kann. Wir wollen und wir werden mit gutem Beispiel vorangehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen für ein Landesmindestlohngesetz gehen wir einen Schritt in die richtige Richtung. Schleswig-Holstein folgt damit den guten Beispielen aus Bremen und Hamburg und nutzt die eigenen Handlungsspielräume, um eine existenzsichernde Bezahlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im eigenen Regierungsbereich durchzusetzen. In Unternehmen, die dem Einfluss des Landes unterliegen, soll ein anständiger Lohn gezahlt werden. Niemand, der sich um Fördermittel bemüht, soll seine Beschäftigten unterhalb einer Mindestlohngrenze bezahlen dürfen. Klar ist: Ein Landesmindestlohngesetz kann keine bundeseinheitliche Regelung ersetzen. Solange es diese aber nicht gibt, muss das Land seine begrenzten Möglichkeiten nutzen, um zu verhindern, dass in Bereichen, auf die das Land Einfluss nehmen kann, Lohndumping betrieben wird.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein richtiger Schritt hin zu gerechten Löhnen. Dies hat auch Signalwirkung auf andere. Die im Antrag der CDU dargestellten Lohnuntergrenzen sind nicht zielführend. Das Konzept sieht festgelegte Differenzierungen nach Branchen und Regionen vor. Ihre Forderung nach einer tarifoffenen, allgemeinverbindlichen Lohnuntergrenze würde eine allgemeinverbindliche Regelung bedeuten. Niedrige Löhne aus Tarifverträgen würden weiterhin bestehen bleiben, also zum Beispiel auch die Tariflöhne von unter 4 € für die Friseurin in Ostdeutschland. Das ist nicht der richtige Weg. Darüber sollten wir uns eigentlich einig sein.

Selbstverständlich bekennt sich die Landesregierung zur Tarifautonomie. Die Lohnfindung ist und bleibt Aufgabe der Tarifpartner. Aber Grenzen zu setzen, bei Marktversagen einzugreifen, Schwache zu schützen und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, ist Aufgabe der Politik.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Wolfgang Baasch [SPD] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Die Realität zeigt nämlich, dass das Tarifsystem nicht mehr überall richtig funktioniert. Es gibt immer mehr weiße Flecken in der Tariflandschaft. Dies liegt auch an der zurückgehenden Tarifbindung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann können wir die Gewerkschaften wieder abschaffen!)

Daher brauchen wir als absolute Untergrenze einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland unabhängig davon, wo sie gerade arbeiten. Oberhalb dieser Mindestlohngrenze gehört die Lohnfindung dann weiterhin in die Hände der Tarifpartner.