Etwas enttäuscht war ich allerdings, dass sich Ihr Antrag hauptsächlich mit der Nutzerseite beschäftigt und sich zu dem eigentlich problematischen Aspekt ausschweigt und nur einen kleinen dezenten Hinweis in der Begründung gibt. Ja, es ist ärgerlich für die Nutzerseite, wenn in Deutschland Produkte als Flatrate vermarktet werden, die keine Flatrate
sind. Das ist übrigens auch bei SMS-Geschichten so. Hier ist die Verbraucherzentrale auch schon tätig geworden. Deshalb ist eine Begriffsklärung sicherlich dringend notwendig. Etikettenschwindeleien, die es nicht nur da gibt, sind immer ärgerlich, und wir müssen schauen, ob das geregelt werden kann.
Aber ich finde es genau wie Herr Dr. Bernstein nicht komplett verwerflich, wenn jemand einen Volumentarif anbietet. Er muss ihn bloß so nennen. Es muss nicht alles in dieser Welt immer per Flatrate sein. Zum Glück kann der Verbraucher den Provider wechseln.
Das Hauptproblem ist jedoch, dass der Verkehr für das Streaming-Angebot Entertain nicht auf das Volumen angerechnet werden soll. Herr Vogt, das ist das Problem - nicht, dass Entertain mehr Geld kostet, sondern die Telekom sagt, dass ein Teil ihres Angebots in einer eigentlich anderen Sparte nicht angerechnet werden soll, während alle anderen Mitbewerber das auf das Volumen angerechnet bekommen.
Alternative Anbieter werden also klar benachteiligt. Eine marktwirtschaftlich orientierte Partei muss das vom Grunde her ablehnen.
Nun behauptet die Telekom - man höre und staune, das ist tatsächlich das, was wir in den letzten Wochen gelernt haben -, dies sei gar kein Verstoß gegen die Netzneutralität. Übrigens nicht, weil Entertain etwas kostet, sondern weil Entertain gar kein Internetdienst sei. Hm, dann ist doch alles gut, oder? Komisch, der neue Dienst wird laut Website als „IP-basierter-Telekom-Anschluss“ vermarktet. Wofür stand IP noch einmal? Ach ja: Internet Protocol. Das hat gar nichts mit dem Internet zu tun; das klingt auch schon ganz anders.
Insofern muss man sagen: Liebe Telekom, das ist nun wirklich eine Ausrede. Wer sich mit der Technik ein wenig auskennt - da muss man sich nicht viel auskennen -, erkennt: Es werden natürlich IPDatenpakete verschoben, es gibt ein Concentrator Net, und natürlich ist das ein Internetdienst.
Ich würde der Telekom auch Glauben schenken, wenn es nicht der x-te Versuch wäre, die Netzneutralität anzugreifen. René Obermann hat schon 2010 laut „Managermagazin“ klar festgestellt: Wenn die Telekom besondere Netzsicherheit oder höchste Übertragungsqualität zum Beispiel für Mu
sik oder Video biete, müsse dies auch „differenziert bepreist werden“. Das ist nichts anders als zu sagen: Die Netzneutralität muss hinter unseren Kommerzinteressen zurücktreten.
Jetzt komme ich dazu, warum das überhaupt problematisch ist. Für finanzschwache Start-Ups, Anbieter ohne kommerzielle Interessen wie freie Betriebssysteme, freie Software, freie Kunstprojekte, Nichtregierungsorganisationen bleibt nur noch die Basisversion. Da tröpfeln dann nur noch die Daten. Dann kann der Datenstrom auch gern einmal abbrechen. Wer das nicht will, soll halt zahlen.
Ich brauche mir wenigstens nicht mehr das Märchen von den Online-Operationen anzuhören, die man live übertragen muss. Geschäftsmodelle haben meistens wenig mit karitativen Erwägungen zu tun.
Dieses würde übrigens auch den Bildungsbereich treffen. Online-Unterricht? Freie Lernmaterialien? Multimediales Lernen? Alles nicht mehr möglich. Oder sollen Schulen oder Hochschulen für die Bereitstellung im Premiumnetz mit voller Bandbreite zahlen? An wen eigentlich? Alle Provider, die die Studenten benutzten könnten, oder etwa ein spezieller Provider? Gibt es irgendwann ein besonders performantes Bildungsnetz wie Entertain für Entertainment - gegen einen kleinen Obolus, versteht sich mit anbieterspezifischen, inkompatiblen Lösungen, bei denen Hochschulen, Studierende und Lehrer sein müssen?
Das wäre das Ende der Innovationskraft, die das Internet freisetzt, sowohl des wirtschaftlichen als auch des gesellschaftlichen. Welches Start-Up-Unternehmen könnte auch noch die bevorzugte Behandlung seiner Daten finanzieren, welches NonProfit-Projekt, welche Schule, welche Universität, von Projekten wie Wikipedia, von dem auch wir für unsere Reden profitieren, ganz zu schweigen?
Es ist also sowohl ein Gebot des fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs, der gesellschaftlichen Teilhabe und des freien Wissenszugangs, die Netzneutralität zu verteidigen.
Jede Partei in diesem Raum vertritt mindestens einen dieser Grundwerte massiv. Deshalb bin ich froher Hoffnung,
- dass wir im Innen- und Rechtsausschuss und im Wirtschaftsausschuss zu einer vernünftigen gemeinsamen Formulierung kommen.
(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN - Wortmeldung Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])
Ihre Redezeit war schon abgelaufen. Aber ich würde Ihnen noch die Frage erlauben. Geben Sie bitte eine kurze Antwort. Sie sind schon weit über der Zeit.
Sie haben so schön über die Telekom vom Leder gezogen, dass sie sich in vielfacher Hinsicht gegen Netzneutralität einsetzt. Wie können Sie sich erklären, dass sich Ihr Kanzlerkandidat eine Telekomfrau in sein Kompetenzteam holt?
- Herr Kollege Breyer, als ich gestern beim Frühstück mit Sigmar Gabriel noch einmal das Kompetenzteam besprochen habe,
habe ich ihm solche und ähnlichen Bedenken auch mitgeteilt. Wenn Sie weitere Fragen dazu haben, wie Sozialdemokraten dazu kommen, Dinge zu tun, es ohne etwa mich zu fragen - ich verstehe auch nicht. Es tut mir leid, ich kann das nicht beantworten.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SSW enthält eine Menge wichtiger netzpolitischer
Reformprojekte für unser Land und eine ganze Reihe von geplanten Initiativen für die Bundesebene. Angesichts dieser Fülle von Aufgaben ist die Küstenkoalition immer dankbar, wenn die Opposition uns beim Umsetzen unseres Arbeitsprogramms behilflich ist. Insofern danke ich ausdrücklich den PIRATEN für den vorliegenden Antrag.
- Bitte? Die Nase runter. Immer noch besser, die Nase runter als bei einigen anderen Kollegen die Hose.
SPD, Grüne und SSW haben bereits in der vergangenen Legislaturperiode - Herr Kollege Dolgner hat es schon erwähnt - einen Antrag zur Netzneutralität gestellt, damals leider von Schwarz-Gelb abgewiesen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns ausdrücklich dem Prinzip der Netzneutralität verpflichtet und fordern unter anderem, im Rahmen des Breitbandausbaus die Vergabe von Fördermitteln an die Wahrung der Netzneutralität zu knüpfen. Und zu dieser Forderung stehen wir nach wie vor.
Doch worum geht es bei der Netzneutralität eigentlich? Die Gleichbehandlung aller Datenpakete ist eine der Grundlagen des freien Internets. Netzneutralität bedeutet, dass die Datenübertragung im Internet wertneutral vorgenommen wird. Wenn wir Netzneutralität diskutieren, führen wir also eine freiheitsorientierte, verteilungspolitische und wirtschaftspolitische Debatte zugleich. Netzanbieter dürfen nicht bestimmen, welche Inhalte im Netz priorisiert erreicht werden dürfen. Auch das haben Kollegen schon gesagt. Und schon gar nicht darf die Bereitstellung der Daten davon abhängig sein, wie viel Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen für ihre Inhalte zahlen können.
Doch viele Telekommunikationsfirmen - das hat eine Studie, die die europäischen Regulierer erst vor Kurzem vorgelegt haben, noch einmal deutlich gemacht - verstoßen heute schon gegen das Prinzip eines freien und offenen Internets und der Netzneutralität.
Es ist wirklich bitter, dass die auch schon von anderen angesprochene Telekom vor einigen Wochen angekündigt hat, ihre Volumentarife zu drosseln. Auch wenn wir Grünen mit einer gesunden Skepsis gegenüber den freien Kräften des Marktes ausgestattet sind, hoffen wir doch sehr, dass die Telekom-Konkurrenz diesen Vorstoß nicht mitgeht, sondern dies als Chance begreift, hier einen Wettbewerbsvorteil zu bekommen.
Wo Flatrate draufsteht, muss auch Flatrate drin sein! Auch bei einem steigenden Anteil multimedialer Datenströme besteht kein Grund, das erfolgreiche Prinzip der Netzneutralität infrage zu stellen. Dies gilt natürlich auch für das mobile Internet.
Der Gesetzgeber muss seiner Regulierungspflicht nachkommen. Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir das Netz rein wirtschaftlichen Interessen überlassen oder ob wir die demokratische Entwicklung des Netzes schützen wollen.
Wir Grünen wollen kein Zwei-Klassen-Internet. Mögliche Ansatzpunkte bestehen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Wünschenswert wäre eine Sicherung der Netzneutralität nach einheitlichen Standards in Europa. Auf nationaler Ebene bestehen Einflussmöglichkeiten, beispielsweise über die Bundesnetzagentur oder auch das Telekommunikationsgesetz. Es geht um eine grundsätzliche Demokratiefrage. Gleichen Zugang für alle zu organisieren, bedeutet eben auch, gleiche Informationsmöglichkeiten zu ermöglichen.
Unsere grünen Kollegen im Bundestag haben bereits mehrere Anträge zur Wahrung der Netzneutralität eingebracht. Diese wurden jedoch - Kollege Bernstein und Kollege Vogt - leider von der CDU/ FDP-Bundesregierung bisher blockiert. Und wenn ein Staatssekretär rhetorisch in Aussicht stellt, da zu Regelungen auf gesetzgeberischer Ebene zu kommen, dann reicht uns das nicht aus. Es gab genug Möglichkeiten für Schwarz-Gelb, auf Bundesebene in den letzten Jahren zu handeln.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Bundesregierung die wirtschaftspolitische Bedeutung des Internets immer noch nicht bewusst geworden ist. Oder liegt es wieder einmal an einer völlig falsch verstandenen Nähe zu einzelnen großen Wirtschaftsunternehmen? Oder hat es einfach mit einem falschen Grundverständnis in der Wirtschaftspolitik zu tun? Man weiß es nicht.