Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

(Beifall)

- So, jetzt haben Sie das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Albig! Es ist schon komisch, dass man jetzt als dreifache Mutter und einfache Großmutter hier heute seine Jungfernrede hält. Ich bin gespannt, wie es mir gelingen wird, das umzusetzen.

Als erprobte Chorsängerin kenne ich eine Regel: Der Anfang und das Ende eines Stückes müssen sitzen, dazwischen hört man sowieso nicht so genau hin. Mit Blick auf den gestrigen Tag lässt sich sagen: Der Anfang saß. Und mit der heutigen Regierungserklärung haben Sie, Herr Ministerpräsident, ebenfalls einen guten Anfang gemacht.

Aber eines ist auch völlig klar: Bei dem, was wir uns für diese Wahlperiode vorgenommen haben, kommt es auch auf das Dazwischen an. Da brauchen wir jeden einzelnen Tag, um unser ehrgeiziges Programm umzusetzen.

Sie sind der zweite Ministerpräsident dieses Landes, der mit den Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in das Amt gewählt wurde. Wir haben Ihnen unsere Stimmen gern gegeben. Wir vertrauen darauf, dass wir zusammen handeln werden, wie wir verhandelt haben, nämlich mit Fairness und Teamgeist, mit Konzentration auf das Gemeinsame, aber auch bei Achtung aller Unterschiede.

Herr Ministerpräsident, Sie wissen: Wir als Grüne sind manchmal struppig, immer hartnäckig und diskussionsfreudig. Und offensichtlich hat unser Hang zum Detail die Opposition bei der Lektüre des Koalitionsvertrags noch nicht befriedigt, wir hätten also noch mehr hineinschreiben können. Aber ich sichere Ihnen an dieser Stelle zu: Die grüne Fraktion wird sich mit vereinter Kraft und all ihrer Leiden

(Dr. Ralf Stegner)

schaft in das Projekt reinhängen, um diese einmalige Koalition in der Landesgeschichte zum Erfolg zu führen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition knüpft nicht an das Jahr 2005 an. Sie hat das Jahr 2012 und auch das Jahr 2017 im Blick. Diese Koalition ist ganz offensichtlich anders. Wir sind jetzt zu dritt. Nach den Koalitionsverhandlungen finde ich: Das ist auch gut so. Gerade dort, wo SPD und Grüne von unterschiedlichen Ausgangspositionen kamen, hat der SSW manche Brücke gebaut. Ich habe bekanntlich nicht jedes Brückenprojekt gleich lieb. Aber über die Brücken, die Anke Spoorendonk und Lars Harms bauen, gehe ich gern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und SSW, ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Noch wichtiger als die Farbenlehre aber ist die Feststellung: Die Zeiten haben sich verändert - die fortgeschrittene Digitalisierung unseres Alltags, der Klimawandel, der demografische Wandel, die europäische Schulden- und Finanzkrise. Wäre ich Pessimistin, so würde ich sagen: Wir sind von den Versäumnissen der Vergangenheit getrieben. Da ich aber Optimistin bin, sage ich: Wir werden von den Herausforderungen der Zukunft gezogen.

Die Handlungsfähigkeit von Politik ist enorm gefordert. Selten waren politische Herausforderungen so dringend, selten waren die Bürgerinnen und Bürger so ungeduldig. Und immer mehr Menschen haben die Geduld mit uns verloren. Wären die Nichtwählenden an der Sitzverteilung in diesem Haus beteiligt, so wäre ihre Fraktion stärker als SPD und CDU gemeinsam.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht die Erkenntnis unausweichlich: Wir alle müssen die Koalition mit der Partei der Nichtwählenden suchen. Wir müssen sie für das Bündnis der Demokratinnen und Demokraten in Schleswig-Holstein zurückgewinnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und PIRATEN)

Ein wichtiger Schritt dafür ist, dass die politische Kultur in diesem Land wieder Lust auf das Einmi

schen macht. Es gibt so viele Menschen in Schleswig-Holstein, die täglich mindestens einmal denken: Was für ein Glück, in diesem schönen Land zu leben, einem Stück Heimat mit Weitblick. Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner lieben ihr Zuhause. Es liegt an uns, ob wir ein Klima schaffen, in dem man sich als Bürgerin und Bürger wieder gern einmischt, in dem man seine Rechte wahrnehmen will, statt morgens den landespolitischen Teil in der Zeitung mit Schaudern zu überblättern.

Die neue Landesregierung stützt sich auf eine Stimme Mehrheit im Landtag. Auch die Vorgängerregierung von CDU und FDP hatte eine Stimme Mehrheit. Das zeigt uns, dass Schleswig-Holstein ein knappes Land ist, in dem alles nah beieinander liegt, auch die Mehrheiten. Hier liegt eine wichtige Ursache dafür, dass der Kampf um die Macht bei uns so unerbittlich ist. Das hat die politische Kultur in diesem Land immer wieder verwüstet.

Ja, es stimmt: Wir, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW, wollen eine andere Politik machen. Aber es stimmt auch: Politik anders machen, das können nur Regierung und Opposition gemeinsam.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Dass wir ein „knappes Land“ sind, muss nicht dauerhaft dazu führen, dass aus Konkurrentinnen und Konkurrenten Feinde werden. Es kann auch das Gegenteil bewirken.

Wer in Schleswig-Holstein die Regierung stellt, weiß aus Erfahrung: Macht in der Demokratie ist geliehene Macht auf Zeit. Das lehrt ein Stück Demut, wenn man die Regierungsverantwortung trägt.

Wer die Opposition stellt, weiß aus Erfahrung, er muss bei jeder Wahl darauf vorbereitet sein, die Regierungsgeschäfte übernehmen zu können. Das verbietet die Flucht ins Ungefähre, und das erfordert eine sachliche Oppositionsarbeit, die sich auf die Gefahr vorbereitet, wieder regieren zu müssen. Keine Angst - wir werden alles tun, um Ihnen das möglichst zu ersparen. Lassen Sie uns diesen Umstand erstmals als Chance und nicht als Bürde begreifen. Begreifen wir es als Auftrag zu gemeinsamer Verantwortung und zu konstruktiver Zusammenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haltung, die wir dafür brauchen, hat niemand geringeres als Bismarck beschrieben - zugegebenermaßen nicht gerade ein Politiker, den ich häufig zitiere -:

„Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Ver

(Eka von Kalben)

stand oder an seinem guten Willen zu zweifeln.“

Das Andersmeinen gehört zur Demokratie. Wir wollen im Parlament keine Friedhofsruhe. Die wird wohl auch nicht eintreten, Herr Kubicki. Demokratie braucht das Wechselspiel von Konsens, Kompromiss und Konflikt. Wenn wir uns gegenseitig den Verstand und den guten Willen absprechen, können wir es den 40 % Nichtwählenden kaum verübeln, wenn sie es ebenso tun.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre zweifellos zu kurz gesprungen, wenn wir die politische Kultur auf die Frage verkürzten, ob und wie wir uns hier im Landtag vertragen. Eine neue politische Kultur, das bedeutet vor allem auch mehr Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Dass wir als Bündnis es damit ernst meinen, haben wir im Koalitionsvertrag sehr klar festgehalten. Wir wollen die Möglichkeit für Bürgerbegehren in der Gemeindeordnung deutlich verbessern und die Hürden für Volksinitiativen auf Landesebene senken.

Aber diese Maßnahmen sind noch nicht genug. Schleswig-Holstein kann sich hier von seinen skandinavischen Nachbarn inspirieren lassen. Wer zum Beispiel gern schwedische Krimis liest, weiß, dass eine Journalistin in Schweden ohne Weiteres in ein Ministerium gehen kann, um sich Kopien von der dienstlichen Korrespondenz des Ministers aushändigen zu lassen. Das nennt man dann Öffentlichkeitsgrundsatz und ist ein in der Verfassung verbrieftes Recht und wird von unseren skandinavischen Nachbarn als Kernbestandteil der gelebten Demokratie betrachtet.

(Zuruf - Heiterkeit)

- Wir müssen nicht alles aus schwedischen Krimis kopieren.

Nicht die Öffentlichkeit bedarf der Begründung, die Geheimhaltung bedarf der Begründung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN, SSW und vereinzelt SPD)

Diese Überzeugung finde ich so einfach wie einleuchtend. Das ist die Grundphilosophie, die uns in den nächsten Jahren leiten sollte.

Wir brauchen eine Grundhaltung in der Politik, die aus der Mitte der Gesellschaft heraus regiert und nicht von oben herab.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann mal zu!)

Ein gutes, vielleicht das beste Beispiel dafür ist die Schulpolitik. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir als Grüne haben unsere Lehren aus den Erfahrungen in Hamburg gezogen. Was dort versucht wurde, war zweifellos eine Schulpolitik mit Sachverstand und gutem Willen, aber es war eine Schulpolitik mit der falschen Perspektive - von oben. Wir haben daraus gelernt, die Vorgängerregierung in Schleswig-Holstein leider nicht. Die Grünen haben Ihnen immer wieder erklärt, Schulentwicklung im 21. Jahrhundert funktioniert immer nur, wenn man die Betroffenen zu Beteiligten macht. Sie wollten das nicht hören.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Machen Sie doch jetzt auch nicht!)

Wir werden das, was Sie versäumt haben, jetzt nachholen. Wir setzen darauf, dass wir in der Bildungskonferenz Schule mit breiter Beteiligung zu einem Schulkonsens für ein Jahrzehnt kommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber wehe, eine andere Auffassung als Ihre!)

Selbstverständlich ersetzt eine solche Konferenz nicht, dass man mit einer eigenen Position reingeht. Die Koalition steht für die Stärkung der Gemeinschaftsschulen.

(Christopher Vogt [FDP]: Teure Beteili- gung!)

Sie steht für gemeinsames Lernen im Rahmen eines Zwei-Wege-Konzepts. Wir gehen mit offenen Ohren in diese Bildungskonferenz. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür entwickelt, ob ein Beteiligungsangebot eine Alibiveranstaltung ist oder ob sie wirklich etwas zu entscheiden haben.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist Ihr Pro- blem!)

Wir wollen raus aus den Schützengräben, in denen in den letzten Wochen vor der Wahl noch einmal einige von Ihnen ihr zuhause gefunden haben.