Wir wollen raus aus den Schützengräben, in denen in den letzten Wochen vor der Wahl noch einmal einige von Ihnen ihr zuhause gefunden haben.
In der Bildungspolitik haben wir es immer mit Statistiken zu tun. Für mich gibt es aber eine Zahl, die eindringlicher als jede andere ist. Sie stammt aus der Kinderarmutsstudie von 2009. Danach glauben fast 90 % aller Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen im Alter zwischen 6 und 13 Jahren,
dass ihr Leben einmal richtig schön werden wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche andere Aufgabe haben wir, als diesem Vertrauen gerecht zu werden? Welche andere Aufgabe haben wir, als für jedes dieser Kinder das zentrale Versprechen unserer Gesellschaft einzulösen: Wenn du dich richtig anstrengst, dann kannst du viel von dem erreichen, was du dir wünschst, und das gilt unabhängig davon, ob du Anatol oder Anton heißt, und unabhängig davon, ob dein Vater Taxifahrer oder deine Mutter Chefchirurgin ist? Ich will in einem Schleswig-Holstein leben, in dem sich kein Kind mehr bei der Verteilung von Bildungschancen hinten anstellen muss.
Das ist Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Einwanderungsland. Es ist auch eine fundamentale Aufgabe für unsere Demokratie. Das gilt nicht nur für die Schulpolitik.
Auch die Energiewende als ökonomische Schlüsselaufgabe und das Klimaschutzgesetz als ökologische Schlüsselaufgabe wollen wir mit Transparenz und Beteiligung voranbringen. Wir wissen, dass wir gerade als Küsten- und Agrarland mit unseren fantastischen Wachstumschancen im Bereich von Windenergie ein hohes Interesse am Leitungsausbau haben. Wir brauchen in Deutschland keine 16 kleinen Energiewenden, sondern eine große. SchleswigHolstein kann und muss dabei seine zentrale Rolle als Energieexportland haben. Ich sage Ihnen: Das große Problem in der Energiewende ist gegenwärtig kein Zuviel an Widerstand in der Gesellschaft, sondern ein Zuviel an Widerstand in der Bundesregierung.
Das größte Hindernis für die Energiewende wäre, wenn wir ausgerechnet hier die Fehler vergangener Großprojekte wiederholen würden. Nur wer frühzeitig Bürgerbeteiligung organisiert, kann später Bürgerprotest verhindern. Deshalb sage ich gemeinsam mit Winfried Kretschmann: Die Energiewende ist auch ein großes demokratisches Projekt. Viel Erfolg dabei, Herr Habeck!
Das gilt ebenso sehr für den Umwelt- und Naturschutz. Wir stehen für eine konsequente ökologische Politik mit einem klaren ordnungsrechtlichen Rahmen. Aber wir stehen auch und vor allem dafür ein, dass das vielfältige bürgerschaftliche Engage
ment, das wir im Bereich von Umwelt- und Naturschutz haben, in der Landespolitik endlich wieder einen Bündnispartner findet. Schleswig-Holstein ist ein Land, das so reich ist an landschaftlicher Schönheit und Vielfalt. Der Schutz unserer Umwelt ist nicht Klientelpolitik, liebe Oppositionskollegen, sondern liegt im Interesse aller. Das müsste auch in Ihrem Interesse liegen. Diese zu bewahren und für kommende Generationen zu sichern, daran sind viele Menschen beteiligt, Naturschützer und Landwirte, sowohl konventionell als auch ökologisch wirtschaftende, Forstwirte und Jäger gemeinsam.
Natur- und Umweltschutz sind seit jeher eine große bürgerschaftliche Bewegung. Auch hier gilt es Gräben zu schließen oder Brücken zu bauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich räume offen ein, es gibt kaum etwas, was mich an der politischen Kultur in Schleswig-Holstein so sehr nervt wie die Tatsache, dass große Infrastrukturprojekte bei uns stets als Glaubens- und weniger als Sachfragen diskutiert werden. Die A 20 ist für mich das beste Beispiel. Für CDU und FDP ist doch - so würde ich zumindest unterstellen - entscheidend, dass weitergebaut wird. Wenn Sie den Koalitionsvertrag richtig gelesen haben, dann werden Sie feststellen: Es wird weitergebaut.
Aber was wir nun von Ihnen erleben, das ist lautstarke Empörung darüber, dass sich diese Regierung nicht darauf festlegt, ob, wo und wann eine neue Regierung im Jahre 2017 weiterbaut. Das macht doch die ganze Absurdität dieser Debatte deutlich.
Ich sage Ihnen klipp und klar: Ja, die regierungstragenden Fraktionen haben bei der Weiterführung der A 20 und der Fehmarnbelt-Querung unterschiedliche Sichtweisen. Aber in einem sind wir uns völlig einig, und das unterscheidet uns von Ihnen: Für uns hat Verkehrspolitik nichts mit Glauben zu tun, sondern mit Können.
Wie eine Verkehrspolitik aussieht, die glaubt, aber nicht kann, das haben Sie uns vorgeführt. Damit ist jetzt Schluss.
Moderne Verkehrspolitik misst sich im Übrigen nicht an Straßenkilometern, sondern an Konzepten, die sich auf eine Zukunft einstellen, in der Ressourcen knapper und Mobilität umfassender gedacht werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, SPD, Grüne und SSW, übernehmen die Regierungsverantwortung in schwerer Zeit. Alles, was wir tun, steht unter den Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung in höchster Not und letzter Minute. Wir sind gemeinsam davon überzeugt: Gerade wenn wir den Weg zur Schuldenbremse 2020 erfolgreich gehen wollen, dann geht das nur mit der Königsdisziplin der politischen Kultur, der Glaubwürdigkeit.
Wir haben uns klar zu dem Prinzip bekannt: Keine Mehrausgabe ohne Gegenfinanzierung. Wir haben gerade in der Haushaltspolitik - meine mitverhandelnden Kollegen können das bestätigen - einen sehr präzisen Koalitionsvertrag vorgelegt, der im Übrigen keine Steuererhöhungen im Bund einpreist, auch wenn sie wünschenswert wären.
Wir müssen den Menschen auch erklären, warum wir aus der Schuldenfalle herauskommen müssen. Jeder Euro, den wir für Zinsen zahlen, ist ein Euro, der in der Bildung, in der vorbeugenden Sozialpolitik, im Umwelt- und Naturschutz oder bei der Flüchtlingsarbeit fehlt.
Unser Koalitionsvertrag hält mehr, als wir versprechen. Wir werden auf der gesamten Strecke der Bildungspolitik von der U-3-Betreuung bis zu den Hochschulen, beim Ökolandbau, bei den Frauenhäusern, bei den Minderheiten die Fehler einer Politik korrigieren, für die Sparen Selbstzweck war. Aber wir werden diese Ausgaben sauber gegenfinanzieren. Uns jetzt schon Haushaltstricks zu unterstellen, während Frau Heinold den ersten Tag im Amt ist, ist ein deutliches Zeichen von Hilflosigkeit.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Johannes Callsen [CDU]: Das steht doch in Ihrem Koalitionsvertrag!)
Ganz besonders wichtig ist: Wir dürfen nicht weiter in die Falle laufen, bei der Haushaltskonsolidierung das Land und die Gemeinden gegeneinander auszuspielen. Das hat sehr unmittelbar etwas mit Demokratie und mit Bürgerbeteiligung zu tun. Ob ein Staat, ob eine Demokratie funktioniert, das erleben die Menschen ganz unmittelbar vor Ort. Wenn ihre
Schulgebäude verrotten, wenn ihre Bibliotheken und Jugendzentren schließen, dann verlieren sie das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik.
Ich habe da vielleicht eine altmodische Überzeugung. Eine gute Politik misst sich vor allem daran, ob sie den Menschen hilft, die Hilfe am nötigsten haben.
Ob uns das gelingt, ist vor allem eine Frage der sozialen Infrastruktur. Die wird vor allem vor Ort, in den Städten und Gemeinden, organisiert. Deshalb halte ich es für ein sehr wichtiges Signal, dass wir im Koalitionsvertrag bei der Entlastung der Gemeindefinanzen zu klaren Verabredungen gekommen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte eingangs: Diese Koalition schließt nicht an 2005 an. Aber es gibt eine Tradition, in die ich mich gern stelle: Schleswig-Holstein soll endlich wieder Vorreiter in Fragen einer liberalen, humanen Flüchtlingspolitik sein.
Sie alle werden das vermutlich kennen: Es gibt Momente in der Politik, in denen man sich daran erinnert, warum man sich das eigentlich alles antut, in denen man aufrichtige Freude und auch ein Stück Genugtuung empfindet, in denen man zurückgeworfen wird auf das, was man an menschlichen Motiven hatte, die einen in die Politik gebracht haben. Ein solcher Moment war für mich, als ich das erste Mal das abgestimmte Kapitel zu Integration und Flüchtlingen im Koalitionsvertrag gelesen habe. Was wir dort vereinbart haben, das macht mich stolz. Wir wollen gemeinsam den Kampf gegen die Abschiebehaft auf Bundesebene aufnehmen. Wir werden uns im Bundesrat für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung einsetzen, den Flüchtlingsrat institutionell fördern und per Erlass dafür sorgen, dass Arbeitsverbote keine zulässigen Sanktionsmittel mehr sind.
Alle diese Maßnahmen berühren mich in einer fundamentalen politischen Überzeugung. Wir waren einmal ein Land, aus dem Menschen fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. Heute sind wir ein Land, in das Menschen fliehen können, um ihr Leben zu retten. Das ist ein unbeschreibliches Glück, das wir mit aller Kraft schützen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich am letzten Tag der Koalitionsverhandlungen abends nach Hause fuhr, hörte ich ein Lied der Hamburger Band Kettcar. Darin heißt es:
„Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht normal. Nur weil man es nicht besser kennt, ist es nicht, noch lange nicht egal.“
Für mich ist das die Grundphilosophie, die diese besondere Koalition, dieses Bündnis für den Norden, in seinen Inhalten trägt.
Wir wollen unter historisch schwierigen Bedingungen beweisen, dass Schleswig-Holstein politikfähig ist, dass wir uns nicht gewöhnen und abfinden, sondern einen Aufbruch für eine soziale, eine ökologische, eine bürgernahe Politik organisieren können. Ich hoffe, dass dies in den kommenden fünf Jahren auch der Refrain der politischen Zusammenarbeit in diesem Haus sein wird.
Sie mögen sich an die floskelhaften Rituale politischer Schaukämpfe gewöhnt haben, wir mögen es nicht besser kennen, aber deshalb sind sie noch lange nicht normal. Lassen Sie uns zusammen den verwegenen Versuch unternehmen, es besser zu machen. Unser Land hat es verdient.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Ihnen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, unserem Parlament, das in Zukunft eine wichtige Rolle in unserem demokratischen Zusammenleben spielen wird.