Protokoll der Sitzung vom 13.06.2012

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: War das bisher nicht der Fall?)

Ich wünsche Ihnen, Herr Ministerpräsident, und Ihnen, liebe Ministerinnen und Minister, für Ihre Amtsführung ein heißes politisches Herz, einen kühlen Verstand und eine glückliche Hand.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verteilen Son- nenblumen auf der Regierungsbank - Unruhe CDU und FDP)

Das ist keine politische Demonstration, wie mir angekündigt wurde, sondern eine Gratulation. Als solche können wir sie stehen lassen.

(Zurufe)

Das ordnen wir dem Tagesordnungspunkt Vereidigung zu. - Wir fahren mit den Beratungen zur Regierungserklärung fort. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagsfraktion. Herr Abgeordneter Kubicki, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einigen träumerischen Prosa-Essays wird es Zeit, zur Wirklichkeit zurückzukehren. Bevor ich mich mit der Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten auseinandersetze, möchte ich an ein Zitat von Peter Ustinov erinnern. Es erinnert vielleicht auch an die ehemaligen Oppositionsfraktionen, die sich jetzt anschicken, regierungstragende Fraktionen zu sein, was möglicherweise ein anderes Verhalten beinhaltet. Peter Ustinov sagte:

„Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste.“

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, die SPD hat unter Ihrer Führung das drittschlechteste Ergebnis in der Geschichte unseres Bundeslandes erzielt. Für die von Ihnen angeführte Koalition der Willigen stimmten ganze 48,2 % der Wählerinnen und Wähler. Zuneigung des Wahlvolkes sieht anders aus, und allein diese Zahlen verdeutlichen, dass Sie noch erhebliche Überzeugungsarbeit leisten müssen.

(Zuruf SPD: Machen wir!)

Sich nur von der Sparpolitik der Vorgängerregierung aus FDP und CDU abzugrenzen und im ersten Jahr Ihrer Regierung das Geld auszugeben, das FDP und CDU über die Vorgaben der Schuldenbremse hinaus eingespart hatten, wird nicht reichen.

(Beifall FDP und CDU)

Es gab historisch gesehen unterschiedliche Regierungserklärungen, die alle in ihrer Art und Weise etwas Besonderes ausstrahlten. Die Regierungserklärung Willy Brandts, die uns mit den Worten ,,Mehr Demokratie wagen“ in Erinnerung geblieben ist, läutete eine neue Zeitphase in der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Regierungserklärung Helmut Kohls 1982 leitete die sogenannte geistigmoralische Wende ein, eine Zielumsteuerung der Bundesrepublik nach dreizehn Jahren sozialliberaler Koalition. Gerhard Schröders Regierungserklärung 1998 stellte für viele nach 16 Jahren KohlHerrschaft eine Befreiung vom Konservatismus dar. Selbst die Regierungserklärung von Björn Engholm, die zu erleben ich selbst noch die Ehre hatte,

(Eka von Kalben)

hat das Land Schleswig-Holstein aus jahrzehntelanger Erstarrung unter der Führung der CDU befreit, Herr Lehnert.

Herr Ministerpräsident, müsste ich Ihrer Regierungserklärung passende Eigenschaftsworte geben, dann wären das die Worte: scheu und rückwärts gewandt; scheu, weil sich von Ihren großen Versprechungen im Wahlkampf nur wenig Substanzielles im Koalitionsvertrag wiederfinden lässt und weil auch Ihre heutige Regierungserklärung eher vage bleibt. Von den versprochenen 120 Millionen € für die Kommunen bleibt unterm Strich nichts übrig. Diese Forderung wird mit folgendem Satz im Koalitionsvertrag gewürdigt, ich zitiere:

,,Wir erkennen an, dass die Kommunen durch die Eingriffe in Höhe von 120 Millionen € in den kommunalen Finanzausgleich belastet wurden.“

Dieser Satz ist für die neue Regierung prägend: Erstens erzählen Sie den Kommunen und Bürgern damit etwas, was sie ohnehin schon wissen. Zweitens gestehen Sie damit die eigenen Fehler der Vergangenheit ein, denn es war auch die SPD, die dies zu verantworten hat, Herr Kollege Dr. Stegner. Drittens wollen Sie nichts am Status quo verändern.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik insgesamt gerät unter einen immensen Rechtfertigungsdruck, wenn sich zwischen Wahlversprechen und Regierungsarbeit eine so große Lücke befindet, wie das bei Ihnen der Fall ist. Das ist ein Skandal!

(Zuruf Abgeordneter Martin Habersaat [SPD])

- Vielleicht hören Sie noch ein bisschen zu und warten, bis die entsprechenden Passagen drankommen.

(Weitere Zurufe SPD)

Das war mein Appell: Vielleicht lernen Sie, dass das Betragen als regierungstragende Fraktion etwas anderes ausmacht, als in der Opposition und wie in der Vergangenheit zu krakeelen.

(Beifall FDP und Lachen FDP)

Herr Ministerpräsident und Herr Dr. Stegner, ich finde es wohltuend, dass das der neue Stil des parlamentarischen Umgangs miteinander ist. Auf der einen Seite reichen Sie die Hand, um mit der anderen Hand zuzuschlagen. Wenn das der neue Umgang ist, dann steht dem Haus noch einiges bevor.

(Beifall FDP)

Herr Ministerpräsident, wenn Anspruch und Wirklichkeit einen solchen Abstand aufweisen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Gesellschaft beginnt, der Politik die Frage nach der Legitimationsberechtigung zu stellen. Dabei rührt die Enttäuschung großer Teile der Wählerschaft nicht aus der konkreten Umsetzung, sondern aus der Unzufriedenheit über die unzureichenden Schritte und den Stillstand. Man kann nicht mutig um ein Amt kämpfen, das man im Anschluss nur halbherzig ausfüllt. Die Gestaltung, nicht die Macht an sich, muss die Antriebskraft der politischen Arbeit sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition zeichnet sich nicht nur durch Mutlosigkeit, sondern auch durch eine rückwärtsgewandte Politik aus. Statt das hohe Tempo der Vorgängerregierung beizubehalten und unser Land in eine fortschrittliche Zukunft zu führen, drückt der rote Schuh auf das grüne Bremspedal. Es ist kurzsichtig, wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Landes dem Koalitionsfrieden geopfert wird. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Wachstumsankündigung im Wahlkampf und Wachstumsverhinderung im Koalitionsvertrag ist selten so offen nach außen getragen worden wie bei Ihnen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall FDP und CDU)

Auf Ihrer Internetseite ,,Chancen nutzen, Potenziale stärken“ gaben Sie, Herr Ministerpräsident, im Wahlkampf die Richtung vor. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich die folgenden Stellen. Ich muss das noch einmal vorlesen, damit deutlich wird, dass der Verfasser dieser Zeilen und der Ministerpräsident dieses Koalitionsvertrages ein und dieselbe Person sind. Auf der Internetseite steht:

,,Schleswig-Holstein ist kein reiches Land dieser Umstand zwingt uns zu einem bodenständigen Realismus und gebietet uns eine liberale Weltoffenheit.

Ich weiß, dass die Menschen in unserem Land ihre Stärken kennen. Ich will sie dabei unterstützen, diese Kraft zu entfalten...

Das Land fordert uns heraus zu neuen Horizonten. Unser Land braucht mehr Wirtschaftskraft und mehr Arbeitsplätze. Ich will ein Schleswig-Holstein mit starken Unternehmen, die hier investieren und Erfolg haben. Damit alle Menschen Arbeit haben.“

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Wolfgang Kubicki)

- Ich finde es schön, dass Sie das beklatschen. Wir kommen jetzt zur Frage der tatsächlichen Umsetzung. Die Menschen, die Sie aufgrund dieser Sätze gewählt haben, müssen sich verwundert die Augen reiben, wenn sie nun den Koalitionsvertrag lesen: Wirtschaftliche Entwicklung geht einher mit staatlicher Daseinsvorsorge. Herr Ministerpräsident, wenn der Staat nicht durch Straßen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt, können weder Chancen genutzt noch Potenziale gestärkt werden. Mir ist geschichtlich kein Koalitionsvertrag bekannt, bei dem der kleinere Koalitionspartner seine Parteiinteressen so zu Ungunsten der Zukunft und des Fortschritts durchsetzen konnte wie im vorliegenden Fall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Verkehrspolitik.

(Beifall FDP und CDU)

Herr Ministerpräsident, wie nur war es möglich, dass die Grünen Sie überzeugt haben, dass zentrale Infrastrukturprojekte für Europa - beides sind transeuropäische Trassen - nicht mehr erforderlich seien? - Ein Ministerpräsident muss die Weitsicht besitzen und darauf hinweisen, dass trotz aller utopischer Wunschvorstellungen auch zukünftig der Güterverkehr nicht über Radverkehrswege abgewickelt werden kann. Ein Ministerpräsident eines rohstoffarmen Landes muss bodenständigen Realismus aufweisen und darf nicht die Zukunft des Landes dem Koalitionsfrieden opfern.

Ohne die A 20 wird Schleswig-Holstein nicht nur die sich aus einem Ausbau ergebenden Chancen verspielen, sondern zugleich die bestehenden Unternehmen und Arbeitsplätze infrage stellen. Welcher Logistikkonzern soll zukünftig noch sein Geschäft in Steinburg, Dithmarschen oder Pinneberg unterhalten, wenn er weiß, dass das zentrale Projekt der Ost-West-Verbindung Europas nicht weitergeführt wird?

(Beifall FDP und CDU)

Dadurch werden überflüssigerweise die bereits bestehenden demografischen Probleme vor Ort weiter verstärkt. Wer bleibt dort wohnen, wo wirtschaftliche Perspektiven verschwinden? - Mit dieser Politik werden Menschen aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, ihr Lieblingsland zu verlassen und anderenorts ihr Talent und ihre Kreativität zu entfalten. Herr Ministerpräsident, Sie wissen es aus eigener Erfahrung besser als das, was Sie heute gesagt haben.

Welche ökonomische Unvernunft verbirgt sich hinter dem Gedanken, die Menschen zuerst ausgezeichnet auszubilden, was wir alle im Landtag un

terstützen, aber sie anschließend zur Emigration zu zwingen, da die örtliche Infrastruktur ihnen keine Möglichkeit bietet, sich wirtschaftlich einzubringen? - Mit Ihrer Verhinderungs- und wachstumsfeindlichen Politik ist es Rot-Grün bereits einmal gelungen, die Leistungsfähigkeit der Menschen im Land zu behindern. An den Folgen leiden wir noch heute.

(Beifall FDP und CDU)

Eine A 20 ohne westliche Elbquerung löst keine bestehenden Probleme, sondern verstärkt diese im Gegenteil sogar noch. Der Bau der A 20 aus Schleswig bis zur A 7 hat zur Folge, dass das Nadelöhr Hamburg nicht - wie vorgesehen - entlastet wird, sondern zusätzlich belastet wird. Wenn Sie uns das schon nicht glauben, dann hören Sie doch auf Ihren Parteifreund Olaf Scholz, der das gerade in gleicher Weise noch einmal sehr nachdrücklich bekräftigt hat. Der erwartete Verkehr aus dem Tiefseehafen Wilhelmshaven kann dann nicht um Hamburg umgeleitet werden, sondern müsste durch Hamburg geleitet werden. Das ist nicht nur verkehrspolitisch fatal, sondern durch zusätzliche Verkehrsüberlastung ökologisch schädlich. Erklären Sie einmal, wie Sie ohne westliche Elbquerung der A 20 den Industrieraum Brunsbüttel wirtschaftlich weiterentwickeln wollen.

Die Hoffnungen des Landes bei der Infrastruktur ruhen auf den Schultern der Vernünftigen in der Regierung. In den „Kieler Nachrichten“ vom 7. Juni räumten Sie ein, sehr verehrter Herr Meyer - und ich wünsche Ihnen in Ihrem Amt im Interesse des Landes viel Erfolg -, dass sich die gesamtverkehrliche Wirkung mit der A 20 erst entfalte, wenn sie bis nach Niedersachsen hineinführe. Dieser diplomatischen Ausführung hängen Sie zum Schluss noch die Aussage an, dass ohne die Querung das Ganze keinen Sinn ergebe. Dazu fällt mir der Satz ein: Ihr Wort in Gottes Ohr - in diesem Fall: Ihr Wort in den Ohren des Koalitionspartners.

Im gleichen Artikel werden Sie, Herr Ministerpräsident, dagegen mit folgendem Satz zitiert:

„Die SPD wird dafür werben, dass es westlich weitergeht.“

Wie soll ich mir das vorstellen - montags, auf der SPD-Vorstandssitzung, weisen Sie auf die Bedeutung und Wichtigkeit des Projekts hin, und dienstags, in der Kabinettssitzung, lehnen Sie das dann ab? Herr Ministerpräsident, man kämpft um die Braut, bevor sie vergeben ist, und nicht erst, wenn sie bereits unter der Haube ist.

(Wolfgang Kubicki)