Protokoll der Sitzung vom 23.08.2013

Scheinliste, hat uns gezeigt, wie gefährlich diese Partei ist. Das Gute ist: Wenn das neu aufgelegte Verbotsverfahren erfolgreich ist, dann drehen wir ihnen endlich den Geldhahn zu.

(Beifall SPD und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

Die Kommunikation der Neonazis verlagert sich immer stärker in die digitalen Netzwerke; der Minister hat das ausgeführt. Es gibt einen Strukturwandel. Es gibt mehr konspirative Aktionsgruppen innerhalb der rechten Szene, und das ist erschreckend.

Versammelten sich Rechtsextremisten im öffentlichen Raum, stand ihnen immer eine breite und bunte Zivilgesellschaft gegenüber, die diesem menschenverachtenden Gedankengut entgegenstand. An dieser Stelle sage ich: Vielen Dank an alle, die lautstark mitdemonstrieren und sich in den Bündnissen vor Ort engagieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Gerade vor Ort ist die Thematisierung von rechtsextremen Aktivitäten und ihre Aufklärung durch Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik enorm wichtig für die Bewahrung und Stärkung von demokratischer Kultur. Wir werden mit dem Landesprogramm gegen Rechts neue Beratungsstellen im Land haben - bald -, und ich bin zuversichtlich, dass diese Beratungsstellen den Akteuren vor Ort helfen werden, rechtsextreme Umtriebe frühzeitiger zu erkennen und so der Weg in ein weltoffenes, respektvolles Schleswig-Holstein bereitet wird.

Aber auch den anderen demokratiefeindlichen Bewegungen, die im Bericht genannt werden, muss entgegengetreten werden. Das zeigen die gewalttätigen und illegalen Aktionsformen einiger Gruppierungen, die aufs Schärfste zu verurteilen sind.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Allen Leuten müsste eigentlich klar sein, dass Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie oder andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit friedlich bekämpft werden müssen - mit breiter Unterstützung.

Im Bereich des religiösen Fanatismus ist einerseits eine wirkungsvolle Integrationspolitik und Anerkennungskultur notwendig, welche solchem Gedankengut den Nährboden der Unzufriedenheit entzieht.

(Beifall Wolfgang Baasch [SPD])

Zum anderen bleibt es natürlich Aufgabe der Sicherheitsbehörden, im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse mögliche Aktivitäten frühzeitig aufzudecken.

Herr Minister, ich danke Ihnen für den Bericht. Er gibt uns wichtige Hinweise und führt uns vor Augen, wie wichtig staatliches Handeln in diesem Bereich ist.

Am Ende bedeutet nur eine von den Menschen getragene und gelebte Demokratie ihren Schutz. Die Beobachtung ihrer Feinde ist wichtig, aber nicht alles. Deshalb appelliere ich an alle: Lassen Sie uns aktiv für die Demokratie werben. Sie ist nicht selbstverständlich. Demokratie muss jeden Tag neu gelebt, erkämpft und erstritten werden. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Breitner, zunächst einmal vielen Dank für diesen Bericht. Eine Rede der Grünen unter Regierungsbeteiligung zu einem Verfassungsschutzbericht könnte eine heikle Sache sein. Die Haltung der Grünen zum Zustand des Verfassungsschutzes in Deutschland ist mit „kritisch“ noch zurückhaltend beschrieben. Unter Hinweis auf das Versagen der Verfassungsschutzämter bei den NSU-Verbrechen konstatiert das aktuelle Bundestagswahlprogramm der Grünen. Ich zitiere:

„Die von uns Grünen angestoßenen Untersuchungsausschüsse haben dieses massive Versagen von Polizei und Geheimdiensten ans Licht gebracht. … Für das ganze Geheimdienstwesen muss es eine klare Zäsur und einen umfassenden strukturellen und personellen Neustart und eine Neuausrichtung der Aufgaben geben.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unter anderem wird gefordert, auf den Einsatz von V-Leuten zu verzichten.

Der gestern veröffentlichte Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses - von der CDU bis zu den Linken gemeinsam formuliert - kommt jetzt ebenfalls zu einem vernichtenden Urteil über

(Tobias von Pein)

das Agieren der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Mordserie. Über alle Parteigrenzen hinweg ist man sich einig, dass die Ermittlungspannen auch im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz ein beispielloses Desaster darstellen.

Die Kritik am Verfassungsschutz setzt an vielen Punkten an: an einem fragwürdigen Extremismusbegriff der Behörden, an strukturellen und historisch bedingten Sehschwächen auf dem rechten Auge und an den Erkenntnisquellen, die größtenteils aus Presse und öffentlich zugänglichen Verlautbarungen bestehen. Das birgt die Gefahr, den Entwicklungen hinterherzuhinken. Die selbst reklamierte Frühwarnfunktion könnte daher schon aus Gründen der Logik nicht erfüllt werden.

Soweit es sich nicht um öffentlich zugängliche Quellen handelt, stammen die Informationen von ausländischen Geheimdiensten oder von V-Leuten. V-Leute sind höchst dubiose Akteure aus der beobachteten Szene mit ganz eigener Agenda. Auch dafür bot der NSU-Aufklärungsprozess genügend Anschauungsmaterial.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Nicht zuletzt wird kritisiert, schon aufgrund der Strukturlogik eines Geheimdienstes sei klar, dass der Verfassungsschutz selbst unkontrollierbar sei. Die parlamentarischen Kontrollinstanzen seien gegenwärtig - ich zitiere den Staatsrechtler Gusy „blinde Wächter ohne Schwert“.

Was bedeuten diese Befunde für den vorliegenden Verfassungsschutzbericht 2012?

Auch diesem Bericht liegt ein Extremismusbegriff zugrunde, der menschen- und demokratiefeindliche Denk- und Verhaltensmuster nur in Randbereichen der Gesellschaft verortet.

Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Frau Abgeordneten Damerow?

Natürlich.

Herr Kollege Peters, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, dass Sie sagen, der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge blind?

- Nein. Ich werde gleich dazu kommen. Ich bitte um etwas Geduld. Das bezog sich auf die Kritik des Berichts des NSU-Untersuchungsausschusses. Darin wird das einstimmig festgestellt.

Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung aus dem Jahr 2012 belegte zuletzt eindrucksvoll, dass dieser Ansatz viel zu kurz greift und aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht verfehlt ist. Ganz aktuell zeigen die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Berlin-Hellersdorf, was das eigentliche Problem ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Eine Blindheit auf dem rechten Auge kann man dem Bericht jedoch nicht vorwerfen. Er zeichnet auf 40 Seiten ein realistisches Bild von der Existenz und besorgniserregend hohen Zahl rechtsradikaler Aktivitäten in Schleswig-Holstein. Besonders erschreckend ist die Zahl von 210 Neo-Nationalsozialisten, also Leuten, die sich noch nicht einmal die Mühe machen, ihre Bewunderung für den Nationalsozialismus zu verbrämen.

Eine Ungenauigkeit ist anzumerken. In Bezug auf die „NaSo-Lb“ im Herzogtum Lauenburg wird gesagt, das sei die Abkürzung „Nationale Offensive Herzogtum Lauenburg“. Das wäre schon schlimm genug. Diese Gruppierung nennt sich aber „Nationale Sozialisten - Offensive Herzogtum Lauenburg“. Das ist ein offener Bezug zur NSDAP in der Namensgebung.

Im Bereich der Darstellung linksextremistischer Bestrebungen fällt durchgängig eine verbale Überhöhung der Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft der entsprechenden Szene auf.

- Herr Präsident, vorhin wurde übrigens die Zeit nicht angehalten.

So wird an mehreren Stellen dargelegt, dass eine unverändert hohe Bereitschaft gewaltbereiter Linksextremisten bestehe, auch mit strafrechtlich relevanten Aktionen gegen die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorzugehen. 34 Gewalttaten sollen es gewesen sein. Konkret werden allerdings im Wesentlichen Sachbeschädigungen benannt.

Bei einer Ausnahme handelt sich um einen tätlichen Angriff auf einen Rechtsextremen mit einem Stock, wobei konkrete Verletzungen nicht benannt werden. Ich verurteile jede Form der Gewalt und nichtdemokratischen Auseinandersetzung. Aber unter strafrechtlich relevanten Gewaltaktionen, die zu

(Burkhard Peters)

alledem die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen, stelle ich mir etwas anderes vor.

(Beifall Angelika Beer [PIRATEN] und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Bei der Beschreibung extremistischer Bestrebungen mit Auslandsbezug ist das Bemühen, zwischen Islam, Islamismus und Dschihadismus zu differenzieren, durchaus zu begrüßen. So wird auch bei der Beschreibung des Salafismus durchaus zwischen nicht gewaltbereiten Strömungen und dschihadistischen Bestrebungen unterschieden.

Insgesamt fällt in dem Bericht eine gewisse Theorielastigkeit auf. Zum Beispiel beinhalten 20 Seiten ausschließlich eine allgemeine Darstellung der verschiedenen international agierenden Dschihadisten ohne jeglichen Bezug zu Schleswig-Holstein. Das faktisch wirklich Relevante steht vermutlich aus geheimdienstlichen Erwägen nicht drin. Insoweit fällt es schwer, allein aus dem Bericht die Notwendigkeit der Beibehaltung eines Dienstes mit circa 100 Beschäftigten herauszulesen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter, bitte schauen Sie zwischenzeitlich einmal auf die Uhr.

Ich komme zum Schluss. Immerhin haben wir in Schleswig-Holstein bisher keinen Skandal um den Verfassungsschutz zu verzeichnen, wie ein solcher im Zusammenhang mit der Aufklärung der NSUMorde in vielen anderen Bundesländern auf der Tagesordnung stand. Welche Konsequenzen aus dem NSU-Untersuchungsausschussbericht für den schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz gezogen werden müssen, wird die Auswertung dieses Berichts zeigen.

Mein vorläufiges Fazit lautet: Die Gewährleistung eines ausgewogenen und gerechten sozialen gesellschaftlichen Gefüges und eine für die Demokratie begeisternde Schuldbildung erscheinen mir im Augenblick der effektivste Verfassungsschutz zu sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)