Protokoll der Sitzung vom 23.08.2013

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun haben Sie die Chance, Ihre Redezeit noch etwas zu verlängern, wenn Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Breyer zulassen.

Herr Kollege Peters, ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass Sie gesagt haben, es falle schwer, aus diesem Bericht die Notwendigkeit eines Inlandsgeheimdienstes herauszulesen. Teilen Sie insofern die Einschätzung der Piratenfraktion, dass wir dieser Behörde die geheimdienstlichen Mittel entziehen sollten, wie wir es auch beantragt haben?

- Herr Kollege Breyer, ich habe das Problem, dass ich nicht im Parlamentarischen Kontrollgremium sitze. Deswegen weiß ich nicht, was der Verfassungsschutz in Wirklichkeit macht. Ich bin sicher, dass er viel mehr tut, als in diesem Bericht steht. Deswegen kann ich das nicht beurteilen.

Aus diesem Grund fordere ich, dass insgesamt eine größere Transparenz für die anderen Abgeordneten über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes geschaffen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Herr Abgeordneter Peters, bitte gestatten Sie mir noch die Bemerkung, dass wir die Uhr angehalten haben, als Sie geantwortet haben. Da Sie aber nur mit Nein geantwortet haben, haben wir die Uhr nicht länger als eine Sekunde angehalten.

Jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, zunächst einmal herzlichen Dank für Ihren Bericht. Der Bericht macht insgesamt deutlich, dass wir zwar Erfolge im Kampf gegen jegliche Form des Extremismus verzeichnen können, leider aber auch erkennen müssen, dass es Bereiche gibt, in denen sich die Strukturen des Extremismus verfestigt oder sogar verstärkt haben und deshalb nach wie vor Wachsamkeit erforderlich ist.

Erfreulich ist sicher, dass die Zahl der politisch motivierten Straf- und Gewalttaten im Bereich des Rechtsextremismus zum wiederholten Male gesunken ist. So schlimm jeder Einzelfall auch ist und obwohl jede Tat immer noch eine Tat zu viel ist, so hat sich diese Zahl zwischen 2009 und 2012 um

(Burkhard Peters)

mehr als 30 % reduziert. Das ist ein Erfolg, den sich weniger die Politik auf die Fahnen schreiben kann, als dass es eine gesamtgesellschaftliche Leistung zur Ausgrenzung dieser schmutzigen Ansichten ist.

Nicht so erfreulich ist wiederum, dass die Zahl der linksextremistischen Straf- und Gewalttaten im Vergleich zu 2011 angestiegen ist. Ich beurteile das anders als Sie, Herr Kollege Peters. Zwar befindet sich diese Zahl nach wie vor auf einem Niveau deutlich unterhalb des Niveaus der rechtsextremistischen Taten. Dennoch sollten wir dieses Problem nicht marginalisieren. Deshalb müssen wir darauf achten, dass wir im berechtigten Streben nach Bekämpfung des Rechtsextremismus den Linksextremismus im Land nicht aus dem Auge verlieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundsätzlich müssen wir bei jedem Verfassungsschutzbericht überprüfen, ob beziehungsweise welche politischen Konsequenzen wir aus den vorliegenden Informationen ziehen. Der Innenminister hat in seiner Pressemitteilung am 23. April dieses Jahres verkündet, eine Konsequenz aus dem Bericht sei das NPDVerbotsverfahren. Dieses, so der Innenminister, sei ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Herr Innenminister, Ihr eigener Verfassungsschutzbericht suggeriert aber in Teilen etwas anderes. So heißt es wörtlich auf Seite 15:

„Wie in den meisten Bundesländern gelang es der NPD nicht, auch nur ansatzweise ‚bürgerliche’ Bevölkerungsschichten an sich zu binden.“

Herr Innenminister, angesichts dieser Tatsache, die Sie in Ihrem Bericht darstellen, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir mit einem Verbot rechtsextremistischem Gedankengut nachhaltig das Wasser abgraben.

Erreichen wir wirklich, was wir zu erreichen wünschen? Streichen wir damit die entsprechenden Gedanken aus den Köpfen dieser dankenswerterweise wenigen Menschen? Meinen Sie wirklich, dass das NPD-Verbot ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus ist? Ich frage Sie: Wer glaubt eigentlich ernsthaft, dass ein NPD-Verbot wirklich weiterhelfen würde, die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts zu verhindern?

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Herr Minister, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Extremismusforscher Eckhard Jesse schrieb im vergangenen Jahr in der „Zeitschrift für Politik“ zu diesem Thema etwas sehr Interessantes, nämlich - ich zitiere -:

„Die streitbare Demokratie hat stets eine Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit vorzunehmen. Ein Automatismus im Sinne eines Aktivwerdens wohnt ihr nicht inne.“

- Und weiter:

„Wer als Reaktion auf den öffentlichen … Druck flugs in den populistischen Ruf nach einem Parteienverbot einstimmt, zeigt Hilflosigkeit. Rechtsextremistische Umtriebe bleiben dadurch erhalten; das Gedankengut ist nicht verschwunden.“

Meine Damen und Herren, ich habe die große Freude, die Debatten um Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein bereits seit 1995 mitverfolgen zu dürfen. Ich fand, es war fraktionsübergreifend eine der großartigsten Leistungen, wie SPD, CDU, SSW und FDP sich in der 13. Legislaturperiode, also in dem Landtag von 1992 bis 1996, mit der Truppe der damaligen Rechtsextremisten, die damals im Landtag vertreten waren und mal DLVH, mal DVU hießen - wie auch immer sie sich gerade nannten -, politisch auseinandergesetzt haben. Die Folge war: In der darauffolgenden Wahlperiode tauchten diese Leute mit ihrem Gedankengut in diesem Landtag nicht mehr auf. Ich bin nach wie vor der Auffassung, die Auseinandersetzung muss politisch erfolgen und nicht über ein Parteienverbot. Wir werden mit einem Parteienverbot rechtsextremistisches Gedankengut nicht aus den Köpfen der Menschen bringen. Stellen wir sie dort, wo sie zu stellen sind.

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Uli König.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Herr Minister, ich danke Ihnen für den Bericht, auch wenn ich anderer Meinung bin. Schade, dass

(Dr. Heiner Garg)

der Leiter des Verfassungsschutzes nicht mehr hier ist, um meine Rede dazu zu hören.

(Zuruf SPD: Kann er nachlesen!)

- Ja, genau, das kann er nachlesen!

(Volker Dornquast [CDU]: Er kriegt ja Ge- halt und kein Schmerzensgeld! - Weitere Zu- rufe)

Sie dürfen trotzdem mit Ihrer Rede fortfahren.

Ich dachte, ich warte, bis die Kollegen fertig sind.

(Zuruf)

- Sehr gut! - Weitere Kommentare gibt es nicht? Danke.

Die Reihenfolge der Beratungen ist bezeichnend; denn angesichts der Enthüllungen über PRISM, Tempora & Co. wirkt der Verfassungsschutzbericht vier Monate nach der Vorlage wie aus einer anderen Zeit. Auch unser Verfassungsschutz wurde von der Entwicklung überrollt. Gegen die Bedrohung unserer freiheitlichen Gesellschaft durch eine nahezu vollständige Überwachung und Rasterung unserer elektronischen Kommunikation wirkt die Auseinandersetzung mit 1.200 Rechtsextremen in Schleswig-Holstein - so wichtig sie zum Schutz unserer Demokratie auch ist - fast wie eine einfache Aufgabe. Der Bericht bezeichnet den internationalen Terrorismus als Grund für den Schutz von Sicherheit und Freiheit außerhalb Deutschlands. Tatsächlich hätte er zumindest auch die Folgen des Terrorismus, unter anderem den offenbar grenzenlosen Überwachungswahn einiger Regierungen, als Bedrohung unserer Gesellschaft aufführen müssen. Der Bericht ist vom Zeitablauf überholt worden. Mehr ist dazu leider nicht zu sagen.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der ebenfalls nicht im Bericht auftaucht. Er taucht nicht auf, weil der Verfassungsschutz im Bericht so will es das Gesetz - nur über die Ermittlungsergebnisse des Landesverfassungsschutzes berichtet. Seine eigene Tätigkeit hingegen bleibt der Öffentlichkeit, aber auch dem Plenum verborgen. Es mag im Einzelfall gute Gründe haben, aber nicht in der Allgemeinheit, wie es aktuell praktiziert wird.

(Beifall PIRATEN)

Bei unserer Großen Anfrage zur Funkzellenabfrage in Schleswig-Holstein hat die Landesregierung

keine Auskunft über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gegeben, obwohl auch diese Bestandteil unserer Frage war. Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums kennen diese Zahlen vielleicht, ohne hierüber reden zu dürfen, der Rest des Plenums und die Öffentlichkeit hingegen ohne erkennbaren Grund nicht. Der stur wiederholte Verweis auf die Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium in anderen Anfragen trägt nicht.

(Beifall PIRATEN)

Auch der Landesverfassungsschutz hat sich einer Kontrolle des gesamten Plenums oder der Öffentlichkeit zu stellen, insbesondere wenn die Verfassungsschutzberichte auch in Zukunft dazu dienen sollen, eine erweiterte Kontrolle des Verfassungsschutzes selbst sicherzustellen. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Das Wort für den SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der beste Verfassungsschutz ist eine lebendige und engagierte bürgerschaftliche Gesellschaft.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Darunter verstehe ich Menschen, die sich bereit erklären, die demokratische Grundordnung zu leben und sich für sie einzusetzen. Die Menschen in Glinde, die sich mit dem Tonsberg-Laden nicht abfinden wollten, gehören ebenso dazu wie Bündnisse in Mölln oder Lübeck, die sich gegen Rassismus und rechtsextremistische Kräfte gebildet haben.

(Beifall SSW und PIRATEN)