Protokoll der Sitzung vom 23.08.2013

Zur Frage der Sicherheit der Kommunikation mit öffentlichen Stellen in Schleswig-Holstein stelle ich fest: Die bestehenden Möglichkeiten zur verschlüsselten Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger mit der Landesverwaltung werden wir bedarfsorientiert und gestuft ausbauen. Als ersten Schritt wird der Einheitliche Ansprechpartner Schleswig-Holstein einen Zugang für verschlüsselte und signierte Dokumente bereitstellen. Zusätzlich wird ein erhöhter Bedarf an verschlüsselter Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern in künftigen Fortschreibungen der IuK-Infrastruktur des Landes und in Abstimmung mit dem kommunalen Bereich berücksichtigt. Der neu eingerichtete CIO des Landes wird auf Wunsch des Innen- und Rechtsausschusses über die Ergebnisse und den aktuellen Stand berichten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Stegner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Eka von Kalben konnte sich vorhin nicht gegen den Vorwurf wehren, der hier erhoben worden ist. Als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums möchte ich darauf hinweisen, dass die Beratungen dieses Kontrollgremiums komplett vertraulich sind. Das wissen jüngere Kollegen manchmal nicht. Deswegen möchte ich darauf noch einmal ausdrücklich hinweisen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Lars Harms [SSW])

(Minister Andreas Breitner)

Vielen Dank. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 18/936 (neu) sowie die Änderungsanträge Drucksachen 18/1063, 18/1065 und 18/1075 als selbstständige Anträge dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf:

Verfassungsschutzbericht 2012

Bericht der Landesregierung Drucksache 18/770

Ich erteile dem Innenminister, Andreas Breitner, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Im vergangenen Jahr standen die öffentlichen Diskussionen über den Rechtsextremismus im Schatten des NSU und die tatsächlich messbaren Aktivitäten in Schleswig-Holstein in einem deutlichen Gegensatz. Im schleswig-holsteinischen Rechtsextremismus gab es 2012 kaum spektakuläre Ereignisse. Die Zahl der Rechtsextremisten stieg jedoch leicht von 1.170 auf 1.220, darunter 620 Gewaltbereite.

Dies zeigt, dass sich der Rechtsextremismus durchaus nicht auf dem Rückzug befindet. Jedoch verändern sich zum wiederholten Mal die Strukturen. Das Bündnis zwischen Neonazis und der NPD zeigt deutliche Risse. Das ist für beide Lager problematisch. Die einstigen Protagonisten aus den Kreisen der „Freien Nationalisten“ werden zudem von den zahlreichen in fast allen Landesteilen vorhandenen Kleinstgruppen nicht organisierter junger Rechtsextremisten kaum noch anerkannt. So erklärt sich auch, dass aus Schleswig-Holstein lediglich 60 Rechtsextremisten für Demonstrationen oder ähnliche Veranstaltungen mobilisierbar waren und gegenwärtig sind.

(Unruhe)

Fehlende Strukturen der Szene machen die Bewertung der Sicherheitslage komplizierter. Ein sich selbst radikalisierender Kreis von Rechtsextremisten oder auch Einzelpersonen stellen die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. Auch wenn die Beobachtung von Einzelpersonen zukünftig einen Arbeitsschwerpunkt des Verfas

sungsschutzes bilden soll, muss die Beobachtung von Aktivitäten im Internet und hier insbesondere in sozialen Netzwerken in Zukunft intensiviert werden.

Der NPD gelang es auch im vergangenen Jahr nicht, ihren Anhängerkreis zu vergrößern, ganz zu schweigen von einer Verankerung in bürgerlichen Schichten. Fast die gesamte NPD-Propaganda des vergangenen Jahres war auf die Agitation gegen die Europäische Union und den Euro gerichtet. Die Partei hofft offenkundig, von einer möglichen Wirtschaftskrise zu profitieren. An der Absicht der NPD, die geltende Verfassungsordnung zu überwinden, gibt es weiterhin keine Zweifel. Diese Einschätzung wird auch von jenen geteilt, die einem NPD-Verbotsverfahren kritisch gegenüberstehen.

Der Linksextremismus in Schleswig-Holstein war 2012 von einer hohen Aktionsfähigkeit und einer hohen Aktionsbereitschaft der autonomen Szene gekennzeichnet. Diese schreckt immer weniger davor zurück, Menschen zu verletzen und Gewalt gegen Sachen auszuüben. Während die Straftaten in den Vorjahren meist spontaner Ausdruck einer latenten Gewaltbereitschaft waren, war in einigen Landesteilen im Berichtszeitraum eine weitgehend planvolle und zielgerichtete Vorgehensweise festzustellen. Im Zusammenwirken mit der hohen Bereitschaft zu strafbaren Aktionen und der Überzeugung, sich im Recht zu befinden, besteht ein unverändert hohes Gefährdungspotenzial. Darüber kann auch der Rückgang der erfassten Gewalttaten nicht hinwegtäuschen. Ebenso muss von einer gestiegenen Gefahr personenbezogener Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der rechten Szene ausgegangen werden.

Der Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr 730 Linksextremisten im Vergleich zu 750 Anhängern 2011 und 830 Personen 2010. Die Zahl der Gewaltbereiten liegt dabei mit 300 Personen unverändert auf einem relativ hohen Niveau. Besonders der autonomen Szene ist es gelungen, junge Menschen für die Szene zu begeistern und damit szenetypische Abgänge auszugleichen.

Leider finden die getroffenen Aussagen im Verfassungsschutzbericht auch im bisherigen Jahresverlauf ihre Bestätigung. Im Jahr 2012 gab es keine konkreten Anschläge von islamistischen Terroristen in Deutschland und damit auch nicht in SchleswigHolstein. Es wurden jedoch zahlreiche Personen wegen islamistisch-motivierter Straftaten verurteilt. Darunter befand sich auch ein Mann aus Schleswig-Holstein, der der Verbreitung von jihadi

stischer Propaganda im Internet für schuldig befunden wurde.

Ein besonderer Fokus im Bereich Extremismus mit Ausländerbezug liegt auf der dynamischen Bewegung der salafistischen Bestrebungen, einer rückwärtsgewandten, auf die Ursprünge der Religion zurückgreifenden islamistischen Strömung. Dessen Personenpotenzial beträgt in Schleswig-Holstein etwa 200 Personen, die sich auf Kiel, Lübeck und Neumünster konzentrieren. Die aus Schleswig-Holstein stammenden Teilnehmer an den gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen in Bonn und Solingen im Mai 2012 haben gezeigt, dass auch in unserem Land Personen des gewaltbereiten salafistischen Spektrums leben. An der deutschlandweiten kostenlosen Koranverteilung, initiiert durch das salafistische Netzwerk „Die Wahre Religion“, beteiligten sich Salafisten in Kiel, in Lübeck und in Neumünster mit entsprechenden Infoständen. So verbreiteten sie bei dieser Verteilaktion ihre extremistische Ideologie und standen als Ansprechpartner bei Fragen zur Religion zur Verfügung.

Im legalistisch-islamistischen Bereich spielte weiterhin die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs eine bedeutende Rolle. Sie ist mit mehreren Vereinen in Schleswig-Holstein vertreten und versucht unter Ausnutzung legaler Möglichkeiten, ihre islamistischen Ziele umzusetzen.

Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, ist weiterhin die wichtigste unter den ausländischen extremistischen Organisationen, die keine religiösen Bezüge aufweisen. Sie hat ihren Ursprung in der Türkei und hat in Schleswig-Holstein etwa 650 Mitglieder. Die Organisation nutzt Deutschland vorrangig als Rückzugsgebiet für politische Lobbyarbeit und zum Sammeln von Spenden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn der Verfassungsschutzbericht 2012 kein akutes extremistisches Bedrohungsszenario beschreibt, macht er gleichwohl deutlich, dass unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit ist. Freiheit muss immer wieder aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden. Dazu ist es notwendig, immer wieder über die Feinde der Freiheit und die Feinde der Demokratie aufzuklären, auch in Schleswig-Holstein. Wir sind daher alle zusammen gut beraten, wachsam zu bleiben. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Petra Nicolaisen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wachsam bleiben, die Augen offen halten - für mich ist das das Ergebnis des Verfassungsschutzberichts. Der Extremismus ist kein Phänomen, das wir wegdiskutieren können. Er ist keine Erscheinung, die wir verharmlosen dürfen. Der Extremismus bleibt eine Herausforderung, der sich Behörden und Politik, also wir, weiterhin werden stellen müssen. Der Bericht macht eines eindrücklich klar: Die Gefahren kommen aus verschiedenen Richtungen.

Das Gefahrenpotential von Rechts ist weiterhin hoch. In Schleswig-Holstein haben wir eine Zahl von gewaltbereiten Rechtsextremisten, die wir weiterhin beobachten müssen. Wir müssen aus den Zahlen, die im Bericht stehen, die Konsequenz ziehen, dass wir nicht nur im Bereich der Sicherheitsbehörden weiter arbeiten müssen. Aufklärungsarbeit bei gefährdeten Gruppen ist wichtig, Hilfe beim Ausstieg aus der Szene ist wichtig, und es geht auch darum, die Menschen weiter für dieses Thema zu sensibilisieren. Der Blick für extremistische Bestrebungen muss geschärft werden. Die Bereitschaft zu handeln muss gefördert werden - konsequent und sorgfältig.

Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, den Blick nur nach rechts zu richten. Die Gefahren aus dem linken Spektrum nehmen zu. Die Gewaltbereitschaft dieser Szene hat bereits erschreckende Ausmaße angenommen. Vieles von dem, was sich hinter dem harmlos klingenden Begriff „antifaschistisch“ verbirgt, ist alles andere als harmlos.

Der Bericht macht deutlich: Wir reden hier nicht über eine Gruppe niedlicher Weltverbesserer. Wir reden hier über eine Szene, die gnadenlos Gewalt gegen die einsetzt, die nicht ihrer Ideologie folgen. Wir reden über Personen, die bereit sind, ihre Vorstellungen rücksichtslos durchzusetzen. Wir reden über Gruppen mit kriminellem Potential. Deshalb ist es wichtig, dass wir dem linksextremen Spektrum die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen wie den Rechtsextremisten. Auch hier bedarf es der Aufklärungsarbeit. Auch hier brauchen wir Konzepte, die ein Abrutschen von Personen in diesen Kreis verhindern oder ihnen beim Ausstieg helfen konsequent und sorgfältig.

(Minister Andreas Breitner)

Auch der Islamismus bedroht uns weiterhin. Hier ist mir persönlich etwas wichtig: Der Islam als Religion auf der einen Seite und der Islamismus als Form des Extremismus auf der anderen Seite gehören nicht zusammen. Der Islam ist Bestandteil der religiösen Vielfalt in unserem Land. Der Islamismus hingegen ist eine Bedrohung.

(Beifall Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es liegt an uns als Politik, dies immer wieder und im Schulterschluss mit den muslimischen Verbänden deutlich zu machen.

(Vereinzelter Beifall CDU, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Islamismus gehört nicht in unser Land. Der Linksextremismus gehört nicht in unser Land, der Rechtsextremismus gehört ebenfalls nicht zu unserem Land. Gegen alle Formen von Extremismus müssen und werden wir vorgehen, und das konsequent und sorgfältig.

Wir haben in diesem Haus schon mehrfach über die Frage der Überwachung gesprochen. Immer wieder wird der Versuch unternommen, unseren Staat als Überwachungsstaat darzustellen. Immer wieder werden Verfassungsschutzbehörden als datensammelnde Kraken gesehen. Aber: Wer den vorliegenden Bericht genau liest, wird feststellen, dass wir in gewissem Unfang Überwachung brauchen. Damit meine ich keine Totalüberwachung. Natürlich dürfen die Menschen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Ich sage aber eines deutlich: Der Staat braucht Instrumente zur Sammlung von Informationen. Der Staat muss in der Lage sein, Bedrohung aus dem Innern zu identifizieren. Wer dem Staat sämtliche Möglichkeiten hierzu nehmen will, der nimmt billigend in Kauf, dass sich extremistische Strukturen ungehindert bilden und ausbreiten können. Ich sage: Das wollen und das dürfen wir nicht zulassen.

Meine Damen und Herren, die Bekämpfung des Extremismus in all seinen Ausprägungen stellt Behörden, Politik und die Gesellschaft vor eine Herausforderung; aber wir sind bereit, diese Herausforderung anzunehmen - konsequent und sorgfältig. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Tobias von Pein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete. Im vergangenen Jahr wurde uns durch die Aufdeckung der grausamen Morde des NSU vor Augen geführt, welch ein Gewaltpotential die Ideologie der Neonazis bereithält. Natürlich überschattet ein solches Ereignis die subjektive Wahrnehmung von rechtsextremen Aktivitäten in Deutschland. Natürlich sind die Aktivitäten in Schleswig-Holstein nicht annähernd von diesem Ausmaß. Dennoch mahnen uns die Hintergründe der Aufdeckung oder auch Nichtaufdeckung der Morde - vieles ist ja noch nicht abschließend geklärt -, wachsam zu sein und rechtsextremistische Umtriebe in Schleswig-Holstein im Auge zu behalten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Doch die Umstände mahnen uns auch, die Tätigkeiten und Vorgehensweisen unserer Geheimdienste im Blick zu behalten. Die Auswertung des Abschlussberichts des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der gestern vorgestellt wurde, muss daher auf allen politischen Ebenen stattfinden. Die circa 1.000 Seiten des Berichts werden uns auf vielen Ebenen noch einige Arbeit bereiten.

Es besteht Handlungsbedarf. Ich darf aus dem Abschlussbericht zitieren, der übrigens überparteilich und in Konsens beschlossen wurde -, was einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ist -:

„Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und grob verharmlosend.“

(Beifall Serpil Midyatli [SPD])

Das ist eigentlich vernichtend. Dennoch sollte uns dieser Bericht zu denken geben. Wir können sicherlich einiges aufgreifen. Auch wenn dies aktuell nicht auf unser Land zutrifft, sondern vor allem andere Länder betrifft, so sollte uns die Kritik an der Systematik und die Empfehlungen zur Weiterentwicklung, zum Beispiel hinsichtlich der interkulturellen Kompetenz und der Offenheit im parlamentarischen Kontrollverfahren, zu denken geben.

Nun zu dem vorgelegten Bericht: Die NPD bleibt ein zentraler Organisationspunkt der rechten Szene. Es gibt zwar eine abnehmende Kooperation zwischen ihr und den freien Kräften, doch das verringert das Mobilisierungspotenzial dieser Partei nicht. Und sie ist noch nicht am Ende. Die Teilnahme an den Kommunalwahlen, entweder als NPD oder als

(Petra Nicolaisen)

Scheinliste, hat uns gezeigt, wie gefährlich diese Partei ist. Das Gute ist: Wenn das neu aufgelegte Verbotsverfahren erfolgreich ist, dann drehen wir ihnen endlich den Geldhahn zu.