Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Für die Fraktion der PIRATEN hat Herr Abgeordneter Sven Krumbeck das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

„Äußere und leibliche Strafen sind wesentlich und notwendig, und es ist eine Thorheit, alle körperlichen Züchtigungen aus der Schule verbannen zu wollen.“

Der Pädagoge, der dies einst sagte, Christian Heinrich Zeller, war bis zu seinem Tod 1860 ein vielleicht moderner Mann. Dass wir seine Auffassung heute mit aller Entschiedenheit von uns weisen, spiegelt die Entwicklung unserer Gesellschaft wider. In dem Maße, wie sich Gesellschaften entwickeln, muss sich auch die Schule entwickeln. Sie muss mit den Veränderungen standhalten, die die Entwicklung dieser Gesellschaft ihr aufzwingt und abringt.

(Beifall PIRATEN)

Ausgehend von diesem Gedanken danke ich Frau Ministerin Professor Wende sehr aufrichtig für die Weichenstellung, die der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht.

(Beifall PIRATEN, SPD und SSW)

Wir PIRATEN haben aus der Vergangenheit gelernt und erkannt, dass das traditionelle Schulsystem in Deutschland auf dem PISA-Schlachtfeld seinen verzweifelten Kampf ums Überleben verloren hat. Dies ist mehr als ein Jahrzehnt her, und es ist

darum höchste Zeit, dass das längere gemeinsame Lernen in Gemeinschaftsschulen in SchleswigHolstein vermehrt Wirklichkeit werden soll, dort, wo die Menschen es wünschen.

(Beifall PIRATEN)

Es ist gut, dass den Schülerinnen und Schülern die G-8-Hetzjagd durch Prüfungen und Noten erspart bleiben kann und ihnen mit G 9 eine Alternative geboten wird. Das alles wurde bereits im letzten Winter beschlossen. Inhaltlich tragen die PIRATEN das mit. In unserem Interesse wäre es aber gewesen, diese Neuerungen im Rahmen einer großen Novelle zu beschließen. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben das aber anders gesehen, und - Kollege Stegner sagt es gern -, sie haben die Mehrheit, sie stimmen das durch, und fertig ist die Laube.

(Zuruf CDU: Unerhört! - Weitere Zurufe)

Darum stehen wir heute vor der Aufgabe, eher ein kümmerliches Überbleibsel zu beschließen als den ganz großen bildungspolitischen Wurf.

(Beifall PIRATEN und Christopher Vogt [FDP])

Das heißt, kümmerlich ist der Text nur auf den ersten Blick. Denn die eine oder andere Regelung hat weitreichende Folgen.

Für die PIRATEN meine ich damit ausdrücklich nicht den Streit um Rhetorik. Wenn „pädagogische Aufgaben“ jetzt Bildung und Erziehung ersetzen sollen: von mir aus. Wenn Schülerinnen und Schüler jetzt entsprechend ihrer Neigung gefördert und nicht mehr erzogen werden, ist mir das auch recht. Wenn der Hauptschulabschluss jetzt Bildungsreife heißt, dann finde ich das gut und richtig, schließlich passt er sich damit nur der Schulwirklichkeit an.

Worüber also Regierung und Opposition, Lehrerverbände und Journalisten noch im August öffentlich stritten, ist mir herzlich egal. Mein Hauptaugenmerk gilt den wenigen echten Brocken, die auf dem Weg zu einem modernen Bildungsland immer noch im Weg liegen. Die haben natürlich mit Geld zu tun.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Jetzt beraten wir das Schulgesetz, aber die Finanzen dürfen Sie hier nicht aus den Augen verlieren. Wer den Schulen per Gesetz vorschreiben will, dass sie in Ganztagsschulen umgewandelt werden müssen, der bewegt sich auf ganz dünnem Eis. Denn

(Anita Klahn)

die Kosten, die das generiert, sind nicht vom Land, sondern von den Gemeinden zu tragen. Genau deswegen wehren sie sich gegen diesen Gesetzentwurf.

(Beifall PIRATEN)

Ich habe mich sehr früh mit den kommunalen Landesverbänden getroffen und festgestellt, dass es nicht ideologische Vorbehalte sind, sondern die Furcht vor einem Investitionszwang, den die Träger sich nicht leisten können. Es gibt Vorbehalte gegen ein Eingreifen in die kommunale Selbstverwaltung. Das kann ich verstehen. Hinzu kommen die sinkenden Schülerzahlen. Fehlinvestitionen drohen. Da hilft es wenig, wenn man in Manier eines einfältigen Gernegroß auf die Idee kommt: Das rechnet sich schon irgendwie.

(Beifall PIRATEN)

Leider haben wir auch der Antwort auf unsere Große Anfrage entnehmen müssen, dass diese Regierung nicht über die nötigen Informationen verfügt, die Folgen eines zwanghaften Aus- oder Umbauwahns abzuschätzen. Wer nicht weiß, wie viele Lehrerinnen und Lehrer er in den nächsten Jahren braucht, wer fast 2.000 Lehrkräfte auf Abordnungsstellen und mit Ausgleichsstunden irgendwo im Land verstreut hat, während die Schulen mit einem strukturellen Defizit von 1.300 Stellen zu kämpfen haben, der kann mir nicht erzählen, dass er die Schülerströme so genau prognostizieren kann, dass er per Gesetz Oberstufen und Ganztagsschulangebote verordnen kann.

(Beifall PIRATEN - Martin Habersaat [SPD]: Das tut er auch nicht!)

Ich wiederhole an dieser Stelle meine Forderungen aus der ersten Runde des Bildungsbattle: Wir brauchen einen landesweit verbindlichen Schulentwicklungsplan. Oder die Regierung muss darauf verzichten, die Schulen und Schulträger vor Ort ständig in Zwangshaft zu nehmen. Wir brauchen eine auf Kontinuität angelegte Ressourcenverwaltung, wenn wir steuern wollen. Und wir müssen steuern. Schülerzahlen und Schuldenbremse zwingen uns zu verantwortlichem Handeln.

(Beifall PIRATEN)

Ich appelliere an Sie, die Sie diese Regierung tragen: Sorgen Sie mit uns zusammen dafür, dass die Regionalschulen eine verlängerte Übergangsfrist erhalten! Machen wir gemeinsam aus der Muss-Regelung zur Ganztagsschule eine Kann-Regelung! Räumen Sie mit der Idee auf, dass das Land gute Standorte aus ideologischen Gründen auf diesem Weg einstampfen will! Lassen Sie die Schulträger

von der Leine, und geben Sie ihnen den Freiraum zurück, den sie im Ringen um die besten Lösungen vor Ort brauchen! Verhindern Sie, dass dieses Gesetz zu einem Schulschließungsprogramm der Sonderklasse wird!

(Beifall PIRATEN)

Wir vertrauen den Schulträgern. Wir PIRATEN lehnen jeden Zwang in diesem Bereich ab. Geben Sie Vertrauen und Freiheit Raum! Oder sagen Sie die aktuellen Haushaltsberatungen geben Ihnen Gelegenheit dazu -, wie Sie die Schulträger bei den zusätzlich anfallenden Kosten unterstützen wollen! Liebe Kollegen, wer die Musik bezahlt, darf auch bestimmen, was sie spielt.

(Beifall PIRATEN)

Wenn Sie hier im Haus bestimmen wollen, was die Schulträger zu tun haben, müssen Sie dies auch finanzieren. Wer seine Lieblingsmucke hören will, der muss sie auch bezahlen - nicht nur das Röckchen schwingende Tanzmariechen, sondern die ganze Kapelle.

(Zurufe)

Es geht an dieser Stelle nicht mehr um politische Signale, Herr Tietze, es geht ums Handwerk. Ist es solide, was Sie vorhaben, oder ist es das nicht? Wir glauben, dass das Schulgesetz erhebliche Probleme aufwirft. Wir nehmen an dieser Stelle die Sorgen der Gemeinden sehr ernst und werden in den anstehenden Anhörungen genau zuhören, welche Alternativen oder Verbesserungen sie vorschlagen oder wünschen.

Lieber Kollege Habersaat, ich rate Ihnen, sich die Erlaubnis von Ihrem Fraktionsvorsitzenden zu holen, das auch tun zu dürfen. Denn es wird an dieser Stelle keine erfolgreiche Schulpolitik gegen die Menschen vor Ort geben. Sie wird vielleicht durchgesetzt, aber sie wird nicht erfolgreich sein.

Wir wollen auch anderen gut zuhören. Ich habe den Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Herrn Dr. Hase, intensiv gelesen, der sich ebenfalls zum Schulgesetz äußert. Auch darüber möchte ich reden. Ich möchte mich auch über Datenschutzprobleme austauschen, die durch das Änderungsgesetz aufgetaucht sind, und über Möglichkeiten, die Schulen weiter zu demokratisieren. Wir PIRATEN halten nicht am Alten fest um des Alten willens, aber wir stimmen auch nicht einer Reform um ihrer selbst willen zu. Wir wollen das Ganze in einen Zusammenhang stellen: Haushalt, Personal, lokale Entscheidungsträger, Schulen.

(Sven Krumbeck)

(Beifall PIRATEN, vereinzelt CDU und FDP)

Schule und alle daran Beteiligten sind uns wichtig. Das ist für uns PIRATEN mehr als ein Kalenderspruch. Darum muss der Gesetzentwurf auf den Prüfstand gestellt und nachgebessert werden. Denn so, wie er ist, ist er nicht gut genug für dieses Land. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP])

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir Schülerinnen und Schüler des Regionalen Berufsbildungszentrums Wirtschaft der Landeshauptstadt Kiel. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Abgeordneten des SSW hat Frau Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab möchte ich all die, die sich hier und heute aufregen, daran erinnern, dass dieser Gesetzentwurf sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss ist. So gut und richtig die Neuerungen auch sind: Wir befinden uns in der Anhörungsphase. Wenn sich die Notwendigkeit zeigt, können Dinge durchaus noch verändert werden.

Die Damen und Herren, die unbelehrbar bleiben und lieber grundsätzlich von Einheitsschulen, Einheitsbrei und Einheitslehrern reden, möchte ich freundlich daran erinnern, dass dieser Entwurf Ergebnis eines Dialogs ist.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist also genau der Elternwille, der so gern gegen uns ins Feld geführt wird, in vielen Bereichen ausschlaggebend.

Für mich als relativ neue Abgeordnete im Landtag ist und bleibt es unbegreiflich, dass die Opposition nicht ein einziges gutes Haar am Bildungsdialog lassen kann. Warum kann man nicht einfach anerkennen, dass dieser Dialog der umfassendste ist, den die Politik mit den Verantwortlichen im Bildungsbereich je geführt hat?