Protokoll der Sitzung vom 20.11.2013

Ich stelle fest, dass damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Annahme erreicht ist. Dann ist der Wahlvorschlag angenommen und Frau Maren Thomsen zur Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein gewählt. - Herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Wahl der Präsidentin des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein

Wahlvorschlag der Landesregierung Drucksache 18/1211

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich lasse über den Wahlvorschlag abstimmen und schlage Ihnen hierfür offene Abstimmung vor. - Widerspruch höre ich nicht. Dann werden wir so verfahren. Ich weise noch darauf hin, dass für die Wahl die Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags erforderlich ist.

Wer dem Wahlvorschlag Drucksache 18/1211 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es gibt drei Gegenstimmen. - Enthaltungen? - Ich stelle fest, dass damit die für die Annahme erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht ist. Damit ist der Wahlvorschlag angenommen.

Sehr geehrte Frau Dr. Schäfer, ich darf Sie im Namen des Hauses sehr herzlich zu Ihrer Wahl beglückwünschen und freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist vereinbart worden, dass wir an dieser Stelle die Sitzung unterbrechen. Wir werden sie um 15 Uhr wiedereröffnen.

(Unterbrechung: 12:38 bis 15:04 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Beratungen. Bitte begrüßen Sie zunächst mit mir auf der Tribüne einige Teilnehmer der Volkshochschule Neumünster und vom Amtsgericht Kiel einige Rechtspflegeanwärter und -anwärterinnen, Justizfachangestellte und Justizfachwirte. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/1144 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das sehe ich nicht. Dann eröffne ich die Aussprache.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei der Lektüre des Antrags mögen sich manche gefragt haben: Was ist ein Forschungsdesiderat? In der Wissenschaft wird darunter ein Thema verstanden, von dem gewünscht wird, dass sich die Forschung endlich seiner annimmt. Es handelt sich somit um eine Art dunklen Fleck, der dringend durchleuchtet werden soll.

Dass wir uns hier und heute mit dem blinden Fleck Nazikontinuität in Schleswig-Holstein nach 1945 befassen, geht allerdings weit über das Interesse eines historischen Hochschulseminars hinaus. Unser gemeinsames Erkenntnisinteresse an der aufgeworfenen Frage ist politisch begründet. Denn es liegen deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Landtag und Verwaltung in Schleswig-Holstein in der frühen Nachkriegsgeschichte in besonderer Weise Schlupfwinkel für Nationalsozialisten gewesen sind. Es freut mich, dass wir alle davon überzeugt sind, dass es sich keineswegs um eine akademische Frage handelt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

(Präsident Klaus Schlie)

Denn es ist zu vermuten, dass der vom ehemaligen Innenminister Paul Pagel bereits 1950 beklagte Tatbestand der Renazifizierung von Politik und Verwaltung in Schleswig-Holstein nicht nur massive Folgen für das Ansehen des Landes hatte, auch für die Kultur und das Klima der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition bis in die jüngste Vergangenheit soll die Renazifizierung gravierende Folgen gehabt haben.

Noch kürzlich konnte man in Presseberichten über den Kieler Steuer-Deal lesen, die oft giftigen Formen der Auseinandersetzung um tagespolitische Fragen in Schleswig-Holstein hätten bis heute auch damit zu tun, dass die Sozialdemokratie oder auch der SSW in den 1950er- und 1960er-Jahren zähneknirschend mit ansehen mussten, wie die konservative Mehrheit ab der Landtagswahl 1950 das Land zu einem Hort der braunen Reaktion gemacht habe.

In der Tat, die ab 1950 unter dem Ministerpräsidenten Bartram gebildete Regierung, die sich auf eine Koalition von CDU, FDP, DP und Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten stützte, brachte bereits im ersten Regierungsjahr ein Gesetz zur Beendigung der Entnazifizierung ein, welches die von den Alliierten vorgeschriebenen Entnazifizierungen in Schleswig-Holstein tatsächlich stoppte. Ein in der Bundesrepublik in dieser Radikalität einmaliger Vorgang.

Der SPD-Abgeordnete Käber merkte in der Landtagsdebatte bissig an, das Gesetz sei unvollständig. Es müsste einen Paragrafen enthalten, dessen erster Absatz heißen solle: Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Schleswig-Holstein nie einen Nationalsozialismus gegeben hat. In Absatz 2 solle stehen: Die von 1933 bis 1945 begangenen Untaten gegen Leben und Freiheit von Millionen Menschen sind eine böswillige Erfindung.

Folge dieses Gesetzes war, dass tatsächlich ab 1951 in der schleswig-holsteinischen Verwaltung und Justiz hochbelastete ehemalige Nationalsozialisten Unterschlupf finden konnten, die in anderen Bundesländern nie eine Chance zur Einstellung gehabt hätten.

(Zuruf SPD: Leider ja!)

Dies geht aus der Antwort der Landesregierung vom 6. Dezember 1989 auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein hervor. Schon diese Hinweise zeigen, dass sich in der frühen Nachkriegsgeschichte in Schleswig-Holstein offenbar eine politische Katastrophe abgespielt hat, die bis heute nicht aufgear

beitet worden ist und die uns wie ein Splitter in der Haut steckt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Es drängt sich die Frage auf, warum nicht schon viel früher das jetzt eingeleitete Projekt auf den Weg gebracht wurde. Gab es ein Kartell der Verdrängung? Wollte man den Ruf verdienstvoller und angesehener Politiker und Beamter schonen? Es ist höchste Zeit, dass wir jetzt den Weg für eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Komplexes angehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Dabei taucht aber auch ein Problem auf: Wenn sich die Politik der Geschichte annimmt, besteht das Risiko ihrer Instrumentalisierung.

Was wir heute auf den Weg bringen, ist politisch motivierte Auftragsforschung. Sie ist gerechtfertigt, wenn der Auftrag nicht mit vorher definierten Erwartungen an das Ergebnis verbunden wird. Es soll nicht um das Aufmachen alter Rechnungen gehen. Zur Offenheit des Projekts gehört zum Beispiel die Erforschung der Frage, ob es Alternativen für die damals politisch Verantwortlichen gegeben hat. Staat und Verwaltung mussten ja reorganisiert werden. Ein Großteil der für diesen Job Ausgebildeten war im Krieg gefallen oder befand sich in Kriegsgefangenschaft. Wer sollte es machen? Mussten im Zuge der Einstellung von Nazis unbelastete Stelleninhaber gehen? Spannend ist auch die Frage, ob es bei den eingestellten Nazis in der praktischen Tätigkeit im demokratischen Staat nachhaltige Läuterungsprozesse gegeben hat und wie sich diese äußerten. Nicht zuletzt bedarf die These, die Beendigung der Entnazifizierung in Schleswig-Holstein habe das politische Klima zwischen Regierung und Opposition für viele Jahre vergiftet, einer kritischen Prüfung.

Bitte kommen Sie langsam zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. - Das Beste an dem Antrag ist, dass er von allen Fraktionen dieses Hauses gemeinsam eingebracht wird. Dafür geht mein besonderer Dank an alle Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

(Burkhard Peters)

Schon diese Tatsache leistet einen wirklichen Beitrag zur Förderung der politischen Kultur in Schleswig-Holstein. Ich bin überzeugt, das Geld für den Forschungsauftrag ist gut angelegt. Ich freue mich auf das Ergebnis und auf die Diskussion, welche die Forschungsarbeit auslösen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Axel Bernstein das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In zahlreichen Landtagen Deutschlands, in Bundesministerien, in Unternehmen und in Organisationen hat in den vergangenen Jahren eine breite Debatte über die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung personeller und auch struktureller Kontinuitäten aus der NS-Zeit eingesetzt. Zahlreiche Studien wurden bereits erarbeitet und veröffentlicht.

Da ist es richtig und angebracht, dass sich auch der Schleswig-Holsteinische Landtag dieses - wies es im gemeinsamen Antrag heißt - „Kernthema der Parlamentsgeschichte“ wissenschaftlich fundiert und parteipolitisch neutral aufarbeiten lässt. Es ist ein gutes und - wie ich finde - selbstverständliches Zeichen, dass alle Fraktionen dieses Landtags einvernehmlich das Projekt einer solchen Aufarbeitung durch den Landtagspräsidenten in Auftrag geben lassen wollen.

Ich will auch ganz deutlich sagen: Ich halte diesen überparteilichen Ansatz für notwendig. Es hat die historische und gesellschaftliche Debatte nicht vorangebracht, wenn beispielsweise die in einigen Landtagen noch vertretene Linkspartei auf eigene Faust solche Anträge stellt oder gar eigene tendenziöse Studien beauftragt. Nicht umsonst sah sich Hessens Landtagspräsident Kartmann veranlasst, das Ziel einer „Behandlung ohne parteipolitisch motivierte Vergangenheitsbetrachtungen“ ausdrücklich vorzugeben. Ich glaube und hoffe, wir sind da auf einem guten Weg.

„Wir wissen wenig über das Verhalten von Abgeordneten der frühen … Landtage in der vorangegangenen Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Dies hat viel mit einer unzureichenden Quellenlage und auch damit zu tun, dass in den Lebensläufen der Abgeord

neten häufig die Beziehungen zum Nationalsozialismus ausgespart waren.“

Das stellt Niedersachsens Landtagspräsident Dinkla im Vorwort der dortigen Studie fest.

Als Historiker kann man in einer Debatte zu einem Zeitpunkt, an dem die gewünschte Studie noch nicht einmal begonnen wurde, in Versuchung geraten, die eigene Sicht der Dinge schon einmal vorab kundzutun. Ich will dieser Versuchung dennoch widerstehen und halte das heute auch für dringend geboten. Denn was soll die Öffentlichkeit von einem Parlament halten, das 300.000 € für eine Studie ausgibt, wenn alle schon ihre Sicht auf die vermeintlichen Ergebnisse haben?

In manchen Kommentierungen unseres Vorhabens klang unterschwellig der Vorwurf an, dass man sich erst jetzt dieser Thematik annehme. Ich glaube, dafür gibt es gute Gründe. Es dient der Qualität einer solchen Aufarbeitung, wenn Personen, die in den Fokus der Untersuchung rücken können, nicht mehr unter uns beziehungsweise nicht mehr politisch aktiv sind. Denn der individuell nachvollziehbare Reflex der Rechtfertigung und vielleicht auch der Relativierung würde schnell die Debatte bestimmen. Aber genau darum geht es ja nicht. Es geht nicht um persönliche Verurteilung oder politische Bloßstellung, sondern um Erkenntnisgewinn.

Dabei wird jedem Historiker klar sein, dass jede geschichtswissenschaftliche Studie auch immer ein Produkt ihrer Zeit ist. Sie hängt nicht nur von der Quellenlage, sondern immer auch von der gesellschaftlichen Prägung der forschenden Historikergeneration ab. Nicht umsonst sieht sich die Geschichtswissenschaft heute als historisch-kritische Sozialwissenschaft.