Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

- Für Sie reicht es immer noch. - Es geht um nicht weniger als die Zukunft unseres Landes. Wir brauchen keine finanzpolitischen Debatten mehr zu führen, keine Sozialpolitik mehr zu diskutieren, keine Ideen zur Stärkung unserer Wirtschaft mehr zu entwickeln, wenn wir bei der Bildungspolitik versagen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja!)

Heute beschließen wir einen Meilenstein dafür, dass jedes Kind und jeder Jugendliche in Schleswig-Holstein die bestmögliche Bildung bekommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie dagegen stimmen - wir freuen uns ausdrücklich über die namentliche Abstimmung -, Sie bringen damit zum Ausdruck, dass Sie dem Fortschritt in Schleswig-Holstein im Wege stehen wollen.

(Lachen FDP)

Das mögen Sie bekunden, das ist in Ordnung. Sie behandeln die Schüler von oben herab, indem Sie sagen, die einen ins Töpfchen, die anderen ins Kröpfchen, nach dem Motto, es werde schon mit acht Jahren entschieden, was aus einem Kind wird. Das wollen wir ändern, weil das etwas mit der Zukunft des Landes zu tun hat.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bestmögliche Bildung für jedes Kind, egal, woher es kommt, ob deutsch oder nicht deutsch, behindert oder nicht behindert, aus Glückstadt oder Ratzeburg, völlig schnurz. Jedes Kind muss die bestmög

liche Bildung haben. Das ist unser Anspruch. Dafür arbeiten wir. Stimmen Sie ruhig dagegen. Wir werden das heute beschließen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Anita Klahn [FDP]: Das tun Sie aber nicht! Oh, ist das peinlich!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Elternabend in einer ersten Klasse kurz nach Schulbeginn, der Vater fragt die Lehrerin: „Entschuldigung, warum ist die Nachbarklasse eigentlich schon einen Buchstaben weiter?“ Diese Äußerung macht deutlich, wie viel Druck heute in den Grundschulen ist, wie besorgt die Eltern sind, ob die Kinder am Anfang einen guten Bildungsstart bekommen. Eltern verspüren diesen Druck ganz stark. Auch im Bildungsdialog war das ein entscheidender Punkt. Die Grundschullehrkräfte haben uns gesagt: Der Druck auf die Grundschulen wächst, ihr müsst da gegensteuern.

Gleichzeitig haben wir ganz viele Kinder, denen keiner abends den Schulranzen packt und die auch kein geschmiertes Schulbrot mitbekommen. Herr Callsen, Bildungsgerechtigkeit und Leistung gegeneinander auszuspielen, ist die Debatte von vor PISA. Was hat uns PISA 2012 gezeigt? - 2001 lagen wir leistungsmäßig im Mittelfeld, und bei der Chancengerechtigkeit war Deutschland Schlusslicht. Das hat uns alle erstaunt. In beiden Bereichen gibt es massive Verbesserungen. Sowohl bei der Leistung - Lesen, Naturwissenschaften und Mathe liegen wir jetzt über dem Durchschnitt, als auch bei der Bildungsgerechtigkeit haben wir aufgeholt.

(Anita Klahn [FDP]: Unter welchem Schul- gesetz?)

- Frau Klahn, das ist die entscheidende Frage: Woher kommen die Leistungserfolge der letzten 12 Jahre? Wenn Sie die Ländernotiz zu PISA 2012 studiert haben, wissen Sie, dass die Leistungserfolge dadurch zustande kommen, dass die wesentlichen Leistungssteigerungen in allen drei Bereichen ausschließlich bei den Kindern mit schlechten Chancen, bei den Leistungsschwächeren stattgefunden haben. Meine Damen und Herren, Bildungsgerechtigkeit und Leistung gehören zusammen.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das war auch der Ausgangspunkt für die Reform 2007, der die CDU damals sinnvollerweise zugestimmt hat. Das ist auch der Grund dafür, dass wir diese Weiterentwicklung heute vornehmen.

Starke Gymnasien, starke Gemeinschaftsschulen, das ist eine gemeinsame Verantwortung. Ich möchte nicht, dass wir hier in zehn Jahren wieder über irgendwelche Restschulen diskutieren. Deswegen versuchen wir, zwei starke Säulen zu etablieren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es stellt sich die Frage: Ist das ein Schulgesetz, das Aufruhr verursacht? - Ich glaube, man muss klar unterscheiden zwischen der Empörung einzelner Verbände, Personen, Parteijugendorganisationen und der Stimmung an den Schulen. Es gibt Kritik an einzelnen, auch wichtigen Punkten - Oberstufengröße, Wahlfreiheit G 8/G 9 -, wir haben aber Kritik von beiden Seiten bekommen; es gab Pro- und Kontrastimmen. Wir haben an vielen Stellen einen Kompromiss beschlossen. In der großen Linie wird dieses Schulgesetz breit getragen. Sven Krumbeck, ich muss mich wundern, was Sie als die wesentlichen Pfeiler in der Schulgesetzgebung beschrieben haben.

Überlegen Sie - Herr Callsen war da ja ganz vorneweg -, was wir an „Brandstiftung“ betrieben haben. Gehen wir einmal ins Jahr 2010, 2011 zurück. Herr Callsen, da waren auch Sie anwesend. Es gab eine Unterschriftenaktion zum Gesetz von Herrn Dr. Klug, es gab eine erfolgreiche Volksinitiative gegen das Gesetz, es gab einen Lehrerstreik mit wilden Folgen, der in die Kollegien hineingewirkt hat, es gab Unruhe in den Kollegien in Gemeinschaftsschulen, in den Gymnasien, in der Elternschaft. Die Landeselternbeiräte haben sich durch die Bank brüskiert gefühlt - die Grundschule nehme ich aus -, und die Schulträger haben eindringlich darum gebeten, endlich einmal Planungssicherheit zu bekommen. Im Vergleich dazu hat das, was wir jetzt an Reaktionen hören, wirklich Zimmerlautstärke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Anita Klahn [FDP]: Genau, weil die resignieren!)

Die Freiheit, von der die CDU jetzt spricht, ist vor allem die Freiheit für wenige Schulen, nostalgisch an Haupt- und Realschulklassen festzuhalten, weil man diese Schularten früher kannte. Was Sie im

Bereich selbstständige Schule im Januar eingebracht haben, kann man in der knappen Zeit nicht intensiv beraten. Ich finde den Gedanken der eigenständigen Schule gut. Aber Sie machen sich an der Stelle einen schlanken Fuß. Wenn wir wollen, dass Schulrektoren stärker zu Managern der Schule werden und mehr Autonomie erhalten, müssen wir eine Entlastung für die Schulleitungen einbringen. Dazu habe ich keinen einzigen Haushaltsantrag gesehen. Da war die FDP bei der Frage flexibler Einschulungen durchaus fairer; das ist im Haushaltsgesetz entsprechend begleitet worden. pbOn, also die Frage, welche Lehrerinnen und Lehrer die Schulen auswählen, gibt mehr Autonomie für die Schulen - das ist ein richtiger Schritt gewesen -, aber die Schulleitungen klagen darüber, wie viel Zeit diese neue Autonomie frisst. Darüber müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen; an der Stelle drücken Sie sich weg.

(Heike Franzen [CDU]: Es drückt sich kein Mensch weg!)

Sven Krumbeck hat an einem Punkt den Finger in die Wunde gelegt, das ist das Thema Inklusion. Dass wir den Ressourcenvorbehalt nicht abschaffen, tut vielen von uns in der Seele weh. Ich bedanke mich aber ausdrücklich bei Frau Wende und Frau Alheit, die mit den kommunalen Landesverbänden - anders als die Vorgängerregierung - konstruktiv nach tragfähigen Lösungen im Bereich der Inklusion suchen. Herr Callsen, dass das Thema Inklusion den Schulen unter den Nägeln brennt, ist nicht erst seit heute so. Da gab es lange Zeit eine Entwicklung, die politisch nicht besonders gut begleitet wurde.

Wir lassen die Förderzentren als Schulform weiter bestehen. Das ist auch im Koalitionsvertrag so festgelegt. Ich wünsche mir bei der Zusammenlegung oder Verkleinerung von Förderzentren - das sage ich in Richtung Verwaltung - ein bisschen weniger Tempo, bis wir wissen, in welche Richtung das gehen kann.

Uns Grüne freut besonders die Entwicklung beim Thema kleine Dorfschulen. Wir haben drei Verbesserungen. Erstens senken wir die Mindestgröße auch für Gemeinschaftsschulen. Das ist gut für die Schulen im ländlichen Raum.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Zweitens haben wir mehr Flexibilität für kleine Grundschulen. Kurze Beine, kurze Wege, das sind bei uns nicht nur Sonntagsreden, sondern wir tun etwas. Drittens stellen wir sogar Mittel über den

(Anke Erdmann)

EU-Strukturfonds bereit - was übrigens auch die alte Landesregierung hätte tun können, wenn es ihr wichtig gewesen wäre.

(Beifall Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Zur Aufregung über das Thema Schulartempfehlung, einmal davon abgesehen, dass das Thema Schulartempfehlung - damit wir alle wissen, worüber wir abstimmen - im Schulgesetz gar nicht verändert wird. Dieser Punkt taucht an einer Stelle auf, da bleibt er erhalten, und da geht es um die Frage, welche Kompetenz die Klassenkonferenzen haben. Da steht drin: Die entscheiden über die Schulartempfehlung. Das haben wir als Koalition ganz klar so drin gelassen.

Meine Damen und Herren, schon heute haben 80 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler Anrecht, auf das Gymnasium zu gehen. Es ist nicht so, dass die neue Koalition die Türen auf einmal weit aufmacht, die vorher geschlossen waren. 80 % haben eine Realschul- oder Gymnasialempfehlung und damit das Anrecht, auf einem Gymnasium angenommen zu werden. Wie viele nehmen diese Option tatsächlich in Anspruch? - Das sind 40 %.

Wer sich hier aufregt, das sei das Ende des Gymnasiums, der muss sagen, ob wir Haupt- und Realschulempfehlungen weiter bestehen lassen wollen, obwohl wir überhaupt keine Haupt- und Realschulen mehr haben? - Das wäre doch wirklich absurd.

Die andere Möglichkeit - ich sage das, weil hier gerade so viel über Freiheit gesprochen wird - ist nur, den Elternwillen massiv einzuschränken. Wir hatten dazu im Bildungsdialog eine Arbeitsgruppe, die auch Ergebnisse vorgelegt hat. Die waren aber der breiten Mehrheit von Eltern, Lehrervertretern und auch aus der Politik - wir waren parteiübergreifend eingeladen -, so würde ich es sagen, „nicht praktikabel“ genug. Das hätte wirklich für Unruhe gesorgt. Wir mussten eine Lösung finden. Die Analyse dieser Arbeitsgruppe war richtig.

Das wird auf dem Verordnungsweg geändert, das muss man auch sagen. Da werden natürlich - logischerweise - die Verbände, die Schulen und die Eltern einbezogen, bei der Frage, wie wir die Schulartempfehlung weiter gestalten. Wie die Beratung erfolgt, ist jetzt im Anhörungsprozess. Grundschullehrerinnen und -lehrer werden weiterhin die Eltern kompetent und richtig bei der Frage beraten, wohin ein Kind gehen soll.

Wenn dann ein Kind doch gegen den Rat der Lehrkräfte auf ein Gymnasium geht, kann doch das Kind nichts dafür. Dann ist es doch klar, dass wir wollen, dass sich die Lehrkräfte um dieses Kind besonders kümmern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist auch an den meisten Gymnasien schon Praxis. Fragen Sie einmal den Landeselternbeirat der Gymnasien, der bestätigt Ihnen das. Das, was hier Querversetzung genannt wird, klingt sehr glatt. Was bedeutet das? - Das sind Jugendliche, die erst einmal einen massiven Dämpfer bekommen. Das bedeutet für Eltern, wenn das Kind vom Gymnasium fliegt, dass man zu einem Zeitpunkt auf Schulsuche geht, zu dem die Plätze zum überwiegenden Teil vergeben sind, und es bedeutet, dass die neue Schule diese Kinder erst einmal aufbauen und dann in bestehende Lerngruppen integrieren muss. Das betrifft nach der letzten Schulstatistik rund 5 % des sechsten Jahrgangs am Gymnasium.

Wenn ich noch Zweifel gehabt hätte, ob es richtig ist, das ins Gesetz zu schreiben, dann muss ich sagen, dass mich die Pressemitteilung des Philologenverbandes vom letzten Freitag überzeugt hat. Darin wird gesagt, es sei zum Schaden unserer Schülerinnen und Schüler. - Wenn das zum Schaden ist, dass man genau hinschaut, bevor man ein Kind von einer Schule auf die andere schickt, dann muss ich sagen, es ist richtig, was wir tun.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ralf Stegner hat darauf hingewiesen: Wir hatten an der Stelle ganz andere Pläne. Wir wollten sie komplett abschaffen und haben sie jetzt bewusst und nach Beratung so im Gesetz gelassen - mit einer Klarstellung, die in vielen Bereichen und Schulen schon klar ist.

(Zuruf Heike Franzen [CDU])

Ganz wichtig ist für mich der Punkt: Ein Schulgesetz allein macht natürlich keine gute Schule. Die Ressourcenfrage steht ganz oben an. Es gibt einen Lehrermangel, das bestreitet keiner. Inklusion ist auch ein Thema.

(Zuruf Heike Franzen [CDU])

- Wir sind immer noch besser als Sie, Frau Franzen, wo Sie gerade dazwischenrufen.

Bei der Inklusion haben wir ganz wichtige Punkte zu lösen. Der Kinderschutzbund und die GEW machen auf das Thema Lehr- und Lernmittel aufmerksam. Wir haben sehr viele Baustellen. Ich bin froh,

(Anke Erdmann)

dass wir im Bereich der Lehrerausbildung den nächsten großen Brocken anpacken.