Protokoll der Sitzung vom 24.01.2014

Bitte schön.

Herr Kollege, Sie haben sehr stark auf die Vorzüge des freien Handels abgestellt und auf die Arbeitsplätze, die dadurch entstehen können. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen folgender Hintergrund bekannt ist. Im Jahr 2008 hat man versucht, in einer Welthandelsrunde neue Handelsregeln auszuhandeln. Das ist aber vor allem daran gescheitert, dass die USA und teilweise auch Europa den Entwicklungsländern keinen Zugang zu ihren

Agrarmärkten gewähren wollten. Das heißt, sie wollten in diesem Bereich ihre hohen Subventionen aufrechterhalten. Umgekehrt wollten sie aber gern ihre subventionierten Produkte möglichst ohne Schranken in Entwicklungsländer beziehungsweise wirtschaftlich schwächere Länder exportieren.

Sehen Sie es vor diesem Hintergrund nicht als Problem an, dass die USA jetzt versuchen, mit einzelnen ausgewählten Staaten ihre Interessen auf anderem Wege bilateral durchzusetzen? Das würde zu einer Zersplitterung führen. Im Interesse des Welthandels kann man also kein Interesse daran haben, die Beibehaltung dieser protektionistischen Regelungen weiterhin zuzulassen.

Ich bin froh, dass Sie diese Frage gestellt haben; denn jetzt haben wir den Kern des Problems erreicht. Hierzu brauche ich aber einige Minuten Zeit, um Ihnen das aus unserer Sicht zu erläutern. Ich will dazu aber nur zwei bis drei Anmerkungen machen.

Die Märkte haben sich in eine Richtung entwickelt, wie man es im Jahr 2008 oder vor zehn Jahren noch gar nicht erwartet hätte. Nach wie vor wird behauptet, wir - egal ob Amerikaner oder Europäer - überschwemmten mit unseren billig hergestellten Agrarrohstoffen die Märkte in den Entwicklungsländern. Den Statistiken ist jedoch zu entnehmen, dass dies zum Glück nicht stimmt. Heute sehen die Märkte ganz anders aus. Heute ist die Nachfrage in den Schwellenländern am größten, wo man sich die Lebensmittel auch kaufen kann, die aus unserer Sicht mit den größten Qualitätsstandards hergestellt werden. Insofern laufen die Handelsströme genau umgekehrt.

Jetzt kommen Sie wahrscheinlich mit dem Beispiel, dass die Reste aus der Hähnchenproduktion, die wir nicht essen wollen, nach Afrika gehen. Dennoch ist der Markt heute ein anderer. Die Märkte sind hoch spezialisiert und auf den Export ausgerichtet. Die Märkte nehmen diese Exporte natürlich auch auf.

Wir diskutieren jedes Mal wieder über Indien. Wir diskutieren jedes Mal über die Chinesen. Wir diskutieren aber auch über Südamerika und letztlich auch über Schwellenländer aus Afrika und aus dem arabischen Raum. Dort nimmt man unsere Produkte mit Dank auf. Dazu gehören auch die Produkte aus den USA. Daher besteht diese Angst, die Sie vielleicht aus dem Jahr 2008 geschildert haben, heute

(Heiner Rickers)

nicht mehr. Im Gegenteil, ich habe vorhin versucht, dies kurz anzuschneiden. Wir werden in Zukunft eher andere Märkte erleben. Die Chancen, dass wir die Welt mit hochwertigen und in der Gesellschaft abgestimmten Qualitäten bedienen können, sind eher größer als die Angst vor dem, was Sie hier eben aufzubauen versucht haben.

(Beifall CDU)

Ich habe das vorhin zu erklären versucht: Die Bezeichnung bilateral erlaubts angesichts der Anzahl der betroffenen Menschen, nämlich von 500 Millionen Europäern und über 300 Millionen US-Amerikanern, womit 800 Millionen Menschen und 15 % der Weltbevölkerung umfasst sind, aus meiner Sicht nicht mehr, von bilateralen Verhältnissen zu sprechen. Das ist ein großer Markt, auch wenn Sie sagen, die Europäische Union ist das eine, und die USA das andere. Bilateral würde ich also anders definieren, wenn Sie ein so großes Potenzial wie diesen Markt haben. Hier gilt es, durch gleiche Standards, die - hier sind wir gar nicht anderer Meinung - hoch sein müssen, in irgendeiner Form Effekte zu erwirken, die nur positiv sein können. Warum soll man Beschränkungen auferlegen und Rohstoffe vergeuden für Standards und Vorgaben, die man eigentlich gar nicht braucht?

(Beifall CDU)

Ich möchte Ihnen nicht widersprechen. Die Grundstandards müssen hoch sein. Ich muss Ihnen aber insofern widersprechen, als ich nicht glaube, dass die Amerikaner versuchen wollen, den europäischen Markt mit ihren Lebensmitteln zu überschwemmen. Wenn Sie die Statistik lesen, dann sehen Sie, dass der Anteil amerikanischer Produkte, die wir importieren, heute um ein Fünffaches größer ist als das, was wir an Lebens- und Futtermitteln erhalten.

Herr Abgeordneter, ich bin sehr großzügig. Ich habe Sie Ihre Redezeit um 1 Minute und 20 Sekunden überziehen lassen, aber auch die Antworten dürfen eigentlich nur 1 Minute dauern. Hier habe ich Ihnen 3 Minuten gegönnt. Ich finde, wir sollten jetzt andere Redner zu Wort kommen lassen.

Herzlichen Dank, sehr gern.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, ich muss die Zeit nicht wie beim letzten Mal durch zwei teilen. - Wir hatten schon bei anderen Landtagsanträgen zur EUPolitik, wie vor einem Jahr zur Frage des Wassers, diese Situation: Wir stellen einen Antrag im Landtag, und die Kommission reagiert. So ist es auch dieses Mal geschehen. Der EU-Kommissar hat die Verhandlungen zum Investitionsschutzabkommen zunächst einmal für drei Monate ausgesetzt. Das ist ein erster Erfolg.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das ist ein erster Erfolg der Zivilgesellschaft, die sich intensiv seit über einem halben Jahr mit diesem Freihandelsabkommen auseinandersetzt. Es ist auch ein Erfolg der Demonstrationen am letzten Wochenende in Berlin. Dort haben bei etwas besserem Wetter immerhin 30.000 Bürgerinnen und Bürger sehr klar Position dazu bezogen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Worum geht es in dem Abkommen? - Der Kritikpunkt Nummer eins ist: Wir wissen gar nicht genau, worum es im Einzelnen geht. Es ist vorhin bereits gesagt worden: Nicht einmal die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Europaparlament oder im Bundestag wissen, worum es geht. Die Begründung lautet: Wir brauchen eine starke Verhandlungsmacht; darum müssen wir geheim verhandeln. Dies ist vor dem Hintergrund der NSASkandale ein Witz. Wir brauchen in dieser Frage transparente Verhandlungen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und PIRATEN)

Um es ganz klar zu sagen: Niemand ist gegen den Freihandel. Keiner will antiamerikanische Töne verbreiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und PIRATEN)

Es ist auch keiner dagegen, Steckdosen anzupassen. Bei einem Punkt jedoch bin ich ein bisschen vorsichtig: Wenn die Sirenentöne angepasst werden, dann wissen wir nicht mehr, ob wir einen Holly

(Heiner Rickers)

wood-Krimi oder einen Tatort sehen. Das sollten wir noch einmal überlegen.

(Heiterkeit)

Immerhin wissen wir, dass mit dem Abkommen zwei Ziele verfolgt werden: Das erste Ziel ist der Abbau von Handelshemmnissen, das zweite Ziel ist der Schutz von Investoren. Im Zusammenhang mit den Handelshemmnissen wissen wir: Die Zölle stehen in der Diskussion immer obenan. Es gibt im transatlantischen Handel aber kaum noch Zölle. Darüber brauchen wir im Grunde nicht zu reden. Es geht also im Grunde um die tarifären und nicht tarifären Handelshemmnisse. Es geht also um Qualitätsstandards bei der Erzeugung und für die Verbraucher, und hier prallen zwei Kulturen und zwei Systeme aufeinander. Ich denke, dies müssen wir uns bewusst machen.

Zu nennen sind zum Beispiel Qualitätsstandards, die den Zugang bestimmter Produkte auf einen Markt erschweren oder behindern. Dabei haben wir in der EU eine Vielzahl solcher Standards, die momentan verhindern, dass bestimmte Produkte unsere Supermärkte überschwemmen. Es ist bereits gesagt worden: Chlorhuhn, Klonfleisch, Hormonfleisch und Gentechnik; wir wollen, dass all dies nicht in die Supermärkte kommt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Von den Befürwortern des Abkommens wird behauptet, Verbaucherschutzstandards stünden vielleicht gar nicht zur Disposition. Wir lassen uns hier aber keinen Sand in die Augen streuen, denn für die USA machen die Verhandlungen nur Sinn, wenn sie dadurch auch einen Zugang zu Märkten bekommen, die sie bisher nicht haben. Es geht nicht nur um Lebensmittel, sondern es geht auch um Medizinprodukte, Chemikalienpolitik, Nanotechnik, Datenschutz, Finanzmarktregeln und den Schutz des geistigen Eigentums. Es geht um Kultur.

Es beruhigt mich nicht, wenn der EU-Handelskommissar jüngst in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagt, er werde kein Gesetz unterschreiben, das aus diesem Grund geändert wurde. Er kann sie sowieso nicht ändern, das wissen wir. Wir wissen aber zugleich, dass bestehende Gesetze in ihrer Wirksamkeit unterlaufen werden. Es wird dann erst recht schwer oder sogar unmöglich sein, neue Standards zu setzen. Ein Beispiel dafür ist die Kennzeichnung von Produkten tierischer Herkunft oder das neue Politikfeld der Nanotechnik.

Das Abkommen soll auch einen umfangreichen Schutz von Investoren beinhalten. Die Klagemöglichkeiten der Konzerne würden damit ausgeweitet. Hier heißt es jetzt, das 20-jährige NAFTA-Abkommen war ein Segen für Nordamerika. Dem möchte ich drei Beispiele entgegenhalten: Die Tortilla-Krise wurde dadurch verursacht, dass mexikanische Bauern ungeschützt an die Wand gedrückt werden konnten, weil billiger amerikanischer Mais nach Mexiko eingeführt wurde. Ein zweites Beispiel: 169,18 Millionen € musste der mexikanische Staat an die großen Konzerne ADM und Cargill zahlen, die Mexiko verklagt haben, weil man im Zusammenhang mit Fruchtzucker Standards gesetzt hatte. Dies hatte etwas mit der Zahngesundheit zu tun. Diese Summe musste bezahlt werden, dazu wurde man dort verdonnert. Das war also bei Weitem kein Segen. Ein drittes Beispiel: Quebec wurde verklagt, weil man beim Fracking Standards gesetzt hatte. Dafür musste ordentlich bezahlt werden, und man konnte das Fracking nicht verhindern. Das sind Beispiele zur Wirklichkeit. Das Beispiel Vattenfall wurde bereits genannt.

Als einen Freifahrtschein jenseits geltender Gesetze und eine Entmachtung nationaler Justizsysteme bezeichnet es der „Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe, wenn wir diese Investitionsschutzabkommen so bekommen, wie es angedacht ist. Es geht also um nicht weniger als um die Sicherung heutiger und zukünftiger gesellschaftlich errungener Standards und das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Parlamente hier bei uns in Europa und in den USA.

Ich bitte darum, über den Antrag im Ausschuss noch einmal genau zu beraten. Es wäre sehr gut, wenn wir mit großer Übereinstimmung beschließen könnten, um ein deutliches Signal nach Berlin und Brüssel zu geben und der Landesregierung bei einer anstehenden Entscheidung den Rücken zu stärken, denn sie wird im Bundesrat abstimmen. Um es deutlich zu sagen: Es kann nicht sein, dass wir hier einen kalten Staatsstreich durch die kalte Küche zulassen, indem wir dieses Abkommen so durchmarschieren lassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.

(Bernd Voß)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Juni 2013 gibt es zwischen der Europäischen Union und den USA Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Ziel ist es, Handelshemmnisse, Zölle, bürokratische Regelungen und Investitionsbeschränkungen abzubauen. Bereits heute finden rund 40 % des Welthandels zwischen der Europäischen Union und den USA statt. Durch einen erfolgreichen Abschluss des Abkommens soll dieser Anteil weiter gesteigert werden. Das Bruttoinlandsprodukt der gesamten EU könnte dadurch um ein halbes bis ein Prozent erhöht werden. Für einen Kontinent, dessen Staaten sich derzeit mit nur einer Ausnahme, nämlich Deutschland, in einer wirtschaftlichen Krise befinden, wäre dies sicher eine erfreuliche Entwicklung.

Andererseits gibt es bei dieser Sache auch eine erhebliche Schattenseite. Diese ist im Antrag der Regierungsfraktionen - wie ich finde, zu Recht - angesprochen worden. Obwohl die EU-Kommission in mehreren Erklärungen deutlich gemacht hat, dass die hohen europäischen Standards in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Sicherheit, Schutz der Privatsphäre sowie Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz gewahrt werden sollen, und diese Erklärung gibt es, sind in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit erhebliche Bedenken dahin gehend geäußert worden, dass genau dies nicht gesichert sei. Die mangelnde Transparenz, die den Verhandlungsprozess in den letzten Monaten geprägt hat, nährt solche Befürchtungen.

Amerikanische Chlorhühner und ähnliche Erzeugnisse der US-Lebensmittelindustrie auf europäischen Tellern; das wäre in der Tat genauso wenig tragbar wie die illegale Verabreichung von durch das schleswig-holsteinische Umweltministerium an Behördenkantinen verkauftem und somit an Landesbedienstete verabreichtem Laborkäse.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, die EU-Kommission hat nun vor drei Tagen auf die öffentliche Kritik reagiert und die Verhandlungen mit den USA teilweise ausgesetzt, nämlich für den Bereich Investitionsschutz. Ob man damit aber die Sorge, das Freihandelsabkommen könnte europäische Regelungen im Umwelt- und Verbraucherschutz aushebeln, wirklich ausräumen kann, halte ich für zweifelhaft.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Die FDP-Fraktion teilt die Bedenken, die der Antrag der Regierungsfraktionen formuliert und unter

stützt auch die darin erhobenen Forderungen. Vor einer Verabschiedung wäre es aber auch unseres Erachtens sinnvoll, dass wir über das Thema mit Vertretern der Landesregierung im Ausschuss beraten können. Der Antrag der Regierungsfraktionen erscheint uns im Übrigen vernünftiger als der Änderungsantrag der Piratentruppe.

(Zurufe)

Es ist sinnvoller, den Abschluss des Freihandelsabkommens an unverzichtbare Bedingungen zu knüpfen, als ein solches Abkommen generell abzulehnen. Von daher ist der Ansatz im Antrag der Regierungsfraktionen aus unserer Sicht vernünftiger als die Formulierung, die die PIRATEN in ihrem Änderungsantrag gewählt haben.