Protokoll der Sitzung vom 19.02.2014

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

ein Europa, das solidarisch mit all denen umgeht, die unsere Hilfe brauchen, beispielsweise bei Flüchtlings- und Asylfragen; ein Europa, das es ernst nimmt, dass Menschen nicht aus Jux und Tollerei ihre Heimat verlassen und dass man sie auch

(Volker Dornquast)

entsprechend behandeln muss, wenn sie zu uns kommen, und schließlich ein Europa, das Rechtspopulisten keinen Platz lässt, weil es sich für Toleranz und Vielfalt einsetzt und so nationalen Populisten die Grundlage entzieht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein europäisches Grundrecht. Die Bürgerinnen und Bürger profitieren von ihr ebenso wie die Gesellschaft als Ganzes. Das hat das für mich außerordentlich erschreckende Ergebnis der Befragung in der Schweiz gezeigt. Eine knappe Mehrheit der Menschen ist dort den dumpfen Parolen der Schweizerischen Volkspartei und anderer Gruppen gefolgt. Der Titel „Gegen Masseneinwanderung“ ist an Absurdität eigentlich nicht zu überbieten.

Wir wissen sehr genau, dass solche Ängste nicht nur in der Schweiz bestehen, sondern auch in vielen EU-Mitgliedstaaten, in denen rechtspopulistische Parteien zur Europawahl antreten und zum Teil leider sehr gute Chancen haben, ins Europäische Parlament einzuziehen, weil sie mit diesen Ängsten vor Überfremdung und der Verunsicherung vieler Bürgerinnen und Bürger angesichts einer sich schnell verändernden Wirklichkeit im globalisierten und digitalen Zeitalter spielen und diese gezielt ansprechen. Gerade in diesem für Europa so wichtigen Wahljahr müssen wir uns fragen, worauf sich die Ängste der Bürgerinnen und Bürger eigentlich gründen.

Eine einfache Antwort darauf gibt es sicherlich nicht. Ich glaube aber, dass es etwas damit zu tun hat, dass wir in der Vergangenheit die Kräfte auf dem freien Markt und den Marktradikalismus zu zügellos haben walten lassen. Wenn Menschen den Eindruck haben, es gehe bei der Vereinigung Europas darum, Banken zu retten und Profite für Unternehmen zu erwirtschaften; wenn Menschen den Eindruck haben, dafür gehe die Sicherheit der Sozialsysteme verloren, gute Arbeitsbedingungen würden aufgegeben und sie würden in der Krise alleingelassen, dann ist dies eine Basis für rechtspopulistische Erfolge, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deshalb muss es darum gehen, europäische Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsstandards zu formulieren. Gute Arbeit europaweit muss wichtiger Bestandteil eines EU-Binnenmarktes werden. Ich bin sehr froh, dass das Arbeitsprogramm der

Europäischen Union dazu einige wichtige Initiativen enthält.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Kommission plant, die Mobilität der Arbeitskräfte zu verbessern. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung sowie der Grundsatz der gleichen Entlohnung für Frauen und Männer gehören auch dazu.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die bessere Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt, aber auch die Nutzung des Potenzials älterer Menschen gehören ebenso dazu wie die Bedeutung von Forschung und Innovation für unser Wachstum.

Die Stärkung des sozialen Zusammenhalts muss vorrangiges Ziel aller europäischen Initiativen sein. Nur so können wir Vorbehalten und Ängsten begegnen und angesichts einer Krise, was Europa angeht, etwas dagegen unternehmen. Wir müssen deutlich machen, dass Vielfalt bereichert. Wir haben aber zu wenig Vielfalt und zu viel Einfalt.

Ich glaube übrigens auch, dass wir unseren Menschen durchaus vermitteln können, dass ein Land wie Deutschland zum Bespiel sehr stark von der Europäischen Union profitiert. Wir sollten nicht diese blöde Nettozahlerdebatte führen, sondern eine, die sagt, wie viele Arbeitsplätze daran hängen, übrigens auch daran, dass es unseren Nachbarn gut geht. Deshalb ist es falsch, mit Vorbehalten gegen Griechen und andere zu operieren. Es ist übrigens auch falsch, dass die griechischen Rentner oder andere dafür zahlen sollen, dass andere milliardenschwere Konten in der Schweiz unterhalten und wir nichts dagegen unternehmen. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ein besonders wichtiges Thema ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Auch dies dient übrigens der Bekämpfung des Rechtspopulismus. Ich lese, die CDU möchte innerhalb der EU zur Verfügung gestellte Mittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit von rund 6 Milliarden € nutzen, um im Rahmen einer Kooperation mit einer spanischen Region Mittel für Schleswig-Holstein zu akquirieren. Hierfür soll das Land Programme für eine Ausbildung der Jugendlichen aufstellen. Den Grundgedanken begrüßen wir, Herr Kollege Dornquast. Aber ich will Ihnen sagen, warum wir einen Änderungsantrag vorlegen mussten.

(Dr. Ralf Stegner)

Erstens. Die Mittel, die die EU zur Verfügung stellt, sind zweckgebunden an eine Jugendarbeitslosigkeit von mindestens 25 % und damit in erster Linie den südeuropäischen Staaten vorbehalten, die eine hohe Arbeitslosenquote bei Jugendlichen unter 25 Jahren haben. Ich finde, hier sind die Mittel auch gut aufgehoben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zweitens. Es macht keinen Sinn, die wenigen Mittel auf alle EU-Staaten zu verteilen, die Jugendliche aus diesen Staaten unterstützen - auch deshalb nicht, weil wir auf diese Weise keine Lösung für die strukturellen Probleme in einigen Ländern erarbeiten. Ich möchte nicht, dass Deutschland durch mehr Militäreinsätze seine wichtige Rolle wahrnimmt, wie ich das immer höre, sondern durch mehr Solidarität mit anderen. Das ist die Aufgabe, die das reiche Deutschland in Europa hat.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Drittens gibt es in Schleswig-Holstein bereits in Kooperation mit den zuständigen Kammern Ausbildungsinitiativen für junge Menschen aus südeuropäischen Staaten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit aufgrund der europäischen Krise besonders hoch ist. Das funktioniert doch ganz gut.

Tatsächlich gilt es, nachhaltig etwas zur Verbesserung der Situation zu tun. Unser duales Ausbildungssystem als Vorbild oder auch Konjunkturpakete können hier helfen. Übrigens will ich einmal deutlich sagen: Diejenigen, die ständig für Austeritätspolitik in Europa sind, vergessen, dass Deutschland deswegen gut durch die Krise gekommen ist, weil wir eben just ein solches Konjunkturprogramm für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland aufgelegt haben. Das ist der Punkt, über den man hier reden muss, wenn man darüber spricht, wie die Krise in Europa zu bewältigen ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben mit solchen Instrumenten gute Erfahrungen gemacht. Ich bin sicher, man kann sie auf andere übertragen. Vorbedingung ist aber das endgültige Aus für die Austeritätspolitik.

Ich muss ihnen ehrlich sagen: Kaum haben wir einen anderen Außenminister, kann man schon merken, dass das in Europa wirkt und dass die Seriosität in der deutschen Außenpolitik zurück ist.

(Beifall SPD)

Das finde ich gut. Das zeigt, dass Veränderungen dringend notwendig gewesen sind.

Im Übrigen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Meinung, dass wir eine Jugendgarantie brauchen. Alle jungen Menschen sollen das Recht auf eine qualifizierte Ausbildung haben. „Verlorene Generationen“ können wir uns nicht leisten. Menschen, denen man in erster Linie sagt: „Wir brauchen dich nicht“, sagen doch: „Ihr könnt uns mit eurer Demokratie gestohlen bleiben.“ Das ist die große Gefahr. Der müssen wir begegnen, indem wir in die Zukunft unserer jungen Menschen investieren und ihnen eine zweite oder dritte Chance geben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Grenzüberschreitende Verbundsausbildungen als Qualitätsoffensive beispielsweise in der deutschendänischen Region, die einfache Anerkennung von Abschlüssen sowie ausreichende Fremdsprachenangebote haben wir längst als zentrale Bestandteile identifiziert. Sie sollen uns helfen, unsere Jugend zu fördern, Ungleichheit in Europa zu bekämpfen und zugleich dem Rechtspopulismus die Grundlage zu entziehen.

Ich will Ihnen ehrlich sagen: Wenn man mit solchen Leuten, die da professoral auftreten, zusammensitzt und mit ihnen diskutiert, stellt man fest, dass es in Wirklichkeit Brandstifter sind, die sich als Biedermänner tarnen, die nur von den Ängsten leben, die sie schüren. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen, aber wir müssen ihnen mit ernsthaften Antworten begegnen und nicht mit Parolen, dumpfen Vereinfachungen und übrigens auch nicht mit Ja-Nein-Abstimmungen über Fragen, über die man so nicht abstimmen kann. Wir sind als Ergänzung der repräsentativen Demokratie für mehr Bürgerbeteiligung, aber nicht mit der Frage: „Sind Sie für oder gegen Ausländer, wo kann ich unterschreiben?“, wie wir das in Hessen schon einmal erlebt haben. Das ist unselig. Das schädigt unsere Demokratie. Das ist gegen die Jugend gerichtet. Das ist wirklich falsch.

Schleswig-Holstein sollte sich als ein Teil Europas einbringen, der durchaus von dem profitiert, was wir haben. Deswegen bitte ich Sie, unseren Anträgen zuzustimmen. Ich glaube, dass sie in die richtige Richtung gehen, dass sie genau das tun, wofür Deutschland gefragt ist: als besonders reiches Land in Europa mit unserer Geschichte unsere Verantwortung wahrzunehmen für die jungen Menschen in Europa, für die Zukunft eines friedlichen, eines

(Dr. Ralf Stegner)

zentralen Europas, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir Schülerinnen und Schüler des SophieScholl-Gymnasiums Itzehoe. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Ach Europa!“ heißt das Buch des scharfsinnigen Beobachters Hans Magnus Enzensberger aus den 80er-Jahren. Darin wundert er sich über die Entwicklung seines, unseres Kontinents, er bestaunt sie zugleich, er fürchtet und begrüßt sie. Ach Europa! Für mich als flüchtlingspolitische Sprecherin ist Europa manchmal zum Verzweifeln. Die Festungsmauern an Europas Grenzen, sie passen so gar nicht zu dem Bild von Humanität, Freiheit und Lebenschancen, das wir gewillt sind, von der EU zu haben und zu verteidigen.

Ach, Europa! Manchmal sind die Entscheidungen, die aus der europäischen Gesetzgebung hervorgehen, überhaupt nicht so, wie ich mir das wünsche. Das jüngste Beispiel vom Genmais ist uns allen sicher noch in Erinnerung. Die Mehrheit unserer Bevölkerung lehnt den Genmais ab. Nicht nur wir Grünen hatten an dieser Entscheidung der EU schwer zu schlucken. Wir dürfen jedoch nicht vergessen: Das Gesetz mag den Brüsseler Institutionen entsprungen sein, der ausgebliebene Widerstand dagegen ist jedoch eine Berliner Stilblüte. Das war leider ein Versagen der Großen Koalition.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Ach, Europa, sagen viele, die um ihre wirtschaftliche Zukunft bangen und nicht wissen, wie lange sie noch Arbeit haben werden, wie lange ihr Unternehmen noch bestehen wird oder wie sicher ihre Altersvorsorge ist. Dabei wird jedoch viel zu häufig übersehen, dass die derzeitige und vor allem im Süden grassierende Krise eben keine Krise Europas

ist, sondern ihren Ursprung in katastrophalen Versäumnissen in unzähligen Bankhäusern hat. Die EU und ihre Bürgerinnen und Bürger arbeiten diese Versäumnisse gerade Stück für Stück ab. Das Feld der Bankenregulierung wird von einigen sehr engagierten Menschen im Europäischen Parlament beackert, und peu à peu werden wichtige Schritte zu einer einheitlichen Wirtschaftsregierung vorangetrieben.

Schließlich sagen die Menschen überall, auch hier in Schleswig-Holstein, wenn ein genauerer Blick darauf fällt, welche Programme derzeit durch die Europäischen Strukturfonds in Schleswig-Holstein gefördert werden: Ach, das ist auch die Europäischen Union. Bis in das Jahr 2020 hinein werden viele Hundert Millionen € in unser Land fließen, die uns bei der Umsetzung der Energiewende und der Stärkung unseres Wettbewerbsstandorts sowie bei der Bewältigung des demografischen Wandels helfen sollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein ist ein großer Profiteur europäischer Solidarität. Als Europäerin und als Landespolitikerin sehe ich es als meine Aufgabe an, diese Botschaft immer wieder zu verbreiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Europa heißt nichts anderes als Solidaritätsgemeinschaft. Auch der vorliegende Antrag der CDU hat viel mit der Idee europäischer Solidarität zu tun. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit lässt die EU auf den ersten Blick in keinem guten Licht dastehen. Über 50 % der jungen Menschen unter 25 Jahren sind im Süden unseres Kontinents derzeit vergeblich auf der Suche nach Ausbildung, Arbeit und Perspektive. Da geht es vermutlich vielen aus dieser Generation hier in Schleswig-Holstein anders. Die Krise der europäischen Wirtschaft und des Euros wirkt hier häufig als Schreckgespenst. Dieser Tage hören wir sowohl von linker als auch von rechter Seite, wie gegen den Fortbestand des Euros polemisiert wird. Doch die gegenteilige Antwort ist richtig: Die Gestaltungskraft der EU ist mit Blick auf die Arbeitslosigkeit einer halben Generation kein Teil des Problems, sondern die Lösung.

Liebe Kollegen Damerow und Dornquast, wir stehen in dem Bestreben, jungen Europäerinnen und Europäern eine Perspektive zu geben und zu helfen, einen Weg aus der Arbeitslosigkeit heraus zu finden, auf der gleichen Seite. Auch wir sind offen da