Protokoll der Sitzung vom 19.02.2014

Die Definitionen in den genannten Paragrafen wurden 1941 eingefügt. Federführend war damals Roland Freisler, der später Präsident des Volksgerichtshofs wurde, also Präsident des höchsten Gerichts des NS-Unrechtsstaates. In unzähligen Schauprozessen machte er sich - ich zitiere aus einem ihm gegoltenen Nachruf vom Februar 1945 zum „Vorkämpfer für die Neuregelung unseres Rechts“. Unter seiner Leitung wurde der Volksgerichtshof zu einer wahren Vernichtungsmaschine. Er schuf durch Rechtsetzung Unrecht.

Im Zentrum der Definition von 1941 steht nicht die Frage nach der Tat, sondern der Täter steht primär im Fokus, ein sogenannter Tätertyp, der ausschließlich biologisch gedeutet wird. Man wollte damit die Darstellung eines Menschen, der als Mörder galt und als solcher geboren wurde, nicht nur anschaulich, sondern auch für das ganze Volk im Sinne der NS-Ideologie verständlich machen.

Freisler selbst lobte die vermeintliche Flexibilität sowie die nach seiner Auffassung neu gewonnenen Handlungsspielräume, die nach diesen Vorschriften für die entsprechenden braunen Richter geschaffen wurden. Wir wissen alle, was dabei herausgekommen ist.

Ein Mörder ist demnach,

„wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet“.

Dabei ging man nicht von der Tat, sondern vom Mörder aus. Des Totschlags hingegen ist schuldig, wer „einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein“, also ohne nach der nationalsozialistischen Definition Mörder zu sein.

Für uns vom SSW ist es wichtig, dass wir uns von einem solchen Gedankengut ganz klar distanzieren. Das tut dieser Staat natürlich auch.

(Vereinzelter Beifall SSW und PIRATEN)

Diese Sichtweise ist nicht nur menschenverachtend, sondern für uns als Demokraten schlichtweg unerträglich. In einem Gesetzestext haben Formulierungen wie ,,Der Mörder...“ oder ,,Mörder ist, wer...“ absolut nichts zu suchen.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, dies zu ändern. Viel zu lange hat man sich nicht getraut, dieses Kapitel aufzuschlagen. Es ist gut, dass die Initiative zur Umformulierung von unserer Ministerin aus Schleswig-Holstein kommt. Diese NS-Altlast im Strafgesetzbuch müssen wir endlich abwerfen.

Ich finde, das ist wirklich eine tolle Initiative. Ich glaube, das ist eine Initiative, die dazu beitragen kann, junge Menschen wieder für die Demokratie zu begeistern. Dann wird deutlich, dass man sich an solche Dinge heranwagen und mit diesem alten Gedankengut aufräumen kann. Ich glaube, das ist ein Zeichen, das von diesem Landtag beziehungsweise von dieser Landesregierung ausgeht, das diesem Land guttut. - Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall SSW, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Barbara Ostmeier das Wort.

(Lars Harms)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Spoorendonk, vielen Dank für Ihren Bericht zu Ihrer Bundesratsinitiative. Darin haben Sie uns noch einmal vor Augen geführt wie im Innen- und Rechtsausschuss auch -, welch hohe Priorität dieses Thema für Sie hat und welche Bedeutung dieses Thema für Sie als Justizministerin hat. Dies haben Sie damals bereits deutlich zum Ausdruck gebracht.

Ich finde es gut und richtig, dass der Bundesjustizminister zwischenzeitlich angekündigt hat, zu diesem Thema eine Expertenkommission einzusetzen, um eine fundierte Grundlage für die unbestritten erforderliche parlamentarische Diskussion zu schaffen; denn das Thema ist komplex. Für mich überraschend haben Sie vorhin sehr deutlich zum Ausdruck gebracht - anders als im Innen- und Rechtsausschuss -, dass es für Sie mit der rein redaktionellen Überarbeitung nicht getan sei. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Richtig ist, dass die genannten Vorschriften für Mord und Totschlag in der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte entstanden sind. Wichtig ist auch, dass mit Roland Freisler eine Person an der Formulierung dieser Vorschriften beteiligt war, die zu Zeiten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine wichtige Position innehatte. Ebenso richtig ist, dass sich in der Formulierung dieser Normen eine heute nicht vertretbare Tätertypenlehre wiederfindet.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Wir müssen aber auch bedenken - ich finde, das kommt zu wenig zum Ausdruck; das gehört aber zur Ehrlichkeit auch dazu -, dass gerade § 211 StGB, also der Mordparagraf, aufgrund seiner Mordmerkmale sehr komplex ist. Erst durch die Rechtsprechung der deutschen Gerichte - dies ist auch zu beachten - in der Nachkriegszeit wurden die Tatbestandsmerkmale inhaltlich ausgefüllt und ausdifferenziert. Die Rechtsprechung hat sie so angewandt, dass Bundesverfassungsgericht und die Rechtsprechung der Obergerichte die Tötungsdelikte als verfassungsgemäß anerkannt haben. Sie sind anerkannt verfassungsgemäß. Dies gilt es, bei der Debatte zu beachten. Wenn man redaktionelle Veränderungen an diesen Normen oder an den Rechtsfolgen vornehmen will, dann muss sichergestellt werden, dass ihr Anwendungsbereich, der verfassungsgemäß ist, unverändert bleibt.

Das Thema ist nun auf der Ebene angekommen, auf der es effektiv behandelt werden kann, nämlich auf

Bundesebene. Sie haben richtig gesagt, dort liegt die Gesetzgebungszuständigkeit. Dort wird man angemessene und durchdachte Entscheidungen vorbereiten und - ich hoffe - auch treffen. Nur der Vollständigkeit halber möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass man das Thema, wenn man es schon angeht, auch richtig angehen sollte. Die genannten Regelungen sind nämlich nicht die einzigen, in denen die Tätertypenlehre innerhalb des Strafgesetzbuchs zu finden ist. So findet sich in den §§ 252 und 255 StGB nach wie vor der Begriff des Räubers, und der Begriff der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ - Herr Peters wies darauf hin - in § 20 StGB ist zumindest auch einmal einer Beachtung wert.

Frau Justizministerin, wir wissen aus den vielen Debatten, die wir führen, und aus den Berichten im Innen- und Rechtsausschuss: Es gibt im Bereich der Justiz viele Baustellen. Auch der Koalitionsvertrag der die Regierung tragenden Fraktionen enthält für die Justiz einige weitere wichtige Themenfelder, denen wir uns widmen müssen.

Wir führen die Diskussion über die Überbelastung der Justiz oder die Arbeitshäufung dort immer wieder. Ich erinnere an die Lage beim Landgericht Kiel, bei dem nach wie vor mehr als 200 nichtterminierte Strafsachen liegen, unter anderem aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, bei denen Verjährung droht. Wir wissen, wie viel Anstrengungen dort erforderlich sind, um diese Arbeit zu bewältigen.

Ich erwarte von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie sich diesem Problem mit gleichem Engagement widmen und vielleicht Ihre Prioritätensetzung an der Stelle jetzt, da das Thema auf Bundesebene angekommen ist, noch einmal überdenken. Insoweit sollte sich die Landesregierung auch sehr genau überlegen, ob sie weitere personelle Kapazitäten in das Durchforsten von Gesetzestexten investieren möchte. In der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am 8. Dezember 2013 hat die Ministerin zumindest etwas in der Form anklingen lassen, indem sie die Initiative als Anstoß für weitere Arbeiten in dieser Richtung sah. Bei allem Verständnis für die Bedeutung dieses Themas für Sie habe ich Zweifel, ob ein solcher Personaleinsatz vor dem Hintergrund der im Land bestehenden Aufgaben die richtige Prioritätensetzung wäre und die Justizministerin damit ihrer Aufgabe, gerade auch die Interessen der schleswig-holsteinischen Justiz zu vertreten, gerecht werden würde. Wir werden den Gang der Initiative und die Ergebnisse des Bundesjustizministeriums interessiert weiter begleiten.

Aber aus meiner Sicht sollte das Thema für uns im Land damit erledigt sein. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treffen immer wieder auf die Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit unseres Landes. Zuletzt haben wir uns in diesem Parlament mit der personellen Kontinuität in Politik und Verwaltung befasst. In vielen Kommunen stehen Namensgebungen in der Diskussion, wie hier ein paar Meter weiter, die nach Herrn Hindenburg, wo es jetzt eine Änderung gibt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der war alles, nur kein Nazi!)

- Er hat aber Herrn Hitler mit ins Amt gebracht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das waren 40 % der deutschen Bevölkerung!)

- Deshalb muss man sich damit ja auch auseinandersetzen, Herr Kubicki. Es ist ja kein Freispruch von der Untat, dass sie von sehr vielen begangen wurde.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Genauso ist es, wenn ich einmal in meiner Nachbargemeinde Bad Schwartau unterwegs bin, liebe Sandra. Wenn ich von der Carl-Diem-Straße zur Rudolf-Harbig-Halle fahre, denke ich immer wieder, ich müsste von der Adolf-Hitler-Allee abbiegen, weil das vom Namen her gut passen würde.

Aber nicht nur über Menschen und ihre Taten wird gestritten, Herr Kubicki, sondern es geht auch um Begriffe. Manche Begriffe aus der NS-Zeit, beispielsweise sogar der der Daseinsvorsorge, welche aus der Feder des Nationalsozialisten Ernst Forsthoff stammen, gefallen meiner Partei unabhängig vom Erfinder. Die Herkunft dieses Begriffs wird allerdings - sogar ganz aktuell - zur Ablehnung von Rekommunalisierungen öffentlicher Aufgaben angeführt, wie beispielsweise gerade in der aktuellen Zeitschrift der Industrieund Handelskammer. Manche haben sie hier sicherlich zur Unterhaltung dabei. Herr Steen, Geschäftsführer der Firma RE

MONDIS Nord, führt zur Daseinsvorsorge aus nachzulesen auf Seite 1 der Februar-Ausgabe -: Dass dieser verwaltungstechnische Begriff eher unrühmliche historische Wurzeln hat, sei hier nur am Rande erwähnt. - Es ist also noch nicht alles vorbei. Man sollte seine Worte hier wirklich sorgfältig wählen.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es gut und richtig, dass die Justizministerin das Beseitigen von Altlasten im Strafgesetzbuch auf den Weg gebracht hat. Mit der Strafrechtsreform vom September 1941 lösten die Nationalsozialisten den bisherigen Mordbegriff ab, der auf Überlegung, also psychische Gesichtspunkte abstellte. Man orientierte sich an einem Tätertyp statt an einem Handeln, das im Gesetzbuch möglichst genau beschrieben ist. Lediglich entfernt wurde aus der NS-Zeit die Sanktion, nämlich die Todesstrafe - das wissen wir -, die durch lebenslange Freiheitsstrafe ersetzt wurde. Für die praktische Rechtsanwendung allerdings hatte der NS-Begriff keine Bedeutung.

Frühere Anläufe, die erforderliche Begriffsbereinigung durchzuführen, wurden nicht weiterverfolgt. Ursache dafür ist sicherlich - das ist hier schon angesprochen worden - die Diskussion um die Abgrenzung von Mord zu Totschlag sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und das zu verhängende Strafmaß bei einer Tat. Das würde nämlich ganz andere Fragen aufwerfen.

Daher ist die Initiative der Landesregierung zu begrüßen, das nicht nur sprachlich, sondern auch zeitgemäß und auch rechtssystemkonform zu überarbeiten. Zudem hat Bundesjustizminister Heiko Maas sich vorgenommen, diese Fragen endlich zu klären. Dafür gebührt ihm Respekt. Andere haben sich bislang davor gedrückt.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Der Deutsche Anwaltsverein schlägt darüber hinaus vor, die lebenslange Haftstrafe als absolute Strafandrohung abzuschaffen und nur noch einen Strafrahmen mit der lebenslangen Freiheitsstrafe als Obergrenze ins Gesetz zu schreiben. Das alles hat nun den bayerischen Justizminister - das ist schon angeführt worden - auf den Plan gebracht mit seiner Forderung, dass doch alles beim Alten bleiben solle. Er befürchte, dass die lebenslange Haftstrafe nun ganz zu Fall käme, was nach den bisherigen Stellungnahmen gar nicht so ist, wobei man meiner Ansicht nach darüber durchaus nachdenken müsste.

(Barbara Ostmeier)

Damit sind wir mitten in der Bundesjustizpolitik und damit auch in der Diskussion über die Höhe von Strafmaßen, dies auch vor dem Hintergrund der Dinge, die uns auch hier beschäftigt haben, nämlich die Entscheidungen über Regelungen zur Sicherungsverwahrung. Da sagt man ja auch, jemanden ewig wegzusperren geht so einfach nicht. Dauerhaftes Wegschließen von Personen ist - unabhängig von der Sinnfrage - angesichts der europäischen Rechtsprechung nicht einfach so zu machen und besonderen Anforderungen unterworfen.

(Beifall PIRATEN)

Genauso ist es eine Binsenweisheit, dass eine hohe Strafandrohung - erst recht bei Mord oder Totschlag - abschreckend wirkt. Die Rückfallquote ist bei Mördern am geringsten.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Das sollte nicht dazu führen, dass man sie alle wieder freilässt. Aber das muss bei dieser Diskussion tatsächlich einbezogen werden. Deshalb ist es gut, dass die von Heiko Maas angekündigte Expertengruppe - Herr Kubicki, vielleicht gehören Sie dazu; man weiß es ja nicht - eine auf diese beiden Paragrafen, aber auch auf andere Paragrafen - da hat Frau Ostmeier vollkommen recht - bezogene Strafrechtsreform auf den Weg bringt. Die Ergebnisse dazu werden tatsächlich spannend werden; denn da geht es auch um ganz andere Inhalte.

Das Grundanliegen, das Frau Spoorendonk hier formuliert hat, sollte dabei nicht in den Hintergrund treten, sondern als Selbstverständlichkeit aufgenommen werden. Etwas anders als meine Vorrednerin würde ich es schon für gut und wichtig halten, wenn über alle diskutierten Änderungsvorhaben rechtzeitig und umfassend im Innen- und Rechtsausschuss zumindest berichtet wird, Frau Ministerin, damit wir informiert sind und uns auch in diesen Prozess einbringen können. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Burkhard Peters das Wort.