Protokoll der Sitzung vom 11.04.2014

(Beifall PIRATEN)

Wie das den Namen Offensive auch nur annähernd verdient, möchte ich nicht wissen. Mit dieser Offensive kommen Sie - militärisch gesprochen nicht einmal aus der Kaserne heraus, Herr Minister.

(Heiterkeit und Beifall PIRATEN - Unruhe)

Ich komme jetzt auf das Thema Mitbestimmung zu sprechen, bei dem wir - wie gesagt - leider nahezu einen Totalausfall zu verzeichnen haben. Das Paradebeispiel hierfür ist sicherlich die feste Fehmarnbelt-Querung. Wir haben es hier schon unzählige Male gesagt, ich sage es auch heute gern noch einmal, dass die feste Fehmarnbelt-Querung eine demokratische Missgeburt ist, dass sie in einem Verfahren ohne Beteiligung der Menschen vor Ort beschlossen wurde, ohne deren Sorgen ernst zu nehmen, ohne dass überhaupt Klarheit über die Folgen hergestellt worden wäre, die Folgen für die Wirtschaft, aber auch für den Tourismus, für die Gesundheit der Menschen durch den Lärm, der damit einhergeht. Über die finanziellen Folgen, die erst jetzt scheibchenweise herauskommen, nachträglich einen Dialogprozess durchzuführen, ist zu spät, weil die entscheidende Frage von den Menschen nicht mehr beantwortet werden kann, nämlich ob sie dieses Projekt überhaupt wollen. Wir PIRATEN sagen: Lassen Sie uns dieses Projekt stoppen, bevor es endgültig zum Milliardengrab wird und uns die Mittel für wirklich sinnvolle Projekte in Schleswig-Holstein stiehlt!

(Beifall PIRATEN)

Ein weiteres Beispiel für die Ignorierung des Bürgerwillens bei der Verkehrsplanung sind die Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan. Weil meine Kritik daran seit ein, zwei Jahren offensichtlich ergebnislos ist, will ich einmal jemanden zitieren, auf den die Koalition, speziell die Grünen, vielleicht eher zu hören bereit sind, nämlich den BUND. Der hat in einer Studie die Anmeldung der Länder zum Bundesverkehrswegeplan untersucht und kommt für Schleswig-Holstein zu folgendem Ergebnis: In Schleswig-Holstein war die Fernstraßenanmeldung nach außen völlig undurchsichtig. Zudem ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung noch nicht einmal angedacht. Ebenso wurde eine Alternativenprüfung unterlassen.

„Das Ministerium in Kiel“

- Herr Minister, das richtet sich an Sie

„ist der Auffassung, mit einer Landtagsdrucksache der fertigen Liste die Öffentlichkeit genügend beteiligt zu haben.“

(Heiterkeit Uli König [PIRATEN])

(Dr. Patrick Breyer)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bei der Verkehrsplanung einen Bürgerbeteiligungsinfarkt sondergleichen zu verzeichnen. Man sollte vielleicht eher von einem „Bürgerbeteiligungsdauerkoma“ sprechen, weil der Patient seit Langem kein Lebenszeichen mehr von sich gibt.

(Beifall PIRATEN)

Lieder haben wir mit Verkehrsminister Meyer und dieser Koalition offensichtlich auch keinen Arzt, der eine Wiederbelebung auch nur versuchen könnte. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob ihnen überhaupt bewusst ist, dass eine solche Operation möglich wäre.

Wenn der von uns in jeder Debatte wieder angeprangerte Beteiligungsinfarkt derart klar von außen bescheinigt wird, bestärkt uns PIRATEN das darin, als einzige Fraktion den Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan eine Absage erteilt zu haben. Ihre Verweigerung einer transparenten und offenen Prüfung des Sinns, der Auswirkungen und der Kosten jedes Projekts, dass Sie Alternativen nicht ernsthaft prüfen, all das führt zu völlig realitätsfernen Forderungen und Plänen und zu dem Ergebnis, dass allein die vordringlichen Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan, das Volumen, das wir zu erwarten haben, schon um mehr als das Doppelte übersteigt. Die Politik verhält sich bei der Verkehrsplanung wie ein Gast im Sushi-Restaurant, der sich trotz vollem Mund jedes einzelne Törtchen, das auf dem Laufband an ihm vorbeifährt, auch noch greift. Gesundes Essverhalten sieht anders aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Koalition will jetzt ausweislich ihres Antrags zusätzlich zu all diesen schon bei Weitem überzeichneten Projekten gar noch den Tunnel unter dem Nord-Ostsee-Kanal bei Rade - möglichst in der Variante, die mehr als 1 Milliarde € kosten würde - bitte auch zusätzlich zum Bundesverkehrswegeplan finanziert haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie auf zu träumen! Das ist völlig unrealistisch, das können wir vergessen.

Herr Minister, auch der Idee einer Projektgesellschaft zur Umgehung der Schuldenbremse erteilen wir eine klare Absage. Infrastruktur ist eine öffentliche Aufgabe und muss öffentlich aus Steuermitteln finanziert werden.

Die verschiedenen Projekte, die man sich hier wünscht, graben sich gegenseitig das Wasser ab. Wenn wir allerdings dem Milliardenirrsinn der festen Fehmarnbelt-Querung ein Ende setzen würden, könnten die Mittel für einen Rader Tunnel, der durchaus sinnvoll sein kann, da sein. Nur muss man

dann eben Prioritäten setzen und kann kein Wunschkonzert mehr veranstalten.

Die FDP will ausweislich ihres Antrags Autobahnversatzstücke in die Landschaft setzen, offensichtlich um unsere Wiesen und Wälder besser zu erschließen. Ich glaube nicht, dass das sehr viel Sinn macht, wie es heute schon gesagt worden ist. Wir wissen doch alle, dass es aufgrund von Gerichtsurteilen immer wieder zu Änderungen der Streckenführung in Teilstrecken kommen kann. Deswegen muss jedes Stück nacheinander geplant werden. Wer irgendetwas aus den Planungsdesastern der Vergangenheit gelernt hat, weiß, dass man bei solchen Großprojekten eine fertige Planung braucht und die Finanzierung insgesamt gesichert sein muss, bevor man damit anfangen darf. Deswegen sagen wir PIRATEN: A 20 jetzt, aber bitte seriös geplant und durchgerechnet.

Die CDU-Fraktion präsentiert mit ihrem Sammelsuriumantrag eine Art Einzelprojektkakofonie, die ich nur als planlos, nicht priorisiert und unrealistisch bezeichnen kann.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dass Sie dann gar am Ende Ihres Antrags die Bundesmittel ausschließlich nur für den Neubau verwenden wollen, kann doch wohl hoffentlich nicht ernst gemeint sein. Ich habe mal auf das Datum geguckt, um zu sehen, ob das vom 1. April stammt. Ist Ihnen bekannt, dass sämtliche Sanierungen, die am Laufen sind, Rader Hochbrücke und so weiter, aus Bundesmitteln finanziert sind? Sollen wir die Rader Hochbrücke schließen, um woanders weiterbauen zu können? Das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein.

(Beifall PIRATEN und SSW)

Es ist doch völlig klar - Eka von Kalben hat es schon gesagt -: Neubauprojekte machen keinen Sinn, solange die vorhandene Infrastruktur verkommt. Gerade, Kolleginnen und Kollege von der CDU, wer mit den gegebenen Mitteln das beste Infrastrukturangebot schaffen will, der muss doch verstehen, dass volkswirtschaftlich und finanziell der Erhalt dessen, was wir schon haben, Vorrang vor Neubau haben muss. Oder man muss bereit sein, so ehrlich zu sein und zu sagen: „Wir müssen bestimmte Strecken aufgeben, weil wir uns die Unterhaltung nicht mehr leisten können.“ Darüber müsste man dann aber ehrlich und transparent mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren.

(Dr. Patrick Breyer)

Wir sollten uns ganz grundsätzlich fragen: Macht es Sinn, immer weiter neu zu bauen, solange das öffentliche Mobilitätsangebot gerade beim Busverkehr auf dem Land immer weiter zusammenschrumpft? Das wäre die richtige Priorität. Macht es eigentlich Sinn, neue Straßen zu bauen, solange im Verhältnis zu wenig Schienenverkehrsprojekte und auch zu wenig in den Radverkehr bei uns investiert wird?

Die Koalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich das Ziel gesetzt, nicht mehr 70 % der Neubaumittel in den Straßenverkehr und 30 % in den Schienenverkehr zu stecken, sondern umgekehrt. Leider sind Sie seit nunmehr zwei Jahren diesem Ziel keinen einzigen Schritt nähergekommen, so dass ich sagen muss: Sie haben es faktisch aufgegeben.

Wir PIRATEN haben bei den letzten Haushaltsberatungen als Einzige den Mut gehabt, konsequent zu beantragen, Neubaustraßenprojekte zugunsten des Schienenverkehrsausbaus zu streichen. Dem sind Sie leider nicht nachgekommen.

Lassen Sie mich noch einen letzten Komplex ansprechen, der aus meiner Sicht vielleicht der wichtigste ist.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Frau Abgeordneten von Kalben?

Ich habe mich extra jetzt zu Wort gemeldet, weil Sie angekündigt haben, jetzt zu einem neuen Komplex sprechen zu wollen. Meine Frage bezieht sich nämlich noch auf den alten Komplex.

Wenn Sie uns vorwerfen, dass wir nicht genug in Schiene investieren, während Sie Haushaltsanträge zur Umschichtung in Investitionsmittel gestellt haben, wie wollen Sie denn dann sicherstellen, dass auch die dazugehörigen Betriebsmittel, also die Regionalisierungsmittel, dafür zur Verfügung stehen? Oder halten Sie es für sinnvoll, dass wir Investitionen tätigen, ohne vorher zu wissen, wie wir den Betrieb aufrechterhalten?

- Ich habe noch nie das Argument gehört, dass Schienenwege nur deswegen nicht gebaut werden könnten, weil man die Unterhaltung nicht bezahlen könne. Wir wissen doch alle, dass auch der Bau von Straßen Unterhaltungskosten nach sich zieht. Bei den Straßenbauten wird bei der Finanzierungsplanung auch nicht berücksichtigt, welche laufenden Kosten anfallen.

(Beifall PIRATEN - Widerspruch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sehe ich gar nicht, dass durch den Ausbau von Schienenwegen höhere Unterhaltungskosten anfallen würden als für die Straßenausbauten, die Sie planen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Doch!)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Bemerkung der Frau Abgeordneten von Kalben?

Gern.

Ich möchte dazu noch eine Bemerkung machen. Ich glaube, es macht einen Unterschied, ob ich einen öffentlich finanzierten Busverkehr zum Beispiel auf der Straße fahren lasse oder individuelle Autos. Bei einem Schienenverkehr gibt es ja keine privaten individuellen Schienennutzer.

(Zuruf: Außer Loren!)

- Außer Loren. - Insofern besteht also ein großer Unterschied. Insofern muss der Betrieb irgendwie ja auch bezahlt werden, und zwar nicht nur mit Blick auf die Unterhaltung, sondern auch mit Blick auf den laufenden Betrieb.

- Ich kann dazu nur sagen, dass bei kommunalen Straßen, die sie ja neu bauen und ausbauen wollen, natürlich ebenso Unterhaltungskosten anfallen. Damit aber lassen Sie die Kommunen dann allein.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Vogt?

(Dr. Patrick Breyer)

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Mir liegt nichts ferner, als die Verkehrspolitik der Grünen zu erläutern. Aber ich glaube, das, was die Kollegin Ihnen eben erklären wollte, ist, dass man natürlich bei Schienenwegen ebenso wie bei Straßenwegen den Unterhalt der Infrastruktur durch regelmäßige Zuschüsse gewährleisten muss. Bei Schienen kommt hinzu, dass die Wirtschaftlichkeit in der Regel nicht so gegeben ist, dass die Eisenbahnunternehmen auf Zuschüsse verzichten können. Das heißt, es muss immer auch ein Defizitausgleich für den Betrieb der Gesellschaft geben und zusätzlich den Erhalt der Schiene. Das ist sozusagen der Unterschied zwischen der Straßenunterhaltung und der Schienenunterhaltung.

Herr Kollege Vogt, ich danke Ihnen für den Erklärungsversuch. Trotzdem: Wenn Sie den Landesnahverkehrsplan gelesen hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass einzelne Reaktivierungsprojekte tatsächlich wirtschaftlich betrieben werden können. Ich weiß nicht, ob Sie das gelesen haben. Aber es gibt Projekte, bei den auch Schienenstrecken reaktiviert werden könnten, die sich selbst rentieren würden. Die aber sind nicht zur Realisierung vorgesehen. Mit unseren Haushaltsanträgen jedoch hätten die Mittel zur Verfügung gestanden, um diese Projekte endlich anzugehen. Das hätte Sinn gemacht.