Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Für die Landesregierung erteile ich nun dem Innenminister, Herrn Andreas Breitner, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag hatte die Landesregierung vor einem Jahr aufgefordert, Bundesratsinitiativen mit dem Ziel zu

(Minister Dr. Robert Habeck)

starten, den Angehörigen von Drittstaaten das Wahlrecht auf kommunaler Ebene sowie nichtdeutschen EU-Bürgerinnen und -Bürgern das Wahlrecht zur Landtagswahl einzuräumen. Die seinerzeit in diesem Hause geführte Diskussion hat gezeigt, dass es sowohl die Landtagsmehrheit als auch die Landesregierung nach wie vor für dringend notwendig erachten, die Integration der hier wohnenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger durch eine dem demokratischen Prinzip entsprechende Einräumung des aktiven und passiven Wahlrechts zu fördern.

Bereits im Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode des Landtags haben wir vereinbart, dass sich die Landesregierung im Bundesrat dafür starkmachen wird, einen rechtssicheren Weg zu finden, um das Wahlrecht für Nichtdeutsche möglich zu machen. Ich hatte Ihnen zugesagt, dass die Landesregierung dem Auftrag des Landtags selbstverständlich gern nachkommen wird. Ich hatte aber auch darauf hingewiesen, dass der Weg, eine Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger bei der Gewährung des Wahlrechts zu erreichen, kein einfacher Weg ist.

Es geht schlicht um die Frage, ob eine über das Unionsbürgerwahlrecht zur Kommunalwahl hinausgehende Ausweitung des Volksbegriffs, der nach bisheriger überwiegender Auffassung nur die Deutschen umfasst, verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist. Es könnte dadurch das Demokratieprinzip, welches durch Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes mit dem Prinzip der Volkssouveränität verknüpft ist, aufgrund der in Artikel 79 Abs. 3 des Grundgesetztes festgeschriebenen Ewigkeitsgarantie in unzulässiger Weise berührt sein.

Ebenfalls stellt sich die Frage, ob ein umfassendes Ausländerwahlrecht mit dem Homogenitätsprinzip aus Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes vereinbar wäre oder ob der Begriff des Staatsvolkes bei einer Kommunalwahl oder einer Landtagswahl nicht anders formuliert werden dürfe als bei einer Bundestagswahl. Deshalb muss auf politscher Ebene entschieden werden, ob man im Interesse der Zielsetzung der Gleichbehandlung aller ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger das verfassungsrechtliche Risiko eingehen will.

Einen ersten Schritt hierzu haben wir gemacht. Gemeinsam mit dem Land Rheinland-Pfalz hat die Landesregierung eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Im Wege einer Ergänzung von Artikel 28 Abs. 1 des Grundgesetzes sollen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich die bei uns lebenden Personen,

die nicht die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates besitzen, nach Maßgabe von Landesrecht an den Wahlen in den Kreisen und Gemeinden sowie an kommunalen Abstimmungen beteiligen können. Damit haben wir ein ursprüngliches Bundesratsbegehren wieder aufgegriffen, an dem Schleswig-Holstein schon damals beteiligt war.

Wann allerdings dieser Antrag auf Einführung eines umfassenden kommunalen Ausländerwahlrechts eine realistische Chance haben wird, die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Beschlussfassung sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag zu erreichen, vermag ich derzeit nicht abzusehen.

Die gleiche verfassungsrechtliche und letztlich auch verfassungspolitische Frage stellt sich bei dem Vorhaben, die Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am politischen Leben für die hier lebenden EUBürgerinnen und -Bürger nicht nur zur Kommunalwahl, sondern auch zur Landtagswahl zu stärken, indem diesen das aktive und passiv Wahlrecht eingeräumt wird. Die Umsetzung des Unionsbürgerwahlrechts zu Landtagswahlen ist ebenfalls von einer Verfassungsänderung abhängig.

Die kommende Diskussion um das umfassende kommunale Ausländerwahlrecht wird insofern dazu beitragen, die verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten auszuloten. Die Landesregierung wird deshalb von einem weiteren Bundesratsantrag zunächst absehen und den weiteren Fortgang der Beratungen abwarten.

In diesem Zusammenhang müssen wir allerdings zur Kenntnis nehmen, dass der Bremische Staatsgerichtshof kürzlich einen Gesetzentwurf zur Ausweitung des Bürgerschaftswahlrechts auf die Unionsbürgerinnen und -bürger als mit der Bremischen Landesverfassung für unvereinbar erklärt hat. Das Wahlrecht sei nach Auffassung des Bremischen Verfassungsgerichts grundsätzlich an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft. Die Vorgaben des Grundgesetzes, die für alle drei staatlichen Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - von einem einheitlichen Begriff des Wahlvolkes ausgingen, seien auch von der Bremischen Landesverfassung zu beachten. Dies habe das Bundesverfassungsgericht wiederholt bekräftigt. Nur für die kommunale Ebene habe das Grundgesetz den EU-Bürgerinnen und -bürgern das Wahlrecht eingeräumt.

Dieses Urteil macht erneut deutlich, dass wir in der Diskussion um ein umfassendes Ausländerwahlrecht noch ein erhebliches Stück des Weges vor uns haben. Die Landesregierung wird sich gleichwohl weiterhin im Bundesrat dafür einsetzen, die Vor

(Minister Andreas Breitner)

aussetzungen dafür zu schaffen, auch denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, eine Wahlteilnahme zu ermöglichen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. - Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor mehr als einem Jahr hat der Landtag die Landesregierung mit großer Mehrheit dazu aufgefordert, zwei Bundesratsinitiativen zu starten: erstens eine Initiative für ein kommunales Wahlrecht für NichtEU-Ausländer und zweitens eine Initiative für ein Landtagswahlrecht aller Bürger der Europäischen Union, die in einem deutschen Bundesland wohnen. Für beide Vorhaben ist, wie allen eigentlich klar war, eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes erforderlich.

Im Laufe der letzten zehn bis zwölf Jahre hat sich die Zahl der EU-Bürger und -bürgerinnen, die dauerhaft in einem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union als ihrem Herkunftsland leben, ungefähr verdoppelt - auf mittlerweile rund acht Millionen Menschen. In Großbritannien haben dort ansässige EU-Bürger schon lange das Wahlrecht zu den Regionalparlamenten von Schottland, Wales und Nordirland. Damit handeln die Briten im besten europäischen Demokratieverständnis als Vorbild, als ein Vorbild auch für unseren Antrag auf Einleitung der entsprechenden Bundesratsinitiative. SPD, Grüne, SSW und PIRATEN haben unseren Antrag vor über einem Jahr mit unterzeichnet. Nur die CDU blieb auf Abstand.

Umso trauriger finde ich es, dass die Landesregierung dieses Thema bislang nicht wirklich angepackt hat.

(Beifall FDP und Angelika Beer [PIRA- TEN])

Lustlos, kraftlos, ohne erkennbares Engagement ist die Landesregierung an die Sache herangegangen.

Beim ersten Thema, dem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer, hat sich die Landesregierung immerhin im März dieses Jahres - also ein knappes Jahr nach unserem Landtagsbeschluss - dazu durchgerungen, einen sieben Jahre alten Bundes

ratsantrag des Landes Rheinland-Pfalz vom September 2007 mit zu unterstützen. Auf diese Idee ist die Landesregierung meiner Einschätzung nach also auch erst relativ spät gekommen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das stimmt!)

Bei dem zweiten Anliegen, dem Landtagswahlrecht für Unionsbürger, ruht still der See. Dabei wäre ein eigener schleswig-holsteinischer Bundesratsantrag hierzu gerade jetzt, vor den bevorstehenden Europawahlen, ein starkes Signal für die Stärkung der europäischen Demokratie gewesen.

(Beifall FDP und Angelika Beer [PIRA- TEN])

Die Landesregierung hat es aber versäumt, den ihr vom Parlament zugespielten Ball ins Tor zu schießen. Ihr europäisches Engagement verdient jedenfalls in diesem Punkt die Note ungenügend!

(Beifall FDP)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Astrid Damerow das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bereits im vergangenen Jahr haben wir in diesem Haus ausführlich über die anstehenden Fragen gesprochen. Bereits in der damaligen Debatte habe ich darauf hingewiesen, dass sowohl ein Landtagswahlrecht für EU-Bürger, als auch ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger verfassungswidrig sei. Heute wissen wir, ein Landtagswahlrecht für EU-Bürger wäre verfassungswidrig, ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger wäre ebenfalls verfassungswidrig.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann muss man die Verfassung ändern!)

- Das kann man ja, wenn man die entsprechenden Mehrheiten hat. - Der Staatsgerichtshof des Landes Bremen hat dies mit Urteil vom 31. Januar 2014 für den entsprechenden Gesetzentwurf des Landes festgestellt. Das hat der Minister berichtet.

Ich zitiere aus dem ersten Leitsatz:

,,Die Beteiligung an Wahlen, durch die die Ausübung der Staatsgewalt legitimiert wird, ist nach Artikel 20 Abs. 2 Satz 2 GG und Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 GG in Bund, Ländern und Gemeinden allein deutschen Staatsangehörigen vorbehalten.“

(Minister Andreas Breitner)

Damit ist eines klar: Unter den gelten grundgesetzlichen Regelungen ist das von Ihnen gewünschte Wahlrecht nicht erreichbar.

Ich bin im Übrigen auch sehr froh darüber, dass das Gericht explizit unsere Auffassung bestätigt hat, die wir nicht nur rein rechtlich, sondern auch politisch immer vertreten haben. Wahlrecht und Staatsangehörigkeit gehören zusammen. Das ist die Konzeption unseres Grundgesetzes. Wir finden, das ist eine richtige Konzeption.

Sie verbinden grundsätzlich Wahlrecht mit dem Thema der Integration. An genau dieser Stelle scheiden sich die Geister ganz erheblich. Für uns ist Wahlrecht kein Mittel zur Integration. Für uns steht Wahlrecht am Ende einer gelungenen Integration,

(Beifall CDU)

und zwar vermittelt durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun und ist auch kein Zeichen mangelnden Respekts vor Menschen mit anderen Staatsangehörigkeiten.

Bei uns gibt es sehr viele Möglichkeiten, sich in die Gesellschaft einzubringen. Wir freuen uns über jeden, der mitgestalten möchte. Wir freuen uns über jeden, der sich einbringt. Wenn sich jemand dazu entscheidet, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, dann freuen wir uns darüber ganz besonders.

Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit darf aus unserer Sicht nicht - auch nicht in einem zusammenwachsenden Europa - ausgehöhlt werden. Für EUBürger - auch das hat der Minister ausgeführt - haben wir Sonderreglungen auf kommunaler Ebene. Diese Sonderreglungen finden ihre Rechtfertigung in dem inneren Zusammenhalt der Europäischen Union und dienen der Umsetzung europäischer Vorgaben. Sie können und dürfen aber nicht dazu dienen, eine weitere Abkopplung des Wahlrechts von der Staatsangehörigkeit zu rechtfertigen. Auch das hat im Übrigen der Bremer Staatsgerichtshof in seinem Urteil sehr deutlich gemacht.

Sie haben eben so locker hineingerufen: „Dann ändern wir eben das Grundgesetz“. Dazu betone ich noch einmal, dass eine Änderung des Grundgesetzes nicht unbedingt zu dem von Ihnen angestrebten Ergebnis führen würde. Auch der Staatsgerichtshof hat explizit darauf hingewiesen, dass Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz, also die sogenannte Ewigkeitsklausel, hier ein Hindernis darstellen könnte.

Meine Damen und Herren, wir haben im vergangenen Jahr hier über die beiden Anträge ausführlich

diskutiert. Sie haben hier eine breite Mehrheit hergestellt. Sie haben - das haben Sie auch ordentlich gefeiert - ein Signal nach außen geschickt für Weltoffenheit und Integration. Aber heute müssen wir konstatieren: Sie haben den Menschen hier etwas vorgemacht. Es war nämlich eigentlich schon damals klar, dass Sie das nicht werden umsetzen müssen, weil es einfach verfassungswidrig ist. Das haben Sie negiert. Der Minister musste Ihnen das eben auch noch einmal erklären. Aber im Grunde wäre das alles nicht nötig gewesen. Das war auch bereits vor einem Jahr klar. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Kollegin Astrid Damerow! Seit 1989 steht das Kommunalwahlrecht auch für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger im Parteiprogramm der SPD, und wir werden es so lange dort hineinschreiben, bis wir dieses Wahlrecht auch erreicht haben. Darauf können Sie sich verlassen.