Aber, Herr Vogt, Kompliment! Es ist ein ernsthaftes Anliegen, darüber nachzudenken. Deswegen sollten wir auch ernsthaft darüber sprechen. Es ist auch anders als bei der CDU, bei der ich erfahren musste, dass die Schuld dafür, wenn etwas in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, immer bei der neuen Landesregierung abgeladen wird. Ich glaube, so kommen wir nicht weiter.
Meine Damen und Herren, wenn man sich Industriepolitik im europäischen Vergleich anschaut, dann stellt man fest, dass es unterschiedliche Modelle gibt. In Frankreich steuert man das über staatliche Großkonzerne. Damit ist man heute nicht besonders erfolgreich. In Großbritannien hat man sehr viel über Deregulierung gemacht. Das führte teilweise zu Entindustrialisierung.
In Deutschland - ich glaube, darauf sollten wir doch ein wenig stolz sein - haben wir über ein korporatistisches Modell mit starken Tarifpartnern, mit Arbeitgebern und Gewerkschaften, und einem guten Mittelstand in den letzten Jahren als Rahmenbedingung eine vernünftige Industriepolitik gemacht.
Schauen wir einmal nach Schleswig-Holstein. Man kann natürlich die Forderung erheben: Ihr müsst irgendwann Bayern erreichen. - Das ist ein schönes Ziel. Aber wir haben natürlich eine Struktur der Wirtschaft in Schleswig-Holstein, an der wir uns orientieren müssen. Mit der müssen wir arbeiten; sie müssen wir weiterentwickeln. Wir müssen sozusagen neue Chancen eröffnen. Wir haben wenige Großunternehmen und damit weniger Forschung und Entwicklung, weniger Exporte, allerdings auch weniger Abhängigkeiten.
Wir haben - das ist strukturbildend für SchleswigHolstein - kleine und mittlere Unternehmen, die ich häufig besuche. Diese Unternehmen, die eine große
Stärke sind, sind häufig familiengeführt, regional verankert und global unterwegs. Sie haben natürlich ihre Probleme wie Eigenkapital und Unternehmensfinanzierung. Aber sie haben auch eine große Chance, was die Nachhaltigkeit angeht, und zwar die Nachhaltigkeit der Produkte und auch im Hinblick auf den Standort Schleswig-Holstein und ihre Anwesenheit hier. Wir brauchen in der Tat mehr verarbeitendes Gewerbe in unserem Land.
Wenn wir jetzt über das Ziel reden, dann ist es wichtig, in Schleswig-Holstein Tradition und Moderne miteinander zu verbinden, den Strukturwandel zu gestalten und neue Industriefelder zu eröffnen. Tradition stärken heißt, die maritime Wirtschaft, die Ernährungswirtschaft und auch einen Chemiestandort wie Brunsbüttel weiterzuentwickeln. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe mit den Unternehmen.
Modernes unterstützen, da geht es um Themen wie Life Sciences, Gesundheitswirtschaft. Dahinter verbirgt sich die Pharmaindustrie, die Medizintechnik, aber vor allem das Thema erneuerbare Energien; denn wir sind das Land der erneuerbaren Energien, und wir müssen das auch industriepolitisch nutzen. Es gibt neue Prozesse in der Industrie. Ich nenne Industrie 4.0. Die ganze Digitalisierung und Modernisierung der Produktionsapparate gehören zu einer Industriepolitik dazu.
Das Kabinett hat am 8. Juli 2014 eine regionale Innovationsstrategie verabschiedet. Das ist die Grundlage dessen, was wir in den nächsten Jahren in Schleswig-Holstein im Rahmen der Industriepolitik, bei der Forschung und Entwicklung unterstützen wollen. Sie sind die Grundlage für unsere EFRE und für das neue Wirtschaftsprogramm. Wir fördern Wirtschaft in der neuen Förderperiode. Sie werden sehen, dass wir alles das, was ich hier sage, dann auch in die Tat umsetzen.
Meine Damen und Herren, das bedeutet Strukturpolitik für Schleswig-Holstein mit einzelbetrieblicher Förderung - das habe ich immer gesagt -, aber gezielt und konzentriert. Wir wollen mehr Innovation. Wir wollen eine CO2-ärmere Wirtschaft. Wir wollen mehr energetische Optimierung, und wir wollen auch eine Internationalisierung unserer Unternehmen; denn das ist die Chance im globalen Handel. Standortpolitik in Schleswig-Holstein zu machen heißt, den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein als Ganzes im Blick zu haben. Wir machen damit im Grunde genommen Strukturpolitik. Das ist die Antwort, die wir darauf an vielen Stellen geben.
Ich nenne zwei Beispiele. Wir brauchen eine kluge Mischung aus Bestandspflege und Neuansiedlung. Deswegen sind wir in Brunsbüttel dabei, die Infrastruktur mit dem Hafen zu erweitern, um neue Chancen bieten zu können. Ähnliches werden wir auch - manchmal schmerzhaft, aber mit Chancen in Kiel an einem Standort erleben, an dem sich Unternehmen wandeln, an dem Strukturwandel stattfindet, an dem Flächen vorhanden sind - Stichwort: MFG 5 -, die wir entwickeln müssen, um sich daraus ergebende Standortchancen auch und gerade für Industriepolitik zu nutzen.
Wir müssen auch über den Tellerrand hinausschauen. Wir können nicht nur Industriepolitik für Schleswig-Holstein machen. Wir müssen auch die Metropolregion Hamburg berücksichtigen. Wir müssen norddeutsch denken. Denken Sie nur an das Luftfahrtcluster zusammen mit Airbus. Es gibt viele Unternehmen im Hamburger Rand, die davon profitieren. Auch das ist Industriepolitik. Denken Sie an Schleswig-Holstein und Dänemark, daran, was Danfoss im Grenzraum alles gemeinsam mit uns macht. Das sind die Zukunftsmöglichkeiten, die wir nutzen müssen, zum Beispiel über ein Regionalmanagement an der Unterelbe gemeinsam mit Niedersachsen und Hamburg.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung begreift Industriepolitik nicht als abstraktes Konzept. Wir verstehen Industriepolitik als aktive Wirtschaftspolitik, die ganz konkret handelt. Darüber werden wir gern im Ausschuss diskutieren. - Vielen Dank.
Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 18/1964 dem Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die beiden Diskussionen fügen sich gut aneinander; denn wenn wir über Raumordnung und Landesentwicklung reden, dann geht es genau um diese Themen: Wie stellt sich das Land in den nächsten Jahren auf? Was sind unsere ökonomischen Felder, in denen wir punkten wollen? Wie sind unsere Investitionsstrategien? In welche Cluster gehen wir, und aus welchen ziehen wir uns wieder zurück? Die Landesentwicklungsstrategie 2030 ist deswegen für die Landesregierung von zentraler Bedeutung bei der Erarbeitung eines solchen Pfades. Sie wird bei der Fortschreibung des Landesentwicklungsplanes zugrunde gelegt werden. Die Strategie fließt in den Landesentwicklungsplan, den wir im kommenden Jahr vorlegen wollen, ein. Ich glaube, man kann sagen, dass wir diese Strategie in einem eindrucksvollen Beteiligungsverfahren auf den Weg bringen, verbunden mit sehr vielen Möglichkeiten, sich daran zu beteiligen, Anregungen zu geben, um das Bild von Schleswig-Holstein tatsächlich nicht aus den Büros der Regierung, sondern aus den Ideen, aus den Herzen der Menschen in diesem Land zu entwickeln.
Wir werden bei der Landesentwicklungsstrategie auf all diese Fragen zu sprechen kommen. Wir werden uns über die Wertschöpfungsstrategie in diesem Land unterhalten. Wir werden uns darüber unterhalten: Was bedeutet demografische Veränderung? Was bedeutet es, dass dieses Land älter wird? Was bedeutet das für Gesundheit, und was bedeutet es für Bildung? Wir werden uns aber vor allem mit der Zukunft der räumlichen Strukturen in Schleswig-Holstein zu befassen haben.
In dem vorliegenden Raumordnungsbericht, in dem wir auf diesen großen Prozess, den wir noch intensiv miteinander diskutieren werden, nur kurz eingehen, haben wir einen Bereich explizit herausgestellt, der für die räumlichen Strukturen von - wie ich finde - großer Bedeutung ist: Welche Zukunft haben die Zentralörtlichen Räume? Welche Rolle spielt heute das Zentralörtliche System in Schleswig-Holstein? Wir haben es in den Mittelpunkt dieses Berichts gestellt, denn es ist das zentrale Planungs- und Steuerungsinstrument und ein wichtiger Baustein der Daseinsvorsorge in unserem Land. Es sind derzeit 130 Städte und Gemeinden, die als Versorgungs- und als Entwicklungsschwerpunkte eingestuft sind. 70 % der Menschen in unserem
Land leben in Zentralen Orten, leben in Stadtrandkernen. Dort ist die Einwohnerentwicklung glücklicherweise sehr stabil, während sie anderenorts immer weiter sinkt.
Das Zentralörtliche System erfüllt eine wichtige Funktion, eine, die mit Blick auf die absehbare demografische Entwicklung geradezu unverzichtbar ist, wenn wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land sichern wollen. Deswegen müssen wir uns immer die Frage stellen: Sehen wir die Notwendigkeit, an der Einordnung in das Zentralörtliche System Änderungen vorzunehmen? Stand heute - das haben wir in dem Raumordnungsbericht niedergelegt - beantworten wir diese Frage mit einem klaren Nein. Aktuell sind weder Auf- oder Abstufungen erforderlich. Keiner der Zentralen Orte, keiner der Stadtrandkerne hat mittlerweile selbst oder in seinem Versorgungsbereich so viele Einwohner, dass er die Kriterien für die nächsthöhere Stufe erreicht hätte. Einzelne Orte - das ist richtig - unterschreiten zwar die Mindesteinwohnerzahl, aber wir glauben, dass wir diese nicht weiter abstufen sollten, weil sie die Daseinsvorsorge in strukturschwachen Gebieten übernehmen.
Wir sehen auch keine Notwendigkeit, heute jedenfalls nicht, weitere Gemeinden als neue ländliche Zentralorte oder Stadtrandkerne in das System aufzunehmen. Abgesehen davon, dass es keine Gemeinden gibt, die die gesetzlichen Kriterien hierfür zurzeit erfüllen, glauben wir, dass das Zentralörtliche System in Schleswig-Holstein hinreichend dicht geknüpft ist. Wir glauben auch, dass es eher die Gefahr gebe, die bewusste Schwerpunktsetzung durch zusätzliche Orte, die wir jetzt aufnehmen würden, zu unterlaufen und damit das System eher zu schwächen als zu stärken.
Deswegen - das haben wir in dem Bericht deutlich gemacht - wird die derzeit geltende Verordnung zum Zentralörtlichen System in diesem Spätsommer um weitere fünf Jahre verlängert, rechtzeitig bevor sie Ende September außer Kraft tritt. Damit stellen wir sicher, dass die Zentralen Orte und Stadtrandkerne weiterhin Schlüsselzuweisungen für ihre übergemeindlichen Aufgaben bekommen.
Wir sprechen uns in dem Bericht also für den Erhalt des Status quo aus, wissen aber, dass wir diesen Status gerade vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen in Schleswig-Holstein regelmäßig überprüfen müssen. Das werden wir regelmäßig mit dem Landtag austauschen. Insbesondere die Ergebnisse der nächsten Bevölkerungsvorausberechnung für die Kreise und die kreisfreien Städte in Schleswig-Holstein werden uns im näch
Aus heutiger Perspektive ist aber festzuhalten: Das Zentralörtliche System ist und bleibt bedeutsam für die Sicherung der Daseinsvorsorge. Es wird in Zukunft eher noch bedeutsamer werden. Deshalb müssen wir das System sichern und stabilisieren. Wir müssen es verbessern, wo immer es erforderlich ist. Momentan besteht aus Sicht der Landesregierung dafür allerdings kein Anlass. - Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion als Stellerin des ursprünglichen Berichtsantrages, Drucksache 18/1981, hat die Frau Abgeordnete Petra Nicolaisen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zentralörtliche System ist ein wichtiger Strukturbaustein vor allem in einem Land, wie wir es in Schleswig-Holstein haben. 70 % der Menschen in Schleswig-Holstein leben in Städten und Gemeinden mit zentralörtlichen Funktionen. Die Zentralen Orte sind die Schwerpunkte der Versorgung, der Infrastruktur und der Wirtschaft insgesamt.
Den letzten Bericht zum Zentralörtlichen System gab es in der 16. Wahlperiode im Jahr 2008. Seitdem hat es einige, auch für diese systemrelevante Änderungen gegeben. Insoweit wundert es mich, dass die Landesregierung keine Veranlassung gesehen hat, das System zu überprüfen. Anfang dieses Jahres hat die Regierungskoalition eine Änderung des Landesplanungsgesetzes umgesetzt.
Herr Ministerpräsident, Sie sprachen eben von der Landesentwicklungsstrategie, von Wertschöpfung. Es wird sich jetzt die Debatte zum Landesentwicklungsplan anschließen. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, das bestehende System vorab einmal zu überprüfen. Es wäre zwingend erforderlich gewesen. Man hätte die Einstufungskriterien auf ihre Zukunftsfestigkeit überprüfen müssen. Man hätte evaluieren müssen, ob das gesetzlich geregelte abstrakte Modell noch mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Passiert ist bis heute leider nichts.
Ihr sogenannter Gesetzentwurf zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs hat ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf das Zentralörtliche Sys
tem. Auch hier wäre vorher eine Überprüfung angezeigt gewesen. Aber auch hier haben Sie Ihre Hausaufgaben leider nicht gemacht. Ich würde einmal sagen: Nachlässigkeit.
Jetzt hat die Landesregierung einen Bericht vorgelegt. Ich bedanke mich an dieser Stelle dafür. Aber hierzu sind Sie natürlich von Gesetzes wegen verpflichtet. Allerdings gab es diesen Bericht erst durch unsere Aufforderung im Landtag. Ich bezweifle, dass Sie sich in der Kürze der Zeit wirklich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Ihr Bericht vermittelt diesen Eindruck jedenfalls nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stimme der Aussage in dem Bericht zu, dass sich das Zentralörtliche System als solches bewährt hat. Nur mit einem starken Zentralörtlichen System kann auch in den ländlich geprägten Gebieten eine ausreichende strukturelle Versorgung gewährleistet werden. Ich stimme auch der Aussage zu, dass es wesentlich ist, das Zentralörtliche System in Schleswig-Holstein zu stärken und zu stabilisieren.
Dazu passt ein Zitat aus dem Raumordnungsbericht der 16. Legislaturperiode des damaligen Ministers Hay, der da sagte:
„Unser Ziel ist vielmehr, das Zentralörtliche System in seiner heutigen Form zu stabilisieren und langfristig zu sichern. Es hat sich bewährt und ist ein Garant, dass es sich überall in Schleswig-Holstein gut leben lässt.
Was nicht zu dieser Aussage und dem jetzigen Bericht passt, ist das Handeln der Landesregierung. Denn in ihrem Bericht heißt es:
„Zentrale Orte und Stadtrandkerne sind die zentralen übergemeindlichen Versorgungsschwerpunkte im Land und damit wichtige Ankerpunkte, um langfristig die Daseinsvorsorge zu sichern, insbesondere in den ländlichen Räumen.“
Nach Ihrem Gesetzentwurf zum FAG - ich sprach ihn an - sind aber gerade die ländlichen Zentralorte und Stadtrandkerne deutliche Verlierer.