Wir schreiben heute den 11. September 2014. Jeder weiß, was vor genau 13 Jahren passiert ist. Man muss sich doch fragen, ob es dazu und auch zu all dem, was dann folgte, gekommen wäre, wenn ein Osama bin Laden in den 80er-Jahren nicht von der CIA in Afghanistan im Kampf gegen die Sowjetunion, gegen das „Reich des Bösen“, mit Waffen hochgepäppelt worden wäre.
Das sind natürlich alles hypothetische Überlegungen. Aber ich will damit deutlich machen: Es gibt auch sehr gute und durch die historischen Entwicklungen zu untermauernde Argumente, die zu dem Ergebnis führen, zu dem auch wir gelangt sind, nämlich dass solche Waffenlieferungen in Krisengebiete generell nicht der richtige Weg sind.
Noch kurz zu den Anträgen. Ich finde es gut, dass sich die Regierungsfraktionen gestern nicht - ich sage einmal salopp - durch Frau Damerow haben breitschlagen lassen, ihn durch einen anderen Antrag zu ersetzen, mit dem die Landesregierung lediglich gebeten worden wäre, sich mit einem Prüfauftrag an den Bund zu wenden, mit dem auch die Forderung, dass wir vom Bund Hilfen für die Kommunen erwarten, ersatzlos gestrichen worden wäre. Das hat Frau Damerow nun in den neuen Änderungsantrag immerhin mit einer etwas zurückhaltenderen Formulierung mit eingebaut. Aber, wie gesagt, wir halten es für richtig, dass man ange
sichts der Flüchtlingsströme, die wir zu bewältigen haben, auch den Bund, der nun einmal für die Außenpolitik zuständig ist, mit in die Pflicht nimmt und sagt: Da sind Hilfen des Bundes für die kommunalen Gebietskörperschaften erforderlich und angemessen.
Meine Damen und Herren, im Irak sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR derzeit 1,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Aus Syrien sind seit Beginn des Bürgerkriegs, der im Frühjahr 2011 begonnen hat, 3 Millionen Menschen in andere Länder geflüchtet. Es gibt in Syrien außerdem 6,5 Millionen sogenannte Binnenvertriebene. 190.000 Menschen sind bislang im syrischen Bürgerkrieg getötet worden.
Die Folgen der Flüchtlingswellen treffen naturgemäß in erster Linie die unmittelbaren Nachbarstaaten. Dass hier, auch was die humanitäre Hilfe der Staatengemeinschaft angeht, in erster Linie angesetzt werden muss, ist klar. Aber es ist ebenso klar, dass sich die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden auch in den europäischen Staaten erhöht. Darüber haben wir ja schon beim letzten Tagesordnungspunkt gesprochen und auch auf die Zahlen hingewiesen.
Ich finde es gut, dass sich auch die Landesregierung mit diesem Thema auseinandersetzt. Das war inhaltlich noch ein bisschen anders, als Ende Mai dieses Jahres - das ist noch nicht lange her - Bundesaußenminister Steinmeier nach einem Besuch im Libanon ein neues Aufnahmeprogramm für 10.000 Flüchtlinge gefordert hat. Damals las man in der „s:hz“ vom 31. Mai 2014 Folgendes - ich zitiere -:
„Im Kieler Innenministerium hält man es für ungewöhnlich, ja nahezu ausgeschlossen, dass sich der Außenminister, ohne vorher die Länder auch nur ansatzweise informiert zu haben, für ein neues Aufnahmekontingent ausspricht.“
Unterdessen haben sich die sozialdemokratischen Innenminister im Sommer genau für ein solches Aufnahmeprogramm des Bundes ausgesprochen. Es ist also ein Sinneswandel eingetreten.
- Damals war die Reaktion noch sehr zugeknöpft. Mittlerweile hat sich Herr Breitner für einen nationalen Krisengipfel ausgesprochen, der sich mit einem Aufnahmeprogramm für Iraker, Syrer und Afghanen beschäftigen soll. Wie gesagt, das ist keine Kritik. Ich habe nur erwähnt, dass es da bei der
Landesregierung und speziell beim zuständigen Innenminister in den letzten Wochen und Monaten eine durchaus begrüßenswerte Entwicklung gegeben hat. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Dank all jenen gegenüber anfangen, die den Satz in unserem Änderungsantrag unterstützen:
„Die Landesregierung wird darüber hinaus aufgefordert, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, keine Waffenlieferungen in den Irak, in Krisengebiete und Diktaturen durchzuführen.“
Bedanken möchte ich mich auch bei dem Kollegen Stegner für seine Rede; das kommt ja nicht häufig vor. Wir sind meistens nicht einer Meinung. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass meine außenpolitische Sozialisation zusammen mit Willy Brandt und Egon Bahr stattgefunden hat und ich beide bis heute sehr schätze.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre Katastrophe im Nordirak - meine Vorredner haben es geschildert - können wir nicht nachvollziehen. Aber wir hören die Nachrichten mit Entsetzen. Es gibt grausame Hinrichtungen, Massenmord und Folter. Die islamische Terrormiliz zerstört alles, was nicht ihren strengen Auslegungen des Islams entspricht: Kirchen, historische Stätten, jesidische Gotteshäuser, schiitische Moscheen.
Der Kollege Klug hat eben das Datum angesprochen: 9/11. Genau heute führen wir diese Debatte. Den außenpolitischen Diskurs des Kollegen Stegner möchte ich an dem Punkt noch erweitern. Noch ist uns nicht klar, was die Ankündigung von Barack Obama im Rahmen seiner Ansprache an die Nation anlässlich dieses Datums bedeutet. Wir wissen aber, dass solche Ankündigungen, die ganz klar besagen, dass die Luftschläge, die bisher auf IS-Stellungen im Irak begrenzt waren, auch auf Syrien ausgeweitet werden, nochmals Auswirkungen auf die zunehmende Fragilität all der Staaten haben werden, die Herr Dr. Klug eben erwähnt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahl ist erwähnt worden: Es sind über eine Million Menschen auf der Flucht. Wir wollen helfen. Ich kann nur sagen, dass in dieser Situation die Vereinten Nationen natürlich die Grundlage für uns sind. Ich kann mir auch vorstellen, dass man UN-mandatierte Korridore beschließt und einführt, um Menschen schlichtweg das Leben zu retten. All das halte ich für wesentlich verantwortungsvoller, als in diese Region jetzt auch noch Waffen zu schicken.
Das Problem ist natürlich, dass wir die Bundespolitik nicht beeinflussen können beziehungsweise diesbezüglich keine Entscheidungen treffen können. Aber Thomas de Maizière hat sich dagegen ausgesprochen, eine große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Irak aufzunehmen. Deswegen bin ich sehr kritisch gegenüber dem Antrag der CDU; denn die Formulierung, liebe Astrid Damerow, dass die Landesregierung gebeten wird, bei der Bundesregierung darauf hinzuwirken zu prüfen, ob Flüchtlinge aufgenommen werden können - Entschuldigung, das geht gar nicht. Das halte ich für einen entsetzlichen Rückschritt gegenüber der bisherigen Einigkeit. Es kann doch nicht sein, dass geprüft wird, ob wir Kriegsflüchtlinge aus dem Irak aufnehmen. Das ist nicht Gegenstand der Debatte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht wiederholen, was andere schon gesagt haben. Ich bin mir aber in einem sicher - das will ich hier auch noch sagen -:
Wir müssen wissen, dass der nach wie vor existierende Traum von Kurdistan, sowohl bei den Kurden im Irak, als auch in Syrien, im Iran und in der Türkei, fatale Auswirkungen haben kann, wenn man jetzt an die Peschmerga, mit dem hehren Ziel, dass die IS bekämpft wird, Waffen liefert und eines Tages diese Waffen wieder in die Hand genommen werden, um ihr Kurdistan durchzusetzen - Kurden, die seit Jahrzehnten politisch verfolgt, diskriminiert wurden, und Kurden, die seitens Saddam Hussein damals mit Giftgas angegriffen und von denen über 5.000 ermordet worden sind.
Wenn sich diese Waffen dann irgendwann gegen den NATO-Partner Türkei richten oder gegen andere, dann ist eine solche Waffenlieferung jetzt keine Hilfe, sondern langfristig eine Eskalation, die keiner von uns verantworten kann. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Täglich erreichen uns neue Schreckensnachrichten aus dem Irak, Nachrichten, die für viele Menschen gelebter Alltag sind. Laut dem Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UN sind bisher ungefähr 1,45 Millionen Menschen aus dem Irak geflüchtet oder aus ihren Heimatorten vertrieben worden. In den letzten sechs Wochen waren es allein zwischen 200.000 und 300.000 Menschen, die Haus und Hof verlassen mussten. In der Region um Syrien und dem Irak zeichnet sich heute das weltweit größte Flüchtlingsdrama ab. Was das bedeutet, können die meisten von uns hier im Haus sich gar nicht vorstellen. Denn einen Krieg kann man sich nur schwer vorstellen, und trotzdem wollen wir den Betroffenen im Irak Schutz bieten, Schutz, den sie schon vor langer Zeit verloren haben und den sie nicht immer in ihrer Heimat oder in den Nachbarstaaten finden können.
Für andere krisengeschüttelte und durch Krieg zerstörte Gebiete hat man in der Vergangenheit auf Bundesebene Sonderregelungen erzielt. Wir als rot-grün-blaue Koalition wollen dafür werben, dass eine solche Regelung auch jetzt für den Irak angewandt werden kann. Natürlich soll den Kommunen eine Unterstützung geboten werden, wenn sie Mehrbelastungen zu tragen haben. Darüber hinaus sollte eine weitere konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Land und den Kommunen, wie sie bereits heute besteht, auch in Zukunft erhalten bleiben.
Für uns steht völlig außer Frage, dass die Flüchtlinge aus dem Irak, aber auch aus Syrien, bei uns Priorität haben. Es ist wichtig, hier schnell zu handeln und den Menschen unbürokratisch zu helfen. Natürlich haben wir jetzt schon erhebliche Schwierigkeiten, alle Flüchtlinge so unterzubringen, wie wir es uns alle wünschen. Aber gerade dann ist es notwendig, hier ein Zeichen zu setzen und deutlich zu machen, dass diese Menschen, die mit dem Leben bedroht sind, absolute Priorität besitzen.
Abgesehen von einer Sonderregelung, wie sie im Antrag beschrieben ist, hat die humanitäre Hilfe für den SSW ganz klar erste Priorität. Es muss zumindest ermöglicht werden, den Betroffenen vor Ort eine Aussicht auf Schutz zu gewähren. Und das
erste Flüchtlingscamp im nördlichen Teil des Irak ist bereits gemeinsam mit Kräften aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Großbritannien aufgebaut worden. Am vergangenen Freitag wurden weitere Hilfsgüter aus Deutschland nach Erbil geliefert und werden von dort aus in die entsprechenden Camps gebracht. Dies ist ein erster Schritt, es sollten aber zügig noch weitere Schritte folgen. Die Bundesregierung ist hier am Zug.
Schon in einigen Wochen werden die Temperaturen in den Bergregionen drastisch sinken. Von daher muss jetzt noch mehr getan werden, damit der Winter nicht ohne irgendeine Form der Vorbereitung anbricht. Denn Fakt ist: die Menschen sind unvorbereitet. Sie mussten alles zurücklassen. In dieser Situation können sie sich nur sehr schwer selbst helfen. Es fehlt an Kleidung, Decken, Brennholz, Trinkwasser und Medikamenten. Die bisherigen Lieferungen in den Nord-Irak sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Natürlich ist es illusorisch, alle Flüchtlinge mit Hilfsgütern ausstatten zu können. Trotzdem wäre es ein positives Signal, wenn sich sämtliche Fraktionen hier im Haus für den Einsatz auf Bundesebene für Hilfen vor Ort sowie für humanitäre Aufnahmeaktionen für Flüchtlinge aus dem Irak aussprechen würden. Und das tun wir ja glücklicherweise auch.
Dies ist vor allem ein Signal, das auch die Notleidenden in der Region im Norden des Iraks verdient haben. Wie gesagt, da muss man, was die humanitäre Hilfe angeht, auch noch mehr tun und auch noch mehr tun wollen.
Abschließend noch ein Wort zu den Waffenlieferungen. Diese Frage ist in der Tat eine Gewissensfrage. Für uns als SSW kann ich sagen, dass wir meinen, dass hier sehr genau im Einzelfall entschieden werden muss. Grundsätzlich will niemand Waffen in Spannungsgebiete liefern. Allerdings kann es nach unserer Auffassung Situationen geben, in denen man angegriffenen Menschen Hilfe zur Selbstverteidigung geben muss.
Der IS schlachtet Menschen ab, und es gibt kein UN-Mandat, das in irgendeiner Art und Weise Hilfe in Aussicht stellt. Darunter leiden religiöse Minderheiten, und darunter leiden auch nationale Minderheiten. Dann ist Hilfe nach unserer Auffassung notwendig. Wir machen es uns nicht leicht, aber in
Natürlich steht die humanitäre Hilfe an erster Stelle, sie wirkt aber nur, wenn die Menschen auch frei sein und sie frei auf diese Hilfen zugreifen können. Wir wissen aber, dass man eine andere Haltung haben kann und haben auch Respekt davor. Und diesen Respekt wünschen wir uns für jede Entscheidung zur Waffenlieferung, die sich niemand leicht macht.
Wir wünschen uns diesen Respekt, gerade weil es eine Gewissensentscheidung ist. Ich finde es gut, dass heute jeder so abstimmen kann, wie wir es uns nach unserem Gewissen vorstellen. Ich denke, dies ist ein gutes Zeichen, dass man in einer so wichtigen Frage so abstimmen kann. - Vielen Dank.