Protokoll der Sitzung vom 21.01.2015

Wer furchtbare Ereignisse für Hetze instrumentalisiert, verhöhnt die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der Respekt vor den Opfern und das Mitgefühl mit Angehörigen und Freunden verbietet es, diese feigen Mordtaten als etwas anderes zu betrachten als das, was sie sind, nämlich durch nichts zu rechtfertigende und überhaupt nicht zu legitimierende Gewalt von Tätern, deren konsequente Verfolgung und Bestrafung erste Priorität haben muss.

Es überrascht nicht, dass die Terroranschläge von Paris in Deutschland und anderswo eine Diskussion über neue Sicherheitsgesetze ausgelöst haben. Ich möchte eindringlich davor warnen, diese Debatte übereilt zu führen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Im Gegenteil: Wir sollten sie mit viel Augenmaß für die manchmal sehr schwierige Abwägung zwischen Freiheits- und Bürgerrechten auf der einen und Sicherheitsbelangen auf der anderen Seite führen. Beide gilt es in Einklang zu bringen, sodass sie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern einander bedingen. Wer die Freiheitsrechte über die Maßen einschränkt, um die Sicherheit zu erreichen, verliert am Ende beides.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN, SSW und vereinzelt CDU)

Gerade in diesen Tagen möchte ich an den Satz des ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg erinnern, der nach den fürchterlichen Anschläge im Sommer 2011 sagte - ich zitiere -:

„Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“

Allerdings ohne Naivität, wie Jens Stoltenberg hinzufügte. Das war mutig, das war klug, das war vorbildlich für uns, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Vor diesem Hintergrund sollten wir uns hüten, Schlussfolgerungen zu ziehen, die unsere Freiheit beschneiden. Sicherheit gehört dazu. Komplette Sicherheit wird es in unserer freien Gesellschaft aber nie geben können. Und nicht alles, was wünschenswert ist, ist in einem Rechtsstaat überhaupt machbar.

Ja, wir müssen Menschen schützen. Das Thema Vorratsdatenspeicherung zeigt das Problem: „Ansatzlos und massenhaft“ ist eine Einschränkung von Bürgerrechten, die wir nicht zulassen dürfen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Wenn es Anlässe gibt - da gibt es ja Vorschläge -, dann muss man in der Tat Verdächtige kontrollieren. Das tun wir in anderen Bereichen auch, weil wir die Menschen schützen müssen. Aber wir dürfen nicht Als-ob-Handlungen machen, mit denen in Wirklichkeit genau das umgesetzt wird, was die Terroristen wollen. Sie wollen nämlich, dass die

(Dr. Ralf Stegner)

freiheitliche Grundordnung eingeschränkt wird. Das ist aber nicht unser Ziel. Wir müssen sie verteidigen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, vereinzelt FDP und SSW)

Ich glaube, wir können durchaus stolz auf ein Klima des gesellschaftlichen Zusammenhalts in unserem Land sein. Damit meine ich nicht, dass bei uns alles eitel Sonnenschein wäre. Manch kleine Ereignisse wie in Grabau oder anderswo verunsichern die Menschen. Damit wird versucht, das Klima negativ zu beeinflussen. Man weiß nicht, wer das gewesen ist. Aber ich sage es: Solche Dinge irritieren die Menschen.

Was bleibt, ist aber doch der feste Eindruck, dass die Zahl derjenigen, die sich für ein vielfältiges Schleswig-Holstein und ein soziales Miteinanders einsetzen, unendlich groß ist. Diesen zivilgesellschaftlichen Einsatz für Demokratie, Freiheit und Toleranz sowie die vielfältige ehrenamtliche Arbeit im Sinne einer guten Willkommenskultur begrüßen wir ausdrücklich, und wir danken allen dafür. Es ist ein gutes Zeichen, dass sich deutschlandweit viel mehr Menschen für andere einsetzen, als gegen sie auf die Straße gehen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

Deshalb bin ich sehr dankbar, dass es uns gelungen ist, diesen interfraktionellen Antrag miteinander zu formulieren. Das ist kein Antrag, wie ihn eine einzelne Fraktion gestellt hätte. Er stellt aber das in den Vordergrund, was uns eint: gegen Extremisten, gegen Gewalttäter. Die Debatte zeigt auch die Vielfalt, die wir haben; denn die Meinungsfreiheit gilt auch im Parlament. Das können wir gut aushalten; das ist gut so. Aber nach außen muss das Signal klar sein: Wer Gewalt anwendet, der hat es mit dem entschlossenen Widerstand aller Demokraten zu tun. Wir lassen uns unsere Freiheit nicht einschränken, und wir trauern mit den Opfern. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall)

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich schließe mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern an: Wir trauern um die Toten von Paris und gedenken der Opfer der Terroranschläge. In der Stadt der Liebe hat vor zwei Wochen der Hass seine hässliche Fratze gezeigt. 17 Menschen haben ihr Leben verloren. Unser Mitgefühl gilt insbesondere ihren Familien, Freunden und Kollegen.

Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen dieses Hauses dafür bedanken, dass wir es geschafft haben, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Ich weiß, dass jede Fraktion dabei über ihren Schatten gesprungen ist. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen.

(Beifall)

Ganz Europa hat sich in diesem Moment solidarisch gezeigt. Wir alle sind von der furchtbaren Tat betroffen. Es ist richtig, dass wir auch heute hier, im Schleswig-Holsteinischen Landtag Solidarität zeigen.

Der Terror hinterlässt nicht nur in Paris und Frankreich sichtbare Spuren. Der Terror ängstigt die Menschen. Niemand kann sich davon freimachen. Er ängstigt die Menschen, nicht nur in Frankreich, sondern überall auf der Welt, auch in Deutschland, auch in Schleswig-Holstein. Uns entsetzen die Terroristen, die mit blankem Hass, scheinbar unaufhaltsam, losziehen und morden.

Es erfordert viel Courage, sich dieser Bedrohung entgegenzustellen. Es erfordert Courage, sich trotz der Angst nicht vom Terror beeindrucken zu lassen, keine kopflosen Forderungen zu stellen, keine Vorurteile zu entwickeln. Der Angriff auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ war auch ein Angriff auf unsere Presse. Mir hat ein Journalist ein paar Tage nach dem Anschlag - auch nach den Angriffen auf die „Hamburger Morgenpost“ - berichtet, dass es mittlerweile durchaus so ein Gefühl gibt, eine Art Schere im Kopf, dass man überlegt: Wann kann ich was schreiben? Obwohl man es nicht will, ist das Gefühl automatisch da und man überlegt, was man in den Computer tippt.

Die Pressefreiheit unerschüttert hochzuhalten, erfordert in diesen Tagen Mut. Es ist von dieser Stelle aus leicht gesagt, aber: Wir stehen solidarisch zu allen Journalistinnen und Journalisten in unserem Land und danken Ihnen für Ihre Arbeit.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

„Die Zeit“ hat auf die Anschläge geantwortet:

„Die beste Möglichkeit, Menschen zu ehren, welche die Pressefreiheit für sich maximal in Anspruch genommen haben und dafür mitten in Europa ermordet worden sind, ist es, den eigenen Journalismus unbeirrt fortzuführen.“

Vielleicht ist das auch die richtige Schlussfolgerung für die Politik, für die Demokratie. Wir sollten diese genauso unbeirrt fortsetzen. Die Schnelligkeit, mit der manche in der Politik Lösungen parat hatten, überraschte mich. Es erfordert wenig Mut, einfache Antworten als vermeintliche Lösung zu präsentieren. Vielleicht braucht Politik einmal den Mut, die Antworten nicht sofort zu erkennen. Geht es um den Ruf nach mehr Polizei, die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, überbieten sich manche gegenseitig in den Forderungen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hofreiter!)

Auch ich möchte das Zitat von Jens Stoltenberg aufgreifen. 4 Jahre nach dem Attentat von Utøya erinnere ich an die Worte, die Herr Stegner schon genannt hat: Wir brauchen mehr Offenheit, mehr Demokratie, mehr Menschlichkeit. Die Antwort auf Terroranschläge darf nicht eine immer weitergehende Aufrüstung sein.

Wir bleiben bei unserem Nein zur Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt SPD, FDP und PIRATEN)

Die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten ist die Aufhebung der Unschuldsvermutung. Dieses Zugeständnis werden wir dem Terror nicht machen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Wir brauchen mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Menschlichkeit als Antwort auf den Terror. Es gibt empirische Nachweise, dass die Vorratsdatenspeicherung nichts bringt. Manche fordern sie trotzdem. Frankreich besitzt eine Vorratsdatenspeicherung, und trotzdem wurde das Attentat nicht verhindert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Meine Damen und Herren, natürlich kann man über die Arbeit von „Charlie Hebdo“ streiten, auch über die Grenzen von Pressefreiheit. Es gibt Meinun

gen, die schwer auszuhalten sind. Es gibt Witze, die einer Beleidigung nahekommen. Dies zu tolerieren, in jede Richtung, ist die Grundlage unserer Demokratie. Auch mir gefällt nicht immer, was in der Presse steht - welch Wunder! -, aber ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem Zeitungen eine kritische Öffentlichkeit herstellen. Die Vielfalt der Meinungen, auch wenn sie provozieren oder verletzen, ist die Grundlage unserer Demokratie. Demokratie kann auch wehtun.

Das muss ich auch all den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der so harmlos klingenden Abendspaziergänge entgegenhalten: Demokratie heißt nicht, dass einige Menschen einfach ihren Willen bekommen. Demokratie ist kein „Wünsch dir was“. Demokratie kostet uns alle etwas. Demokratie kostet Zeit, Toleranz, Mut und jede Menge Arbeit. Demokratie bedeutet Streit um die richtigen Antworten und Lösungen und bedeutet den Mut zur eigenen Meinung. Demokratie bedeutet aber auch, dass am Schluss nicht alle recht haben und recht bekommen. Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst, auch die der PEGIDA-Demonstranten, aber auch die derjenigen, die für Vielfalt und gegen Fremdenhass auf die Straße gehen; auch deren Meinung nehmen wir ernst. Wir nehmen die Anliegen der Gesamtbevölkerung ernst, weil wir hier im Parlament die Vertreterinnen und Vertreter dieser Bevölkerung sind. Das sage ich, obwohl ich weiß, dass die Wahlbeteiligung sinkt, was uns allen gemeinsam Sorge macht. Trotzdem ist es so: Die in die Parlamente gewählten Menschen sind diejenigen, die sich um die Anliegen der Bevölkerung kümmern.

Aussagen wie die der PEGIDA-Vorsitzenden Oertel, dass wir, die gewählten Volksvertreter, lieber unsere Arbeit machen sollten, weil man dann auf der Couch sitzenbleiben könne, sprechen für sich. Demokratie ist kein Teleshopping!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir lassen uns nicht vorwerfen, keine Arbeit zu leisten, weil PEGIDA das Ergebnis nicht passt.

In der soeben erschienenen Studie zu PEGIDA betonen diejenigen, die an der Befragung teilgenommen haben, es gehe nicht so sehr um den Islam und die Islamisierung, sondern um eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik. Wer ein politisches Anliegen unter dem Banner „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ vertritt, darf sich nicht wundern, wenn ihm geistige Brandstiftung vorgeworfen wird.

(Eka von Kalben)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)