Protokoll der Sitzung vom 19.03.2015

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

So sehr ich mich auf der einen Seite freue, dass wir hier mit dem Schmerzensgeldfonds ein Instrument haben, um bei Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ein Stück weit das Erlittene quasi wieder gutzumachen, so sehr wünsche ich mir auf der anderen Seite, dass wir diesen Schmerzensgeldfonds gar nicht bräuchten.

Eines möchte ich noch hervorheben: Ich freue mich ganz besonders darüber - das Signal müssen wir an die Beamtinnen und Beamten im Polizei- und Justizdienst ganz klar weitergeben -, dass wir auch eine rückwirkende Regelung vorgesehen haben. Alle diejenigen also, bei denen ein entsprechender Anspruch in der Zeit vor dem 1. Januar 2015 besteht, können von dieser Regelung Gebrauch machen. Ich

(Dr. Axel Bernstein)

glaube, dass es ganz wichtig ist, die auch mitzunehmen und sie an der Stelle nicht durch ein hartes Datum auszugrenzen.

Sobald das Gesetz in Kraft tritt, können also die Anträge beim Dienstvorgesetzten sehr unbürokratisch eingereicht werden. Darüber freue ich mich sehr, obwohl - vielleicht können die PIRATEN mir das noch erklären - ich nicht nachvollziehen kann, warum die PIRATEN an dieser Stelle nicht mitgemacht haben. Ansonsten sind alle Fraktionen dieses Landtags diesem Vorschlag gefolgt. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW - Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN]: Wir haben doch zugestimmt! - Wolf- gang Dudda [PIRATEN]: Wahrheitswidrig! Wir haben doch zugestimmt!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit bekomme, meine im letzten Jahr zu Protokoll gegebene Rede heute noch einmal live und in Farbe zu halten. Der Gesetzentwurf war damals richtig und ist es auch heute noch, gerade was die im Beratungsverfahren noch vorgenommenen Änderungen, zum Beispiel die Rückwirkungsregelung, betrifft.

Recht haben und recht bekommen sind bekanntlich zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Einen Vollstreckungstitel zu erstreiten, ist oft das kleinere Problem. Eine viel größere Herausforderung in der Praxis ist es, den Titel im Wege der Zwangsvollstreckung in klingende Münze umzuwandeln. Viele Schuldner und Schuldnerinnen sind schlicht mittellos. Sie haben kein pfändbares Gut oder Einkommen und haben die eidesstattliche Versicherung längst abgegeben. Früher nannte man das Offenbarungseid. In diesen Fällen schaut die Gläubigerin oder der Gläubiger auf Dauer in die Röhre. Sie können sich den Titel einrahmen lassen und an die Wand hängen; mehr geht nicht. Das ist äußerst unbefriedigend für alle Menschen, die sich ein Urteil erstritten haben und trotzdem leer ausgehen.

Beamte und Beamtinnen, aber auch die Angestellten im öffentlichen Dienst haben ein deutlich erhöhtes Risiko, im Dienst körperlichen Angriffen und Verletzungen ausgesetzt zu sein. Leider geht

damit einher, dass sie manchmal auf ihren erstrittenen Titeln sitzen bleiben. Das ist nicht in Ordnung; denn Polizeikräfte, Strafvollzugsbedienstete, Zollbeamtinnen und Zollbeamte, sie alle halten für uns oft und im Wortsinne die Knochen hin. Sie sorgen für unsere Sicherheit auf der Straße, im Gefängnis und an den Grenzen. Es ist deshalb gut und richtig, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz in kurzer Zeit die Grundlage dafür geschaffen haben, dass die öffentliche Hand quasi eine Ausfallbürgschaft übernimmt, wenn ein erstrittener Titel gegen einen Schädiger nicht vollstreckt werden kann.

Die Vollzugskräfte sind noch mit einem weiteren Risiko belastet. Wir haben es bei verletzungsträchtigen Auseinandersetzungen besonders häufig mit Menschen zu tun, die verarmt sind. Das erhöht zusätzlich das Risiko, Schmerzensgeldforderungen bei dieser Personengruppe nicht vollstrecken zu können.

Für den Bereich von Sachschäden haben wir in § 83 Landesbeamtengesetz schon eine ähnliche Regelung. Es ist an der Zeit, mit dem neuen Gesetz die Vollzugskräfte des Staates auch bei Schmerzensgeldforderungen zu entlasten.

Es steht auch nicht zu befürchten, dass den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ein übermäßiges finanzielles Risiko aufgebürdet wird. Die Interessenvertretungen der Polizei sprechen davon, dass in den letzten Jahren bei der schleswig-holsteinischen Polizei unbezahlte Schmerzensgeldforderungen in Höhe von ungefähr 40.000 € aufgelaufen sind. Dieser relativ geringfügige Gesamtbetrag erklärt sich vor allem dadurch, dass nach deutscher Rechtsprechung - anders als zum Beispiel in den USA - geradezu lächerlich geringe Schmerzensgeldbeträge selbst für vorsätzliche Verletzungen ausgeurteilt werden.

Ein paar Beispiele aus der Rechtsprechung mögen das unterstreichen: Für sogenannte Bagatellschäden gibt es überhaupt nichts. Für Blutergüsse und blutende Verletzungen an den Beinen, die verbunden werden mussten, gab es nach einem Urteil des Amtsgerichts Köln aus dem Jahr 2005 nur 250 €. Die Beleidigung eines Polizeibeamten als „Scheißbulle“ ergab vor dem Amtsgericht Böblingen 2006 immerhin ein Schmerzensgeld von 300 €. Um in den Bereich von 1.500 € zu kommen, muss es schon eine Nasenbeinfraktur durch einen Schlag ins Gesicht sein. Für eine Schussverletzung aus nächster Nähe in den Oberkörper mit schweren Verletzungsfolgen sprach der Bundesgerichtshof 2013 ein Schmerzensgeld von 10.000 € zu.

(Simone Lange)

Sie sehen also, dass von einer Genugtuungsfunktion, die mit dem Schmerzensgeld erzielt werden soll, in den meisten Fällen nicht wirklich die Rede sein kann. Umso ärgerlicher ist es für die betroffenen Vollzugskräfte, wenn selbst diese relativ geringen Beträge nicht vollstreckt werden können, weil der Gegner schlicht pleite ist.

Im Falle der - Gott sei Dank wenigen - schwerverletzten Beamtinnen und Beamten ist es erst recht nicht zumutbar, dass sie neben den Verletzungsfolgen offene Schmerzensgeldforderungen ertragen müssen. Wir sind der Überzeugung, dass der Staat unter dem Gesichtspunkt der Fürsorge eine Verpflichtung hat, seine Beamtinnen und Beamten und Angestellten vor dieser Frustration zu bewahren. Das vorliegende Gesetz ist nach unserer Überzeugung eine gelungene Lösung des Problems. Ein gutes Signal an alle Vollzugskräfte ist auch, dass alle Fraktionen des Hohen Hauses dem Gesetz zustimmen werden. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Absolventen des Freiwilligen Politischen Jahres aus Bad Segeberg, die auf Einladung der CDU-Fraktion hier sind. Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es besonders befriedigend, dass wir mit dem Gesetzesbeschluss, mit dem wir das Gesetz so verabschieden wie im Innen- und Rechtsausschuss beschlossen, ein einstimmiges Signal in Richtung der Polizei unseres Landes geben. Das ist ein Signal, das die Wertschätzung und die Unterstützung, die dieses Landesparlament unserer Polizei in Schleswig-Holstein entgegenbringt, deutlich macht.

Das Wesentliche zum Inhalt des Gesetzentwurfs ist bereits ausgeführt worden. Da wir in dem Punkt alle einer Meinung sind, will ich die Debatte nicht unnötig verlängern. Ich möchte nur noch einmal kurz zusammenfassend feststellen: Für uns ist wichtig, dass das Land in Zukunft auf Antrag die

Zahlung von Schmerzensgeld übernehmen kann, auf das im Dienst verletzte Polizeibeamte Anspruch haben, das aber bei den Tätern oft nicht eingetrieben werden kann; das ist bereits beschrieben worden. Mit diesem Schmerzensgeldfonds gehen wir - wie ich finde - einen sehr wichtigen und notwendigen Schritt.

Herr Kollege Peters hat darauf hingewiesen: Dass es in der deutschen Rechtsprechung leider um sehr niedrige Beträge geht, ist in der Tat ein zweites Thema, über das man sich Gedanken machen muss. Sie alle haben in Erinnerung - und sei es aus Filmen -, über welch astronomische Summen in den USA gesprochen wird. Wenn man diese beiden Länder und die jeweilige Praxis dort betrachtet, dann ist dies ein himmelweiter Unterschied. Die Politik muss sich sicher Gedanken darüber machen, ob insbesondere in Fällen schwerwiegender körperlicher Beeinträchtigung die Höhe von Schmerzensgeldern in Deutschland wirklich noch angemessen ist. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Wolfgang Dudda das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Frau Lange, auch wir haben im Ausschuss zugestimmt.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Dass wir formal nicht mit auf dem Gesetzentwurf stehen, heißt nicht, dass wir ihn ablehnen. Ich verstehe nicht, warum Sie sich hier hinstellen und sagen, dass wir nichts damit zu tun haben wollten. Ganz im Gegenteil, wir sind sehr dankbar, dass dieser Gesetzentwurf eingebracht worden ist. Ich bin auch dankbar dafür, wie er bei uns im Ausschuss behandelt worden ist und wie vernünftig er ist. Bei den Essen der Sponsoren des Hilfs- und Unterstützungsfonds der Polizei habe ich oft darüber nachgedacht, warum wir dies ehrenamtlich regeln müssen, wenn dies doch eine staatliche Grund- und Kernaufgabe ist.

Ebenso schließe ich mich Ihren Aussagen an, Frau Lange, dass wir uns alle darüber freuen, dass unsere Polizisten gestern nicht verletzt worden sind, und dass wir Glück hatten, dass sie alle heil nach Hause kommen. Trotzdem greift es viel zu kurz, wenn wir an dieser Stelle nur auf die Polizeibeamten einge

(Burkhard Peters)

hen. Wir haben Gerichtsvollzieher, und wir haben Finanzbeamte, die Vollstreckungshandlungen vornehmen. Wir haben in Rendsburg einen Finanzbeamten gehabt, der erschossen wurde. Wir haben in den ARGEn und in den Jobcentern Menschen, die Angst haben, mit ihren Kunden umzugehen. Wir haben auf den Fluren und auf den Straßen ein Klima, um das wir uns kümmern müssen. Wenn bei uns auf den Behördenfluren private Sicherheitsdienste patrouillieren müssen, um die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten, dann läuft irgendetwas falsch.

(Beifall PIRATEN und Volker Dornquast [CDU])

Ich will beileibe nicht den Bürger haben, der wie in dem Werk von Heinrich Mann „Der Untertan“ devot und kuschend in die Behörde geht. Ich will den kritischen, offenen Bürger. Ich will auch den Bürger, der Polizei- und Vollzugsbeamten an jeder Stelle so begegnet. Dabei kommt es aber wie immer im Leben auf die Dosierung an.

Wo wir - dabei meine ich uns im Parlament - solche Ursachen bekämpfen können, sollen wir dies auch tun. Es gibt Menschen, die sich dem Konsens der Nichtanwendung von Gewalt entziehen, das haben wir gestern in Frankfurt wieder gesehen. Hier werden wir nicht viel ausrichten können. Bei allen anderen Bürgern haben wir aber sehr gute Chancen, dass sie staatliches Handeln besser und mehr als bisher akzeptieren können. Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was verstanden wird, auch friedlich und konstruktiv bedient wird. Mit anderen Worten: Verständliches Handeln erzeugt Verständnis und Akzeptanz.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Das fängt bei uns im Hause mit den Politikern und ihrer Sprache an; es geht darum, ein deutliches Mehr an Klarheit, an Schlichtheit in der Sprache zu haben und auch gern an Leichter Sprache zu haben.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Wenn es uns dann noch gelingt, die Resultate unseres Handels in eine ähnliche Sprache zu kippen, dann haben wir viel erreicht. Noch mehr erreichen wir, wenn wir dafür sorgen, dass unsere Beamtinnen und Beamten genug Zeit und Sorgfalt für den Einzelfall haben. Deswegen darf beim Stellenabbaupfad nur der Grundsatz gelten: erst die Aufgabe, dann die Stelle.

Hier und da fehlende Empathie und die gerade angesprochene Überlastung machen leider Aktionen wie die der sogenannten Mitläufer notwendig. Nä

heres dazu gibt es im Internet. Es werden Menschen von anderen Menschen zu Arbeitsagenturen begleitet, nur um dafür zu sorgen, dass diese anständig, würdevoll und gerecht behandelt werden. Das muss überflüssig werden. Wir haben in den regelmäßig stattfindenden Gesprächen bei der Bürgerbeauftragten schon darüber gesprochen, dass insbesondere das Klima in den ARGEn deutlich verbessert werden kann.

Aber auch die Medien sind gefragt. Wenn Privatsender Gerichtsverhandlungen auf Trash-Niveau präsentieren, dann darf man sich nicht wundern, wenn es in unseren Gerichtssälen so zugeht wie beim Lohntütenball in der Kneipe um die Ecke. Barbara Salesch ist für die deutsche Rechtspflege etwa so notwendig und nützlich wie das Übermaß an Talkshows in unserer Demokratie.

Wir alle müssen für einen Klimawandel auf den Straßen und in den Behördenfluren sorgen, damit möglichst wenig Geld von dem in Anspruch genommen wird, was wir jetzt zur Verfügung stellen. Nur dann vermeiden wir den Eindruck, dass wir uns mit diesem Fonds und mit diesem Geld aus der Verantwortung für unsere Beschäftigten freikaufen wollen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN und Heike Franzen [CDU])

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich nur noch der rechtlichen Niederlegung bedurfte. Wenn Menschen, die für den Staat hoheitliche Aufgaben ausführen, persönliche Schädigungen davontragen, dann muss der Dienstherr entsprechend zur Seite stehen. Ich glaube, an diesem Grundsatz scheiden sich die Geister nicht. Nach unserer Auffassung kann man bei einer Schädigung, die über der Summe von 250 € liegt, im Einzelfall durchaus von einer massiven Schädigung sprechen. Wenn dann eine Forderung nicht eintreibbar ist, bleibt der Beamte bisher auf seinem Schaden sitzen.

Die Bandbreite der Schädigungen reicht von schwersten körperlichen Schäden hin zu einem erlittenen finanziellen Schaden, der durchaus begrenzt sein kann. In allen Fällen ist es Aufgabe des

(Wolfgang Dudda)