Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Was ist die Ursache von Bürokratie? Das ist das ständig steigende Sicherheits- und Ordnungsdenken der Bürgerinnen und Bürger. Ich nenne nur die Gurtpflicht, Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Helmpflicht und Baugenehmigungen. All das, was wir hier auf der einen Seite kritisieren, wird auf der anderen Seite zum Schutz von Bürgerinnen und Bürgern postuliert.

Sie sagen, dies stehe für ein paternalistisches Politikverständnis. Ich sage, es steht auch für einen vorsorgenden und verantwortlichen Staat, der den Erfolg unseres Gesellschaftssystems will. Bürokratie ist auch ein Vorteil. Sie schafft Verlässlichkeit und Sicherheit für Unternehmen. Das ist wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Natürlich hat dies auch etwas mit unserer Mentalität zu tun. Ich stimme Ihnen zu: Zu viel ist nicht gut. Beim Thema Bürokratie sind aber alle, die in der Politik tätig sind, zugleich Opfer und Täter. Wie gesagt, wir können nicht beklagen, dass es immer mehr bürokratische Regelungen gibt, und gleichzeitig den Verursachern nie Rückmeldung geben. Insofern finde ich Ihren Vorschlag sehr richtig, Herr Vogt, dass wir auch auf Landesebene eine Kommission oder AG haben, die eine Folgeabschätzung von Bürokratie vornimmt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Im Übrigen möchte ich deutlich machen, dass der jetzt in Bund-Länder-Arbeitsgruppen diskutierte Entwurf über die Frage „eins rein, eins raus“ auch einer Folgeabschätzung bedarf. Sie haben es genannt, Herr Callsen. Was ist die Folge? Eine Behörde muss ein Gesetz umsetzen. Das kosten 10 Millionen €. Jetzt muss dieselbe Behörde wie blöd suchen, um diese 10 Millionen € wieder einzusparen, wenn sie neue Gesetze umsetzt. Das heißt, einerseits wollen Sie Bürokratie einsparen, dann aber erzeugen Sie wieder hohe Bürokratiekosten, um die Kosten im System zu suchen. Für mich ist das nicht ausgegoren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir halten es, wie wir es im Tariftreue- und Vergabegesetz gemacht haben, für wichtig, einen grundsätzlichen Evaluierungsparagraphen in jedes Gesetz hineinzuschreiben, durch den wir am Ende feststellen, ob wir die Ziele, die wir im Gesetz benannt haben, tatsächlich erreichen. Das ist ein moderner Weg, das haben wir - wie ich finde - im Tariftreue- und Mindestlohngesetz vorbildlich gezeigt.

Meine Fraktion steht für eine schlanke Verwaltung. So gibt es zum Beispiel in Schleswig-Holstein keine überflüssigen Statistiken, die auf Landesgesetzgebung beruhen. Das finde ich richtig. Alle Erhebungen beruhten auf weitergereichtem Bundes- und Europarecht. Das Thema Bürokratieabbau geht uns also alle an. Ich hoffe sehr, dass wir in der Sacharbeit die richtigen Wege finden, tatsächlich zu einem Bürokratieabbau in Schleswig-Holstein zu

(Dr. Andreas Tietze)

kommen, aber bitte nicht auf dem Rücken der Menschen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Für die Piratenfraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte, wenn wir über Bürokratiekosten und Bürokratieabbau sprechen, erst einmal auf den Begriff der Bürokratie eingehen. Was ist Bürokratie eigentlich? - Das ist im Grunde nichts anderes als Regeln, die dem Interessenausgleich zwischen verschiedenen Belangen einer Gesellschaft dienen. Zum Beispiel ist Bürokratie, dass es für die Errichtung eine Mülldeponie einer Genehmigung braucht oder dass Unternehmen eine Buchführung zu führen haben, damit die ordnungsgemäße Steuerzahlung überprüft werden kann. Meine Vorredner haben es schon gesagt: Deswegen dürfen wir nicht darauf hereinfallen, sämtliche Pflichten, die Unternehmen im Interesse der Allgemeinheit auferlegt sind, von vornherein pauschal als Bürokratie zu diffamieren.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun hat leider der Herr Ministerpräsident zu Beginn der Legislaturperiode mit seinem Vorhaben, die Bürokratiekosten der Wirtschaft bis Ende des Jahrzehnts durch den Einsatz von E-Government halbieren zu wollen, einen völlig unrealistischen Ansatz gewählt, den er ausweislich des Berichts, den der Kollege Tietze genannt hat, auch selbst nicht ernst nimmt. Tatsächlich ist das Gegenteil geschehen, es sind nämlich weitere Lasten eingeführt worden. Dennoch ist auch der Weg, den die CDUFraktion hier vorschlägt, nicht der richtige Weg, nämlich eine Bürokratiebremse im Sinne von: Jede neue Belastung der Wirtschaft soll dazu führen, dass eine bestehende entfallen soll. Das ist viel zu pauschal und in dieser Form ein Kniefall vor der Wirtschaft, wenn man sozusagen alle Regeln, die dort gelten, einfriert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mich würde im Übrigen interessieren, wie Sie zu einer Bürokratiebremse für die Bürger stehen würden, denn tatsächlich ist es leider doch auch Ihre Fraktion auf Bundesebene, die das Steuerrecht allzu oft immer kom

plizierter macht. Ich glaube, es wäre viel interessanter, darüber nachzudenken als über den Bereich der Wirtschaft.

(Beifall PIRATEN und Christopher Vogt [FDP])

Was den Vorschlag der FDP-Fraktion angeht, so bietet dieser ein ganzes Maßnahmebündel, das Sie vorgestellt haben, Herr Kollege Vogt. Einige der Maßnahmen sind gut, andere sind schlecht.

(Christopher Vogt [FDP]: Was?)

Ich gehe gleich im Einzelnen darauf ein, um dies zu würdigen. Wenn es darum geht, digitale Anträge zu ermöglichen, dann ist dies sinnvoll. Dabei geht es auch nicht nur darum, die rechtliche Grundlage zu schaffen, sondern auch darum, dafür zu sorgen, dass dies entsprechend nutzbar ist, dass entsprechende Formulare zur Verfügung gestellt und Verfahren bereitgestellt werden.

Wenn Sie für eine Verkürzung der Aufbewahrungsfrist plädieren, so ist diese aus meiner Sicht abzulehnen, wenn dadurch Steuernachforderungen nicht mehr möglich sind, denn wir wissen, dass es schon heute viel zu selten zu Betriebsprüfungen kommt, um Steuergerechtigkeit zu gewährleisten. Wenn durch die Vernichtung von Unterlagen auch erhebliche Hinterziehungen nicht mehr nacherhoben würden, dann wäre dies sicher auch im Sinne der Steuergerechtigkeit der falsche Weg.

Zu Ihrer Forderung nach einer Umstellung von Genehmigungs- auf Anzeigeverfahren: Das ist mir zu pauschal. Ich hatte schon das Beispiel der Mülldeponien genannt. Genehmigungsverfahren sind in vielen Bereichen wichtig und richtig. Hier muss man schon genau sagen, in welchen Bereichen darauf verzichtet werden sollte, um darüber diskutieren zu können.

Auch über den Abbau der Dokumentationspflichten beim Mindestlohn haben wir schon vor zwei oder drei Monaten diskutiert. Daher brauche ich darauf nicht näher einzugehen.

Das Tariftreue- und Vergabegesetz so zu modifizieren, wie Sie es vorschlagen, können wir umsetzen, wenn dies denn machbar ist. Interessanterweise hat dies aber niemand vorgeschlagen, als wir über dieses Gesetz diskutiert haben, nämlich dass nur die Unternehmen, die den Zuschlag bekommen, die Nachweise erbringen müssen. Wenn dies möglich ist, dann ist das sicherlich gut. Möglicherweise ist aber der Aufwand zu groß. Wenn die Unternehmen nicht mit den Nachweisen rüberkommen, dann

(Dr. Andreas Tietze)

muss das ganze Verfahren neu aufgerollt werden. Wir müssten uns ansehen, ob dies machbar ist.

Wirklich sinnvoll ist Ihr erster Vorschlag. Das ist ein Vorschlag, den wir, ich habe es nachgelesen, schon am 26. September 2013 genau hier an dieser Stelle im Plenum unterbreitet haben, nämlich eine systematische Reduzierung unnötiger Bürokratie durch die Einrichtung eines Normenkontrollrates auf Landesebene.

(Christopher Vogt [FDP]: Das war mir nicht bewusst, sonst hätte ich das gelassen!)

Das ist ein guter Vorschlag, denn ohne eine Institutionalisierung dieser Prüfung werden wir keine systematische Herangehensweise an die Reduzierung der Bürokratiekosten hinbekommen.

(Beifall PIRATEN)

In anderen Ländern gibt es längst eine Gesetzesfolgenabschätzung, durch die nicht nur die Bürokratiekosten, sondern insgesamt die Auswirkungen von Gesetzen systematisch evaluiert und bewertet werden. So etwas brauchen wir in Deutschland und auch auf Landesebene. Es ist gut, dass jetzt auch die FDP unseren Vorschlag aufgreift. Wie ich gehört habe, unterstützt ihn auch der Kollege Dr. Andreas Tietze. Ich hoffe, dass sich als Nächstes auch Wirtschaftsminister Meyer dafür stark macht, dass wir die Bürokratiekosten auf Landesebene messen, um diese besser erkennen und reduzieren zu können. Das ist der richtige Weg. Die übrigen Vorschläge führen nicht wirklich weiter und sind deshalb so nicht zustimmungsfähig. - Danke schön.

(Beifall PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst letzte Woche stellte das Bundesarbeitsgericht klar, dass auch im Krankheitsfall der Mindestlohn zu gelten habe. Der Hintergrund: Eine Mitarbeiterin einer Weiterbildungseinrichtung war erkrankt, und ihr Arbeitgeber wollte ihr für die Stunden, die sie krankheitsbedingt nicht arbeiten konnte, nur einen niedrigeren, betriebsgebundenen Fantasielohn zahlen. Das ist die Realität in Deutschland. Es gibt Betriebe, die versuchen, den Mindestlohn zu unterlaufen. Ohne Dokumentationspflicht können sie das auch. Darum führt an der

Dokumentation der Arbeitsstunden kein Weg vorbei.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Einzelfall aus Niedersachsen kann man keinen Generalverdacht gegen alle Arbeitgeber konstruieren, auf keinen Fall, aber man kann im Gegenzug auch nicht davon ausgehen, dass mit der Einführung des Mindestlohns nun automatisch alle Arbeitgeber den Mindestlohn zahlen. Darum brauchen wir die Dokumentationspflicht, die übrigens so neu gar nicht ist.

Stundenzettel sind doch keine Erfindung des Mindestlohngesetzes, sondern in den allermeisten Betrieben jahrzehntelange Praxis.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es gibt also kein Bürokratiemonster, das der Mindestlohn erst erschaffen hätte. Das mag in Fernsehtalkshows ziehen; aber diese Nummer hat mit der Realität in unseren Betriebe herzlich wenig gemein. Ich halte es für Panikmache, wenn sich der Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA, Stefan Scholtis, im Januar - schon drei Wochen nach Einführung des Mindestlohns in der Zeitung mit den Worten zitieren lässt, dass die Betriebe nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft kämen. Ich warne vor solcher Panikmache und Hysterie, weil sie absolut kontraproduktiv sind. Der Mindestlohn gefährdet mitnichten das Kerngeschäft der gastronomischen Betriebe; das tut eher ein schlechter Service.

Wenn Scholtis im selben Atemzug meint, dass neuerdings auch Pausen festgehalten werden müssten und es demzufolge nicht mehr möglich sei, in Spitzenzeiten das Abbummeln von Pausen auf die Folgetage zu verschieben, ohne das Risiko einer Falschaufzeichnung einzugehen, dann merkt man, woher der Wind weht. Das angebliche Bürokratiemonster Mindestlohn muss also dafür herhalten, schlechte Arbeitsbedingungen im Gastronomiebereich zu rechtfertigen. Pausen müssen sein, meine Damen und Herren. Es darf nicht sein, dass sie am nächsten Tag abgebummelt werden.

Die Dokumentationspflicht könnte für höhere Gehaltsstufen aufgehoben beziehungsweise die Grenzen könnten gesenkt werden. Aber bevor wir diese Maßnahme ergreifen, sollten wir erst einmal ein Jahr lang beobachten, wie sich die bürokratische Belastung tatsächlich entwickelt. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

(Dr. Patrick Breyer)

Auf der Tariftreue-Landkarte der Hans-BöcklerStiftung ist Schleswig-Holstein das einzige Land, das die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an einen Lohn jenseits der 9-€-Grenze bindet. Nordrhein-Westfalen liegt bei 8,85 €, Rheinland-Pfalz bei 8,90 €. Alle anderen Bundesländer sehen in ihren Tariftreueregelungen einen Mindestlohn von 8,50 € vor - alle, bis auf Bayern und Sachsen, die beide meinen, ganz ohne Tariftreue auskommen zu können. Schleswig-Holstein hat mit 9,18 € bundesweit einen hohen sozialen Standard erreicht, auf den wir stolz sein können und den wir verteidigen sollten.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Landesregierung steht im Dialog mit den Betrieben und ist bemüht, Belastungen zu minimieren. Hinter dem Kulissendonner der Lobbyverbände besteht nämlich tatsächlich Bedarf an vereinfachten Verfahren, zum Beispiel in der Baubranche. Dort gefährden mehrstufige Genehmigungsverfahren, die sich über Monate hinziehen, die Verwirklichung eines Bauvorhabens und damit echte, handfeste Arbeitsplätze. Insoweit sind die Kommunen gefragt, die schon viele Erleichterungen geschaffen haben. Auch die Landesregierung kann hier einiges bewegen.

Von einer sogenannten Bürokratiebremse nach dem Motto „eins rein, eins raus“ halte ich gar nichts.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Sie ist eine Selbstverpflichtung, wonach jedes Ministerium im gleichen Maße, in dem es durch neue Regelungen Belastungen für die Wirtschaft aufbaut, an anderer Stelle Belastungen abbaut. Wenn man es aber mit dem Bürokratieabbau ernst meint, dann müssten alle entbehrlichen - ich sage ausdrücklich: entbehrlichen - Belastungen für die Wirtschaft abgebaut werden, unabhängig davon, ob eine neue Belastung hinzukommt oder nicht. - Jo tak.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen nicht vor. - Dann hat jetzt für die Landesregierung der Herr Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie, Reinhard Meyer, das Wort.