Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Themen offene WLANs, Störerhaftung und Straftatbestände, Herr Dr. Bernstein, komme ich nachher noch.
Reisen bildet ja bekanntlich und belebt manchmal auch die eine oder andere Debatte. So wurde ich auf einer Fraktionsreise in den Niederlanden leicht empört von den Kollegen darauf angesprochen, warum man sich in den Niederlanden eigentlich völlig stressfrei, ohne jegliche Anmeldung überall in offene WLANs einloggen könne und in Deutschland nicht.
Begriffe wie „Servicewüste“ und „rückständig“ fielen. Jetzt wissen wir auch so ein bisschen, warum. Zurückhaltend, wie ich nun einmal bin, widerstand ich zunächst sehr lange der Versuchung, meine Kollegen darüber zu belehren. Nach so circa zehn Sekunden entschloss ich mich dann doch,
meinen Mitreisenden die ganze Misere um die sogenannte Störerhaftung zu erläutern - speziell die Kollegen von der CDU können das, denke ich, gebrauchen - und auch, warum wir hier morgens immer fluchende Abgeordnete sehen, die mühsam zwei sechsstellige Nummern in ihr Smartphone einhacken. Haben Sie sich eigentlich auch einmal gefragt, wie sinnvoll das ist?
Dabei waren wir doch eigentlich auf einem guten Weg. Vor zehn Jahren bekam das Internet Beine endlich, muss man sagen. Smartphones wurden erschwinglich, auch wenn nicht immer mit ganz klasse Betriebssystemen. Die ersten Städte dachten über offene und flächendeckende WLAN-Versorgung nach. Das war bereits 2005. Ein digitaler Sprung nach vorn. Man konnte es kaum glauben in dem Land, in dem vor 20 Jahren ein deutscher Kanzler noch glaubte, die Datenautobahnen müssten von der Straßenmeisterei gemacht werden,
in einem Land, in dem vor immerhin zwei Jahren die Bundeskanzlerin immer noch für sich feststellte - 23 Jahre nach der Freigabe des Internet für die kommerzielle Nutzung -, dass das Neuland sei.
Aber alle, die zumindest in den Innenstädten, im urbanen Bereich, auf schnelle Datenraten hofften, wurden bitter enttäuscht. Denn mit offenen WLANs könnte man ja das Verbrechen des Jahrhunderts begehen. Da geht es nicht um Kinderpornografie, sondern um die Urheberrechtsverletzung. Da hat Deutschland ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Super! Deshalb gibt es den Begriff „Störerhaftung“ im Englischen auch gar nicht. Bei offenen WLANs haftet nämlich derjenige, der das WLAN anbietet, für die zivilrechtlichen - es ist wichtig, das zu wissen - Dinge, die jemand dort begeht. Das gilt nicht für Straftaten, Herr Dr. Bernstein, auch nicht bei Kinderpornografie.
Das wäre auch ziemlich absurd. Stellen Sie sich vor: Jemand holt sich mit gefälschten Pässen ein Auto, begeht damit eine Straftat, und dann wird dafür die Leihwagenfirma in Haftung genommen. Das geht zum Glück im deutschen Strafrecht nicht. Deshalb ist das Telemediengesetz für die Strafverfolgung völlig ungeeignet. Leider hat der Kollege Breyer mit seinem auch in diesem Zusammenhang nicht richtigen Verweis auf die Vorratsdatenspeicherung ein bisschen zu dieser Verwirrung beigetragen.
Da war sie wieder, auch bei den offenen WLANs, die typisch deutsche Krankheit: das Internet, die dunkle Bedrohung. Das wäre vielleicht auch ein Titel gewesen, da wäre uns Jar Jar Binks erspart geblieben. Man weiß es nicht.
Die Folge war aber klar absehbar. Während alle anderen Länder anfingen, offene WLANs aufzubauen, wurde das in Deutschland gestoppt. Denn kleinen Cafébesitzern war es nicht zuzumuten, dass sie für die Urheberrechtsverletzungen, wenn jemand seine amerikanische Fernsehfolge gesehen hat, bezahlen sollten.
Bei der Störerhaftung im Rahmen des Telemediengesetzes - über andere Dinge können wir in anderen Zusammenhängen wirklich reden - geht es ausschließlich um das Durchsetzen zivilrechtlicher Ansprüche beziehungsweise von Abmahnungen. Hier basieren übrigens große Teile unserer Musik- und Filmindustrie darauf, dass sie damit den notwendigen Strukturwandel in ihrer eigenen Branche behindern und verhindern.
Denn der klassische Datenträgerverkauf wird genauso wenig zurückkommen wie dass es in jedem Dorf einen Hufschmied gibt. Das ist so ähnlich, als wenn sich damals eine Allianz für die Hufschmiede gebildet hätte: Gleichheit für Pferde und Autos auf den Straßen. - Das wäre wahrscheinlich die heutige Sichtweise der Hufschmied-Industrie gewesen.
Dass in den On-Demand- und Streaming-Angeboten auch für die Rechteinhaber die Chance liegt, sieht man in Amerika, wo Milliardenumsätze erzielt werden. Die können sogar im Rahmen der Streaming-Angebote eigene Serien drehen und produzieren. In diesem Bereich ist noch viel mehr zu verdienen als mühsam über die Kette bei den kleinen Cafés, wenn übers WLAN drei Musiktitel heruntergeladen und dafür Abmahnungen in Höhe von 100 € verschickt werden. Insofern verstehe ich die Musikindustrie hier auch nicht. Unser Musikstreaming über GPRS ist eine Qual, von legalen Filmangeboten wollen wir gar nicht reden. Dass das niemand in Anspruch nimmt, ist völlig klar.
Bei der Störerhaftung, die hier auch noch mit allen möglichen Dingen verteidigt werden soll, geht es um eine deutsche Alleinentwicklung in der Rechtsprechung in der Welt. In Amerika gibt es so etwas nicht. Und die sind nicht dafür bekannt, dass sie wenig Strafverfolgung wollen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie - Ihre Redezeit wird auch langsam knapp - eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Bernstein?
Da helfe ich dem Kollegen Dr. Dolgner doch gerne. Wären Sie noch einmal so freundlich, darauf hinzuweisen und aus eigener Erfahrung zu berichten, wenn Sie beispielsweise in einem Hotel oder in einer Gaststätte sind und das dortige WLAN-Netz nutzen möchten, wie viele Klicks Sie in der Regel brauchen, um sich dort einzuloggen?
Herr Kollege Dr. Bernstein, das hatte ich gerade auf unserer letzten Fraktionsreise in Mecklenburg-Vorpommern erlebt. Wir hatten einen längeren Tag, und ich bin auf das Hotelzimmer gegangen und wollte kurz checken. Ich hatte dann auch festgestellt, dass ich nicht extra an die Rezeption gegangen war, um mich fürs WLAN zu registrieren. Ich hatte es mir dann eine Weile überlegt, ob ich es noch machen muss. Nach einer Zeit bin ich dann doch wieder hinuntergegangen, habe mich dort in die Schlange gestellt und angemeldet. Für eine Hotelübernachtung ist das vielleicht okay, so einen Aufstand zu betreiben für ein Abrufen der Mails während des Kaffeetrinkens nicht.
Aber eines muss ich Sie fragen. Können Sie mir erklären, warum kommerzielle Provider das nicht müssen? Kommerzielle Provider müssen nämlich den Namen nicht feststellen.
Die sind gar nicht geeignet für Kriminalität. Im Telekom-Netz kann man nichts machen. Es ist absurd. Sehen Sie es einfach ein.
Ich komme zum Schluss. Bei Regierungsantritt versprach die Bundesregierung, das Problem endlich zu lösen. Prima, dachte ich damals. Nun liegt der Referentenentwurf vor. Und wie soll das Problem gelöst werden? Verschlüsselung, Nutzerregistrierung, Vorschaltseiten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie dieses Verfahren hier als einfach empfinden, dann können Sie eine namentliche Registrierung noch hinzupacken. Ich empfinde es hier morgens als nicht einfach. Das macht man höchstens in einer Paternosterfahrt. Ich möchte mich in einem Freifunkknoten wie Slartibartfast in der Kieler Innenstadt einloggen können, ohne den gesamten Fußgängerverkehr dort aufzuhalten. Das ist die Zukunft, das geht in fast jedem anderen europäischen Land, nur nicht hier bei uns.
Wenn der derzeitige Referentenentwurf die Lösung für das Problem sein soll, ganz ehrlich, dann gilt der alte Spruch: Dann möchte ich mein Problem zurück. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer undankbar, nach dem Kollegen Dolgner zu reden. Allerdings, das muss ich auch sagen, spricht man dann häufig mit besserer Laune, das ist dann ja auch hilfreich für solche Debatten.
Zugang zum Internet bedeutet Teilhabe an der digitalen Gesellschaft, wobei dieser Begriff nicht ganz trennscharf beschrieben ist. Denn es gibt ja kaum noch so etwas wie eine nicht digitale Gesellschaft. Aus grüner Sicht geht es also um nicht viel weniger als um gesellschaftliche Teilhabe und darum, diese sicherzustellen. Die Voraussetzung für diese Teilhabe und damit für ein Gelingen des digitalen Wandels ist ein flächendeckender, leichter und kostengünstiger Zugang zum Internet. Es ist unser politischer Auftrag, gemeinsam mit dem Bund diesen Zugang zu ermöglichen.
Wir haben eine beschämende Unterversorgung im Bereich der freien WLAN-Zugänge im öffentlichen Raum. Wenn man in anderen europäischen Großstädten als Tourist oder als Geschäftsreisender ist, dann trifft man auf sehr, sehr viele offene und freie WLAN-Zugänge. Die deutschen Metropolen stehen hingegen auf dem analogen Abstellgleis.
Es gibt vor Ort oft genug Initiativen - die Kollegen haben die Beispiele genannt, wie zum Beispiel die Freifunkinitiativen, die die Innenstädte oder andere Orte, auch in Schleswig-Holstein, durch gemeinschaftliche Internetzugänge attraktiver machen wollen. Das heißt also, WLAN als öffentliche Daseinsvorsorge und ohne eigene Profitinteressen.
Es ist gut, dass die Bundesregierung privaten Unternehmen Rechtssicherheit für das Anbieten von WLAN geben will und dort erste Schritte geht, aber es kann doch nicht ernsthaft beabsichtigt sein, ehrenamtliche und allgemeinwohlorientierte Initiativen im Regen stehen zu lassen. Denn die Pläne der Bundesregierung sind größtenteils Murks, sie legen Menschen, die ihren Internetzugang mit anderen teilen möchten, weiterhin Steine in den Weg. Wer sein Netz ohne kommerzielles Interesse öffnet, soll
künftig auch den Namen der Nutzer und Nutzerinnen erfassen. Herr Kollege Dolgner hatte es gerade gesagt. Wie zuverlässig das geschehen soll, bleibt allerdings unklar. Damit werden die bekämpft, die die Courage und das technische Know-how haben, ihr Netz aus Solidarität zu öffnen, etwa auch auf dem Gelände von Flüchtlingsunterkünften, um eine Debatte aufzumachen, die auch noch eine Rolle spielt und die vor Ort Initiativen bewegt, wo jetzt bei uns im Land Flüchtlingsunterkünfte entstehen, oder einfach an hochfrequentierten Plätzen in den Städten.
Darum ist es wichtig, dass wir uns dafür einsetzen, dass die Haftungsfreistellung gemäß § 8 des Telemediengesetzes generell auch für Anbieterinnen und Anbietern von WLAN-Zugängen gilt. Die Störerhaftung ist bislang ein erheblicher Hinderungsgrund für die Bereitstellung von WLAN-Zugängen für Dritte. Denn die volle Haftung trifft immer denjenigen, der das Netz für die anderen öffnet. Die Justizministerkonferenz und der Bundesrat haben bereits im Jahre 2012 festgestellt, dass eine Beseitigung der derzeitigen Störerhaftung wünschenswert wäre. Denn wir brauchen größere Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber und -Betreiberinnen. Diese Rechtssicherheit wird von dem Entwurf des Telemediengesetzes der Großen Koalition in Berlin, unserer Bundesregierung, nicht gewährleistet.
Zwar wird von Haftungsfreistellungen von Betreiberinnen und Betreibern gesprochen, diese richten sich allerdings nur an Unternehmen und sind mit untragbaren Auflagen verbunden. Man solle, so heißt es dann in dem Gesetzentwurf, „zumutbare Maßnahmen“ ergreifen, um Missbrauch zu verhindern. Nur, wie soll das geschehen? In dem Gesetzestext ist etwa von „Verschlüsselungen oder vergleichbaren Maßnahmen“, durch die der Zugriff von außenstehenden Dritten verhindert werden soll, die Rede.
Wir als Grüne sagen ganz deutlich, dass die Große Koalition hier ganz eindeutig auf dem Holzweg ist, dies ist der falsche Weg. Es ist kontraproduktiv für den Ausbau unserer digitalen Infrastruktur. Da lehnen wir Grüne diesen Schritt eindeutig ab.
Von einer digitalen Agenda - dieses ist ja ein Modewort in der Politik, gerade auch in Berlin geworden - sind wir in Deutschland leider noch meilenweit entfernt. Wir befürchten, dass die Bundesregierung diese Schritte weiter verschläft.
Ich möchte mich am Schluss der Rede ganz ausdrücklich bei den Kollegen - das ist leider, so finde ich, bisher noch nicht so deutlich geworden - Dolgner und Breyer bedanken, dass es ihnen gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zu stellen und dass wir diesen Antrag nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in den Wirtschaftsausschuss überweisen, sondern dass wir ihn heute hier beschließen und damit ein gemeinsames Signal senden. Dafür herzlichen Dank an die beiden Kollegen. Das ist ein guter Schritt und zeigt, dass wir als Schleswig-Holsteiner auch bei diesem Thema vorneweg marschieren und hoffen, dass sich der Bund anschließt. - Vielen Dank.