Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Berichte in den Medien über die Zustände in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof hat auch meine Fraktion mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen müssen. Sie haben insgesamt den Fokus auf ein sehr schwieriges Thema der Jugendhilfe gelenkt, nämlich auf den angemessenen Umgang mit Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen, die durch die üblichen Maßnahmen der Jugendhilfe nicht mehr erreicht werden können.

Bei Kindern und Jugendlichen, die häufig bereits viel früher Opfer von Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt wurden, reicht der eher abstrakte Begriff „Gefährdung des Kindeswohls“ darum geht es uns allen hoffentlich - aus meiner Sicht nicht aus, um die Lebensumstände, unter denen sie aufwachsen müssen, angemessen zu beschreiben. Der Staat hat eine sehr schwierige Aufgabe, hier einzugreifen und die Rolle zu übernehmen, in deren Eltern komplett versagt und die bisherigen Maßnahmen der Jugendhilfe nicht ausgereicht haben.

(Daniel Günther)

Die Aufgabe besteht darin, im Spannungsfeld zwischen Sicherung des Kindeswohls auf der einen und Berücksichtigung der Rechte, Persönlichkeit und auch Würde der betroffenen Kinder oder Jugendlichen auf der anderen Seite den richtigen Weg zu finden. Ob diese Voraussetzungen in der Einrichtung Friesenhof vorgelegen haben und ob die Kinder und Jugendlichen dort in Übereinstimmung mit vertretbaren pädagogischen Grundsätzen, aber auch gesetzlichen Bestimmungen betreut wurden, werden wir im Ausschuss untersuchen.

Unser Untersuchungsausschussgesetz sieht vor, dass die antragstellenden Abgeordneten der Opposition in der Ausgestaltung des Untersuchungsantrages weitgehend frei sind. Das ist auch gut so. Allerdings verlangt das Gesetz als Mindestvoraussetzung, dass der Untersuchungsgegenstand hinreichend bestimmt festzulegen ist. Wir haben hier allerdings an mehreren Stellen Zweifel, ob der Antrag dieser Vorgabe durchgängig genügt.

(Lachen Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Dies wird sich im Laufe des Untersuchungsausschusses zeigen.

Ich freue mich, dass es die Antragsteller nicht nur bei der Untersuchung der möglichen Missstände und Versagen der Behörden belassen wollen, was das gute Recht der Opposition ist, sondern auch die Frage nach Schlussfolgerungen aus der Untersuchung stellen. Hier ermöglicht Ihre Formulierung aber eine Diskussion über alles, was man im weitesten Sinne als Konsequenz betrachten könnte. Das ist der Grund für unseren Änderungsantrag. Wir wollen dies in zwei Punkten etwas konkretisieren und fragen deshalb nach den bestehenden rechtlichen Konstruktionen der Aufsicht und möglichem gesetzgeberischen Änderungsbedarf. Dies müsste auch bei der Opposition zumindest ein Ziel des Untersuchungsausschusses sein. Außerdem wollen wir bei den Konsequenzen auch konkret der Frage nachgehen, welche pädagogische Konzeption denn für derartige Einrichtungen am besten geeignet wäre. Gerade diese Frage ist aus unserer Sicht besonders wichtig, um die Interessen der betroffenen Kinder und Jugendlichen,

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

die unseres Schutzes und unserer Fürsorge bedürfen, zu wahren und um den ganzen Aufwand, den wir letztlich mit solch einem Ausschuss betreiben wollen, auch zu rechtfertigen.

Wir werden dies selbstverständlich auch weiterhin im Ausschuss konstruktiv begleiten. Wir werden dies ebenfalls weiterhin mit dem Runden Tisch, den der Ausschuss bereits eingerichtet hat, konstruktiv begleiten. Denn es müsste doch in unser aller Interesse liegen, dass am Ende eines solchen Untersuchungsausschusses und am Ende der Beratungen aller Gremien etwas herauskommt, was den Schutz der Jugendlichen in Zukunft gewährleistet,

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

statt weiter mit Dreck zu werfen, mit Unterstellungen und mit irgendwelchen Akten, die angeblich verschleiert worden sind.

Aber das hat Sie, Kollege Günther, in Ihrer Rede ja entlarvt: Sie interessieren sich im Grunde nur für eines, nämlich eine Ministerin hier mit Dreck zu bewerfen. Aber der Untersuchungsausschuss wird ganz klar zeigen, was das Ergebnis am Ende sein wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Schön, dass Sie das schon wissen!)

Wenn es gut für die Jugendlichen ist, dann ist es gut. Aber Sie werden auf halber Strecke bleiben. Darauf vertraue ich.

(Lebhafter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist im Friesenhof wirklich passiert, und wie konnte es dazu kommen? Wir haben uns in zahlreichen Sitzungen und Sondersitzungen und bei Akteneinsichten im Sozialausschuss mit diesem Thema beschäftigt. Sie fordern heute einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich nehme es an dieser Stelle gleich vorweg: Meine Fraktion wird das unterstützen, und zwar aus einem Grund: Der Schutz von Kindern und Jugendlichen hat für uns alle höchste Priorität.

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass Sie in dem vorliegenden Antrag auf den Zeitpunkt zurückgehen, zu dem das Problem wahrscheinlich angefangen hat, nämlich das Jahr 2007. Ich finde es sehr richtig und wichtig, dass wir den Kinder- und Jugendschutz nicht nur auf diese Legislaturperiode und darauf beziehen, wer gerade in der Verantwor

(Serpil Midyatli)

tung gewesen ist, sondern dass wir klar zu den Ursachen kommen und zu der Frage, wie wir sie zukünftig verhindern können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir haben für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein klares Ziel vor Augen. Sie haben auch eines, das ist ganz klar. Sie wissen, was wir wollen; wir wissen, was Sie wollen. Es kann losgehen.

Was ist schiefgelaufen? Was muss in der Kinderund Jugendhilfe besser werden, und wie erreichen wir das? Ich sage Ihnen: An einer Stelle kristallisiert sich jetzt schon heraus, dass wir ein ganz großes Problem haben: Die wirtschaftlichen Interessen der Einrichtungsträger stehen ganz oben, die Kinderrechte ganz weit unten. Das steht in krassem Widerspruch zur Kinderrechtskonvention der UN und zur Grundrechte-Charta der Europäischen Union.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir müssen uns sehr genau anschauen, welche gesetzlichen Veränderungen erforderlich sind, um die Kinder- und Jugendrechte auf Augenhöhe zu bringen oder - wenn es nach mir ginge - dafür zu sorgen, dass sie die deutliche Priorität haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dreh- und Angelpunkt jeder Einrichtung ist das pädagogische Konzept. Deswegen wäre es fahrlässig, wenn wir uns nicht um die pädagogischen Konzepte kümmern würden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Jetzt kommen wir zu den Einrichtungen im Bereich des Ministeriums. 1.300 Einrichtungen betreut das Landesjugendamt. Ich sage Ihnen ganz offen: Auch da müssen wir hinschauen. Welchen Personalschlüssel brauchen wir? Welche Qualifikation ist erforderlich? Wenn es Hinweise gibt, dass nachgebessert werden muss - zum Teil ist das schon erfolgt -, muss dort weiter nachgebessert werden.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Auch der Kontakt zu den Amtsvormundschaften ist nach unserer Einschätzung gesetzlich derzeit nicht optimal geregelt. Auch das ist eine Stellschraube, von der wir überzeugt sind, dass dort nachjustiert werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn in einer Einrichtung hier bei uns in Schleswig-Holstein Fenstergriffe abmontiert und Türen abgeschlossen werden, dann ist das für mich eine geschlossene Einrichtung. Ich frage mich: Wie war es möglich, dass wir eine solche Einrichtung in Schleswig-Holstein haben? Ich hätte das bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten. Jetzt ist es so weit, lieber Kollege Günther: Wir kommen zu Ihrem Punkt 8.

Lesen Sie sich Punkt 8.2 noch einmal ganz genau durch. Die Gesetzeslücke ist nach meiner jetzigen Einschätzung - das würde ich gerne im parlamentarischen Untersuchungsausschuss genauer abgeklärt sehen - nämlich die: Wenn eine Betriebserlaubnis einmal da ist, was ist dann? Dann gilt diese weiter, obwohl es neue gesetzliche Regelungen gibt. Das Bundeskinderschutzgesetz ist in Kraft getreten. Trotzdem konnte das in Schleswig-Holstein passieren. Das wollen wir nicht auf sich beruhen lassen. Das sage ich Ihnen jetzt schon. Das wollen wir ändern.

Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn ein Auto alle zwei Jahre zum TÜV muss, dann frage ich mich, warum das nicht auch für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gilt. Wie können wir es zukünftig verhindern, dass wir hier im Landtag Gesetze machen und nicht davon ausgehen können, dass alle Einrichtungen in Schleswig-Holstein diese auch befolgen? Auch das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Ich bin davon überzeugt, dass wir viele gute Einrichtungen mit vielen engagierten Pädagoginnen und Pädagogen haben. In diesem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geht es aber darum, dass Kinder und Jugendliche unseren Schutz und ihre Menschenwürde erhalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist keine En- quetekommission!)

Ich freue mich auf die Auseinandersetzung. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin von der Rede von Frau Bohn wirklich begeistert. Frau Bohn, ich bin von Ihrer Rede vor allen Dingen deshalb begeistert, weil Sie gerade das

(Dr. Marret Bohn)

genaue Gegenteil von dem erklärt haben, was die Ministerin auf meine parlamentarischen Anfragen hin mitgeteilt hat. Meine Frage, ob Verstöße gegen die Kinderrechtskonvention vorgelegen haben, ist verneint worden.

Sie fragen nun heute, wie es sein kann, dass solche Verstöße in Schleswig-Holstein stattfinden. Ich finde das schon bemerkenswert. Darauf werde ich aber noch zurückkommen, weil wir unterscheiden müssen zwischen dem, was Sie berechtigterweise wollen, und den Fachfragen, die Sie stellen. Der PUA ist von Rechts wegen aber keine Enquetekommission und auch kein Ersatz des Sozialausschusses. All die Fragen, die Sie pädagogisch klären wollen, gehören in diese Gremien, aber nicht in einen PUA, den wir heute einsetzen werden.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

Ich erkläre Ihnen das gleich auch noch einmal rechtlich. Wir können das auch gerne gerichtlich ausstreiten. Damit haben wir gar kein Problem. Dazu komme ich gleich noch einmal.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Doch. Es geht darum, dass wir Missstände aufklären. Es geht nicht darum, dass wir pädagogische Konzepte bewerten. Wer von uns soll das denn tun? Sehen Sie sich dazu in der Lage? Ist es eine sinnvolle Abarbeitung eines Problems, wenn der PUA beschließt, dass ein bestimmtes pädagogisches Konzept sinnvoll ist und der Runde Tisch genau den gegenteiligen Beschluss fasst? Es geht um die Frage, wie diese Missstände entstehen konnten und wie derartige Missstände künftig verhindert werden können. Das hat mit dem pädagogischen Konzept zunächst einmal nichts zu tun.

(Beifall FDP und CDU)

Herr Abgeordneter Kubicki, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eichstädt?