Protokoll der Sitzung vom 11.12.2020

Bei aller Härte, die diese vier Wochen bedeuten werden, bitte ich Sie darum, auch an die Menschen zu denken, die seit neun Monaten ihren Job nicht ausüben können; ein Beispiel sind die Kulturschaffenden, die seit neun Monaten ohne Perspektive sind. Angesichts dessen kann man, wie ich finde, von uns allen erwarten, dass wir vier Wochen lang auf diese Weise Solidarität üben, das heißt, diesen harten Lockdown über uns ergehen lassen. Alle sollten mitmachen. Das ist es, was wir alle miteinander leisten können.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir haben schon so viel des Weges zusammen geschafft, und auch alle Kulturschaffenden und Schausteller sollen wissen: Sie haben den längsten Weg der Strecke, den Sie gegangen sind, bereits hinter sich. Es gibt Hoffnung im nächsten Jahr.

Wir wissen, dass jetzt Impfstoffe kommen, wir wissen, dass es danach aufwärtsgehen kann. Es wird mit Sicherheit bis Ostern noch eine unglaublich harte Zeit auch mit Einschränkungen geben, ohne Frage. Wie viel Öffnungen wir vor Ostern machen können, können wir nur entscheiden, wenn wir wissen, wie sich die Inzidenzzahlen entwickeln. Das sage ich in aller Offenheit.

Für diese Landesregierung sage ich aber auch: Sofern wir Licht sehen, werden die Beschränkungen

(Ministerpräsident Daniel Günther)

nicht einfach nur aufrechterhalten, sondern wir wollen Freiheiten so früh wie möglich ermöglichen. Aber wir werden das verantwortungsbewusst machen. Wir werden auch an diejenigen denken, die über das kommende Weihnachtsfest überhaupt nicht ans Feiern denken und dies ohnehin schon nicht daran gedacht haben, sondern auch an die, die in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen unterwegs sind. Auch an die sollten wir im Moment alle miteinander denken.

Deswegen bitte ich alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, in diesen Zeiten solidarisch zu sein, sich in diesen Zeiten an die geltenden Regeln zu halten.

Wir haben bereits einen großen Teil der Wegstrecke hinter uns gebracht und haben es selbst in der Hand. Ich bin davon überzeugt, dass die SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner diesen Weg mitgehen werden, weil sie wissen, dass wir es gemeinsam schaffen können.

Ich bitte Sie alle hier im Schleswig-Holsteinischen Parlament herzlich um Unterstützung für den schweren Weg, den wir in diesen Wochen gehen müssen. Gemeinsam werden wir das schaffen.

(Starker Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort hat der Oppositionsführer, der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronalage in Deutschland ist dramatisch. Wir beobachten eine unheilvolle Kombination aus bereits jetzt viel zu hohen Zahlen und ein gleichzeitig sich beschleunigendes Wachstum der Infektionswerte.

Die Todesfälle haben eine erschütternde Größenordnung erreicht, die wir nicht akzeptieren können. Sie ist einmalig in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes. Hinter jeder dieser Zahlen stecken ein Schicksal und eine trauernde Familie. Das sollten wir immer bedenken.

Die Expertinnen und Experten haben uns eindrücklich vorgerechnet, wie viele Menschen in den kommenden Monaten zusätzlich sterben werden, wenn wir nicht unverzüglich handeln. Schleswig-Holstein hat nach wie vor niedrigere Zahlen als andere Bundesländer. Aber die drastische Steigerung der Infektionszahlen ist auch bei uns zutiefst beunruhigend.

Wir wissen, was in anderen Bundesländern passiert ist, die sich in Anbetracht ihrer zwischenzeitlich vergleichsweise guten Werte in falscher Sicherheit wähnten.

Seit gestern ist klar, dass unser Land auf Basis der Empfehlungen aus der Wissenschaft auf einen Lockdown zusteuert. Das ist folgerichtig, weil wir in Anbetracht der Dramatik der Situation nicht zuschauen können und dürfen. Das ist die Verantwortung, die wir alle in diesem Hause in SchleswigHolstein haben. Hinter diese gemeinsame Verantwortung müssen parteipolitischer Streit und Rituale von Regierung und Opposition zurücktreten. Wir unterstützen ausdrücklich die Generallinie dieses Vorgehens der Landesregierung.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Dennoch müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass die Ankündigungen des Lockdowns von vielen Menschen als überraschend und vielleicht auch überhastet wahrgenommen wurden, gerade dann, wenn man nicht 24/7 den politischen Livetickern folgt, die ja auch nicht nur von Weisheit geprägt sind.

Es bestätigt darum auch meine Fraktion in der Auffassung, dass wir wegkommen müssen von dieser Art kurzfristiger Abfolge von Jojo-Verfahren der Verschärfungen und Lockerungen, deren Grundlage für viele Menschen nur noch schwer nachvollziehbar ist, zumal vor uns noch lange Monate mit dem Coronavirus liegen, bevor im Frühsommer die Impfstoffe hoffentlich eine breitere Wirkung entfalten werden. Das bleibt übrigens die beste Botschaft in dieser eigenartigen Vorweihnachtszeit.

Aus unserer Sicht braucht es daher unabhängig vom Lockdown zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine bundesweite Vereinbarung über eine verbindliche Inzidenzampel, die klar vorgibt, ab welchen Infektionszahlen eine bestimmte Maßnahme greift und auch wieder gelockert wird. Das ist kein Allheilmittel, aber es gibt den Menschen im Land eine Perspektive, bietet Raum für regionale Unterschiede und schafft Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität.

Herr Ministerpräsident, das ist aus Sicht meiner Fraktion ein entscheidender Punkt für die anstehenden Beratungen von Bund und Ländern, weil wir nur so die wichtige und bisher ausgeprägte Akzeptanz der Bevölkerung erhalten werden.

Es ist im Übrigen auch der richtige Umgang mit den Eingriffen in die Freiheitsrechte der Menschen,

(Ministerpräsident Daniel Günther)

die immer begründet und immer zeitlich begrenzt sein müssen. Das schreibt unsere Verfassung vor. Deswegen sind auch wir gegen Ausgangssperren, die im Grunde genommen nur Kraftmeierei sind, in der Sache aber gar nichts bewirken.

(Beifall SPD)

Wenn wir im Zusammenspiel der norddeutschen Länder oder im bundesweiten Schulterschluss einen „harten“ Lockdown vereinbaren, wie das so heißt, wird die SPD-Fraktion diesen unterstützen; denn der Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung, also die Vermeidung von Infektionen und Todesfällen, muss allererste Priorität haben und behalten. Anders geht es nicht.

(Beifall SPD und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber wir wären schlecht beraten, wenn wir nicht die Erfahrungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr berücksichtigten. Daraus ergeben sich aus Sicht meiner Fraktion sechs Schlussfolgerungen:

Erstens. Wir müssen die Bedürfnisse der Familien stärker im Blick behalten. Darum wird es in den Kitas bedingungslose Betreuungsangebote brauchen. Bei den Schulen gilt für uns nach wie vor, dass sie so lange wie möglich offenbleiben sollten. Aber wir sind zugleich der Überzeugung, dass Niedersachsen mit der Aussetzung der Präsenzpflicht ab Montag eine pragmatische Lösung gefunden hat.

Wir wissen im Übrigen, dass in den letzten Tagen vor Weihnachten der Höhepunkt nicht bei der Vermittlung von Bildungsinhalten liegt. Die Schulen bleiben also offen für diejenigen, die darauf angewiesen sind, aber wir ermöglichen allen Schülerinnen und Schülern, die nicht darauf angewiesen sind, zu Hause zu bleiben. Diese Lösung wünschen wir uns auch für Schleswig-Holstein; das passiert ja jetzt auch so.

Herr Ministerpräsident, ich begrüße es sehr, dass die Landesregierung sich dem angeschlossen hat. Wir haben ja auch gestern für die Sozialdemokratie dargestellt, dass das die beste Lösung für die Kitas und Schulen ist. Vielen herzlichen Dank. Wir unterstützen das ausdrücklich.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Zweitens. Im Frühjahr haben wir in den Heimen Situationen erlebt, die sich nicht wiederholen dürfen. Isolation und Besuchsverbote hatten für die Generation unserer Eltern und Großeltern, aber auch für Menschen mit Behinderung dramatische Folgen.

Vieles davon entspricht in keiner Weise unseren humanitären Werten. Aber nicht zuletzt der Ausbruch in einem Kieler Altenheim hat uns an die Bedeutung des konsequenten Gesundheitsschutzes gerade in diesen Einrichtungen erinnert. Das ist eine schwierige Abwägung. Deswegen brauchen wir nach unserer Überzeugung eine massive Ausweitung von Schnelltests und die ausreichende Bereitstellung von Schutzmaterialien.

(Beifall SPD)

Beides gilt im Übrigen auch für die Krankenhäuser, aus denen uns viele Nachrichten erreichen, dass Personal da oder dort nach wie vor nicht ausreichend getestet wird. Auch das scheint mir wichtig zu sein. Beides gehört ins Verhältnis gebracht. Daran sieht man übrigens auch, dass Politik schwierig ist und nicht etwas mit lockeren Worten getan werden kann, sondern dass es eine harte und schwierige Abwägungsarbeit ist. Ich bin übrigens denjenigen, die das in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern vor Ort tun, ausdrücklich dankbar für ihre Arbeit.

(Beifall SPD, FDP und SSW)

Drittens. Der Lockdown wird zum Ende eines bereits schwierigen Jahres in einer umsatzstarken Zeit in vielen Bereichen zu drastischen Einnahmeausfällen führen. Wir brauchen weiterhin praktikable Wirtschafts- und Überbrückungshilfen, um Einnahmeausfälle abzupuffern und dadurch Beschäftigung zu sichern.

Wir wissen, dass der Bund insbesondere in den vergangenen zwei Monaten viel geleistet hat - dafür sind wir dankbar -; aber er wird sich auch in dieser Frage noch einmal engagieren müssen. Damit können die Länder nicht alleinbleiben. Und, lieber Herr Minister Altmaier, wir müssen auch dafür sorgen, dass die Hilfen bezahlt werden und dass etwas passiert, und zwar unbürokratisch und schnell. Computersysteme müssen zum Laufen gebracht werden. Auch die Alten- und Pflegeheime müssen Übermenschliches leisten. Das gilt auch für die ITDienstleister und andere. Wir müssen solche Hilfen jetzt auch gängig machen, damit die Bevölkerung Vertrauen hat.

(Beifall SPD und FDP)

Viertens. Es gab im Frühjahr Verstimmungen, weil die Absprachen mit Hamburg nicht immer so funktioniert haben, wie sich das in einer Metropolregion alle wünschen. Das darf sich nicht wiederholen. Wir brauchen den engen Schulterschluss mit dem

(Dr. Ralf Stegner)

norddeutschen Nachbarn, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, FDP und SSW)

Fünftens. Nach wie vor gilt: Bei allen Beschlüssen ist umfangreiche Transparenz unerlässlich. Das gilt für die intensive Beteiligung der Öffentlichkeit, aber auch für die Einbindung des Parlaments. Ich weiß, dass wir mit unserem heutigen Dringlichkeitsantrag einige Abläufe durcheinanderbringen.

Aber aus der Zuspitzung der Lage ergibt sich der dringende Bedarf, heute hier zu reden.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist die richtige Reihenfolge, die Regierung jetzt berichten zu lassen und ihr unsere Position mitzugeben, sie dann im Bund verhandeln zu lassen und im Anschluss im Parlament über das konkrete Umsetzungsgeschehen zu sprechen. Das wird der Rolle des Parlaments gerecht. Herr Landtagspräsident ich will das hier gerne wiederholen -, wir sind ihr, glaube ich, auch in den vergangenen Monaten gerecht geworden. Aber es ist auch wichtig, dass das so bleibt.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei geht es übrigens nicht um unsere Eitelkeiten als Abgeordnete, sondern es geht um die nötige Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürger. Sie zeigt eben, dass Beschlüsse nicht in Hinterzimmern getroffen werden, wie das immer behauptet wird. Ich will hinzufügen: Die Debatte im Parlament ist der sehr viel bessere Weg als im Akkord versandte Pressemitteilungen, Hintergrundgespräche oder die Social-Media-Soundbites, bei der die eine Überschrift versucht, die andere zu übertrumpfen. Inszenierungen mögen in Normalzeiten zur Politik dazugehören. In dieser Krise wirken sie schal angesichts der Herausforderungen, die wir gemeinsam zu stemmen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.