Protokoll der Sitzung vom 13.10.2017

Antrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/277

Auch hier wird das Wort zur Begründung nicht gewünscht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion als Antragsteller hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch macht Fehler, aber viele Menschen bemerken sie nur bei anderen. Das soll mir nicht unterlaufen. Deswegen will ich ausdrücklich einen Fehler korrigieren, den ich selbst gemacht habe. Denn ich habe Sie vor der Presse dafür gelobt, dass Sie ein Vorhaben Ihrer 100-Tage-Frist nicht umgesetzt haben, nämlich die Erreichung einer Bundesratsinitiative zur Schleifung des Mindestlohns. Ich muss mit Bedauern feststellen: Das war falsch. Denn wir haben inzwischen erfahren, dass Sie das doch tun.

Für CDU und FDP ist das ja nicht neu. Das, was Rechte von Arbeitnehmern angeht, heißt bei Ihnen Bürokratie. Das ist bei der FDP geradezu ein Synonym. Dann ist Abbau von Arbeitnehmerrechten

Bürokratieabbau, so verstehen Sie das ja. Wäre es nach Ihnen gegangen, dann hätte es den Mindestlohn gar nicht gegeben. Die Löhne in Deutschland lägen immer noch unter 8,84 €. Zum Glück ist das dank der Sozialdemokratie verhindert und geändert worden.

(Beifall SPD und SSW)

Neu allerdings ist die Haltung der Grünen. In ihrem Bundestagswahlprogramm haben sie noch geschrieben, ich zitiere:

„Der eingeführte Mindestlohn war ein wichtiger Etappensieg. Er muss ausnahmslos für alle Angestellten gelten.“

Die feurigen Reden des Kollegen Tietze an unsere Adresse vor dem Hintergrund der Aussagen nach dem Motto, wir seien retro und Ähnliches, das sei gerecht, was man da alles mache, sind, das muss ich ehrlich sagen, schal, wenn man einer solchen Initiative zustimmt. Ich habe den Eindruck, Teilen der Koalition ist das peinlich, denn wieso haben Sie das, was Sie da jetzt als Initiative gebracht haben, verschwiegen? Sie haben keine Presseerklärung dazu herausgegeben, es gab kein Facebook-Video des Ministerpräsidenten dazu und nichts aus der PR-Abteilung der Staatskanzlei. Es gab nichts von all dem, das man kennt, weil Sie nämlich merken, dass manche bald nicht mehr durch den Mindestlohn geschützt werden.

Sie können Ihre wahren sozialpolitischen Ziele noch so gründlich hinter Zukunftslaboren und Worthülsen verstecken, das hilft Ihnen alles nichts, wenn Sie solche Anträge stellen. Minister Buchholz hat bei der Debatte zum Vergabemindestlohn schon etwas gesagt. Das haben Sie als seine private Meinung abgetan. Da waren wir schon skeptisch. Was das aber bedeutet, das sehen wir heute: Klar, das, was die Landesregierung hier beschlossen hat, einzureichen, ist FDP pur. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Vogt und Herr Kollege Kubicki. Dass die anderen das so mitmachen, finde ich wirklich erstaunlich.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Sie sind und bleiben eine Landesregierung der Arbeitgeber. Wenn Sie vom mittelstandsfreundlichsten Bundesland sprechen, dann meinen Sie ein Bundesland, in dem Arbeitnehmerinteressen keine Rolle spielen. Das ist Jamaikas Kern. Bei der schwarzen Ampel ist es für Arbeitnehmerrechte zappenduster, das muss man hier feststellen.

(Beifall SPD und SSW)

(Präsident Klaus Schlie)

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ihre Breitseite gegen den Mindestlohn ist aus schleswig-holsteinischer Sicht besonders perfide, denn Ihre Pläne zur Schleifung der Dokumentationspflicht treffen vor allem Beschäftigte in der Gastronomie, im Handel und in der Logistik. Sie betreffen vor allen Dingen Frauen, die besonders häufig in Teilzeit arbeiten. Darum geht es nämlich.

Ich will Ihnen etwas zur Dokumentationspflicht sagen: Wer sie angreift, der macht den Mindestlohn kaputt. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Der Zoll meldete Ende September schon einen Anstieg der ermittelten Verstöße von Firmen gegen den Mindestlohn um 40 % im Vergleich zum Vorjahr. Das ist ein dramatischer Befund. Wir brauchen nicht weniger Dokumentation, sondern wir brauchen mehr Kontrolle, wenn wir Menschen schützen wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD und SSW)

Der DGB hat gesagt, das, was Sie mit der Initiative machen, sei schwarz-grün-gelber Käse, weil er viele Löcher in den Mindestlohn bohrt. Sie wissen: Ein Käse, der so aussieht, ist ziemlich ungenießbar. Ungenießbar ist auch das, was Sie da in der Tat auf den Weg bringen.

Sie reden von Dokumentationspflichten. Ich will Sie ehrlich fragen: Was meinen Sie damit eigentlich? Es müssen drei Dinge dokumentiert werden: der Anfang der Arbeitszeit, das Ende der Arbeitszeit, die Dauer der Arbeitszeit. Das ist wirklich ein riesiger Bürokratieaufwand. Das machen Handwerker seit Hunderten von Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Was ist daran eigentlich Bürokratie?

(Beifall SPD und SSW)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist wirklich eine Frechheit. Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, das zeigt, wie das mit der Bürokratie aussieht.

(Dr. Ralf Stegner [SPD] hält ein Schriftstück hoch)

- So sieht ein Zettel aus, auf dem man Anfang und Ende der Arbeitszeit und die Pausen festhält. Wissen Sie, der Mindestlohn bezieht sich auf eine Stunde. Es heißt nicht: ein Mindestlohn für eineinhalb Stunden. Wenn man Anfang und Ende nicht festhält, dann weiß man gar nicht, wie lange man gearbeitet hat. Würden Sie eigentlich eine Handwerkerrechnung bezahlen und dulden, bei der er nicht aufgeschrieben hat, wann er angefangen und wann er aufgehört hat? Das ist doch eine richtige Frechheit, hier von Dokumentationspflichten zu reden. Sie

wollen dem Mindestlohn ans Leder. Das machen Sie hier unverblümt, und ihre Kollegen in der Koalition machen das mit.

(Beifall SPD und SSW)

Da können Sie wirklich hundert Mal erzählen, dass es Ihnen eigentlich darum gehe, mittelstandsfreundlichstes Bundesland zu werden, und dass Sie eigentlich für gute Arbeit seien. Sie haben Zukunftslabore und alles Mögliche. Ich weiß: Sie sind schrecklich dynamisch, und wir sind retro, weil wir für Arbeitnehmerrechte eintreten. Da bin ich gern retro, das muss ich Ihnen sagen.

Sie orientieren sich an Ihren neuen Philosophen. Ich will Ihnen etwas von einem sehr alten Philosophen sagen, nämlich von Plato. Der hat gesagt: Die schlimmste Art der Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit. - Das ist das, was die schwarze Ampel hier vorführt. Sie wenden sich gegen Arbeitnehmerrechte. Es ist gut, dass die Menschen in diesem Land wissen: Sie bekennen sich nur rhetorisch zum Mindestlohn. In Wirklichkeit wollen Sie ihn aushöhlen. Sie haben damit nichts am Hut, Sie sind die Partei der Besserverdiener. Wir sind die, die sich für Gerechtigkeit einsetzt, und dabei wird es bleiben.

(Beifall SPD und SSW)

Herr Ministerpräsident, wenn das eine Ihrer ersten Taten ist, so eine Bundesratsinitiative einzubringen, dann muss ich sagen, das ist wirklich ein schwarzer Tag für Arbeitnehmer, vor allen Dingen für Arbeitnehmerinnen in Schleswig-Holstein. Sie sollten sich schämen. Ziehen Sie den Antrag zurück! Dazu fordere ich Sie ausdrücklich auf.

(Beifall SPD und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Lukas Kilian das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Dr. Stegner, ich würde Ihr Zitat gern aktualisieren: Die schlimmste Art von Empörung ist die vorgetäuschte Empörung.

(Beifall CDU und FDP)

Ich frage mich ganz im Ernst: Kennen Sie die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung? Kennen Sie die? Wissen Sie, welche Bundesarbeitsministerin die unterzeichnet hat?

(Dr. Ralf Stegner)

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Das ist nicht die Verordnung, Herr Stegner. Das ist ein Stundenzettel. Ich frage Sie, ob Sie die Verordnung kennen, denn darüber reden wir. Die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung - ich gebe zu, das ist kein Wort, das besonders einfach ist - ist eine Verordnung, die von Andrea Nahles unterzeichnet worden ist, und in dieser Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung steht drin, wann man auf Dokumentation verzichten kann. Sie ist von einer SPD-Ministerin unterzeichnet, und da könnte man sich natürlich fragen: Will die den Mindestlohn schleifen? Möchte sie die Arbeitnehmerrechte mit Füßen treten? Oder aber sagt die sich: Wir machen da keine Dokumentationspflichten, wo wir sie nicht brauchen, weil es unnötige Bürokratie ist?

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt AfD)

Das ist geregelt in der, ich wiederhole es gern, Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung. Da steht drin: Wer ein Vollzeitanstellungsverhältnis hat, in dem er brutto 2.958 € verdient, der braucht, wenn er geringfügig beschäftigt ist, keinen Stundenzettel. Das sind die kleinen Zettel, die Sie da haben. Der braucht das nicht. Was ist der Gedanke dahinter? Der Gedanke dahinter ist: Wer ein auskömmliches Einkommen hat, der wird bei einer geringfügigen Beschäftigung nicht unter Mindestlohn arbeiten. Das ist SPD-Politik, die erkläre ich Ihnen nur kurz. Da werden Arbeitnehmerrechte nach Ihren Worten geschliffen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Was wollen Sie denn ändern?)

- Wir wollen verändern, weil wir sagen: Ja, diese Verordnung ist gut, aber man hat einen Punkt vergessen. Man hat vergessen: Wenn jemand in Teilzeit arbeitet und auch ein gutes Gehalt und damit ein Gehalt bekommt, das deutlich über dem Mindestlohn liegt und zusätzlich eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt, wird derjenige genauso wie derjenige, der Vollzeit ein gutes Gehalt bekommt, auch nicht unter Mindestlohn arbeiten.

(Beifall CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf Birte Pauls [SPD])

Das ist das Argument, bei dem wir sagen, da könnte man über Ausnahmeregelungen nachdenken.

Es ist so: Gestern Abend war Andrea Nahles den Ausführungen von Wolfgang Kubicki bei „Maybrit Illner“ nicht gewachsen und tönte dann laut rum: Der Mindestlohn wird unterhöhlt, Standards wer

den aufgemacht, Teilzeitbeschäftigte werden von der Dokumentationspflicht ausgenommen. - Dokumentationen werden bei Teilzeitbeschäftigungen nicht rausgenommen, sondern wir sagen: Man muss überlegen, eine solche Regelung für Teilzeitbeschäftigte aufzunehmen, weil wir diese Regelung im Moment nur für Vollzeitbeschäftigte haben. Wir wollen daher, das sage ich ganz deutlich, die Dokumentationspflicht nur an der Stelle herausnehmen, an der wir sagen: Durch den guten Verdienst in einer Teilzeitbeschäftigung wird der Arbeitnehmer sowieso nicht zu geringfügigen Löhnen arbeiten, bei denen der Mindestlohn gefährdet ist.

(Birte Pauls [SPD]: Nennen Sie ein Bei- spiel!)

Deswegen ist eine weitere Ausnahmeregelung hier sinnvoll und angedacht.

(Beifall CDU und FDP)

Wir fordern nicht, den Mindestlohn durch die Hintertür abzuschaffen, sondern allein die unnötige Dokumentation dort einzuschränken, wo klar ist, dass der Mindestlohn gezahlt wird. Das ist im Endeffekt genau das, was Frau Nahles in ihrer Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung auch regeln wollte. Ihr Antrag ist bundespolitisch motiviert von dem Auftritt von Frau Nahles. Er ist sicher kein, und ich zitiere, Schlag „in die Fresse“, sondern eine kalkulierte Empörung am falschen Ort. Frau Nahles möchte sich jetzt in irgendeiner Art und Weise gegen das ach so sozialkalte Jamaika profilieren. Dass Sie das hier an der Stelle aufgreifen, ohne sich mit der Verordnung, die von Ihren eigenen Sozialdemokraten geschaffen wurde, auseinanderzusetzen und genau zu gucken, ob das ein Problem ist oder ob hier in Wirklichkeit nur dafür gearbeitet wird, dass man ein mittelstandsfreundliches Bundesland wird und gleichzeitig die Arbeitnehmer schützt und wahrt, das ist der entscheidende Punkt.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sie schützen gar nichts!)