Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

Das Wort für die Landesregierung hat die Finanzministerin Monika Heinold.

(Zurufe Serpil Midyatli [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP])

- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Redebeitrag des Kollegen Dr. Stegner ist vorbei. Wenn Sie weiter darüber diskutieren wollen, müssen Sie das außerhalb des Parlaments tun, weil Sie hier keine Redezeiten mehr dazu haben. - Das Wort hat jetzt die Frau Ministerin Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gute ist, dass wir uns einig sind, dass wir im Bereich der Steuergerechtigkeit noch viel tun müssen. Das Gute ist, dass wir alle sehen, dass Schleswig-Holstein als kleines Rädchen in einer globalisierten Welt seinen Teil mit dazu beitragen muss, wird und kann, damit Steuerschlupflöcher geschlossen werden und Steuervermeidung eingedämmt wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Wir wissen, dass wir mehr Transparenz brauchen. Wir müssen den Anspruch haben, dass Gesetze so

geändert werden, dass nur legal ist, was von unserer Gesellschaft auch als legitim eingestuft wird.

Der Koalitionsvertrag ist an dieser Stelle sehr klar. Das freut mich. Unser Koalitionsvertrag benennt sehr klar zwei zentrale Punkte, wo sich gesetzgeberisch etwas verändern muss. Das ist der Bereich der Share Deals, der Schließung der Steuerschlupflöcher bei der Grunderwerbsteuer, und das ist die Anzeigepflicht nicht nur für europäische Steuergestaltung, sondern - wie wir wollen - auf nationaler Ebene. Es ist gut, dass wir dies im Koalitionsvertrag haben.

Meine Damen und Herren, sollte es in Berlin Jamaika geben, ist meine Erwartung, dass ein Berliner Jamaika-Vertrag im Bereich der Steuerpolitik genauso gut und genauso klar ist wie unser Vertrag. Alles andere wäre eine Enttäuschung. Ich sage aber auch: Alles, was wir reinbekommen und was mehr ist zu dem, was die Große Koalition in den letzten vier Jahren geschaffen hat, ist gut. Insofern messen wir uns daran, Herr Stegner, was die SPD mit der CDU in den letzten Jahren geschafft hat. Schaffen wir es, in Berlin mehr hinzubekommen? Daran werden Sie uns messen können. Wenn wir auch nicht mehr geschafft haben als Sie, haben wir Augenhöhe. Wenn wir mehr schaffen, sind wir besser. Weniger schaffen kann man nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass wir bei der Anzeigepflicht zur Steuergestaltung, die wir in nationales Recht gießen wollen, die SPD-geführten Länder an unserer Seite haben. Sie finden unsere Initiative und die Arbeitsgemeinschaft, die wir gegründet haben, bei der Herr Dr. Nimmermann gemeinsam mit Rheinland-Pfalz den Vorsitz haben wird, gut und richtig.

(Serpil Midyatli [SPD]: Was sagen die ande- ren?)

- Das will ich Ihnen gern sagen: Die SPD-geführten Landesregierungen finden das gut und richtig. Deshalb gehe ich davon aus, dass auch Sie diese Initiative gut und richtig finden. Das ist erfreulich. Die B-Seite tut sich da schwerer. Deshalb müssen wir da bin ich wieder bei der Großen Koalition der letzten vier Jahre - noch viel Überzeugungsleistung erbringen, damit wir in Berlin tatsächlich vorankommen.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

- Frau Midyatli, Sie können sich immer so wunderbar aufregen. Ich hoffe, Sie haben einen genauso

(Dr. Ralf Stegner)

niedrigen Blutdruck wie ich. Dann ist das gut verkraftbar.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Serpil Midyatli [SPD]: Es ist nett, dass Sie sich um meine Gesundheit Sorgen machen! Danke!)

- Immer gern! - Eine Anzeigepflicht bei der Steuergestaltung ist kein Neuland. Andere Länder - Großbritannien, Irland, Portugal, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Südafrika - haben das. Nun mögen diese Länder an anderer Stelle eine Gesetzgebung haben, die wir nicht richtig finden. Aber die Anzeigepflicht ist kein Neuland und kann deshalb umgesetzt werden.

Natürlich wünsche ich mir für unsere Initiative, für den eingereichten Bundesratsantrag zur Grunderwerbsteuer, eine Mehrheit, um das Steuerschlupfloch der Share Deals zu schließen. Das ist überfällig. Das muss passieren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Wenn wir die Einnahmen dazu nutzen können, um Familien beim Erwerb eines Eigentums zu entlasten, ist das das Beste, was passieren kann: ein Steuerschlupfloch schließen, um andere, die viel zur Finanzierung unseres Staates beitragen, Familien, die bauen wollen, zu entlasten.

Meine Damen und Herren, die Debatte um Steuergerechtigkeit wird auch deshalb so emotional geführt, weil sich viele Menschen in unserem Land anstrengen, um unseren Staat zu finanzieren. Wenn ich beispielsweise eine Kita-Erzieherin anführe, die rund 2.500 € brutto hat, dann kann es je nach Steuerklasse gut sein, dass sie allein gut 300 € Lohnsteuer zahlt. Dann sieht sie den Großkonzern, der sich vom Acker macht, seinen Teil zur Daseinsvorsorge nicht leistet und sich nicht an der Bildungsfinanzierung beteiligt. Das ist schreiend ungerecht; deshalb müssen wir uns so sehr um Steuergerechtigkeit kümmern und gesetzgeberisch nachbessern, damit in unserem Land nicht der Populismus, sondern die Gerechtigkeit siegt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Es gibt immer sehr unterschiedliche Schätzwerte dazu, was wir an Mehreinnahmen hätten, wenn wir Steuerschlupflöcher schlössen. Das sind immer Schätzungen. Deshalb werden wir die Frage der Belastbarkeit erst im Nachhinein, wenn das Steuerschlupfloch geschlossen ist und wir sehen, was passiert, beantworten können; aber diese Summen sind

sehr groß. Bei der Grunderwerbsteuer wird bei den Share Deals bundesweit von 1 Milliarde € ausgegangen. Hinsichtlich der internationalen Konzerne und der Gewinnverlagerung in Steueroasen geht man in Studien davon aus, dass es sich allein in Deutschland um 17 Milliarden € handelt. Das ist viel Geld. Wenn wir das einmal mit dem Königsteiner Schlüssel auf Schleswig-Holstein herunterbrächen, könnten wir, wenn wir Steuerschlupflöcher schlössen, wenn wir Steuergerechtigkeit herstellten, wenn wir gesetzgeberisch tätig würden - damit auch das, was als legitim empfunden wird, legal wird -, wenn wir dies tatsächlich schafften, sehr viel mehr in Bildung investieren. Mein Wunsch ist immer noch, eine Bildungsrevolution in Deutschland zu starten, von der Kita über die Schule bis zur Hochschule. Deshalb kämpfe ich für Steuergerechtigkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es vorangeht. Der Gesetzgeber ist gefragt. Wir können von Schleswig-Holstein aus die Probleme nicht selbst lösen; aber wir können bundesweite Initiativen starten und unterstützen. Darauf haben wir uns mit dem Koalitionsvertrag verständigt. Lassen Sie mich sagen, dass mich gerade dieser Teil im Koalitionsvertrag zur Steuergerechtigkeit, zur Schließung von Steuerschlupflöchern und zum Eindämmen von Steuerverwaltungsmodellen motiviert hat, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Deshalb bin ich gern Finanzministerin in diesem Jamaika-Bündnis und wünsche mir, dass wir in Berlin kräftig vorankommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Verbesserung der Situation der Wohnungslosen in Schleswig -Holstein

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/300

Wohnen für alle ermöglichen - Wohnungslosigkeit verhindern

(Ministerin Monika Heinold)

Alternativantrag der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/341

Beratungsangebote für Wohnungslose unterstützen - Wohnungsmarkt entspannen

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/343

Ich sehe, das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der AfD hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Jörg Nobis.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Obdachlosigkeit in Schleswig-Holstein ist ein großes Problem. Der Verlust des Arbeitsplatzes, Scheidung, Schicksalsschläge und andere Umstände wie psychische Probleme können Menschen manchmal sehr rasch zu Wohnungslosen werden lassen. Die Zahl der überschuldeten Personen in Schleswig-Holstein zeigt, dass viele Menschen in unserem Land mittelbar von Obdachlosigkeit bedroht sind. 260.000 Personen in Schleswig-Holstein sollen überschuldet sein - ein Plus von 7.000 Personen innerhalb eines Jahres.

Meine Damen und Herren, für fast 40.000 Schleswig-Holsteiner reicht die reguläre Rente nicht zum Leben. Seit 2003 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Das Risiko für Obdachlosigkeit steigt bei diesen Rahmenbedingungen. Dem werden Sie sicherlich nicht widersprechen.

Vor genau zehn Jahren gab es laut einer Kleinen Anfrage unserer heutigen Finanzministerin Frau Heinold, damals noch einfache Abgeordnete der Grünen, insgesamt 4.936 Obdachlose in SchleswigHolstein. Heute sind es nach Schätzungen der Diakonie circa 10.000 Obdachlose; eine Verdoppelung der Obdachlosigkeit in Schleswig-Holstein in kurzer Zeit und keine Entspannung in Sicht.

Schon im April dieses Jahres vermeldete die „Landeszeitung“, dass die Beratungsstellen an ihre Belastungsgrenzen kommen. Der Landespastor Herr Naß berichtete, dass die Zahl der Hilfesuchenden kontinuierlich ansteige. 2016 seien mehr als 7.000 von Obdachlosigkeit bedroht. Das ist ein Höchststand, meine Damen und Herren. Dabei habe sich die Anzahl der 18- bis 25-jährigen Betroffenen auf

2.300 sogar noch verdoppelt. Insbesondere in den Städten Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster ist die Lage äußerst angespannt.

Die Anzahl der Mitarbeiter in den landesweit 34 diakonischen Beratungsstellen und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe stagniert derweil. Entsprechend fordert das Diakonische Werk ganz konkret, die seit 2007 gedeckelten Landeszuschüsse von gut 590.000 € für die Beratungsstellen um 400.000 € zu erhöhen. Wir als AfD-Fraktion sind daher sehr gespannt, ob die Landesregierung dies im Rahmen der Haushaltsplanungen 2018 berücksichtigt oder nicht.

Meine Damen und Herren, Flüchtlingen aus aller Welt gewähren wir freie Unterkunft und Verpflegung, bei den eigenen wohnungslosen Bürgern, die schon länger hier leben und in der Regel auch Steuern und Sozialabgaben gezahlt haben, scheint der politische Wille nicht ganz so ausgeprägt zu sein, um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken. Dies zeigte sich unter anderem im letzten Winter in Hamburg. Für Flüchtlinge angemietete Wohncontainer standen leer, konnten aufgrund schwer vermittelbarer Verwaltungsschriften jedoch nicht für Wohnungslose zur Verfügung gestellt werden.

Was ist das nur mittlerweile für ein perverses System in Deutschland? Für Flüchtlinge werden Gesetze, ja sogar das Grundgesetz gebrochen, aber für eigene wohnungslose Bürger gibt es keine Möglichkeit, von verwaltungsrechtlichen Vorschriften abzuweichen, um ganz konkret Not zu lindern.

(Beifall AfD)

Immerhin: Hamburg hat sein diesjährigen Winternotprogramm für Wohnungslose aufgestockt und die Standards der Unterbringung und Versorgung gegenüber dem Vorjahr erhöht. Nun wäre es falsch, hier Not gegen Not aufzurechnen, und ich möchte das auch nicht tun.

(Lachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)