Mit den Anträgen zu b) und c) werden Berichte in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst über diese Berichtsanträge abstimmen. Wer also dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 19/638, und dem Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/639, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe, das ist einstimmig so beschlossen.
Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, Hans-Joachim Grote, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Windenergie ist ein äußerst wichtiger Wirtschaftsfaktor in Schleswig-Holstein. Das wollen wir sichern und weiter ausbauen. Wir brauchen die Windenergie auch, um aus der Nutzung der fossilen Energieträger aussteigen zu können.
Weil wir uns aber alle bewusst sind, dass der Ausbau der Windenergie bei den Menschen im Land auch zu Vorbehalten führt und Sorge auslöst, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, die gesamte Windenergieplanung in Schleswig-Holstein auf den Prüfstand zu stellen und neu auszurichten. Dies betrifft das gesamträumliche Plankonzept mit dem Repowering-Konzept und insbesondere dem Kriterienkatalog für die Ausweisung der Vorranggebiete.
Bevor ich jedoch auf die Details zum Kriterienkatalog vorstelle, möchte ich auf den Gesetzesentwurf der Volksinitiative eingehen. Dazu ein paar Zahlen.
Rotordurchmesser von 100 m. Die zugrunde liegenden Annahmen und Erkenntnisse wurden in den letzten drei Jahren ausdrücklich bestätigt. Im Jahr 2015 betrug die durchschnittliche Anlagenhöhe neu installierter Anlagen 151 m, für die im Jahr 2016 genehmigten Windkraftanlagen ebenfalls 151 m. 85 % der 2016 genehmigten Windkraftanlagen waren kleiner oder gleich 150 m.
Auch die neuesten Ergebnisse der Ausnahmeverfahren bestätigen unsere Referenzanlage. Von den 36 Anlagen, die 2017 eine Ausnahme vom Moratorium erhalten haben, waren 30 Anlagen exakt 150 m hoch, drei Anlagen waren kleiner, drei Anlagen waren höher, die größte war 166 m hoch. Die Durchschnittzahl des Jahres 2017 beträgt 149,43 m.
Den enormen Anstieg von Anlagehöhe und Rotordurchmesser, wie er als Begründung des Gesetzentwurfes von der Initiative genannt wird, kann ich aus diesen Zahlen nicht erkennen. Ich will damit nicht sagen, dass es die 200-m-Anlagen nicht gäbe. 2016 haben wir dem Windpark Rethwisch im Kreis Steinburg mit zwölf solcher 200-m-Anlagen eine Ausnahme vom Moratorium erteilt.
Allerdings handelt es sich dabei um spektakuläre Sonderfälle. Wir haben nur wenige Flächen, nur wenige Standorte, die die Aufstellung solcher Anlagen überhaupt ermöglichen. Schließlich braucht es dafür großräumige Vorranggebiete, und die Anlagen mussten ja schon nach der bisherigen 3-H-Regelung 600 m von jeder Wohnbebauung entfernt stehen. Offensichtlich waren aber solche hohen Anlagen unter Ertragsgesichtspunkten im windhöffigen Schleswig-Holstein meist gar nicht erforderlich. Es gibt auch keine nachweisbaren Tendenzen, dass sich daran etwas ändern würde.
Die geforderten 10 H, also die zehnfache Höhe, entspricht bei der Referenzanlage 1.500 m zu jedweder Wohnbebauung, bei einer 100-m-Anlage, die es aber faktisch bei uns gar nicht mehr gibt, den von der Initiative geforderten „mindestens 1.000 m“ Abstand. Bei 1.000 m zu jedweder Wohnbebauung verbleibt unter Berücksichtigung der harten Tabus noch eine Restfläche von 1,58 % des Landes. Aber ehrlicherweise müssten wir mindestens die anderen weichen Tabukriterien auch in Abzug bringen. Die Schutzbelange sind ja da. Dann verbleiben bei 1.000 m Abstand zu jeglicher Wohnbebauung noch 0,52 % Potenzialfläche vor Abwägung.
Bei 10 H zur Referenzanlage, also 1.500 m Abstand, verbliebe für ganz Schleswig-Holstein eine Potenzialfläche von 0,02 % - 0,02 %! Der Gesetz
entwurf würde also faktisch zu einem Totalverbot der Windenergienutzung in Schleswig-Holstein führen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern: Wir nehmen die Sorgen und die Bedenken sehr ernst. Aber wir halten auch daran fest, dass die Windenergienutzung an Land bis 2025 einen Beitrag von 10 GW installierte Leistung bringen soll.
Die Anforderung, Mensch und Natur so wenig wie möglich zu belasten, gilt ebenfalls. Auch deshalb haben wir uns die Überarbeitung des Kriterienkatalogs vorgenommen. Dabei sind die Grundsatzentscheidungen gefallen. In den vereinbarten Eckwerten finden sich alle drei Koalitionspartner wieder.
Unverändert bleiben erstens harte Tabukriterien, die sich dem Einfluss des Landes völlig entziehen, zweitens sicherheitsrelevante Kriterien wie zum Beispiel Abstände zu Flugplätzen, drittens technische Ausschlusskriterien wie zum Beispiel Hochspannungsleitungen und viertens Kriterien, bei denen kein relevanter Flächengewinn zu erwarten ist. Im Landesentwicklungsplan wird geregelt, dass Windkraftanlagen außerdem mindestens das Fünffache der Gesamthöhe, also mindestens 5 H, zu Siedlungen einhalten müssen.
Bevor ich auf einige Details näher zu sprechen komme, möchte ich darauf hinweisen, dass die Eckpunkte zum Kriterienkatalog eine - eine! - notwendige Voraussetzung für die Abwägungsentscheidungen zur Festlegung der Windvorranggebiete darstellen, aber nicht die einzige. Eine weitere Voraussetzung war die Auswertung der rund 6.500 Einwendungen zum ersten Planentwurf, die uns vorliegen.
Die harten Tabukriterien, also die gesetzlichen Anforderungen, die sich dem Einfluss des Landes entziehen, schließen bereits 62 % unseres Landes von jeglicher Windenergienutzung aus. Die weitere Auswahl der Windvorranggebiete geschieht mithilfe weicher Tabukriterien, die sich das Land selbst setzen kann, und mithilfe von Abwägungskriterien.
Nach Abzug dieser harten und weichen Kriterien verbleibt als Rest die Potenzialfläche, innerhalb derer wir die Abwägungsentscheidungen treffen. Durch die Änderungen des Kriterienkatalogs hat sich die Potenzialfläche von 5,2 % im ersten Entwurf auf 6 % als Grundlage des zweiten Entwurfs vergrößert. Das ist der Spielraum, den wir uns ge
Diesen Spielraum werden wir nutzen, um die Abstände von Vorranggebieten zu Siedlungen auf 1.000 m in den Fällen zu erhöhen, in denen es keine Vorbelastung durch Windkraftanlagen gibt. Windkraftanlagen müssen außerdem mindestens das Fünffache der Gesamthöhe zu Siedlungen einhalten, also Vorgabe 5 H. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem ersten Planentwurf, ein guter Kompromiss zwischen dem Schutz der Bevölkerung, dem Schutz der Natur, dem notwendigen Beitrag zur Energieerzeugung und den wirtschaftlichen Interessen nicht allein der Windbranche, sondern unseres Landes insgesamt.
Zu den Kriterien: Einige bisherige Tabukriterien im Naturschutz- und Küstenschutzbereich haben wir ganz oder teilweise in die Abwägung verlagert. Dies betrifft Schwerpunktbereiche des Biotopverbundsystems, einige Nahrungsgebiete bestimmter Vogelarten, Binnendeiche und die nordfriesischen Inseln. Auch mit der Verlagerung in die Abwägung bleiben die Schutzbelange dieser Flächen weiter relevant. Aber es kann stärker differenziert werden, insbesondere im Hinblick auf vorhandenen Anlagenbestand. Alle betroffenen Ressorts und alle betroffenen Fachabteilungen - Denkmalschutz, Archäologie, Verkehr, Küstenschutz, Wasserwirtschaft und vor allem Naturschutz - haben dazu Beiträge geleistet, wofür ich außerordentlich dankbar bin.
Im Denkmalschutz und bei archäologischen Denkmalen wird die Abwägung stärker zugunsten der Windenergienutzung erfolgen. Besondere Aufmerksamkeit haben wir dem geplanten Weltkulturerbe Danewerk/Haithabu gewidmet, um einerseits den bei der UNESCO gestellten Antrag nicht zu gefährden, andererseits aber Potenzialflächen auch innerhalb gutachterlich ermittelter Sichtfelder nutzen zu können. Hier werden wir an einigen Stellen mit Höhenbegrenzungen arbeiten.
Straßenrechtliche Anbaubeschränkungszonen werden in die Abwägung verlagert mit dem Ziel, zukünftig näher an Autobahnen herangehen zu können. Auch die auf Grünbrücken zulaufenden Wanderungskorridore werden wir verstärkt nutzen.
Die Verlagerung in die Abwägung schafft erst einmal größere Spielräume, erhöht aber auch den Abwägungs- und Begründungsaufwand und damit letztlich das Rechtsrisiko. Nicht nur darum, sondern auch aus guten fachlichen Gründen haben wir eine Reihe von Kriterien am Ende als weiche Tabukrite
rien bestätigt. Dies betrifft die Abstandspuffer um Wälder, die FFH-Gebiete, das Seeadler-Dichtezentrum im Kreis Plön und die Halligen. Wir werden bei den Abwägungskriterien Naturparke, charakteristische Landschaftsräume, Talräume an natürlichen Gewässern und regionale Grünzüge stärker zugunsten der Windenergienutzung abwägen.
Bei weiteren Abwägungskriterien wie den Beeinträchtigungsbereichen um Großvogelhorste, den Wiesenvogelbrutgebieten und dem Küstenstreifen als Nahrungs- und Rastgebiet haben wir Mindestabstände verringert oder die Kulisse den aktuellen Gegebenheiten und Vorbelastungen angepasst. Bei Flächen mit militärischen Schutzbelangen laufen noch Gespräche mit der Bundeswehr mit dem Ziel, weitere Bereiche einer Nutzung als Vorranggebiet zuzuführen.
Meine Damen und Herren, einige der in den Berichtsanträgen aufgeworfenen Fragestellungen lassen sich von mir derzeit noch nicht beantworten, weil schlicht der Abwägungsprozess, also die Anwendung der Abwägungskriterien auf die Potenzialflächen, abgewartet werden muss. Deshalb kann ich heute nicht den Endstand vorstellen.
Wir streben an, alle erforderlichen Prüfprozesse und die Aufstellung des zweiten Planentwurfs bis zur Sommerpause abzuschließen und ins Kabinett zu gehen. Die schnellstmögliche rechtssichere Planaufstellung hat dabei absolute Priorität. Daher werden wir auch die derzeit offenen Ausnahmeprüfungen zum Moratorium bis zur Kabinettsentscheidung zurückstellen. Denn dann steht auch fest, welche vorgeschlagenen Vorranggebiete aus dem ersten Entwurf sich im Lichte des Anhörungsverfahrens bestätigt haben. Ich darf daran erinnern, dass es auch unter der Vorgängerregierung im Zuge der Aufstellung des ersten Planentwurfs mehrfach Änderungen im Kriterienkatalog gegeben hat.
Die Eckwerte werden nun in die neuen Regionalpläne umgesetzt. Daran arbeiten wir mit absolutem Hochdruck mit dem Ziel einer Konzentrationsplanung. Den oft beklagten Wildwuchs der Jahre vor 1997 wollen wir sukzessive zurückbauen; so kommen wir an vielen Stellen auch zu einer echten Entlastung der Landschaft und unserer Bevölkerung. Der moderate Zubau wird voraussichtlich in den Vorranggebieten stattfinden. Neue Vorranggebiete und größere Anlagen müssen zukünftig größere Abstände einhalten.
Mit dem zweiten Planentwurf starten wir Mitte des Jahres in eine weitere Anhörungsrunde, an der sich auch und insbesondere die Gemeinden in Schles
wig-Holstein beteiligen können und werden. Auch mit dem zweiten Entwurf ist nichts in Stein gemeißelt; wir werden uns selbstverständlich erneut mit jedem einzelnen Argument auseinandersetzen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um dreieinhalb Minuten überzogen. Das steht nun zusätzlich auch allen anderen Rednern zur Verfügung.
Bevor wir in die Diskussion einsteigen, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Frau Dr. Susanne Kirchhof, die Vertrauensperson der Volksinitiative „Für größere Abstände zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung“. - Herzlich willkommen, Frau Dr. Kirchhof!
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion hat der Oppositionsführer, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.
Diese Segelanleitung des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Arthur Koestler soll das abgetakelte schwarz-grün-gelbe Energiewendeschiff wieder flott machen, Herr Innenminister. Lieber Herr Grote, ausgerechnet Sie sollen hier heute Morgen den Windmacher spielen. Das passt gar nicht zu Ihnen. Sie haben mein Mitgefühl, dass Sie die Pleite erklären oder besser verklären sollen, die Sie gar nicht angerichtet haben.
Während SPD-geführte Regierungen einschließlich der Küstenkoalition Schleswig-Holstein bundesweit zu dem Energiewendeland gemacht haben, herrscht pünktlich zum Abschied des Energiewendeministers inzwischen im Norden bei der Windenergie buchstäblich tote Hose. Herr Minister Habeck, diese traurige Tatsache kann keine noch so smarte PRStrategie verkleistern. Denn jeder sieht es, jeder hört es. Wir haben zahlreiche Äußerungen der
Windenergiebranche gehört. Wir wissen, wie wichtig sie sind. - Das war der erste Satz in Ihrer Rede, Herr Grote. Wir wissen, wie wichtig die Windenergiebranche ist. Sie behandeln sie denkbar schlecht, nicht nur sie, sondern die Bürgerinnen und Bürger auch.
Der „Dithmarscher Landeszeitung“ konnte man vorgestern entnehmen, wie der Ministerpräsident die Windpläne seiner Regierung in Heide rechtfertigte. Man habe nun einmal keine absolute Mehrheit und müsse unter den Koalitionspartnern Kompromisse machen. Das haben Sie vor den Demonstranten vor dem Landeshaus gerade wiederholt. Das sei der Grund, dass die CDU ihre Wahlversprechen nicht habe einhalten können.
Keine Frage: Koalitionen bedeuten fast immer Kompromisse; davon kann ich aus eigener Erfahrung reichlich berichten. Wer keine absolute Mehrheit hat, wird seine Versprechen nicht zu 100 % umsetzen können. Dafür haben die Menschen auch Verständnis.
Wofür sie nach meiner Erfahrung aber überhaupt kein Verständnis haben, ist, wenn diese Erklärung von Politikerinnen und Politikern vorgeschoben wird, die vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprechen und danach nach faulen Ausreden suchen. Genau das tun Sie, Herr Ministerpräsident.