Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Im Herbst 2017 hat Karlsruhe das Urteil gesprochen: Niemand darf einem Geschlecht zugeordnet werden, dem er sich nicht zugehörig fühlt. Die Länder Bremen und Rheinland-Pfalz haben daraufhin im Mai eine Entschließung in den Bundesrat eingebracht, und die Inhalte wurden von dieser Stelle heute schon teils ausgeführt.

Im Wesentlichen geht es zunächst um eine Neuregelung im Personenstandsrecht. Unter Punkt vier wird gefordert, dass das Transsexuellengesetz ersetzt oder novelliert werden sollte. Die schleswigholsteinische Landesregierung hat sich der Initiative als drittes Bundesland inzwischen angeschlossen.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Das soll vom Landtag jetzt begrüßt werden.

Meine Damen und Herren, was würde geschehen, wenn der Landtag das heute nicht machen würde? Oder anders gefragt: Was würde sich ändern, wenn der Jamaika-Antrag heute gar nicht auf der Tagesordnung stünde? - Dann würde sich am geplanten Ablauf nichts ändern. Denn das Bundesinnenministerium hat längst angekündigt, dass es das Karlsruher Urteil respektiert. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis Ende des Jahres entsprechende Neure

gelungen im Personenstandsrecht vorzulegen. Das wird auch geschehen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Muss man also über den Bundesrat noch einmal etwas fordern, wozu der Gesetzgeber ohnehin verpflichtet ist? - Nein, muss man nicht,

(Zurufe)

aber kann man machen. Wenn man das macht, ist die Frage erlaubt: Warum? Darauf werde ich später eingehen.

Zunächst zur Sache: Ja, wir brauchen eindeutig neue Regelungen. Es gibt Bereiche, die unseres Erachtens längst überfällig sind. Einer davon wurde schon genannt: vor allem bei den frühen, medizinisch nicht indizierten Operationen zur sogenannten Geschlechteranpassung. So etwas sollte der Vergangenheit angehören.

Schwieriger wird es bei der sogenannten Begutachtungspflicht. In der Begründung wird geschrieben, dass eine Begutachtungspflicht von den Betroffenen als psychisch belastend und entwürdigend empfunden wird. Das ist durchaus nachvollziehbar, aber letztendlich sprechen wir von subjektiven Wahrnehmungen; die Ursachen und Hintergründe sind äußerst vielfältig und komplex, und sie sind nicht zweitrangig.

In jedem Fall sollten Begutachtungen dem Wohl des Menschen dienen, eine Grundlage für einen völligen Verzicht von Begutachtungen und Differenzialdiagnostik ergibt sich nicht ohne Weiteres.

Deutlich einfacher ist es hingegen wieder bei der Frage des neu zu regelnden Personenstandsrechts. Im Geburtsregister sollte neben „weiblich“ und „männlich“ durchaus eine weitere positive Kategorie eingeführt werden, nicht einfach „weder noch“ oder eine Freilassung, wie es bisher der Fall ist. An so etwas kann sich niemand ernsthaft stören.

Stören tun sich allerdings nicht wenige Mitbürger daran, wenn in die ganze Debatte leider häufig zu viel Nebensächliches hineingemischt wird: Gendergerechte Sprache, Auswahlfelder bei Formularen, Einführung eines neuen Pronomens, Forderung nach Sichtbarmachen intergeschlechtlicher Menschen, 60 Facebook-Geschlechter oder die berühmte Gender-Toilette. Gut, dass das in der heutigen Debatte nicht passiert ist. Wäre das Gegenteil der Fall gewesen, dann wäre das dem eigentlichen Anliegen mit Sicherheit nicht dienlich gewesen.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

(Dennys Bornhöft)

Ich komme auf die eingangs gestellte Frage zurück, warum man sich einer Bundesratsinitiative anschließt, die etwas fordert, wozu der Gesetzgeber verpflichtet ist. Ich meine, dass hier eine Gelegenheit gesucht und genutzt worden ist, um zu demonstrieren, wie tolerant, wie weltoffen und wie modern man ist. Eine solche reine Symbolpolitik möchten wir von der AfD nicht mitmachen.

Wir machen es auch aus einem zweiten Grund nicht mit: Die Antragsteller verquicken - aus unserer Sicht unnötigerweise - die Änderung des Personenstandsrechts mit der Novellierung des Transsexuellengesetzes. Das ist für die Debatte nicht förderlich und erst recht nicht für die gesellschaftliche Debatte.

Der Ball liegt aber jetzt ohnehin in Berlin. Lassen Sie uns ohne Aktionismus und ohne Symbolpolitik abwarten, was die Neuregelungen bringen werden. Dass wir dann diskutieren, ob wir hier in Schleswig-Holstein noch etwas umsetzen müssen, dass Diskriminierung gestoppt wird, versteht sich von selbst. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Solange die Kategorie „Geschlecht“ staatlich erhoben wird, reicht es nicht aus, nur „Mann“ oder „Frau“ anzubieten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt explizit auch die geschlechtliche Identität der Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Oktober 2017 bestätigt und sogar Handlungsempfehlungen formuliert, welche Formulierung sich für einen dritten positiven Geschlechtseintrag anbieten könnten: „inter“ oder „divers“ beispielsweise. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung lässt aber explizit auch zu, generell auf den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag zu verzichten.

Das kümmert das derzeitige Bundesinnenministerium wenig, wie jetzt schon bekannt ist. Der neue Gesetzentwurf über den Eintrag ins Geburtenregister, der veröffentlicht wurde, sieht nämlich neben „männlich“ und „weiblich“ künftig nur die neue Kategorie „weiteres“ im Personenstand vor. Da ha

ben unsere Familien- und unsere Justizministerin im Bund schon erkämpft, dass der Vorschlag „anderes“ vom Tisch ist. Die neue Kategorie im Geburtenregister - wie die denn nun am Ende auch heißen möge - ist für Neugeborene bestimmt, für Jugendliche ab 14 Jahren mit dem Einverständnis ihrer Eltern und für Erwachsene, die selber den Antrag stellen, den bisherigen Eintrag zu ändern. Es ist aber nach wie vor vorgesehen, dass intersexuelle Menschen, die den dritten Geschlechtseintrag für sich in Anspruch nehmen möchten, dies nicht ohne medizinisches Gutachten bewilligt bekommen werden.

Unter anderem deswegen ist es so wichtig, dass wir uns der Bundesratsinitiative aus Rheinland-Pfalz und Bremen anschließen. Denn sie wählt einen anderen Umgang. Sie erinnert an die Entschließung des Bundesrats zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und die Erarbeitung eines modernen Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung.

Sie weist auf mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz hin, auf unzureichende gesundheitliche Versorgung und auf medizinisch nicht notwendige Operationen an intersexuellen Kindern. Die Bundesratsinitiative bekräftigt die Forderung nach einem vereinfachten Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und lehnt die Begutachtungspflicht ab, die bei Vornamens- und Personenstandsänderungen noch anfällt. Verfahrenswege müssen vereinfacht werden. Beim SSW finden wir, dass es einfach unnötig ist, Menschen, die trans oder inter sind, Steine in den Weg zu legen.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das gesellschaftliche Umdenken, das stattfindet und das auch durch politische Anträge wie diese verdeutlicht wird, ist nicht radikal. Es ist nicht fernes Zukunftsdenken, es ist nur vollkommen angemessen. Die Welt ist divers, und die Menschen sind es eben auch.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Viel zu lange wurde versucht, Menschen in Kategorien zu zwängen. Daraus ist nichts anderes als Leid entstanden. Aber wir sind jetzt endlich auf dem Weg der Veränderung. Manchmal stellt uns das noch vor Herausforderungen, im Denken wie im Sprechen. Das fordert von Menschen, die trans oder inter sind, immer noch viel zu viel an Geduld.

(Dr. Frank Brodehl)

Ich möchte deswegen noch einmal kurz darauf zurückkommen, was ich zu Beginn des Jahres im Landtag sagte, als wir den Antidiskriminierungsbericht debattierten: Bei gewissen Sachen müssen wir nicht auf den Bund warten. Da kann meines Wissens beispielsweise das Bildungsministerium schon für direkte Verbesserungen sorgen, zum Beispiel da, wo transidente Kinder und Jugendliche noch mit dem auf der Geburtsurkunde eingetragenen Vornamen in den Schulakten und Zeugnissen geführt werden, wenn sie aber doch im Alltag schon längst mit dem neu gewählten Vornamen angesprochen werden.

Gleiches gilt für Hochschulen und die Instanzen, die die öffentliche Verwaltung des Landes betreffen. Hier würden wir uns freuen, wenn sich dort schon bald etwas tun würde. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Herr Dr. Heiner Garg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Menschen!

(Beifall Stephan Holowaty [FDP])

Diese Debatte ist gut. Sie ist wichtig, Herr Brodehl, und sie ist richtig. Sichtbarmachung ist nicht irgendetwas, sondern Sichtbarmachung ist ein erster Schritt zur Normalität.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir in der letzten Legislaturperiode in anderer Rollenverteilung über die Resolution für die Rechte von trans- und intersexuellen Menschen miteinander debattiert haben. Am Ende dieser Debatte stand, dass wir uns eine Welt wünschen und für eine Zukunft arbeiten, in der sich überhaupt niemand mehr dafür rechtfertigen muss, welche sexuelle Identität er hat. Deswegen ist - so glaube ich - Sichtbarmachung, darüber zu reden, darüber zu debattieren, genau das Richtige. Das findet hier und heute statt.

Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, kommt es ja auch darauf an, wie

man mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil umgehen will. Wie will man es ausgestalten? Um hier die eigenen Ansprüche zu formulieren - auch als Jamaika-Koalition mit Unterstützung eines Großteils der Opposition -, ist, so glaube ich, das Parlament genau der richtige Ort, das zu tun.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Es geht um das Recht, Mensch sein zu dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Bundesgesetzgeber wiederholt aufgegeben, die rechtliche Regelung der Angelegenheiten von trans- und intersexuellen Menschen zu korrigieren. Er hat wiederholt die Verfassungswidrigkeit bisheriger Regeln festgestellt, durch die trans- und intersexuelle Menschen in verschiedener Weise in ihren Grundrechten verletzt werden - in ihrem Grundrecht, Mensch zu sein. Herr Kollege Andresen hat das ganz zu Anfang sehr deutlich gemacht.

Diese Tatsache spricht entschieden dafür, sich eben nicht länger von Fall zu Fall - um nicht zu sagen: von einer justiziellen Ermahnung zur nächsten - zu hangeln, und zwar mit der jeweils kleinstmöglichen Gesetzeskorrektur. Genau das passiert heute in diesem Landtag. Sie spricht dafür, die Anliegen der Menschen, um die es geht, ernst zu nehmen und endlich im größeren Angang zu regeln.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt FDP)

Genau darauf zielt nämlich die Bundesratsinitiative für ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung, der Schleswig-Holstein beigetreten ist. Dabei geht es um mehr als um die Novellierung des Personenstandsrechts, die das Bundesinnenministerium auf den Weg gebracht hat. Mit der reinen Umsetzung will und wird sich Schleswig-Holstein nicht zufriedengeben.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Entwurf sieht die Möglichkeit vor, zukünftig auch ein „weiteres“ Geschlecht oder - wie bisher gar kein Geschlecht im Geburtenregister eintragen zu lassen. Ich glaube, zu dem „weiteren“ Geschlecht ist alles gesagt worden. Ich empfinde die Tatsache, dass die von den Menschen, die es betrifft, präferierte Formulierung, nämlich „divers“, nicht verwendet werden soll, nicht gerade als Ausweis von höchster Empathie.

Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, dass Schleswig-Holstein einen entsprechenden Än