Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder einmal ist es das Bundesverfassungsgericht, das uns, dem Gesetzgeber, deutlich sagt: „So nicht!“ Das bestehende Gesetz ist verfassungswidrig. Ich zitiere mit Zu

(Rasmus Andresen)

stimmung der Frau Präsidentin aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht … schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus verstößt das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot …, soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als ‚männlich‘ oder ,weiblich‘ ausgeschlossen wird.“

Es ist nicht das erste Mal - das sagte auch schon mein Kollege Rasmus Andresen -, dass die Politik erst dann reagiert, wenn das Verfassungsgericht ein Urteil gefällt hat. Allen großen gesellschaftspolitischen Gesetzgebungsverfahren in den letzten Jahren ist immer zuerst ein Bundesverfassungsgerichtsurteil vorausgegangen. Die Politik versäumt es also, tätig zu werden, wenn es nicht vorher ein Urteil gibt. Es ist sehr bedauerlich - ich persönlich bedaure es sehr -, dass wir es in der Politik nicht schaffen, unsere eigenen Befindlichkeiten zurückzustellen. Denn wenn man einmal alle Argumente, alle Meinungen und alle Expertenwissen gegeneinander aufwiegt, dann hat es wirklich etwas mit persönlichen Befindlichkeiten zu tun, dass man Menschen nicht das Recht einräumen wollte, das ihnen zusteht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Agentur der Europäischen Union für Menschenrechte hatte bereits im Jahr 2015 kritisiert, dass die Politik in der EU die Rechte Intersexueller oft nicht zur Kenntnis nehme. Teilweise würden Kinder geschlechtszuweisenden Operationen unterzogen. Außerdem gebe es kaum spezifischen Schutz vor Diskriminierung. Dieselbe Agentur hatte auch damals die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Geschlechtsangaben in Ausweispapieren und Geburtsregistern auf den Prüfstand zu stellen.

Die Bundesratsinitiative aus Rheinland-Pfalz und Bremen begrüßen wir daher ausdrücklich. Wir begrüßen auch, dass sich Herr Minister Garg bereits dieser Initiative angeschlossen hat. Es handelt sich also hier heute um einen Begrüßungsantrag, dem auch wir natürlich sehr gerne folgen möchten.

Noch Ende November letzten Jahres hieß es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Rasmus Andresen an die Landesregierung, dass die Landesregierung keinen Handlungsbedarf sehe und erst einmal abwarten möchte, was vom Bund kom

me. Ich freue mich sehr, dass Sie nun progressiv nach vorne gegangen sind und sich mit Blick auf die Bundesratsinitiative entsprechend engagieren. Denn auch in diesem Punkt, lieber Rasmus Andresen - ich habe in meinem Redemanuskript „neuen Bundesminister“ geschrieben; du hast „Noch-Bundesinnenminister“ gesagt -, traue ich dem neuen Bundesinnenminister nicht wirklich; auch ich habe selbstverständlich die Pressemitteilung dazu gelesen. Ganz ehrlich: Das, was in dieser Sache aus dem Bundesinnenministerium gesagt worden ist, stimmt mich zumindest nicht euphorisch.

(Beifall Sandra Redmann [SPD] - Zuruf: Das stimmt!)

- Danke. - Daher freue ich mich, wenn es bei der Veränderung des Personenstandsrechts die Möglichkeit einer weiteren Geschlechtsbezeichnung geben wird. Mir ist diese Umsetzung sehr wichtig; denn mit Blick auf die Betroffenen - darauf möchte ich auch gerne noch einmal eingehen - gibt es Gespräche, die wir schon seit Langem führen. Insbesondere wird aber immer noch darauf bestanden, dass man ein Attest vorlegen muss. Auch das gehört, wie ich finde, in diesem Gesetz abgeschafft. Andere Länder zeigen bereits, wie dies funktionieren kann, denn dies schränkt das Selbstbestimmungsrecht der Menschen ein. Diese bürokratischen Hürden sollten daher abgelehnt werden.

Ich möchte gern noch auf einen Punkt eingehen, der in der Bundesratsinitiative nicht explizit deutlich gemacht worden ist, nämlich die medizinisch indizierten Operationen an intersexuellen Kindern. Ich finde, das ist in Deutschland immer noch ein Problem, gerade auch bei Säuglingen. Dies gilt natürlich auch für die Heranwachsenden oder schon etwas älteren Menschen. Aber gerade bei Säuglingen wird dies in diesem Land leider immer noch gemacht. Ich finde, dies gehört abgeschafft; denn dadurch geraten die Eltern oftmals sehr unter Druck. Bereits kurz nach der Geburt gibt es ein erstes kurzes Gespräch. Die Eltern wissen dann nicht, was richtig oder falsch ist.

Wir haben heute Vormittag darüber geredet, dass das Gesundheitsrecht des Kindes sehr zu schützen ist und dass die Kinder selbstbestimmt aufwachsen müssen. Von daher müssen wir uns wirklich alle gemeinsam auf den Weg machen, dieses Problem zu lösen. Ich glaube, hierüber müssen auch Gespräche mit den Klinikleitungen geführt werden, weil das, was vielleicht einmal gut gemeint war, definitiv nicht gut ist für die Kinder. Dafür müssen wir uns gemeinsam einsetzen.

(Serpil Midyatli)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Zeit ist leider abgelaufen. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

Lieber Herr Minister Garg, wir unterstützen Sie selbstverständlich sehr gerne in dem weiteren Prozess, wenn es um die Rechte des angesprochenen Personenkreises in diesem Land geht. Wir danken Ihnen sehr für Ihren Einsatz, den Sie in diesem Bereich bereits leisten. - Vielen herzlichen Dank!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! An die 100.000 intersexuelle Menschen leben in Deutschland. Sie haben eine biologische Besonderheit: Sie wurden sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren und sind daher medizinisch auch nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen. Deshalb sind sie jedoch nicht krank und damit zwangsläufig behandlungsbedürftig. Die Wissenschaft nimmt hierbei eine besondere Stellung ein. Insbesondere die Sexualforschung hat sich wirksam etabliert und wichtige Aufklärung geleistet.

Es wurde lange versucht, diese Menschen einem Geschlecht zuzuordnen. Bereits im Kleinkindalter wir hörten es - wurden und werden noch immer verstümmelnde Operationen vorgenommen. Es kursiert die Zahl von 1.500 „geschlechtsangleichenden“ Operationen im Jahr. Es wurde hier schon gesagt: Es ist falsch, so vorzugehen.

Genau deswegen besteht hier für uns Handlungsbedarf. Und genau deswegen handeln wir jetzt als Jamaika-Koalition. Betroffene selbst klagten vor dem Bundesverfassungsgericht bereits 2011, zuletzt im November letzten Jahres. Das Verfassungsgericht hat den Klagen recht gegeben: Die bisherige Regelung im Gesetz sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Der Gesetzgeber muss, so hieß es in der Begründung, bis Ende 2018 das Personenstandsrecht der Bundesrepublik Deutschland ändern; denn in die

sem finden die betroffenen Personen bislang überhaupt nicht statt. Es muss laut BVerfG eine dritte Option geben. Verschiedene Vorschläge - wir haben es eben gehört - gibt es bereits: Der Deutsche Ethikrat möchte gern die Bezeichnung „anderes“ haben. Ich selber halte den Begriff „divers“ für besser, aber vielleicht findet man eine noch bessere Formulierung. Darüber werden wir uns Gedanken machen müssen; denn diese Menschen brauchen eine Option oder eben keine Geschlechtszuweisung.

(Beifall CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Jamaika-Koalition haben in unserem Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir uns für die Stärkung der Rechte von transsexuellen und intersexuellen Menschen auf Bundes- und Landesebene einsetzen werden. Genau das tun wir jetzt.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Regierung Schleswig-Holsteins haben im Bundesrat diesen Antrag eingebracht, und er ist dort in die Ausschüsse überwiesen worden. Ich denke, dort wird darüber gut beraten werden; denn bis zum Ende des Jahres muss ja ein Ergebnis her.

Mit der Entschließung des Bundesrats für ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung getan worden. Es wurde beantragt, dass eine Neuregelung im Personenstandsgesetz her muss, wie sie das Bundesverfassungsgericht gefordert hat.

Auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag soll entweder verzichtet oder - ich nannte es bereits, und es wurde hier schon vielfach genannt eine dritte Option eingeführt werden. Die Bundesregierung wird gebeten, das Transsexuellengesetz durch ein modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung zu ersetzen.

Auch soll die teure und oftmals unnötige Begutachtungspflicht vor einer Vornamens- beziehungsweise Personenstandsänderung abgeschafft und durch ein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechteridentität ersetzt werden. Intersexuelle Menschen sollen zukünftig davor geschützt werden, dass nicht selbstbestimmte Zuweisungen, vor allem im Kleinkindalter, zum männlichen oder weiblichen Geschlecht erfolgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Transsexuellengesetz soll aufgehoben oder novelliert werden

(Serpil Midyatli)

und ein neues Gesetz zur Anerkennung der Geschlechteridentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung erarbeitet werden. Unser Ziel ist es, dass trans- und intersexuelle Menschen selbstbestimmt und diskriminierungsfrei leben können.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Deshalb wollen wir eine klare Besserstellung für diese Personen erreichen. Unsere Unterstützung und Stimme haben diese Menschen. Das ist gut so. Lassen Sie uns in dieser Richtung weitermachen für diese Menschen, denn sie haben es verdient. - Danke schön.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Transsexuellengesetz in seiner jetzigen Form wurde vom Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt. Damit muss der Gesetzgeber zum Ende dieses Jahres eine Neuregelung schaffen.

Transsexuelle und intersexuelle Menschen, also solche, die sich dem ihnen zugeordneten Geschlecht nicht zugehörig fühlen, und Menschen, denen dauerhaft weder das männliche noch das weibliche Geschlecht zugeordnet werden kann, sehen sich derzeit noch mit einem Gesetz konfrontiert, das eine Zuordnung entweder zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht zwingend erforderlich macht. Diese Vorschrift stellt sich nicht nur der Lebensrealität der Betroffenen entgegen, sondern geht auch nicht mit den verfassungsmäßigen Grundrechten konform.

Zweifellos einer der persönlichsten und intimsten Lebensbereiche eines Menschen, seine eigene geschlechtliche Identität, die ein Grundpfeiler seines Daseins bildet, darf nicht zu einem Spielball in der politischen und rechtlichen Debatte werden. Der Schutz und die Akzeptanz eines jeden Menschen, ungeachtet seines Geschlechts, müssen sich im staatlichen Handeln unmissverständlich widerspiegeln. Dabei steht hinter dem Begriff des Geschlechts faktisch viel mehr als nur männlich oder weiblich.

Wer heutzutage als transoder intersexueller Mensch in Deutschland aufwächst, dem begegnen immer noch Vorurteile oder gar Ablehnung. Das Erwachsenwerden und auch der weitere Verlauf des Lebens verlangen den betroffenen Menschen mehr Stärke, Durchhaltevermögen und Mut ab als denen, die sich mit ihrem eingetragenen Geschlecht identifizieren können. Der Weg zur eigenen geschlechtlichen Identität ist für jene oft lang und schmerzvoll.

Hier gilt es, ein Zeichen für mehr Akzeptanz und Weltoffenheit zu setzen. Zwei verpflichtende und zudem kostspielige Gutachten, die mit einem massiven Eingriff in die Intimsphäre einhergehen, nur um den Vornamen ändern zu lassen, sind definitiv nicht solche Zeichen. Im Gegenteil, sie stellen einen Menschen auf den Prüfstand, der mit der Änderung seines Vornamens auch eine symbolische Richtigstellung seiner oft jahrelang falsch gelebten Identität ersucht. Hier mit großem Verwaltungsaufwand aufzuwarten, ist für den Betroffenen schlichtweg unwürdig. Letztlich kann Trans- und Intersexualität nicht von Dritten beurteilt werden. Das Transsexuellengesetz ist hier schlichtweg aus der Zeit gefallen.

Deshalb ist es ein überfälliger Schritt, die Eintragung des Geschlechts entsprechend zu öffnen und zu vereinfachen. Ob das nun durch die Möglichkeit der Eintragung eines dritten Geschlechts oder durch das vollständige Weglassen des Geschlechts in offiziellen Dokumenten erreicht wird, wird noch erörtert. Entscheidend ist aber, dass den betroffenen Menschen endlich ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und eine diskriminierungsfreie Behandlung durch den Staat zugestanden wird.

Voraussichtlich wird es gesellschaftlich noch einige Zeit dauern, bis trans- und intersexuelle Menschen vollkommen vorurteilsfrei leben können. Das ist traurig und ernüchternd. Umso wichtiger ist daher, dass gerade der Staat einen entscheidenden Schritt in das 21. Jahrhundert macht und mit einem diskriminierungsfreien Handeln jedem gegenüber als Vorbild vorangeht.

(Beifall FDP, vereinzelt SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So können auch hoffentlich mehr junge Menschen motiviert werden, die Zweifel in der eigenen geschlechtlichen Identität haben, sich zu äußern und nicht mehr allein mit ihren Fragen zu bleiben, sondern sich hierüber angstfrei austauschen zu können. Es ist leider immer noch eine enorme psychische Belastung für junge Menschen, offen über das The

(Katja Rathje-Hoffmann)

ma geschlechtliche Identität zu sprechen. Ein Ende der Stigmatisierung benötigt einen offenen gesellschaftlichen Dialog, damit trans- und intersexuelle Menschen zukünftig nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch im Alltag und in der Gesellschaft gleichgestellt sind, werden und behandelt werden.

Nichts weniger ist den Trans- und Intersexuellen in unserem Land würdig, nichts weniger ist denjenigen gegenüber gerecht, deren Frage nach der eigenen Identität lange mit der Diagnose als psychischpathologisches Phänomen abgespeist wurde. Daher ist die zugrunde liegende Bundesratsinitiative ausdrücklich zu begrüßen. Auch ich bedanke mich bei unserem Sozialminister bezüglich dieser Initiative. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)