Protokoll der Sitzung vom 05.07.2018

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ich gestern und auch eben erleben durfte, ist ein Grund, aus dem wir Grünen anstreben, eine größere Partei zu werden, dass wir endlich vor der SPD reden können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich glaube, es ist wirklich ein bisschen eine Zumutung, hier immer und immer wieder darauf eingehen zu müssen, was Sie selber auf Bundesebene und in anderen Bundesländern vergeigen. Seit 13 Jahren sind wir nicht mehr in der Bundesregierung. Gut, wir selber haben auch unseren Teil mit dazu beigetragen. Aber ich glaube, man muss zugleich sagen, das heißt auch, 13 Jahre Energiewende verschleppt, verschlurt und vergeigt.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Erst einmal vielen Dank an das Ministerium für den ausführlichen Bericht. 150 Seiten, super! Ich glaube, man findet darin sehr viel, woran wir hier im Land weiterarbeiten werden. Bei der Energiewende und dem Klimaschutz haben wir ein sehr ehrgeiziges Ziel: 40 % weniger Treibhausgase bis 2020, das ist ambitioniert. Es geht nicht um Weltrettung. Es muss letztlich Leitschnur unserer gesamten Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik sein.

Das sehen nicht nur wir so: Die Niederländer haben gerade gestern in ihrer Regierung - das wird nach dem Sommer beschlossen - noch ehrgeizigere Ziele eingeplant, als wir sie haben. Wir wissen, dass andere Länder uns weit vorausgehen.

Dieser Bericht zeigt aber auch sehr deutlich: Die Energiewende wirkt hier im Land. Innerhalb von elf Jahren hat sich der Anteil der Erneuerbaren in der Stromproduktion von 14 % auf 61 % vervierfacht. Diesen erfolgreichen Weg müssen wir genauso ambitioniert fortsetzen. 2025 wollen wir die Marke von 37 TWh Strom aus erneuerbaren Energien knacken. Dafür standen in der Vergangenheit hier im Land drei Atomkraftwerke. Jetzt ersetzen Sonne, Wind und ein bisschen Biomasse diese AKW. Dafür müssen wir auf den gefundenen Flächen von knapp 2 % der Fläche dann auch 10 GW Strom onshore erzeugen. Das muss, was die valide Kalkulation und die Umsetzung angeht, gelingen. Bei der Umsetzung der Offshore-Parks steht die Bundesregierung immer wieder auf der Bremse. Sie muss zusätzlich zeitnah dazukommen. Das gilt im Grunde auch für den Bereich der weiteren Erneuerbaren. Es wird insbesondere aus dem Bereich der Photovoltaik einiges hinzukommen müssen, um die Ziele zu erfüllen.

Wir setzen hier in Schleswig-Holstein auf private, kommunale und unternehmerische Initiativen. Sie haben letztlich die Energiewende hier im Land in Gang gebracht. Diese brauchen einen verlässlichen Rahmen. Darum haben wir mit dem Koalitionsvertrag auch den Bürgerenergiefonds geschaffen, der, glaube ich, morgen an den Start gehen wird und in dessen Rahmen Mittel für eine Reihe sinnvoller und guter Projekte zur Verfügung stehen werden.

Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche - der Minister hat es bereits gesagt -, in denen wir mit der Umsetzung noch am Anfang stehen. In Wärme gehen 50 % der Energie. Da werden wir noch viel sparen müssen. Ich will die Maßnahmen nicht im Einzelnen aufführen. Aber wenn wir an Wärme denken, dann müssen wir auch wissen: Die Modernisierung

(Thomas Hölck)

von Wärmesystemen in Wohnungen bedeutet nicht immer nur einen Fortschritt in der Lebensqualität. Es ist letztlich auch eine soziale Frage, besonders dann, wenn die Preise von fossilen Energieträgern wieder steigen. Es geht nicht nur darum, eine bezahlbare Wohnung zu haben, sondern eine bezahlbare warme Wohnung zu haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine vorausschauende Klimapolitik ist eben auch Sozialpolitik.

Im Verkehrsbereich stehen wir ziemlich auf der Stelle. Es gibt sogar einen kleinen Rückschritt, wenn ich die CO2-Zahlen richtig gesehen habe. Die Energie- und Klimaziele erreichen und dabei individuell mobil bleiben, das werden wir langfristig nur mit anderen Antrieben, anderen Fahrzeugen sowie weniger und intelligenterem Verkehr erreichen können. Ich glaube, da werden wir noch ziemlich üben müssen, und wir werden alle Optionen brauchen.

Für Wärme und Verkehr wird erneuerbarer Strom zunehmend eine größere Rolle spielen müssen. Doch leider belastet der regulatorische Rahmen die Erneuerbaren mit Steuern und Abgaben, während Gas und Öl ohne CO2-Bepreisung billig bleiben. Ich glaube, es wird immer wieder deutlich: Die Bürger wollen es. Die Technik kann es. Aber letztlich steht der regulatorische Rahmen dagegen. Dadurch geraten die technischen Möglichkeiten mit einer falschen Abgabepolitik wirtschaftlich ins Hintertreffen. Es wäre töricht zu meinen, man könnte auf Landesebene so viele Fördermittel finden, um die Blockaden, Verschleppungen und Versäumnisse der Bundespolitik ausbalancieren zu können. Das ist, glaube ich, die Hauptproblematik.

Deshalb setzt sich Schleswig-Holstein mit Nachdruck für eine Reform der Abgaben im Energiesystem ein. Wir brauchen eine neue Marktordnung für Elektrizität und Energie. Wir brauchen Preise statt Tarife für Endkunden; denn die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen reagieren können. Auf Landesebene können wir vor allem daran arbeiten, den erneuerbaren Strom effektiver in den Netzen zu verteilen und hier auch zu nutzen. Andreas Hein hat vorhin schon verschiedene Beispiele gebracht.

Die Inbetriebnahme der Westküstenleitung, der Mittelachse und die Vernetzung mit den Wasserspeichern in Norwegen über das NordLink-Kabel startet 2020 und somit ein nordeuropäischer Verbund. Damit ist dann auch irgendwann Schluss mit dem Verstopfen der Netze durch die Erneuerbaren im Bereich des AKW Brokdorf. Atomstrom im

Netzengpassgebiet ist ein Unding. Wir hatten letzte Woche erst die Auseinandersetzung. Keine Strommengenübertragung nach Brokdorf.

Die Projekte NEW 4.0 und ENKO will ich nur am Rande erwähnen. Ich will auch nicht auf die Emissionen aus der Landwirtschaft eingehen. Wir hatten gestern eine sehr breite Debatte dazu. Natürlich müssen wir sehen, dass sie sich nicht in vollem Umfang in der Bilanzierung wiederfinden; das ist richtig. Aber wir haben gerade im Bereich des Lachgases und des Methans erhebliches Potenzial, Stichwort Moorschutz und Grünlanderhaltung. Wichtig ist einfach, das CO2 im Boden zu behalten.

Ich will viele weitere Punkte, die spannend sind, an dieser Stelle nicht weiter betrachten. Lassen Sie mich zum Schluss nur noch einmal sagen: Viele Details, an denen die Energiewende und der Klimaschutz hängen, werden in diesem Bericht deutlich. Aber wir wissen, warum wir hier so streng sind. Wir wissen auch, warum wir draußen argumentieren und die Akzeptanz ausbauen müssen. Weltmeister im Fußball sein, das kann scheitern. Aber die Welt retten, ich glaube, in der Frage darf man nicht scheitern. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Volker Schnurrbusch [AfD]: Oh, die Grünen retten die Welt!)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Oliver Kumbartzky das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hölck, Ihre Aufregung und Ihre Wallungen, die Sie hier über unsere Regionalplanung „Wind“ zum Ausdruck gebracht haben, kann ich wirklich nachvollziehen. Ich habe einmal versucht, mich in Ihre Lage zu versetzen. Wenn mir mein Ministerpräsident zwei Jahre lang erzählt hätte, dass man nichts an den Kriterien ändern kann, dass die Kriterien alternativlos sind, dann wäre ich auch sehr ärgerlich, wenn das dann auf einmal trotzdem geht, so wie diese Regierung es gemacht hat. Es geht nämlich. Es gibt jetzt neue Kriterien, und die Abstände zu Siedlungen werden nun einmal vergrößert. Das ist ein Erfolg, über den Sie sich auch einmal freuen könnten, Herr Hölck.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

(Bernd Voß)

Aber anstatt das begrüßend zur Kenntnis zu nehmen, verfallen Sie hier nach wie vor in eine kollektive Selbsthypnose, was das Thema Wind angeht. Das finde ich wirklich sehr bedauerlich. Der Zug rollt weiter, aber die SPD bleibt am Gleis stehen und schaut einfach nur hinterher.

(Beate Raudies [SPD]: Wenn der auf der Marschbahn fährt, ist das nicht so schlimm!)

Meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Sozialdemokratie setzen wir beim Thema Windplanung auf Augenmaß und größtmögliche Akzeptanz.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Im Schneckentem- po!)

Ein „Weiter so“, wie Sie das immer wollten, was Sie mit diversen Schaufensteranträgen hier ja auch belegt haben, konnte und durfte es unserer Meinung nach nicht geben. Die Energiewende kann nur mit und nicht gegen die Bürger gelingen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass es zu Veränderungen gekommen ist.

(Beifall FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, die Energiewende kann nur mit Akzeptanz gelingen. Das gilt für den Energieausbau und natürlich auch für den Netzausbau. Deshalb haben wir Verständnis, dass es Phasen in der Planfeststellung gibt, die durchaus ihre Zeit dauern. Dass der Netzausbau bundesweit aber massiv ins Stocken geraten ist, ist wirklich sehr ernüchternd. Bis zur Umsetzung des Netzausbauplans sind wir gezwungen, innovative Lösungen zu finden, um den hier im Norden erzeugten Strom durch die Netze zu bekommen.

Der Netzausbau ist, wie bereits gesagt wurde, dringend nötig und läuft zu schleppend. Es gibt aber Potenziale in den bestehenden Netzen, die wir nutzen können. Digitalisierung und neue Technologien helfen dabei, da verweise ich auf unseren wirklich guten Antrag. Netze können flexibler gesteuert werden, Sensoren können die Wärme durch den Durchhängegrad der Leitungen messen. Zusammen mit einer Wettervorhersage können die Restpotenziale der bestehenden Leitungen besser situationsspezifisch geschätzt werden.

Maßnahmen wie das Freileitungsmonitoring oder auch das Einziehen von Hochtemperaturseilen auf bestehenden Trassen können in Kombination mit einer intelligenten Netzsteuerung die Leistungsfähigkeit der Netze erhöhen. Solche Maßnahmen sollen laut Bundesratsbeschluss vom April dieses Jahres von Bund und Bundesnetzagentur geprüft werden. Das begrüßen wir, wir wollen diese Maßnah

men aber nicht nur prüfen, sondern für die norddeutschen Bundesländer eine wirkliche Umsetzungsstrategie formulieren, denn der regenerative Strom wird überwiegend im windreichen Norden produziert. Deswegen sollten die nördlichen Länder vorangehen, deswegen legen wir heute diesen Antrag vor, für den ich sehr um Zustimmung werbe.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zum Energiewende- und Klimaschutzbericht der Landesregierung. Der Bericht stellt den Stand der Energiewende und des Klimaschutzes in Schleswig-Holstein sehr anschaulich mit vielen Zahlen und Fakten dar und ist eine sehr gute Diskussionsgrundlage. Ich danke den Damen und Herren im Ministerium ganz herzlich für die Erarbeitung dieses umfangreichen Berichts. Interessant ist, dass die Zahl der Treibhausgasminderung um mindestens 40 % gegenüber 1990 bis 2020 auch in Schleswig-Holstein wahrscheinlich nicht erreicht wird. Das ist in der Tat - Herr Dr. Habeck, Sie haben es erwähnt - beunruhigend. Gleichzeitig ist die Energiewende im Stromsektor in Schleswig-Holstein weiter fortgeschritten als in den meisten Regionen Europas, wie ebenfalls in dem Bericht nachzulesen ist. Trotz der Vorreiterrolle, die wir haben, werden die Ziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen wahrscheinlich verfehlt. Das zeigt, wie schwer und groß diese Aufgabe ist, die wir alle gemeinsam vor uns haben.

Deswegen ist es gut und richtig, dass die FDP nun seit einem Jahr in Regierungsverantwortung steht und wir nicht nur Schaufensteranträge stellen wie Sie, Herr Hölck, sondern in diesem einen Jahr acht Anträge zu Energiethemen beschlossen haben, die entschlossen, vernünftig und klar sind und die Energiewende wirklich voranbringen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Anträge bringen die Energiewende ohne Ideologie voran,

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ohne Genehmigung von Windkraftanlagen!)

sondern mit praktischen Lösungen, Herr Dr. Stegner. Für die nächsten Schritte müssen Technologieoffenheit und Wettbewerb zentral sein.

(Zuruf Thomas Hölck [SPD])

Nur so kann die Integration der neuen Energien in alle Wirtschaftsbereiche gelingen.

So, Herr Dr. Habeck, jetzt zu Ihnen.

(Oliver Kumbartzky)

(Heiterkeit)

Der vorliegende Bericht - das sage ich ganz ehrlich - zeigt, dass Sie Ihrem Nachfolger gerade beim Thema Energiepolitik ein gut bestelltes Feld hinterlassen. Da ist es in den letzten Jahren - insbesondere im letzten Jahr - wirklich vorangegangen.

(Martin Habersaat [SPD]: Das hat die FDP schon immer gesagt! - Beifall FDP)