Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Damit kennen Sie sich ja aus!)

- genau - und um die bewusste Beschneidung der Minderheitenrechte in den Kommunalvertretungen, Herr Dr. Stegner. Die SPD will eine 2,5-%-Hürde in den Kreistagen und Stadtvertretungen einführen. Die CDU träumte in ihrem Wahlprogramm sogar von 4 %. Wie hart am Wind einer für alle Bürger dieses Landes offensichtlichen Verfassungswidrigkeit wollen Sie eigentlich noch segeln?

Der Fall wurde - wir haben es schon mehrmals gehört - bereits 2008 entschieden. Die 5-%-Hürde bei Kommunalwahlen wurde gekippt. Um welches Bundesland ging es damals? Es ging um SchleswigHolstein. Wer hatte geklagt? Die Linken und die Grünen. Der zweite Beschwerdeführer, die Grünen, ist heute Ihr Partner in der Karibik-Koalition, liebe CDU. Angesichts dessen sind wir doch sehr auf Ihr Abstimmungsverhalten gespannt. Sie können also am Ende mit der AfD gegen Ihr eigenes Wahlprogramm stimmen oder die Koalitionsfrage stellen; denn die Grünen gehören natürlich zu den potenziellen Leidtragenden dieser Regelung.

Noch eine spannende Frage - ich liefere Ihnen auch die Antwort -: Wer war 2008 der Antragsgegner vor dem Bundesverfassungsgericht? Wer hat damals verloren? Wer hat damals regiert? - Genau: Eine Koalition aus CDU und SPD!

Wie hart am Wind einer wirklich für alle Bürger unseres Landes offensichtlichen Verfassungswidrigkeit wollen Sie segeln? 5 % waren verfassungswidrig. 4 % sind es offenbar auch. Gehen dann 3 % oder 2,5 %? Meine Damen und Herren, die Zahl ändert nichts. Man kann es nicht verschleiern: Es ist und bleibt verfassungswidrig. Anderenfalls hätte das Bundesverfassungsgericht Ihnen damals einfach eine niedrigere Hürde empfohlen.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren von der SPD, über weite Teile liest sich Ihr Antrag so, als hätten Sie diesen abgeschrieben, und zwar aus der damaligen Entgegnung der Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich erspare uns allen die Details, lese Ihnen aber einfach ein paar Passagen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor; dann erkennen Sie Ihre Argumente wieder. Sie wurden Ihnen damals allesamt von den Richtern in Karlsruhe aus der Hand geschlagen.

Beispiel eins! Sie kritisieren die sogenannten Partikularinteressen, die zu neuen politischen Vereinigungen führen. Ja, das stört Sie im parlamentarischen Betrieb, nicht wahr, Herr Dr. Stegner? Fraktionen wie die AfD, die jetzt im Parlament mitmischen, und jeder kleine lokale Störfaktor, der sich in einem Kreisrat bewährt, hat natürlich das Potenzial, nach fünf Jahren ein größerer Störfaktor zu werden. Klar, dass Sie den ausschalten wollen! Das Bundesverfassungsgericht führte dazu Folgendes aus - ich zitiere -:

„Es muss auch ortsgebundenen, lediglich kommunale Interessen verfolgenden Wählergruppen (Rathausparteien oder Wählerverei- nigungen) das Wahlvorschlagsrecht und ihren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen gewährleistet sein …“

Beispiel zwei! Ich zitiere wieder aus dem Urteil:

„Die Entscheidung, welche Partei oder Wählergemeinschaft die Interessen der Bürger am besten vertritt, obliegt nicht dem Wahlgesetzgeber, sondern dem Wähler...“

Beispiel drei! Ich komme zu dem Thema die Konkurrenz kleinhalten, Herr Dr. Stegner. Was meint das Verfassungsgericht eigentlich zu Parteien wie der Ihrigen, die am Wahlgesetz herumbasteln wollen, um sich damit in den Kreistagen Vorteile zu verschaffen? Ich zitiere:

„Gerade bei der Wahlgesetzgebung besteht die Gefahr, dass die jeweiligen Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt... Die im Landesparlament vertretenen Parteien könnten an der Fünf-Prozent-Sperrklausel festhalten, um die Konkurrenz durch kleinere Parteien und kommunale Wählergemeinschaften möglichst kleinzuhalten...“

Herr Dr. Stegner, erkennen Sie sich wieder?

Beispiel vier! Die SPD kritisiert in ihrem Gesetzentwurf, dass es schwieriger geworden sei, Mehrheiten zu finden, besonders in Lübeck.

Meine Damen und Herren, das Verfassungsgericht hat all das kommen sehen - und es war nicht beeindruckt. Ich zitiere:

„Es erscheint zwar durchaus wahrscheinlich, dass mit der Abschaffung der Fünf-ProzentSperrklausel mehr Parteien und Wählervereinigungen in die jeweiligen kommunalen Ver

(Jörg Nobis)

tretungsorgane einziehen werden. Auch ist es möglich, dass Mehrheitsbildung und Beschlussfassung aus diesem Grund erschwert werden.“

Ja, wie gehen wir nun damit um? Liebe Kollegen der SPD, die AfD hat da einen Vorschlag. Wir sind - anders als Sie es immer behaupten - ein großer Fan des Grundgesetzes. Ich zitiere Ihnen einmal aus Artikel 21 des Grundgesetzes:

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

Sie wirken mit! Das hat die SPD noch nie verinnerlicht. Dafür waren Sie immer zu groß. Aber das ändert sich ja gerade in Deutschland.

Die Parteien wirken also bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sie helfen. Und - um ein altmodisches Wort zu bemühen, das immer noch richtig ist -: Sie dienen! Sie machen sich den Staat dabei aber nicht zur Beute, auch nicht die Kreistage oder die Stadtvertretungen.

Wir, die Alternative für Deutschland, möchten Ihnen gern eine Alternative aufzeigen. Probieren Sie es doch einmal in den Kreistagen mit guter Sachpolitik und mit entsprechend guten Anträgen!

(Thomas Hölck [SPD]: Geschwätz von Ihrer Seite!)

Das wäre doch ein echter politischer Neuanfang in Deutschland - vernünftige Sachpolitik zum Wohle des Souveräns, des Volkes, zum Wohle der Steuerzahler! Oder: der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, wenn Sie es hören wollen.

(Beifall AfD - Thomas Hölck [AfD]: Nur Geschwätz!)

Ein guter Antrag wird angenommen. Dem Antrag zu Boostedt und Seeth zum Beispiel, der heute auch auf dem Tisch liegt, werden wir selbstverständlich zustimmen. Für gute Anträge werden Sie immer Mehrheiten finden. Auch unsere Stimmen werden Sie dann erhalten.

(Thomas Hölck [SPD]: Wir brauchen Ihre Stimmen gar nicht!)

Schlechte Anträge hingegen werden wir ablehnen so wie diesen von der SPD. Wir, die AfD, sind auf das Abstimmungsergebnis schon gespannt. Für den Fall, dass Sie zusammen mit den Jamaikanern den Verfassungsbruch mit Ansage durchziehen, behält sich die AfD eine verfassungsrechtliche Überprüfung ausdrücklich vor.

(Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Oh!)

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass Artikel 47 der Landesverfassung ausdrücklich als Alternative die „Zustimmung des Volkes nach Artikel 49 Absatz 4 Satz 2 und 3“ vorsieht, also die Annahme eines die Verfassung ändernden Gesetzes durch Volksentscheid. Beweisen Sie Mut zur Demokratie, Herr Dr. Stegner! Ätzen Sie nicht weiter über die AfD als vermeintliche Demokratieverächter! Beantragen Sie doch einen Volksentscheid! Befragen Sie die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein, ob sie die von Ihnen angestrebte Verfassungsänderung wollen oder nicht!

Die AfD steht wie keine andere Partei für die Stärkung der direkten Demokratie.

(Lachen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Daher beantragt die AfD in der Sache einen Volksentscheid gemäß Artikel 47 Absatz 2 der Landesverfassung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Sondervorschrift für die Gemeinden Boostedt und Seeth für die kommenden Gemeindewahlen einführen zu wollen, ergibt durchaus Sinn. Die Gründe dafür sind die zeitweilig veränderten Einwohnerzahlen aufgrund der dortigen Flüchtlingseinrichtungen. Das betrifft speziell diese beiden Gemeinden. Insofern ist das kein Problem; darüber sind wir alle uns einig. Wir suchen uns am morgigen Tag die beste Lösung aus, dann ist das in Ordnung.

Für uns ergibt es allerdings weniger Sinn, die parlamentarische Demokratie auf kommunaler Ebene aufzuweichen. Wir, der SSW, lehnen das Ansinnen der Einführung einer Sperrklausel bei Kommunalund Kreistagswahlen absolut ab, meine Damen und Herren.

Die SPD verweist in ihrer Begründung auf angebliche Nachteile für die Arbeitsfähigkeit der kommunalen Vertretungen, welche sich zunehmend verschlechtern würde. Eine solche Situation können

(Jörg Nobis)

wir als SSW eigentlich nirgends erkennen. Es mag ja irritierend für die SPD sein, dass sie in der Hansestadt Lübeck nicht einfach durchregieren kann. Deswegen braucht es aber mit Sicherheit nicht eine Änderung des Wahlrechts.

Einzelmandatsträgerinnen und Kleinstfraktionen sind per se keineswegs eine Bedrohung für die Demokratie, wie es einige der Kollegen hier nur zu gern unterstreichen. Der Kreistag Nordfriesland zum Beispiel hat acht Parteien und Wählergemeinschaften im Kreistag und mit der Abspaltung der Freien Sozialen Demokraten zeitweise sogar neun. Die sind inzwischen wieder Linke geworden und nicht mehr Sozialdemokraten. Trotzdem ist die Demokratie dort nicht untergegangen, und noch „schlimmer“ - das sage ich jetzt einmal als Nichtregierender -: Selbst feste Bündnisse unter den Parteien sind dort möglich. Dort gibt es ein Dreierbündnis, das sich Jamaika nennt. Das war mal die Blaupause für die Geschichte hier. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die dort seit ewigen Zeiten regieren. Und als dann auch dort die Wahlrechtsänderung durchschlagen sollte, hat sich an den Mehrheitsverhältnissen nichts geändert. Vor diesem Hintergrund ist das für mich in Nordfriesland das beste Beispiel dafür, dass auch Kleinstfraktionen und Einzelmandatsträger nicht unbedingt alles gleich umschmeißen können. Allerdings merkt man in dem Kreistag schon, dass der eine oder andere eine gute Idee hat, die dann auch von den dortigen Mehrheitsfraktionen übernommen wird. Insofern können also auch Einzelpersonen ganz gut dazu beitragen, meine Damen und Herren.

Der Kollege Richert - dort hinten in der Ecke sitzt er - hat ja zu den Einzelvertretern gerade auch Richtiges gesagt. Es ist ja nicht nur so, dass in einer großen Stadt mit 40.000 Einwohnern aufgrund der Tatsache, dass jemand 2 oder 3 % bekommen hat, dann auf einmal einer da alleine sitzt, sondern in den meisten kleinen Gemeindevertretungen ist es bereits so, dass dort auch Einzelvertreter von Parteien sitzen, die eine hervorragende Arbeit machen und definitiv kein Hindernis für die Demokratie und auch kein Hindernis für eine Entscheidungsfindung sind. Vielmehr sind das alles richtig gute Gemeindevertreter, denen wir eigentlich dankbar sein sollten, statt ihnen ihr Leben auch noch zu erschweren.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Erfahrung ist, dass wir es nicht unbedingt nur mit Greisen zu tun haben, vor allem auch nicht in Einmann- oder Kleinstfraktionen, vielmehr han

delt es sich durchaus um Leute, die noch etwas jünger sind. Auch ich habe seinerzeit einmal als Gemeindevertreter in einer Einmannfraktion angefangen. Ich war damals also meine eigene Fraktion. Damals war ich Mitte 30. Wenn das dann alt oder greis ist, dann ist das so. Aber ich habe bis jetzt, zumindest von der Sozialdemokratie, keinen einzigen Beleg dafür bekommen, dass nur Greise in Einmannfraktionen sind, sondern ich glaube eher, dass wir auch dort eine durchaus durchmischte Altersschaft haben.

Außerdem gibt es in Schleswig-Holstein vielerorts ein ganz anderes Bild, nämlich das Bild der Einheitsliste. Tatsächlich ist es so, dass in rund 30 % der Gemeinden in Schleswig-Holstein nur noch eine einzige Wählergemeinschaft zur Kommunalwahl antritt. Im Grunde genommen wird da zur Kommunalwahl gar nicht mehr gewählt. Das fällt im Prinzip schon aus; denn das ist eigentlich nur noch Zettel falten und ankreuzen. Vielmehr wird das Grundlegende schon in der Aufstellungsversammlung der Einheitswählergemeinschaft geregelt. Dort trifft man sich dann, macht eine Aufstellungsversammlung, und dann ist die Liste da. Dann geht man als Bürger natürlich seinen Gang in dieser Gemeinde. Aber viel Wahlmöglichkeiten hat man nicht, weil man eben nur diese eine Liste wählen kann, und mehr kann man nicht tun. Ich finde, das ist eher ein Demokratieproblem. So sieht nun einmal die Realität bei uns aus. Vielleicht müsste man sich eher Gedanken darüber machen, wie man da etwas mehr Vielfalt hinbekommen kann.

Fakt ist aber auch, meine Damen und Herren - der Kollege Richert sagte das eben auch schon -, dass es heute schon in mancher Kleinstkommune bis zu 12 % der Stimmen bedarf, um überhaupt ein Mandat zu erlangen. In den meisten Kommunen ist eine faktische Sperrgrenze schon längt vorhanden. Als ich seinerzeit Gemeindevertreter in der Gemeinde Koldenbüttel mit knapp 1.000 Einwohnern war, brauchte ich immer ungefähr 8,5 %, um überhaupt hinein zu kommen. Diese faktischen Sperrgrenzen haben wir schon. Warum es dann noch einer Sperrgrenze auch für die großen Kommunen bedarf, erschließt sich mir nun gar nicht, sondern es geht eher darum, zu gucken, ob man diese Sperrgrenzen auch in den kleinen Kommunen in irgendeiner Art und Weise vielleicht einmal abbauen kann.

Richtig ist, dass es Aufgabe der Politik ist, für stabile Mehrheiten Sorge zu tragen. Dabei sollte es allerdings auch zum politischen Alltag gehören, andere Parteien von den eigenen Vorhaben zu überzeugen, um politische Mehrheiten zu bilden. Das ist

(Lars Harms)