Protokoll der Sitzung vom 28.09.2018

Dieser Satz beschreibt für mich die große Herausforderung von politischer Bildung. Das Konzept soll helfen, damit anzufangen. - Danke.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von Pein das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sozialministerin Kristin Alheit hat dem Landtag vor zwei Jahren einen umfangreichen Bericht über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorgelegt. Dessen roter Faden war, dass Demokratie etwas ist, was man lernen muss, nicht nur theoretisch aus Büchern und anderen Medien, sondern in erster Linie durch praktische Anwendung. Der Bericht hat deutlich gemacht, dass es kein Mindestalter geben kann, wenn es um die erste Begegnung junger Menschen mit Mitbestimmung, Beteiligung und Demokratie geht. Deswegen beteiligen wir ja in vielen Teilen unseres Landes Kinder schon ab dem Kita-Alter. Das ist richtig.

Jeder von uns weiß auch, dass Anleitung zur Demokratie eine dauernde Aufgabe ist und nicht nur Kindern und Jugendlichen gilt, sondern Menschen in

allen Altersgruppen. Das ist ja leider sehr aktuell. In ganz Europa und darüber hinaus müssen wir feststellen, dass demokratische Grundsätze, die in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich waren, relativiert werden. Viele Menschen haben das Vertrauen in diejenigen, die Politik gestalten, verloren und ziehen daraus den Schluss, dass es sich nicht mehr lohnt, an demokratischen Prozessen teilzunehmen oder zur Wahl zu gehen.

Wir haben uns in der letzten Legislatur interfraktionell mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir die Beteiligung an Wahlen erhöhen können. Möglicherweise hat unser damaliger Beschluss unter den Äußerlichkeiten der Debatte um Einfache Sprache etwas gelitten. Das kann gut sein, aber im Kern war das ein richtiger und wichtiger Beschluss, und ich fand es toll, dass wir uns gemeinsam auf etwas verständigt haben, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FPD)

Wie mit vielen Dingen im Leben ist es auch bei Demokratie: Es ist kompliziert. Es ist einfacher, die Lösung politischer Fragen an sich vorbeirauschen zu lassen und mit mehr oder minder Vertrauen zu sagen: Die da oben werden es schon lösen, oder: Von denen da oben kann man sowieso keine Lösung erwarten. Beide Richtungen sind gefährlich. Wir haben das in Sachsen gerade eindringlich erlebt. Da hat man viele Jahre gesagt: Die da oben werden es schon lösen. Es wurde leider auch von demokratischen Parteien suggeriert, dass es so ist. Es gab also eine Erwartungshaltung, die nicht befriedigt wurde. Was dabei rausgekommen ist, sehen wir im Moment.

Die Kehrseite ist die Spaltung der Gesellschaft, die Ausgrenzung derjenigen, die vermeintlich nicht zu uns gehören - seien es Migranten, Deutsche mit irgendeiner Art von Migrationshintergrund, sozial Unterprivilegierte. Das Ganze nennt man gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist gut, dass wir uns unter den demokratischen Fraktionen heute darauf verständigen können, über einen gemeinsamen Antrag abzustimmen und in diesem Bereich nicht über Alternativanträge von Regierung und Opposition hin und her zu stimmen. Dafür sage ich vielen Dank an meine Kolleginnen und Kollegen von Grünen, CDU und FDP.

(Tobias Loose)

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP - Zuruf SPD)

- Auch SSW, Entschuldigung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Jette, jetzt hast du etwas gut bei mir. - Das Jahr 2019 zum Jahr der politischen Bildung zu erklären, ist ein richtiger Ansatz, wenn man nicht nur bis zum 31. Dezember 2019 denkt, sondern über den 1. Januar 2020 hinaus. Nichts wäre schädlicher, als im nächsten Jahr ein Tischfeuerwerk von Veranstaltungen abzubrennen und das Thema damit für erledigt zu erklären. Das meinen wir nicht. Wir wollen eine dauerhafte, deutliche Stärkung der politischen Bildung. Wir Sozialdemokraten werden uns in diesen Prozess einbringen.

Wir wollen eine Stärkung der politischen Bildung und der Demokratieförderung. Dafür setzen wir uns ein. Politische Bildung ist eine Aufgabe unserer gesamten Gesellschaft. Es gibt eine Vielzahl von Akteuren, wozu natürlich in erster Linie auch die Schule gehört. Die Ziele, über die wir hier heute sprechen, sind in § 4 unseres Schulgesetzes seit Langem fest verankert. Nur muss es heute vielleicht etwas mehr gelebt werden, als es bisher gelebt wurde. Das heißt auch, dass der Haushaltsgesetzgeber den Akteuren dafür ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellen muss. Ich denke hier beispielsweise auch an das IQSH, von dem wir erwarten können und müssen, entsprechende Lehrinhalte in die Ausbildung und Weiterbildung einzubringen.

Demokratieskepsis und Ausgrenzung haben viele Gesichter. Es hat in den Medien in letzter Zeit sehr viele beklemmende Berichte über Schülerinnen und Schüler gegeben, die rassistischem und antisemitischem Mobbing ausgesetzt waren. Leider wurde das teilweise von Lehrerinnen und Lehrern so lange ignoriert oder auch toleriert, bis die betreffenden Schülerinnen und Schüler und nicht etwa die Mobber die Schule verlassen haben. Ich kann nur hoffen, dass wir solche Fälle in Schleswig-Holstein nicht haben oder hatten und auch nicht haben werden. Das muss an jeder einzelnen Schule tagtäglich geleistet werden. Deswegen brauchen auch diejenigen, die sich dagegen einsetzen, unsere Unterstützung, und die werden wir ihnen auch geben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU, FDP und AfD)

Ich freue mich über diese Initiative. Als SPD-Fraktion stehen wir ganz klar an der Seite derjenigen, die sich für unsere Demokratie starkmachen. Des

halb bitte ich darum, diesen interfraktionellen Antrag dem Bildungsausschuss, dem Sozialausschuss und dem Innen- und Rechtsausschuss zur weiteren Beratung zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, Katja Rathje-Hoffmann [CDU], Anette Röttger [CDU] und Kay Richert [FDP])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich neige eigentlich nicht unbedingt dazu, meine Reden mit einem Zitat zu beginnen, aber in dieser Debatte um Demokratiebildung möchte ich doch ganz gern mit einem Zitat von Adorno einleiten, der den Satz gesagt hat:

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“

Ich glaube, dass das immer noch einer der Grundsätze unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland sein und bleiben muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt CDU, SPD, FDP und SSW)

Genau darum muss es eben auch in dem Verfassungsjahr 2019 gehen: um die freiheitlich-demokratische Grundordnung; denn dieser Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geht uns immer wieder und manchmal auch viel zu häufig und viel zu leicht über die Lippen. Die freiheitlichdemokratische Grundordnung ist eben mehr als nur die Legitimation des Mehrheitswillens. Es geht dabei darum, dass wir eine Grundordnung mit einem Wesenskern haben. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist mehr als das, was Otto Kirchheimer in Bezug auf die Weimarer Republik 1929 als Verfassung ohne Entscheidung beschrieb.

Die Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung muss auch die Demokratiebildung sein, die wir mit diesem Antrag stärken möchten. Die Demokratiebildung - das gehört eben dazu muss normativ sein. Sie muss sich darüber Gedanken machen, wie wir zusammenleben sollen und wollen. Wenn beim Ausruf des Jahres 2019 als Jahr

(Tobias von Pein)

der politischen Bildung der erste Reflex der AfD ist, Angst vor einer Indoktrination zu haben, sagt das doch viel mehr über Ihre Partei und Ihr Verhältnis zur Demokratie aus. Denn es gibt einen Unterschied zwischen Indoktrination und Haltung.

Ich freue mich, dass auch Sie, Frau von Sayn-Wittgenstein, sich mittlerweile entschieden haben, dieser Debatte zur Demokratiebildung zu folgen, statt weiterhin das „COMPACT“-Magazin zu lesen,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

das schlichtweg das führende Meinungsblatt der rechtsextremen Szene ist. Aber wenn Sie die Artikel interessanter finden, dann sagt das eben auch recht viel aus.

Es geht in der Demokratiebildung und in der politischen Bildung im Ganzen um mehr als Institutionslehre, um mehr als die Frage, wann wie welches Gesetz beschlossen wird und welche Wege eine Kleine Anfrage geht. Es geht um die Frage: Können wir politische Prozesse und Entscheidungen der Gesellschaft bewerten? Sind wir in der Lage, einen Perspektivwechsel in dieser Bewertung einzunehmen und zu sagen: Okay, wie kann man das eigentlich aus einer anderen Position heraus noch betrachten? Es geht auch darum, Empathie zu schaffen. Wir leben zurzeit in einer massiven Empathiekrise. Wir sind nicht bereit, uns in andere Positionen und Lebensrealitäten hineinzuversetzen.

(Wortmeldung Doris Fürstin von Sayn-Witt- genstein [AfD])

- Ich lasse gern eine Zwischenfrage zu, aber Sie müssen mich erst fragen.

Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. - Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein?

Herr Petersdotter, Sie haben mich eben angesprochen. Sie haben sich auf Adorno bezogen. Ist Ihnen das folgende Zitat bekannt:

„Mögen die Horst-Güntherchens in ihrem Blut sich wälzen und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden.“?

- Das Zitat ist mir nicht bekannt.

(Zurufe)

Kommt es von Adorno?

- Jawohl!

- Okay. Mir ist weder das Zitat noch der Kontext bekannt. Wir können gerne einen Lesezirkel zu Adorno aufmachen.

(Heiterkeit und Beifall SPD)

Ich glaube, der Herr Kollege Dolgner wäre sofort dabei und Herr Kollege Peters ebenso,

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

dass wir uns an jedem dritten Donnerstag des Monats zum Club der geheimen Parlamentarier in der Bibliothek treffen. Aber zu dem Zitat kann ich nicht mehr sagen, als dass ich es nicht kenne.