Protocol of the Session on February 14, 2019

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Meine Damen und Herren! Guten Morgen, ich begrüße Sie zu unserer heutigen Sitzung.

Erkrankt ist der Abgeordnete Dr. Andreas Tietze. Wir wünschen ihm gute Besserung.

(Beifall)

Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind von der Landesregierung am Nachmittag der Ministerpräsident, Minister Albrecht und Minister Dr. Buchholz beurlaubt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Abgeordneten Kathrin Wagner-Bockey herzlich zum Geburtstag gratulieren. - Wir wünschen für das neue Lebensjahr alles Gute!

(Beifall)

Begrüßen Sie mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen und Schüler der Immanuel-Kant-Schule aus Neumünster. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Lebensleistung respektieren, Grundrente einführen!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/1235

Alterssicherung verbessern - Altersarmut bekämpfen

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1254

Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/1258

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis ins 20. Jahrhundert war Altersarmut für weite Teile der Gesellschaft eines der drängendsten Probleme. Ein würdiger Lebensabend, ohne auf Mildtätigkeiten oder die eigene Familie angewiesen zu

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sein, war für viele Menschen unvorstellbar. Es brauchte lange, bis sich die Idee einer allgemeinen Absicherung durchgesetzt hat, und ohne Zweifel ist die gesetzliche Rentenversicherung eine der größten Errungenschaften unseres Sozialstaates.

(Beifall SPD, SSW, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Doch die alte Sicherheit ist ins Wanken gekommen. Viele Menschen stellten sich die Frage, wie sie nach ihrer Erwerbsarbeit abgesichert sein werden, oder aber sie erleben ganz praktisch, dass das Geld im Alltag trotz Rente nicht reicht und dass sie plötzlich auf Grundsicherung angewiesen sind. Daraus folgt etwas, was sich niemand wünschen kann: Menschen, die ihr Leben lang für sich selbst gesorgt haben, müssen zum Amt gehen, ihre Bedürftigkeit nachweisen, um Unterstützung bitten. Das ist ein drastischer Einschnitt. Und es verletzt das Gerechtigkeitsgefühl, wenn es plötzlich keinen Unterschied mehr macht, ob man sein Leben lang gearbeitet hat, Kinder erzogen hat, Angehörige gepflegt hat oder eben nicht. Am Ende steht die Grundsicherung, und die eigene Lebensleistung findet sich im Antrag wieder, zusammengeschmolzen auf ein paar Ziffern.

Dieses Problem trifft zum überwiegenden Teil Frauen; Frauen, die genauso hart und häufig noch härter gearbeitet haben als die Männer ihrer Generation und bei denen die Rente am Ende doch nicht reicht.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der durchschnittliche Rentenanspruch von Frauen in Schleswig-Holstein beträgt rund 850 €. Das ist der Durchschnitt, und das lässt erahnen, wie viele deutlich weniger haben. Ohne Zweifel steht dahinter gelegentlich zusammengerechnet oftmals ein höherer gemeinsamer Anspruch von Ehepartnern, oftmals jedoch auch nicht. Selbst dort, wo das der Fall ist, bleibt die Ungerechtigkeit, dass sich aus der eigenen Lebensleistung kein Rentenanspruch ergibt, der über der Grundsicherung liegen würde. Eine Gesellschaft muss sich fragen, ob sie sich auf Dauer mit so etwas abfinden will. Ich finde nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD und SSW)

Ich kenne parteiübergreifend kaum jemanden, der die Probleme ernsthaft bestreitet, aber die Bereitschaft, tatsächlich etwas dagegen zu tun, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Darum ist es gut, dass die Grundrente im Koalitionsvertrag der Großen

Koalition verankert ist, und es ist noch besser, dass Arbeitsminister Hubertus Heil ein Konzept vorgelegt hat, das diesen Namen auch wirklich verdient.

(Beifall SPD und Lasse Petersdotter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Das jetzt präsentierte Konzept hätte für die Betroffenen weitreichende Folgen. Eine Friseurin, die 40 Jahre gearbeitet hat und dabei einen Verdienst auf Mindestlohnniveau hatte, erhält die maximale Aufwertung von 447 €. Konkret heißt das: mit der Grundrente statt bisher 514 € Rente 961 € Rente. Das sind wahrlich keine Reichtümer, aber das ist eine gute Verbesserung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Es macht für die Menschen einen riesigen Unterschied; finanziell, vor allem aber auch in der Frage, ob man aufgrund der eigenen Leistung einen Anspruch auf eine Versicherungsleistung hat, oder ob man trotz dieser Leistung zum Sozialamt gehen muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, Schleswig-Holstein ist unter den westdeutschen Bundesländern der Lohnkeller. Niedrige Löhne führen selbst bei vielen Beitragsjahren zu niedrigen Renten. Rechnet man die Zahlen von der Bundesebene einmal auf Schleswig-Holstein herunter, wird die Grundrente bis zu 150.000 Menschen in Schleswig-Holstein helfen. 150.000 Menschen, das ist eine ganze Menge.

(Beifall SPD und vereinzelt SSW)

Derzeit laufen viele Sturm dagegen, weil das Konzept von Hubertus Heil keine Bedürftigkeitsprüfungen vorsieht. Kein Beispiel ist absurd genug, um zur Argumentation herzuhalten. Christian Lindner skizziert den Fall von jemandem, der eine kleine Rente erhält, aber aus heiterem Himmel 5 Millionen € geerbt hat und deshalb keinen Bedarf für die Grundrente hat. Nun haben wir uns sehr umgehört, aber von so einem Fall habe ich nicht gehört. Ich muss ehrlich sagen: Ich mache 15 Jahre lang Bürgersprechstunde, aber es ist noch keiner in meine Praxis gekommen, der so etwas sagt. Vielleicht sind die Bürgersprechstunden der FDP andere, aber ich muss ganz ehrlich sagen: Das ist wirklich nicht das Hauptproblem, das wir in dieser Republik haben.

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

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(Dr. Ralf Stegner)

Es ist aber das gleiche Problem wie fast immer bei den Bedürftigkeitsprüfungen: Um die Fälle auszuschließen, bei denen die Grundrente nicht benötigt wird, sollen Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner zu Bittstellern gemacht werden. Das ist unsinnig, das ist teuer, und das Geld kann man sinnvoller einsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Wir wissen auch, dass die Bedürftigkeitsprüfung Menschen aus Scham davon abhält, das Geld in Anspruch zu nehmen, obwohl es ihnen zusteht und viele von ihnen es dringend brauchen.

In den letzten Tagen wurde immer wieder das Beispiel der Zahnarztgattin aus der Mottenkiste geholt - einmal ganz abgesehen davon, dass diejenigen, die sich jetzt beschweren, die Zahnarztgattinnen bekämen zu viel, dieses Problem sonst nicht haben. Aber ich finde, dass auch eine Zahnarztgattin, wenn sie 35 Jahre lang gearbeitet beziehungsweise Kinder erzogen und gepflegt hat, aus guten Gründen einen eigenständigen, anständigen Rentenanspruch haben soll. Warum eigentlich nicht? Nichts gegen Zahnarztgattinnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht einmal gegen Zahnärzte!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auch wenn es in diesem Fall nicht um Altersarmut geht, so geht es doch um den Respekt vor der Lebensleistung. Wir haben aus guten Gründen keine Bedürftigkeitsprüfung beim Kindergeld - übrigens auch nicht bei der Mütterrente, die die Union vorgeschlagen hat. Also frage ich Sie: Warum soll es Sinn ergeben, eine Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen, wenn die Rente keine Sozialleistung darstellt, sondern einen Anspruch, der selbst erarbeitet worden ist?

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Am Ende ist es so, dass die Finanzierung der Grundrente das entscheidende Thema ist. Was wir hier vor uns haben, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, keine Aufgabe nur für die Beitragszahler. Deshalb sind wir übrigens dafür, auch die Mütterrente aus Steuermitteln und nicht aus Beitragsmitteln zu bezahlen. Die gesamte Bevölkerung sollte es mitfinanzieren, wenn Erziehungsleistungen erbracht werden. Das gilt auch hier.

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Deshalb ist die Finanzierung über Steuergelder der richtige Ansatz.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: In Anbetracht der hohen zweistelligen Milliardensumme, die der Bund heute schon zuschießt, ist es wirklich kein Tabubruch - als den es manche darstellen wollen -, wenn fünf, sechs oder sieben Milliarden dazukämen.

Natürlich wird die Frage gestellt, ob sich ein Land wie Deutschland die Grundrente leisten könne. Spannenderweise kommt dieses Argument ausgerechnet von denjenigen, die fordern, wir sollten den Soli auch für die 10 % abschaffen, die die höchsten Einkommen beziehen. Das würde übrigens doppelt so viel wie die Grundrente kosten. Doppelt so viel!

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Das steht übrigens nicht im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Trotzdem kommt dieser Vorschlag von der CDU. Von der FDP erwarte ich nichts anderes; aber die CDU fordert das auch.