Protokoll der Sitzung vom 15.02.2019

Frau El Samadoni, Sie wiesen darauf hin, dass diese Person sehr wohl eine reguläre Schule hätte besuchen können. Es war aber nicht so.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Die Art und Weise der Beschulung und der Schulpflicht sind wesentliche Themen des vorgelegten Berichts, deshalb gehe ich näher darauf ein. In unseren Nachbarländern Niedersachsen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ist die Schulpflicht durch den gewöhnlichen Aufenthalt normiert. Der § 20 Schulgesetz Schleswig-Holstein macht bei der normativen Schulpflicht eine Abgrenzung bezogen auf den regulären oder nicht regulären Wohnsitz in Schleswig-Holstein.

Dass es hier Handlungsbedarf bei der Zuweisung zur Regelbeschulung gegeben hat, hat die Landesregierung auch gesehen. Deswegen gab es auch den besagten Erlass im Herbst 2017, um für klarere Zuständigkeiten und Prozesse zu sorgen. Mit diesem Erlass wurde konkretisiert, dass die Beschulung für Kinder aus Hamburg oder Bayern nicht anders zu handhaben ist als für Kinder aus Meldorf oder Plön. Gegen einen textlich normativen Sonderweg, den Schleswig-Holstein im Vergleich zu den Nachbarländern macht, ist daher zunächst einmal nichts einzuwenden. Wesentlich ist, dass aufgrund der jeweiligen Heimatgemeinde keine qualitativen Unterschiede für die Kinder in ihrer Bildungs- und somit auch ihrer Lebensperspektive entstehen dürfen. Das ist mir als Sozialpolitiker besonders wichtig.

(Beifall FDP)

Möglichst jeder junge Mensch, vor allem aus Heimen oder Wohngruppen, sollte eine allgemeinbildende Schule besuchen. Das war auch eine konkrete Forderung derjenigen, die beim Symposium zu Leid und Unrecht in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie von 1949 bis 1975 hier im Plenarsaal gesprochen haben. Da haben mehrere Menschen gesagt: Ihr Schicksal wäre anders verlaufen, wenn sie regulär beschult worden wären. Das sollte uns - auch im Lichte des Friesenhof-Skandals - sensibel machen, wenn es solche Berichte gibt, wie wichtig der Schulbesuch ist.

(Vereinzelter Beifall FDP - Zuruf Birte Pauls [SPD])

Daher brauchen wir eine Evaluierung des Erlasses. Das steht in unserem Änderungsantrag. Darüber hinaus werden wir - auch mit Ihnen, Frau Pauls, so hoffe ich, Sie sind schließlich Mitglied im Sozialausschuss, und ich gehe davon aus, dass Sie bei den Beratungen dabei sind - darüber sprechen, auch über Ihren Antrag, und klären, ob es Lücken gibt und wie wir diese schließen können. Daher sehe ich einer konstruktiven Debatte, wie wir Chancen und Perspektiven der im Heim untergebrachten Kinder und Jugendlichen verbessern können, zuversichtlich entgegen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Vielen Dank. - Das Wort für die AfD-Fraktion hat anscheinend der Abgeordnete Claus Schaffer. Bei

(Dennys Bornhöft)

mir stand noch Herr Dr. Brodehl. - Sie haben das Wort, Herr Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Die öffentliche Jugendhilfe ist stets herausgefordert, kontinuierlich die Qualität wie auch geeignete Maßnahmen zu ihrer Umsetzung weiterzuentwickeln. So wurden aufgrund der Vorfälle in den Friesenhof-Heimen der Runde Tisch zur Situation der Heimerziehung in Schleswig-Holstein und die Ombudsperson, die Beschwerdestelle für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe bei der Bürgerbeauftragten geschaffen. Auch ich möchte an dieser Stelle Frau El Samadoni und ihrem Team zu wirklich hervorragender Arbeit meinen Dank aussprechen. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Die Forderung der SPD-Fraktion, Kinder und Jugendliche innerhalb des Wohnortbundeslandes unterzubringen, ist durchaus nachvollziehbar; denn soll die Hilfe zur Erziehung nachhaltig sein, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern der Jugendhilfe und den jungen Menschen und deren Eltern unerlässlich. Eine engmaschige Kooperation zwischen den Einrichtungen, den Entsendejugendämtern und Eltern lässt sich nur durch eine wohnortnahe Unterbringung realisieren.

Dies ist aus unserer Sicht aber nur langfristig möglich, da die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen und Heimen in Schleswig-Holstein eben nicht aus Schleswig-Holstein stammt. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, dass hierzu eine Soll-Vorschrift eingeführt wird, also geprüft wird, ob im Einzelfall eine wohnortnahe Unterbringung möglich und sinnvoll ist, findet da schon eher unsere Zustimmung.

Im Rahmen der Weiterentwicklung der Qualität der Heimerziehung ist es wünschenswert, wenn hier Standards festgelegt werden. Mindestens zweimal im Jahr sollten vor Ort in den Heimen Gespräche zwischen Jugendamtsmitarbeiter, Betreuer und dem Träger der Jugendhilfe unter Einbeziehung des Jugendlichen stattfinden. Denn wichtig ist es, vor Ort die Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der Qualität in der Heimerziehung zu verbessern.

An der Lebensrealität vorbei geht hingegen der Vorschlag, das Schulgesetz dahin gehend zu ändern, dass bereits der gewöhnliche Aufenthalt in Schleswig-Holstein eine grundsätzliche Schulpflicht begründet. Schulerfahrungen der Kinder und Jugendlichen in den Heimen sind oftmals von Misserfolg

serlebnissen und Scheitern geprägt. Schulabsentismus und Unterrichtsboykott sind Herausforderungen, die Erzieher und aufnehmende Schule bewältigen müssen. Soziale Kompetenzen wie Selbstkontrolle, Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Kooperationsbereitschaft und das Akzeptieren und Einhalten von Regeln und Vereinbarungen müssen erst wieder neu erworben und die Freude am Lernen neu entdeckt werden. Hierfür sind heiminterne Eingliederungsgruppen oder schulische Integrationsmaßnahmen der richtige Weg.

Im Antrag der SPD-Fraktion finden sich nach unserer Auffassung diese Belange nicht ausreichend berücksichtigt. Wir unterstützen insofern auch hier den Antrag der Koalitionsfraktionen, diesen Absatz im Antrag der SPD-Fraktion zu streichen und es bei dem bisherigen Erlass zur schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen in ErziehungshilfeEinrichtungen zu belassen.

Zum Schluss möchte ich auf den Bericht der Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche zu sprechen kommen. In dem Bericht finden sich durchaus nützliche und überdenkenswerte Vorschläge und Einzelfallschilderungen. Nach Auswertung der genannten Fälle kommen wir aber zu dem Ergebnis, dass geprüft werden sollte, ob die Einrichtung einer Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche in der jetzigen Form weiter aufrechterhalten werden sollte.

Für uns stellt sich die Frage, ob nicht denjenigen Personen und Institutionen der Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen überlassen bleiben sollte, die an ihnen näher dran und entsprechend pädagogisch geschult sind. Die von Ihnen geschilderten Einzelfälle sind oft sehr kleinteilig - wir hörten das schon -, so geht es etwa um die Länge des Haarschnitts oder um eine verschwundene Spielkonsole. Für derartige Sorgen und Nöte - die aus Sicht eines Kindes oder Jugendlichen durchaus schwer wiegen mögen - bedarf es doch nicht der Intervention einer Beschwerdestelle.

(Beate Raudies [SPD]: Doch! - Dennys Bornhöft [FDP]: Haben Sie den Bericht gele- sen?)

Wir erachten die Einschaltung einer zusätzlichen Institution für kontraproduktiv und im Extremfall sogar nachteilig für die Erziehung und weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Der Bericht führt weiter aus, dass das maßgebliche Ziel der Beschwerdestelle sei, die vorhandene Wissens- und Machtasymmetrie zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und Erwachsenen,

(Vizepräsident Rasmus Andresen)

Einrichtungen und Behörden auf der anderen Seite auszugleichen. Aus unserer Sicht ist dieser Ansatz falsch, denn es geht hier nicht um Machtverhältnisse.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der weiß, wo der Hammer hängt, nicht?)

Ziel muss es doch sein, dass sich die Kinder und Jugendlichen, die oft aus sehr problematischen, belasteten Verhältnissen kommen, stabilisieren und Vertrauen zu ihren Erziehern oder auch Pflegern aufbauen.

(Martin Habersaat [SPD]: Das hat beim Frie- senhof super geklappt! Lesen Sie doch mal nach!)

Deren Autorität sollte durch die Einschaltung der Beschwerdestelle nicht untergraben werden.

Deswegen mache ich Vorschläge: Am besten eignen sich Maßnahmen, die in einigen Einrichtungen und Heimen längst gängige Praxis sind. Selbstverpflichtungserklärung der Mitarbeiter auf Basis eines humanistischen Menschenbilds und Kinderteams, in denen Erzieher, Kinder und Jugendliche gemeinsam erwünschte Verhaltensweisen festlegen und umsetzen, stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Wir halten es für den besseren Ansatz, die Aufgaben und Befugnisse der Jugendämter - auch der Heimaufsicht - zu erweitern, um diese Institutionen zu stärken, damit sich Zustände wie im Friesenhof nicht wiederholen.

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Dr. Frank Brodehl [AfD]: Die Heim- aufsichten!)

Diese Maßnahmen schützen und stärken Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung. Eine Beschwerdestelle, die zu weit entfernt ist, um die Lebenswirklichkeit der Kinder, Jugendlichen und Erzieher in den Heimen wirklich zu erkennen, gehört nach unserer Auffassung auf den Prüfstand. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD - Zuruf: Haben Sie den PUA- Bericht gelesen? Das sollten Sie einmal tun!)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Egal ob wir uns die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Friesenhof, den Runden Tisch Heimerziehung oder den vorliegenden Bericht der Beschwerdestelle anschauen - deutlich wird vor allem eines: Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung haben bis heute keine besonders starke Lobby.

(Zuruf: Genau!)

Längst nicht alle kommen zu ihren Rechten und dem Schutz, der ihnen zusteht. Das zeigt nicht zuletzt der Tätigkeitsbericht der Ombudsfrau. Vor diesem Hintergrund ist es gut und folgerichtig, dass die SPD die zentralen Forderungen aus dem Bericht in einem Antrag zusammengefasst hat und so gesondert zur Diskussion stellt.

(Beifall SSW und SPD)

Ich habe mehrfach betont, dass ich beim Thema Heimerziehung eine besondere Verantwortung der Landespolitik sehe. Wir sind es, die sicherstellen müssen, dass Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen eine kindgerechte Erziehung und den Zugang zu guter Bildung bekommen.

(Beifall SSW)

Es geht um nicht weniger als den effektiven Schutz vor Ausgrenzung, Diskriminierung und jeglicher Form der Gewalt. Es geht um Chancengleichheit. In all diesen Fragen dürfen Kinder und Jugendliche, die in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe aufwachsen, nicht schlechter als andere gestellt werden. Das muss unser Anspruch sein.

(Beifall SSW und SPD)

Zum Glück sind die schockierenden Berichte aus den Friesenhof-Einrichtungen für unsere Heimlandschaft alles andere als typisch. Doch ist klar, dass wir konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Heimerziehung ergreifen und weiterentwickeln müssen. Mit der Einrichtung der Beschwerdestelle für Kinder und Jugendliche haben wir eine wichtige Lehre gezogen. Deshalb ist es gut, dass dazu der erste Bericht vorliegt. Auch ich möchte mich bei der Bürgerbeauftragten El Samadoni und ihrem Team für diesen Bericht herzlich bedanken.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich möchte mich auch beim Kinderschutz für den Einsatz für die untergebrachten Kinder bedanken.

(Claus Schaffer)

Mit einem funktionierenden Beschwerdewesen allein ist es aber nicht getan. Im Gegenteil: Schauen wir uns die vorliegenden Ergebnisse und Empfehlungen an, stellen wir fest, in Wirklichkeit erst am Anfang.

Im Bericht und im Antrag sind weitere wichtige Schritte genannt: Die Forderung nach einem bundesweiten Datenaustausch über Tätigkeitsuntersagungen unterstützen wir voll und ganz. Auch die geforderten verbindlichen Besuche durch die entsendenden Jugendämter sind eine längst überfällige Lehre aus den aufgedeckten Missständen, denn der weit überwiegende Teil der hier untergebrachten Kinder und Jugendlichen stammt nun einmal aus anderen Bundesländern. Diese Situation dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Es freut mich deshalb, dass sich fast alle zum Ziel bekennen, Kinder und Jugendliche in Zukunft möglichst wohnortnah unterzubringen.