Protokoll der Sitzung vom 06.03.2019

Ich finde es richtig, dass wir hier darüber reden. Denn auch die Antidiskriminierungsstelle hat festgestellt: Wenn wir Regeln zum Umgang mit Vollverschleierung haben wollen, dann brauchen wir am Ende eine gesetzliche Grundlage. - Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, uns auch mit dieser Frage umfassend zu beschäftigen. Deshalb ist die große Expertenanhörung, die wir vorschlagen - zahlreiche Aspekte von Fragestellungen finden sich schon in unserem Antrag wieder -, genau der richtige Weg. Das sollten wir auch beschließen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Genau dazu hat auch das Präsidium der ChristianAlbrechts-Universität bei uns nachgefragt. Die Landesregierung beziehungsweise der Landtag ist gebeten worden, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die die Richtlinie des Präsidiums der CAU zum Tragen eines Gesichtsschleiers unterstützt. Wir dürfen - diese Position habe auch ich - die Universität mit dieser Frage nicht alleinlassen.

Das Gleiche gilt aus unserer Sicht für Schulen. Ein erster Fall ist bereits bekannt. Es ist absehbar, dass wir auch an unseren Schulen mit weiteren Fällen zu dem Thema Vollverschleierung rechnen müssen.

In Niedersachsen wurde - unter einer rot-grünen Landesregierung! - ein Schulgesetz beschlossen, das Klarheit schafft und Vollverschleierung in niedersächsischen Schulen verbietet. Die Position der damaligen rot-grünen Landesregierung lag voll auf der Linie desssen, was unser Ministerpräsident, aber auch Christopher Vogt heute sagen. Gerade deshalb verstehe ich nicht, dass die SPD eine Gesetzesänderung für überflüssig hält oder dieses Thema ins Lächerliche zieht. Ich fand es ja ganz amüsant, Herr Habersaat, dass Sie im vergangenen Plenum von einem Eisbärenkostüm sprachen und im Nachhinein meinten, wir würden am Ende viel

(Dr. Frank Brodehl)

leicht Eisbärenkostüme verbieten wollen. Ich finde schon, dass diese Debatte ein bisschen ehrlicher und vor allen Dingen ernsthafter geführt werden sollte,

(Beifall CDU und FDP - Zuruf Martin Ha- bersaat [SPD])

denn das Thema an sich ist ernst genug. Ich werde gleich noch Argumente bringen, warum man diese Debatte nicht unter Hinweis auf ein Eisbärenkostüm führen sollte.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

In der Richtlinie der CAU wird festgehalten, dass Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil von Forschung und Lehre ist. Zu einer offenen Kommunikation gehört eben nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch Mimik und Gestik sind wesentliche Elemente. Damit bin ich bei einem sehr wichtigen Gedanken, der in der Kommunikaktionsforschung vollkommen unstrittig ist: Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es ist von großer Bedeutung, sich gegenseitig zu sehen, um sich am Ende auch zu verstehen. Wir alle kennen es wahrscheinlich vom Telefonieren: Es ist viel schwieriger, sich am Telefon zu verstehen, als wenn man von Angesicht zu Angesicht miteinander spricht.

Aber was ich entscheidend finde, ist Folgendes: Wird man beobachtet, ohne den Beobachtenden sehen zu können, ist Letzterer in einer überlegenen Position. In dieser Frage geht es also auch ein bisschen um Macht, wenn man es aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Gerade in der Bildung wünschen wir uns Kommunikation auf Augenhöhe. Das gilt für Professoren, wo dieses Argument immer gern angeführt wird. Das gilt aber auch umgekehrt, das heißt für Studenten; auch das finde ich wichtig zu betonen. Nicht nur deshalb finden wir die Richtlinie der CAU an dieser Stelle richtig.

(Beifall CDU und FDP)

Wesentlich für diese Diskussion ist auch die Fragestellung, ob ein Gesichtsschleier überhaupt durch die Religionsfreiheit geschützt werden muss. Ich möchte noch einmal deutlich sagen - weil die Abgrenzung sehr wichtig ist -, dass wir nicht über ein Kopftuch sprechen. Wir sprechen ausschließlich über Vollverschleierung durch einen Niqab oder eine Burka.

Ein Kieler Imam hat im Rahmen dieser allgemeinen Diskussion festgehalten, dass eine Vollverschleierung auf der Basis des Korans nicht vorgeschrieben ist. Nach der Religion, wie er sie auslegt, ist das nicht notwendig.

(Beifall Stephan Holowaty [FDP] und Lars Harms [SSW])

- Das muss man einmal so festhalten. Es ist auch wichtig, was die Geistlichen dazu sagen.

Spannend sind auch die Ausführungen der Vizepräsidentin der Kieler Uni und Professorin für Islamwissenschaften, Anja Pistor-Hatam; dem Abgeordneten Petersdotter wird sie sehr bekannt sein. Sie stellte in einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Artikel fest, dass die Mehrheit der islamischen Gelehrten - auch der Laien - der Meinung ist, dass der Gesichtsschleier nicht geboten sei. Es gebe zwar fundamentalistische Gruppen, die ein religiöses Gebot für einen Gesichtsschleier sähen; diese könnten sich aus der wissenschaftlichen Sicht jedoch nicht auf die Religionsfreiheit berufen. Der Gesichtsschleier sei ein Zeichen von Fundamentalismus und von Ideologie.

Darin liegt auch der wesentliche Unterschied - das finde ich in diesem Kontext wichtig - zu dem Tragen von medizinisch notwendiger Bekleidung; vielleicht wird noch das Beispiel des Blinden angeführt. Das Tragen eines Niqabs, so sagt es die Wissenschaftlerin, habe klar einen ideologischen Hintergrund. Der Gesichtsschleier repräsentiere auch eine bestimmte Geisteshaltung.

(Beifall CDU, FDP, AfD, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Genau das dürfen wir in dieser Debatte nicht ausblenden, sondern wir müssen klar benennen, wer unsere Freiheit herausfordert und sich auf Verfassungsrechte berufen möchte. Mittlerweile wissen wir, dass Katharina K. kein armes afghanisches Mädchen ist, das von ihrer Familie gezwungen werde, eine Vollverschleierung zu tragen, und durch die Richtlinie der CAU keine Bildung bekomme, sondern Katharina K. ist eine deutsche Konvertitin und steht im direkten Kontakt mit Salafisten, konkret der Föderalen Islamischen Union.

Diese Organisation - das können wir, glaube ich, so festhalten - steht in Verdacht, die freiheitliche Grundordnung zu bedrohen, wird mindestens durch den Verfassungsschutz beobachtet. Das finde ich auch sehr wichtig. Wesentliche Protagonisten standen nachweislich in Kontakt zu Attentätern des 11. September und zu Szenegrößen wie Pierre Vogel und Sven Lau. Der organisierte Salafismus - das sagen uns alle Experten - ist in Schleswig-Holstein angekommen. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen.

(Tobias Loose)

(Beifall CDU, FDP und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [fraktionslos])

Deswegen sage ich für meine Fraktion in dieser Debatte sehr deutlich: Wenn wir unsere Freiheit verteidigen wollen, dann dürfen wir uns von diesen Kräften nicht an der Nase herumführen lassen, sondern wir müssen klare Grenzen aufzeigen und an dieser Stelle aus unserer Sicht auch wehrhaft sein.

Ich will ein anderes Beispiel aufgreifen, um zu zeigen, wo wir diese gesellschaftliche Debatte auch führen. Ich bin nicht dafür, dass wir in unserer Gesellschaft zum Beispiel Vielehen akzeptieren. Das ist übrigens auch eine Frage, bei der manche meinen, dass man das durch Religionsfreiheit schützen kann. Aber wir haben dafür sehr klare Regelungen getroffen. Es gibt also Grenzen, die wir uns in anderen Kontexten, was die Frage der Religionsfreiheit angeht, im Zusammenleben setzen. Ich finde es richtig, dass wir das tun. Wir sollten das am Ende auch beim Thema Vollverschleierung tun; denn ich glaube, hier ist eine Grenze überschritten.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Für beide Themen gilt - das will ich ausdrücklich sagen -: Es geht auch um die Unterdrückung von Frauen. Wenn wir bei den Themen Sprache - Gendern ist ja durchaus ein Thema -, Einkommen oder Parität in den Parlamenten über die Unterdrückung von Frauen sprechen, dann muss das aus meiner Sicht auch für das Thema Vollverschleierung gelten. Ich habe noch nicht gehört, dass ein Mann aus religiösen Gründen einen Niqab oder eine Burka tragen möchte. Damit wird das Thema automatisch zu einer Geschlechterfrage.

(Zuruf Aminata Touré [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Darüber wollen wir ja debattieren. Ich kann meine Meinung an dieser Stelle durchaus einmal sagen. Für mich erscheint es schon etwas komisch, wenn wir sagen, bei der Sprache, beim Gehalt und bei der Parität hier im Parlament müssen wir uns für Frauen einsetzen, aber beim Thema Vollverschleierung sagen wir am Ende, dass das in Ordnung ist.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Witt- genstein [fraktionslos])

Aber wir machen ja die Anhörung, um auf dieser Grundlage dann die Debatte zu führen. Das ist etwas, was ich nicht schlecht finde. Wir brauchen eine Auseinandersetzung mit diesem Thema. Das hat gerade dieser Moment, aber auch die Debatte in den letzten Tagen gezeigt. Wie ich eingangs gesagt ha

be, glaube ich, dass der Landtag der richtige Ort ist, einmal weil wir Anhörungen machen können, aber auch, weil wir als Gesetzgeber derjenige sind, der das am Ende entscheidet. Wir werden umfassend Experten hören. Ich selbst habe in den letzten Tagen schon viel zu dem Thema gelernt und würde mich freuen, noch mehr dazu zu lernen. Wenn es nach mir geht, lassen wir am Ende die Schulen und die Universitäten mit dieser Frage nicht alleine. Ich glaube, wir brauchen ein klares Bekenntnis gegen Fundamentalisten und Ideologen, die dieses Thema missbrauchen. - Danke, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Doris Fürstin von Sayn-Wittgen- stein [fraktionslos])

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine - ich betone: eine - von circa 63.000 Studierenden oder 31.000 Studentinnen in Schleswig-Holstein trägt Niqab und Burka, verhüllt somit Körper und Gesicht, und sofort kommt der Ruf nach Maßnahmen, nach Veränderung des Hochschul- oder gar des Schulgesetzes für gut 370.000 Schülerinnen und Schüler. Es handelt sich dabei um eine Deutsche, die zum Islam übergetreten ist. Das macht es ein bisschen einfacher, das Thema zu erörtern, ohne gleich der Fremdenfeindlichkeit bezichtigt zu werden, wiewohl das Thema kaum zu behandeln ist, ohne in die Gefahr zu geraten, an der einen oder anderen Klippe zu landen.

In diesem Fall kann zumindest ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass wir es auch mit dem gezielten Hervorrufen eines Verhaltens und der Reaktion bei anderen Personen zu tun haben, was der Wortsinn von Provokation ist. Ein einzelner Mensch startet eine Provokation, und die gesamte Öffentlichkeit springt über das Stöckchen.

(Beifall SPD, FDP und SSW)

So neu ist übrigens diese Art der Provokation nicht. Denken Sie nur an den Fall der 18-jährigen Schülerin an einer Abendschule in Osnabrück, ich glaube, vor drei Jahren. Ich kann deshalb nur dringend anregen, das Thema zurückhaltend und souverän zu behandeln, wie es uns zum Beispiel die Bürgerbeauftragte, aber auch eine Reihe von muslimischen

(Tobias Loose)

Verbänden empfehlen. Die Änderung des Hochschulgesetzes und hierbei das Verbot der Gesichtsverhüllung aufgrund des Verhaltens einer Person scheint mir dabei nicht die geforderte souveräne Entscheidung zu sein.

(Beifall SPD)

Wie Sie wissen, war ich viele Jahre als Hochschullehrer an Universitäten nicht nur in Deutschland und Europa tätig. In dieser Zeit sind mir viele Menschen mit unterschiedlichstem Aussehen, unterschiedlichsten Kleidungen, Kopftüchern und so weiter begegnet, Menschen, die im Gesicht weitgehend tätowiert waren oder mit ungewöhnlicher Haartracht. Natürlich bin ich gerade in Asien einer ganzen Reihe von Menschen begegnet, für die es wichtig ist, durch die Kontrolle von Mimik und Gestik ihre Gefühle gerade nicht zu zeigen oder, wie man sagt, ihr Gesicht nicht zu verlieren.

In mehr als 35 Jahren Lehrerfahrung als Dozent und Hochschullehrer ist mir allerdings eine vollverschleierte Frau nicht begegnet. Ich gebe zu, sie würde auch mich irritieren und befremden. Aber ich traue mir und meinen Kolleginnen und Kollegen an den Hochschulen zu, mit solch einer Situation souverän und situativ angemessen umzugehen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

In einer Vorlesung mit 300 oder mehr Studierenden oder - denken Sie an die Uni Mannheim - mit 3.000 Studierenden in der Volkswirtschaftslehre ist es wahrscheinlich egal und im Wortsinne gleichgültig, ob jemand verschleiert ist. In bestimmten Seminaren ist es das vermutlich auch. Selbst in bestimmten Prüfungssituationen kann ich mir - bei entsprechenden Vorkehrungen - durchaus eine verschleierte Frau vorstellen. Auch wenn mir das vielleicht nicht besonders gefällt, vorstellen kann ich mir das.

Genauso wenig geht aber eine Verschleierung, wenn die Studentin zum Beispiel in einem Labor, an einem Krankenbett oder in der Schule tätig wird. Natürlich spielt auch eine Rolle, ob und wie sich die anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen zu diesem Verhalten äußern.

Die Geschichte des Schleiers für Frauen geht übrigens weit über die Geschichte des Islam hinaus. Schon vor gut 4.000 Jahren gab es in Mesopotamien die Anordnung, nach der von bestimmten Frauen erwartet wurde, einen Schleier zu tragen, und von anderen hingegen nicht. Das hat also nicht unmittelbar etwas mit dem Islam zu tun. Auch im Brief des

Paulus an die Korinther findet man Sätze wie - ich zitiere -:

„Jede Frau aber, die betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt, entehrt, schändet ihr Haupt. Sie unterscheidet sich dann in keiner Weise von einer Geschorenen.“

Das klingt relativ eindeutig, aber es gibt eine breite theologische Diskussion darüber, ob Paulus das tatsächlich als Vorschrift formuliert hat oder ob er nur örtliche Bräuche referiert hat, um sich dann von ihnen abzugrenzen.