Protokoll der Sitzung vom 06.03.2019

müssen wir entscheiden: Wollen wir die Hände in den Schoß legen oder den Kampf gegen den Klimawandel konsequent aufnehmen? - Wenn wir uns für die zweite Variante entscheiden, ist schon jetzt klar, dass für unzählige landespolitische Entscheidungen in den kommenden Jahren Klimaschutz der Drehund Angelpunkt sein wird.

(Beifall SPD)

Es wird nur wenige Themen geben, bei denen wir ihn nicht zumindest mitdenken müssen. In einigen Bereichen ist das offensichtlich, in anderen zeichnet es sich schon ab.

Es wäre reine Symbolpolitik, den Klimaschutz, wie wir es beantragt haben, in die Verfassung zu schreiben und sonst nichts zu tun. Denn natürlich retten wir dadurch nicht das Klima. Aber wenn wir uns auf den Weg machen wollen, dem Klimaschutz in Schleswig-Holstein über die kommenden Jahre diese zentrale Rolle zu geben, dann ist es eben auch konsequent und ehrlich, dieses Ziel in unsere Verfassung aufzunehmen.

(Beifall SPD und Flemming Meyer [SSW])

Egal woher wir kommen: Entweder ist der Klimaschutz für uns in der Landespolitik ohnehin bereits Selbstverständlichkeit, dann sollte man es festhalten und ihn in die Landesverfassung schreiben. Oder aber er ist noch keine Selbstverständlichkeit, und dann sollten wir ihn erst recht in die Verfassung schreiben.

(Beifall SPD)

Jetzt wird - durchaus zu Recht - von einigen hinterfragt, warum wir unsere Verfassung schon wieder anfassen wollen, nachdem wir sie erst 2014 grundlegend überarbeitet haben. Ich will für mich sprechen: Es wäre richtig gewesen, den Klimaschutz schon damals hineinzunehmen, und ich bin mir sicher, wäre der Vorschlag konkret formuliert worden, hätte er sehr gute Realisierungschancen gehabt. Das haben wir versäumt, jetzt haben wir die Chance, das Versäumte nachzuholen und im Übrigen damit in Deutschland eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das wäre auch deshalb besonders erfreulich, weil wir unsere Vorreiterrolle als Energiewendeland Nummer eins bei der Windenergie bereits eingebüßt haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich sage das nicht mit Freude, um das hier festzustellen. Darüber haben wir auch diskutiert.

Die Vorreiterrolle beim Klimaschutz täte dem ganzen Land gut, denn die deutsche Debatte zum Klimaschutz ist reichlich schräg. Regelmäßig wird das Bild des deutschen Musterschülers gezeichnet, ein

(Dr. Ralf Stegner)

Bild, das ziemlich falsch ist. Wir wären wohl das erste große Industrieland, das gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigt. Dennoch ist das notwendig. Aber der Blick auf den Ist-Stand zeigt: Der CO2-Ausstoß pro Kopf ist ernüchternd. Deutschland erreicht da weltweit den vierten Platz - ein trauriges Ergebnis und im Übrigen ein Wert, der deutlich über dem EU-Schnitt liegt. Ein Musterschüler sieht anders aus.

Deutschland ist das Thema übrigens so wichtig, dass wir auch auf Bundesebene jetzt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, das eben nicht nur das Umweltressort, sondern auch alle anderen Ressorts - ob Bau, Verkehr oder Wirtschaft - in die Verantwortung nimmt. Das ist richtig so.

(Beifall SPD)

Natürlich kann man an den Einzelnen appellieren: Esst weniger Fleisch, fahrt weniger Auto, verzichtet auf Flugreisen, bezieht Ökostrom. - Alles richtig, alles gute Empfehlungen.

(Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber am Ende wird das nie genug sein.

Willy Brandt wusste, dass demokratisches Bewusstsein nur in einer Gesellschaft gedeiht, in der freie Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verpflichtung in allen relevanten Bereichen gelten, also auch für den Klimaschutz. Es braucht strukturelle Veränderungen, und diese Entscheidungen kann nur die Politik treffen, und sie muss es auch. Wir brauchen zum Beispiel die konsequente Energiewende: ohne Atomstrom, ohne Kohleverstromung und langfristig komplett ohne fossile Energien. Das geht aber nicht von heute auf morgen.

Wir brauchen auch die Mobilitätswende. Niemandem ist geholfen, wenn wir die schlechten Angewohnheiten der Vergangenheit nehmen und sie eins zu eins auf Elektroantriebe umstellen und als Lösung verkaufen. Gerade im Pendlerland SchleswigHolstein brauchen wir den massiven Ausbau des ÖPNV mit intelligenten Konzepten raus bis aufs Dorf. Erst das ist eine Mobilitätswende, die den Namen verdient.

Klimaschutz, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch eine soziale Frage. Gerade wir Sozialdemokraten wissen, dass der dringend notwendige ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft, der klimapolitische Strukturwandel, eine neue Synthese von Arbeit und Umwelt bringen muss, wie es Björn Engholm schon vor 30 Jahren gefordert hat. Dieser Strukturwandel muss sozial

verträglich ausgestaltet werden, wenn wir dafür demokratische Mehrheiten gewinnen wollen.

Wenn Klimaschutz gelingen soll, müssen die Lasten fair und vor allem sozial gerecht verteilt werden. Dass wir alle unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren müssen, ist richtig. Daraus abzuleiten, Fleisch zu einem Luxusprodukt für Reiche zu machen, wäre jedoch grundlegend falsch.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Beifall Flemming Mey- er [SSW])

Die Energiewende konsequent voranzutreiben, ist notwendig. Die Kosten dafür über die Stromrechnung oder die Benzinpreise einseitig bei den Verbrauchern abzuladen, wäre ein fataler Irrweg.

(Jörg Nobis [AfD]: Ist es auch!)

Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen: Klimaschutz klappt nur mit den Menschen, nicht gegen sie. Klimaschutz und Wohlstand sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Klimaschutz ist die Voraussetzung dafür, unseren Wohlstand in der Zukunft zu erhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das geht nicht national. Deswegen brauchen wir gerade nach dem Ausstieg von Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen - multilaterale Lösungen. Vielleicht ist der Vorschlag von Emmanuel Macron für eine Europäische Klimabank weiterführend; ich weiß es nicht. Jedenfalls geht es bei den anstehenden Europawahlen auch um Wohlstand und Frieden, wenn wir den Nationalisten und Klimawandelleugnern von rechts nicht das Feld überlassen wollen. Das dürfen wir nicht tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich wünsche mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir aufhören, Teil des Problems zu sein, und anfangen, Teil der Lösung zu werden. Ich hoffe, dass wir den Mut finden, eine solche Politik konsequent fortzuführen, auch über mehrere Legislaturperioden hinweg. Ich füge ausdrücklich hinzu: Das bringt für meine Partei und die Dinge, die wir richtig finden, auch Schwierigkeiten mit sich. Es muss Schluss damit sein, für den kurzfristigen politischen Erfolg ein Projekt wie die Energiewende im Fünfjahrestakt auf den Prüfstand zu stellen. Wir brauchen die mutigen Bekenntnisse zum Klimaschutz

(Dr. Ralf Stegner)

auch dann, wenn nicht mehr wöchentlich Schülerinnen und Schüler am Freitag vor dem Landeshaus demonstrieren. Dieses Engagement verdient übrigens unseren Respekt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist zugleich der Druck, den unsere Gesellschaft braucht und den wir früher für Friedenspolitik oder andere Fragen eingesetzt haben. Ich glaube, dass es für alle eine gute Rückbesinnung ist, den Klimaschutz in unserer Verfassung zu verankern.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels schon deutlich spürt, aber vielleicht zugleich die letzte Generation, die einige der dramatischen Folgen noch verhindern kann. Wenn wir uns vor unseren Kindern und Enkeln nicht schämen wollen, gibt es keine Alternative zu ernsthaftem und konsequentem Klimaschutz. Es ist am Ende eine globale Gerechtigkeitsfrage, über die unsere Generation zu entscheiden hat. Es liegt an uns, wie kaputt die Erde ist, die wir hinterlassen. Bert Brecht hat das in seinem berühmten Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ so formuliert:

„Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend Nicht nur gut wart, sondern verlaßt Eine gute Welt!“

Konsequenter Klimaschutz ist eine Herausforderung, die uns unser Leben lang beschäftigen wird, viel Kraft kostet und sich auf fast alle Bereiche der Landespolitik auswirkt und auswirken muss. Eine logische Konsequenz daraus ist, den Klimaschutz in unsere Verfassung zu schreiben. Das beantragen wir heute. Dafür bitten wir um Zustimmung. - Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, der Abgeordnete Tobias Koch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst auch von meiner Seite die besten Genesungswünsche an den Kollegen Thomas Hölck. Als Antragsteller hätte ansonsten vermutlich er heute Morgen zu diesem Tagesordnungspunkt gesprochen, ist aber durch seinen Fraktionsvorsitzenden würdig vertreten worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor knapp drei Wochen haben wir an dieser Stelle, hier im Plenum des Landtages, über die Schülerdemonstrationen „Fridays for Future“ diskutiert. Die JamaikaKoalitionsfraktionen haben unmittelbar im Anschluss daran, nämlich noch am Nachmittag desselben Tages, das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern gesucht - wohlgemerkt außerhalb der offiziellen Schulzeit.

Nun ist mir nicht bekannt, ob die SPD-Fraktion ähnliche Gespräche geführt hat. An dem damaligen Freitag jedenfalls haben die Schülerinnen und Schüler dem Gespräch mit CDU, Grünen und FDP den Vorzug gegenüber einer zeitgleichen Einladung des Kieler Oberbürgermeisters Ulf Kämpfer gegeben.

(Zurufe SPD)

Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Das Gespräch war ausgesprochen erkenntnisreich. Wenn man sich bis dahin vielleicht fragen konnte, was die Schülerinnen und Schüler eigentlich genau mit ihren Demonstrationen erreichen wollen, so ist Folgendes klar geworden: Sie erwarten konkrete Handlungen der Politik, um das 1,5-Grad-Ziel der Pariser UN-Klimakonferenz von 2015 einzuhalten. Dafür muss man sich vor Augen halten, dass mit diesem Gipfel das zuvor propagierte 2-Grad-Ziel erheblich verschärft worden ist. In der Abschlusserklärung hieß es dazu: Die globale Erwärmung soll auf deutlich unter 2 °C, möglichst auf nur 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter begrenzt werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Treibhausgasemissionen weltweit bis spätestens 2060 auf null gesenkt werden. Sollte es anschließend nicht gelingen, einen Teil des zuvor emittierten Kohlenstoffdioxids der Atmosphäre wieder zu entziehen, müsste die Reduktion auf null sogar bereits bis zum Jahr 2040 abgeschlossen sein.

Nun hat Schleswig-Holstein im Februar 2017 ein eigenes Energiewende- und Klimaschutzgesetz beschlossen. Der Pariser Klimagipfel lag zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr zurück. Genau da setzt die Kritik der Schülerinnen und Schüler an. Das schleswig-holsteinische Klimaschutzgesetz von 2017 zielt nämlich unverändert darauf ab, den Temperaturanstieg auf maximal 2 °C zu begrenzen, als ob es die Pariser Klimakonferenz mit dem 1,5-Grad-Ziel überhaupt nicht gegeben hätte.

Meine von mir sehr geschätzte Kollegin Eka von Kalben hat sich in der Parlamentsdebatte vor drei Wochen an diesem Rednerpult in bewundernswerter

(Dr. Ralf Stegner)

Offenheit dazu bekannt, dass die Schülerinnen und Schüler vor dem Landeshaus auch gegen die Grünen demonstriert.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!)

Meine Damen und Herren von der SPD, das gilt genauso aber auch für Sie.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Alle! - Zurufe SPD)