Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, in dem Antrag des SSW geht es im Kern um etwas anderes. Da ist insbesondere in der Begründung von anderen relevanten Akteuren die Rede. Unter dem Strich muss man sagen, es geht dem SSW wieder einmal darum, Abschiebungen von abgelehnten und damit ausreisepflichtigen Asylbewerbern, also vermeintlich Schutzberechtigten, zu verhindern. Humanität ist dabei tatsächlich das begriffliche Vehikel, doch, wie gesagt, es geht um etwas anderes. Abschiebungen in Staaten seien demnach zu verhindern, in denen nach Erkenntnissen von internationalen Organisationen und Vereinen aus dem weiten Feld der Migrationsthematik, also im Grunde Flüchtlingslobbyisten, „die Sicherheitslage … unübersichtlich und nicht vorhersehbar“ sei.
Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, sagte in der „Welt am Sonntag“ am 24. März 2019, dass nur circa ein Drittel der Asylsuchenden tatsächlich einen Schutzstatus erhalten. Wir alle kennen die Zahlen. Die große Mehrheit von Migranten kommt also nach Deutschland, ohne die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung zu erfüllen. Überwiegend handelt es sich um Wirtschaftsmigration. 54 % der Asylbewerber verfügen über keinerlei Dokumente. Identität und Herkunft lassen sich oft nicht zweifelsfrei feststellen.
Auch damit haben wir hier in Schleswig-Holstein leidvolle Erfahrungen gemacht. Zu einer geordneten Migrations- und Asylpolitik gehört am Ende jedoch auch die konsequente Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer. Deren Anzahl „hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht und wird voraussichtlich noch weiter steigen“, schreibt die Landesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein. „Reisen ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer nicht freiwillig aus, sind sie grundsätzlich abzuschieben. Zur Sicherung der Abschiebung kann als Ultima Ratio die Anordnung der Abschiebehaft“ erfolgen. Weiter wird ausgeführt, dass dies „auch eine Frage der Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns“ ist.
Schon zu viele Ausländer ohne Bleiberecht verweilen viel zu lange hier. Es gibt eine Grenze der Belastbarkeit unseres Staates, wie der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Herr Sommer, in der „Welt“ weiter ausführte.
Nun möchte der SSW, dass ausgerechnet diejenigen Gruppen entscheidend in die Bewertung eingreifen können, in welche Länder Rückführungen stattfinden dürfen, die ganz wesentlich von der Migration profitieren. Meine Damen und Herren, hier geht es aber um staatliches Handeln, welches an Recht und Gesetz gebunden ist. Hier kann und darf es nicht darum gehen, dass Organisationen und Vereine ihre eigenen ideologisch und politisch gefärbten Bewertungen zur Grundlage staatlichen Handelns machen. Dass diese Bewertungen nicht objektiv und damit sachgerecht sein können, liegt doch klar auf der Hand.
Wenn Flüchtlingslobbyisten über die Frage entscheiden dürfen, welche Länder als sicher gelten, dann erhalten wir damit faktisch einen vollständigen Abschiebestopp, und genau das ist auch das Ziel. Hier im Landtag hörten wir schon einmal von Ihnen, Herr Harms, dass alle hier bleiben. Gerade
eben hörten wir das wieder. Gemeint waren alle Migranten, und gemeint war auch, dass wir niemanden zurückschicken werden - mit Ausnahme der Straftäter, das haben Sie vorhin noch eingeräumt. Das ist aber weder rechtsstaatlich, noch ist es rechtmäßig. Es ist überhaupt nicht im Interesse der Bürger in unserem Land. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rossa, Sie sind von Hause aus ja Rechtsanwalt. Das war eben ein bisschen in Staatsanwaltsmanier. Sie haben sich nur für das Kreuzverhör die falschen Objekte ausgewählt, das will ich Ihnen einmal ehrlich sagen. Ich habe mich über Ihren Koalitionsvertrag gar nicht geäußert, sondern ich habe nur im Schlusssatz auf die Formulierung Bezug genommen.
Mir ist es völlig schnurz, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Was mir aber nicht schnurz ist, ist, welche Praxis wir im Lande haben, und darüber habe ich geredet. Ich will Ihnen gern Ihre Vorwürfe zurückgeben. Es gibt nämlich in der Tat eine Vereinbarung zwischen den Ländern, und die galt über viele Monate, dass in der Praxis nur Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden.
Diese Praxis finde ich richtig. Ich habe ausgeführt, dass sich an der Sicherheitslage nichts verbessert hat, schon gar nicht so, dass man Leute dahin einfach abschieben kann. Das geschieht aber in Deutschland. Da heben aus Hamburg, aus München und sonst wo Flieger ab, in denen keine Straftäter sitzen, sondern zum Beispiel junge Leute, die aus Ausbildung und Arbeit kommen. Das widerspricht den Vereinbarungen. Das habe ich hier kritisiert. Wenn Sie das zurückweisen, dann spricht das gegen Sie und nicht gegen mich, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Das ist nämlich die Lage.
Ja, Herr Rossa, wir haben unterschiedliche Auffassungen. Diese haben wir hier schon ein paarmal ausgetragen. Wir haben beim Thema Abschiebehaft miteinander darüber diskutiert. Ich bin in der Tat der Meinung, dass Menschen, die hier lange leben und sich integriert haben, nicht abgeschoben werden sollten. Wir haben hier die Frage der exekuti
ven Priorität zu diskutieren, weil viele hier sind, die kein Bleiberecht haben. Es sollen bitte zuerst diejenigen abgeschoben werden, die sich gegen das Gemeinwesen stellen, die Gewaltkriminelle sind. Was spricht zum Teufel, Entschuldigung, ich sage, was spricht im Himmel dafür, so eine Praxis zu ändern? Ich wüsste es ehrlich gesagt nicht.
Ich glaube übrigens, dass die Behauptung, die Bevölkerung sehne den Rechtsfrieden förmlich herbei und dass man junge Leute oder Familien abschiebt, die integriert sind, eine Fiktion ist. Die Bevölkerung denkt überhaupt nicht so. Sie erwartet aber, dass die Priorität bei den Innenministern derart ist, dass man Straftäter abschiebt.
- Herr Rossa hat mich angegriffen: All das, was ich gesagt habe, stehe gar nicht in Ihrem Koalitionsvertrag. Ich habe mich nicht auf Ihren Koalitionsvertrag bezogen, sondern auf die Praxis. Hier muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde, dass die Praxis, auf die die Kollegin Aminata Touré Bezug genommen hat, nämlich dass die afghanische Community hier verunsichert wird und dass man die Menschen anspricht und sagt, man müsse die Abschiebezahlen steigern, legt uns bitte Fälle vor, die wir abschieben können, damit wir in der Statistik nicht so schlecht dastehen, mit Ihrer behaupteten humanitären Praxis überhaupt nichts zu tun hat, Herr Rossa. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen.
Wir stimmen dem SSW-Antrag nicht zu, weil er den Koalitionsvertrag wörtlich wiedergibt, sondern weil wir ihn in der Sache richtig finden. Es wäre ganz schön, wenn die Koalition sich in der Praxis, auch in der des Innenministeriums und aller, die da handeln, daran halten würde. Das ist eigentlich die Erwartung, die ich damit verbinde. Sonst ist mir das völlig schnurz. Sie können vereinbaren, was Sie wollen. Mich interessiert die Praxis in diesem Land.
Im Übrigen will ich Ihnen zum Schluss sagen: Das ist kein Spaß, über den wir reden, über den wir kleine Scharmützel austragen, die polemischer Natur sind. Ich bin selbst Innenminister dieses Landes gewesen und weiß genau, wie oft man sich mit dem Bundesinnenminister anlegen musste, weil wir immer gesagt haben: Wir wollen die humanitären Spielräume so weit wie möglich ausdehnen. Das heißt für mich ganz praktisch: Wenn überhaupt Abschiebungen bei der Lage, die wir haben, dann bitte Straftäter und Gefährder und nicht ganz normale Leute. Die brauchen nicht verunsichert zu werden.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stegner, es beruhigt mich immerhin, dass Sie dem Antrag zustimmen werden. Alles andere hätte mich wirklich überrascht.
Was steht in unserem Koalitionsvertrag drin? Wir setzen schlichtweg mit der größten humanitären Ausrichtung das um, was das deutsche Recht zulässt. Mehr nicht und auch nicht weniger.
Wir haben uns - anders als meines Erachtens alle anderen Bundesländer - in einem Koalitionsvertrag darauf verpflichtet, bevor wir in ein Land mit unsicherer Sicherheitslage Menschen zurückführen oder abschieben, eine Einzelfallprüfung zu machen, weil Humanität vor Rückführung geht. Das ist doch in keiner Weise von Ihnen zu kritisieren. Das steht eigentlich auch nicht im Widerspruch zu den Forderungen, die Sie hier vortragen. Ich verstehe die Kritik überhaupt nicht. Die Angriffe verstehe ich schon gar nicht, und ich trete hier auch nicht wie ein Staatsanwalt auf. Ich finde es aber empörend, wenn Sie immer wieder versuchen, uns eine ausländerfeindliche Politik unterzujubeln. Das geht einfach nicht.
Sehr verehrter Herr Kollege, ich habe Ihnen keine ausländerfeindliche Politik unterstellt, sondern ich habe auf etwas Bezug genommen, was die Kollegin Touré, wenn ich ihr richtig zugehört habe, hier vorgetragen hat, nämlich die Praxis, sich an die afghanische Community zu wenden mit der Aufforderung: Die Zahlen reichen nicht, legt uns bitte solche Fälle vor.
Herr Rossa, zweitens kann man sehr wohl sagen: Wenn wir zum Beispiel bei einem Land wie Afghanistan zu der Auffassung kommen, dorthin sollten nur Straftäter abgeschoben werden, weil die Lage so ist, wie sie ist, dann bedarf es keiner Einzelfallprüfung, sondern dann ist das eine Festlegung, an die man sich halten könnte. Da mögen wir dann in der Tat unterschiedlicher Auffassung sein.
- Herr Stegner, ganz ehrlich, Sie haben sich hier gerühmt, Innenminister dieses Landes gewesen zu sein.
Dann kennen Sie auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten, die Sie zu beachten haben. Sie haben im Land als Landesregierung - als Innenminister nur ganz eingeschränkte Möglichkeiten, um eine Abschiebung unter humanitären Gesichtspunkten zu verhindern. Ich nenne § 60 a Aufenthaltsgesetz. Mehr nicht. Daran erinnere ich Sie noch einmal, da Sie ja Innenminister gewesen sind. Sie hätten auch nicht anders handeln können.
Herr Stegner, ich habe noch im Ohr, dass Sie ein Abschiebemoratorium wollten. Auch das ist rechtlich unzulässig. Dass ich das Ihnen als ehemaligem Innenminister sagen muss, tut mir leid. Das ist bedauerlich.
Nein, ich möchte jetzt gern einen Abschlusssatz sagen: Humanität hat für uns Vorrang vor Rückführung. Dabei bleibt es. Dass wir hier unterschiedliche Wege gehen und dass wir das eventuell unterschiedlich ausdrücken, mag dahingestellt sein. Aber Lars Harms hat in seinem Antrag sehr deutlich gemacht, dass wir in dieser Frage gerade nicht auseinanderliegen und dass wir vielleicht auch nicht jede Gelegenheit nutzen sollten, um hier wirklich nichts anderes zu produzieren, als auf dem Rücken von Menschen, die nach dem Gesetz von Abschiebung bedroht sind, herumzupolemisieren und Stimmung zu machen. - Vielen Dank.
Für die Landesregierung hat das Wort der Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, HansJoachim Grote.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Stegner, es hat mich ein wenig irritiert, wie leicht Sie bundesweites Handeln, was Sie zu Recht beanstanden, eins zu eins auf unser Handeln übertragen und so darstellen, als sei das unser Handeln. Ich muss wirklich sagen, das enttäuscht mich, und ich muss es wirklich mit Verve zurückweisen. Das ist nicht unser Handeln.
Zweitens. Der Ansatz der Irritation war ein dpa-Interview. Sie haben vorhin zu Recht eine Aussage gemacht, die den Bundesinnenminister betraf. Meine Reaktion darauf war: Es nützt überhaupt nichts, weitere Gesetze und Verordnungen zu erlassen, wenn die Kapazitäten für die Rückführung nach Afghanistan nie höher als 50 Plätze sind; denn mehr Plätze haben wir nicht. Es ist Populismus auf Bundesebene, wenn dort neue Gesetze und Verordnungen gefordert werden, obwohl man genau weiß, dass das Regulativ die Menge der Menschen ist, die dort überhaupt landen dürfen. Mehr als die genannte Zahl dürfen in Afghanistan nicht landen. - Darum ging es in dem Interview, das ich übrigens nicht als Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, sondern als derzeitiger Sprecher aller deutschen Innenminister gegeben habe. Als solcher bin ich von dpaBerlin gefragt worden, und so habe ich es dargestellt. Das vielleicht vorweg.
Aber gestatten Sie mir noch eine Anmerkung, um ein wenig die Emotionen herauszubringen: Einer Abschiebung - darüber sind wir uns sicherlich alle klar - geht ein wirklich hochkomplexer Prozess voraus, der in der Regel mit sehr viel Formalismus, gegebenenfalls auch mit mehreren Rechtsmitteln, durchgeführt wird. Für die Betroffenen ist dieser finale Bescheid ein ihr/sein Leben maßgeblich beeinflussender Akt, der mit wirklich existenziellen Ängsten und Sorgen verbunden ist: Wie sieht meine Zukunft aus? Wie wird es eigentlich weitergehen?
Dies alles haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Ausländerämtern und allen damit befassten Behörden tagtäglich vor Augen, die diese „Vorgänge“ zu bearbeiten haben. Im wahrsten Sinne werden Schicksale dort besiegelt.