Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

Das Wort hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich zunächst, bevor ich die Eckpunkte darstelle, einen herzlichen Dank an all diejenigen aussprechen, die dafür gesorgt haben, dass es in den vergangenen eineinhalb Jahren in einem sehr umfangreichen Beteiligungsprozess, in einem sehr arbeitsintensiven Prozess gelungen ist, diese Eckpunkte miteinander zu verein

baren. Ich sage ausdrücklich Dank an die Landeselternvertretung, an die Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände, an die kommunalen Landesverbände, aber auch an die Kolleginnen und Kollegen meines Hauses, an meinen Staatssekretär und an die Koalitionsfraktionen für viele intensive, sehr konstruktive Beratungen. Darin schließe ich ausdrücklich auch die Opposition ein, die - bislang jedenfalls - konstruktiv und kritisch den Reformprozess begleitet hat.

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der vergangenen Woche lautete die Überschrift eines Artikels über unsere Kita-Reform: „Eltern sind die Gewinner der Kita-Reform“. Zugleich höre ich aus vielen Kommunen im Land, man sei in Sorge wegen der Reform, da der Finanzierungsanteil der Kommunen nicht bis auf ein Drittel gesenkt werde. Auf die finanzielle Entlastung der Kommunen komme ich später zurück.

Vorweg will ich eines festhalten: Es geht nicht um Gewinner und Verlierer, sondern es geht zuallererst um die bestmöglichen Startchancen für die Kleinsten, und das im ganzen Land.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht darum, dass wir als Landesregierung einheitlichere Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein schaffen, und das ist eine Frage von Gerechtigkeit. Es geht darum, dass wir Beruf und Familie überall in Schleswig-Holstein besser miteinander vereinbar machen wollen, damit Familien sich frei entscheiden können, wie sie ihr jeweiliges Lebensmodell gestalten wollen.

Wir haben uns vorgenommen, dass wir es mit dieser Reform schaffen, landesweit die Qualität in unseren Kitas zu verbessern, dass wir es schaffen, die Eltern durch einen stundenbezogenen Beitragsdeckel von zum Teil enorm hohen Elternbeiträgen zu entlasten und dass wir es zugleich schaffen, die Kommunen zu entlasten und ihnen vor allem mehr Planbarkeit und deutlich mehr Verlässlichkeit zu geben.

Noch etwas haben wir uns vorgenommen: Ein solch großes Reformvorhaben geht unserer Auffassung nach nur gemeinsam und nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg. Deswegen saßen von Anbeginn dieser Reform Eltern, Träger und Kommunen mit am Tisch. Uns war allen klar: Das wird nicht immer einfach, aber der gemeinsame Prozess hat nicht nur das gegenseitige Verständnis verbessert, er hat auch

(Minister Hans-Joachim Grote)

das Ergebnis, nämlich die Eckpunkte, die ich Ihnen heute präsentieren darf, besser gemacht.

(Beifall FDP und CDU)

Selbstverständlich - wie könnte es anders sein -: Alle drei Gruppen hätten sich für diejenigen, die sie jeweils vertreten, noch mehr gewünscht. Das bedeutet am Ende auch immer noch mehr Geld. Aber bei allen verständlichen Einzelinteressen: Wir haben uns gemeinsam an einen Tisch gesetzt und hart um die besten Lösungen gerungen.

Am Ende dieses Prozesses steht nun das am 14. März 2019 von allen Beteiligten präsentierte Eckpunktepapier. Dabei spielen wir Beteiligte und deren Interessen nicht gegeneinander aus. Eine kurzfristig erreichte Beitragsfreiheit werden wir gerade nicht zulasten der Qualität und somit am Ende auf dem Rücken von Erzieherinnen und Erziehern, zulasten der Arbeitsbedingungen oder der Bildungschancen der Kinder austragen.

(Beifall FDP, CDU und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir schaffen faire Elternbeiträge, wir verbessern die Qualität in den Einrichtungen. Das heißt ganz konkret: Wir erhöhen den Betreuungsschlüssel in der Kindergartengruppe von derzeit rund 1,5 Fachkräften auf neu 2 Fachkräfte bei einer Gruppengröße von regelhaft 20, in Zukunft maximal 22 Kindern. Dass die Gruppengröße im Einzelfall auf 25 Kinder ausgedehnt werden kann, wird es in Zukunft nicht mehr geben.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schreiben die sogenannten Verfügungszeiten pro Gruppe in Höhe von fünf Stunden pro Woche erstmalig als verbindlichen Mindeststandard fest. Wir regeln die Freistellung der Kita-Leitung von der Arbeit in der Gruppe erstmals verbindlich. Bereits ab der ersten Gruppe erfolgt eine anteilige, ab der fünften Gruppe gibt es eine vollständige Leitungsfreistellung - ebenfalls als Mindeststandard. Die gemeinsam vorgelegten Eckpunkte sind ein echter Meilenstein, auf den alle, die daran mitgearbeitet haben, zu Recht stolz sein können.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dieser Reform werden wir gleichwertigere Lebensverhältnisse in Schleswig-Holstein schaffen. Wir entlasten Eltern und Kommunen, und wir verbessern die Qualität in unseren Kitas. Dies erreichen wir durch eine echte, grundlegende Strukturre

form. Viel zu lange, das wissen die meisten Beteiligten von Ihnen, wurde im System der Kita-Finanzierung Flickschusterei betrieben.

(Beifall FDP, CDU und Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Werner Ka- linka [CDU]: So ist es!)

So ist über die Jahre - um nicht zu sagen: Jahrzehnte - ein intransparentes System entstanden, das in Wahrheit kaum noch jemand durchblickt und das vor allem keinerlei Steuerungswirkung entfaltet.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Werner Kalinka [CDU]: So ist es!)

Ich will ganz deutlich sagen: Die letzte Landesregierung hatte das richtige Ziel, die Eltern durch die Einführung des Krippengeldes zu entlasten. In der Realität hat aber die Einführung in vielen Konstellationen bestenfalls zu einer Kostendämpfung bei den Elternbeiträgen geführt, denn mit der Einführung des Krippengeldes stiegen in vielen Fällen eins zu eins die Elternbeiträge.

Ebenso blieb aber die Frage offen, warum es eigentlich Ausdruck von Gerechtigkeit sein sollte, einer Familie, die 700 € für die Krippenbetreuung zahlen musste, ebenso 100 € zukommen zu lassen wie einer anderen Familie, von der 250 € für die gleiche Leistung verlangt wurde. Der Abstand betrug nach wie vor 450 €, und damit war klar, dass man Gerechtigkeit nur durch Absenkung auf vergleichbare Beitragshöhen wird erreichen können. Genau das tun wir jetzt.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden ebenso dafür Sorge tragen, dass sich die Regelungen für Sozialstaffel und Geschwisterermäßigung harmonisieren. Hier sind wir mit den Kommunen noch in Gesprächen, denn die neuesten Änderungen im Sozialgesetzbuch VIII durch den Bund im Rahmen des Gute-Kita-Gesetzes haben leider, um das einmal vorsichtig auszudrücken, die Rechtslage mehr als „verunklart“, sodass hier immer noch die Umsetzungsmöglichkeiten mit den Kommunen gemeinsam erörtert werden müssen.

Mit dem neuen, sogenannten Standardqualitätskostenmodell schaffen wir erstmals ein System, das zukünftig in Form einer Referenz-Kita die neuen, höheren Mindestqualitätsstandards abbildet. Alle vom Land gesetzten Personal- und Ausstattungsstandards sowie pädagogischen und administrativen Vorgaben werden im Rahmen dieses Standardqualitätskostenmodells pauschal voll ausfinanziert. In

(Minister Dr. Heiner Garg)

dieser neuen Struktur sind erstmals Finanzierung und Verantwortung eindeutig und transparent geregelt. Im Zielzustand sind die Kreise für Planung und Abwicklung der pauschalen Finanzierung der sogenannten Referenz-Kita, also des standardisierten und vergleichbaren Kerns einer jeden Kindertageseinrichtung, verantwortlich. Daneben haben wir die Städte und Gemeinden von finanziellen Risiken der Defizit-Finanzierung entlastet. Sie haben die Ausgestaltung der Kita vor Ort nach wie vor in der Hand - mit allen Gestaltungsmöglichkeiten wie heute auch, also der Angebotsdefinition, der Trägerauswahl, der Mitwirkung an der Bedarfsplanung, der Bereitstellung zusätzlicher Angebote bei Personal- und Sachausstattung sowie der weiteren Absenkung der Elternbeiträge unterhalb der Deckelgrenze.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann also, um das einmal deutlich zu sagen, keine Rede davon sein, dass wir dieses Band des Verhältnisses von Gemeinde, Eltern und Kita durchschneiden, ganz im Gegenteil.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Kita-Reform beenden wir die Flickschusterei der unterschiedlichen Erlasse und Förderprogramme, die häufig schon wieder am Ende ihrer Bewilligungszeiträume angekommen waren, bevor etwa neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtig in der Kita ankommen konnten. Nachhaltige Qualitätsentwicklung durch Personalkontinuität war so in vielen Fällen gar nicht mehr möglich. Mit der Schaffung einer Übergangsphase in den Jahren 2020 bis 2023 sorgen wir dafür, die zahlreichen Hinweise aus dem kommunalen Raum aufzugreifen, damit so eine wirklich große Reform gelingen kann.

(Birte Pauls [SPD]: 2023!)

- Ja, 2023! - Diese Übergangsphase ist mitnichten das Verlagern von Verantwortung in eine nächste Legislaturperiode, sondern sie ist im Gegenteil der Ausdruck von Verantwortung und auch von Mut, langfristiger zu denken und dieses Denken in Legislaturperioden bei großen politischen Entscheidungen endlich zu beenden.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf Birte Pauls [SPD])

In der Übergangsphase erfolgt die Umstellung von der derzeit meistens praktizierten Defizitfinanzierung auf die Pauschalfinanzierung nach Gruppen

fördersätzen für die sogenannte Referenz-Kita. Das macht das System für die kommunalen und freien Einrichtungsträger in Zukunft planbar.

Wenn wir die Gemeinden, Kreise und Träger nicht überfordern wollen und die Kita-Finanzierung grundlegend neu ordnen, braucht das Zeit, meine Damen und Herren. Wir brechen so keine grundlegende Strukturreform vom Zaun, sondern planen dies seriös mit Übergangsphase und der entsprechenden Evaluation. Dadurch geben wir den Beteiligten die Zeit, die sie brauchen und die seriöse Umsetzung der Reform braucht, und schaffen ein lernendes System.

Wir schaffen ein Kita-Finanzierungssystem, das transparent ist und klare Strukturen definiert. Damit schaffen wir die notwendige Voraussetzung für die weitere politische Gestaltung. Wir schaffen eine Reform, die explizit über diese Legislaturperiode hinaus angelegt ist. Politische Verantwortung und Zukunftsgestaltung für die Menschen im Land dürfen nicht auf das Ende einer Legislaturperiode beschränkt bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 1 Milliarde € - so viel wie noch nie zuvor in einer Legislaturperiode - geht zusätzlich in dieses System hinein.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Summe fließt bis zum Jahr 2022 insgesamt neu in das System. Das heißt im Einzelnen: Diese Landesregierung stellt zwischen 2018 und 2022 zusätzlich 481 Millionen € zur Finanzierung der im Rahmen der Kita-Reform vereinbarten Ziele zur Verfügung. Hinzu kommen, ebenfalls für die Jahre 2018 bis 2022, weitere Landesgelder für Konnexitätsausgleich in Höhe von 328 Millionen €. Dazu kommen noch einmal 191 Millionen € aus den Bundesmitteln, die allerdings - ich werde nicht müde, das zu betonen - bis 2022 befristet sind. An dieser Stelle würde ich mir auch mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit der Ministerkollegen Scholz und Giffey wünschen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden diese Landesmittel inklusive der Bundesmittel innerhalb dieser Legislaturperiode insgesamt mehr als verdoppeln: von 245 Millionen € im Jahr 2017 auf 568 Millionen € im Jahr 2022. Damit steigen die durchschnittlichen Ausgaben des Landes pro betreutem Kind von rund 2.000 € im Jahr 2017 auf fast 4.400 € im Jahr 2022. Meine sehr

(Minister Dr. Heiner Garg)

geehrten Damen und Herren, das ist mehr als eine Verdoppelung der Anstrengungen des Landes.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)