Alle Schüler, nicht nur Gymnasiasten oder Förderschüler, haben einen Anspruch auf individualisierte Bildungsgänge. Das sollte endlich wieder für die Mehrheit aller Schüler - der Schüler, die die Gemeinschaftsschule besuchen - möglich sein. Lassen Sie uns die Gemeinschaftsschule dadurch stärken, dass wir wieder mehr Formen der Differenzierung ermöglichen.
Ich bitte Sie also, der Empfehlung des Ausschusses nicht zu folgen, und appelliere insbesondere an FDP und auch an CDU: Opfern Sie Ihre Überzeugungen nicht für den Jamaika-Ungeist! Helfen Sie lieber mit, das überkommene Gleichheitsbildungspolitikideal einer Schule für alle zu beenden - zum Wohle unserer Kinder und zum Wohle des Bildungslandes Schleswig-Holstein. - Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags die Damen und Herren der SPD Bargteheide. - Herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis hier in diesem Haus, dass meine Fraktion große Sympathie dafür hat, an Schulen mehr Differenzierung zuzulassen. Das gilt auch für abschlussbezogene Klassen. Wie Sie aber auch alle wissen, haben wir im Bildungsausschuss im Rahmen dieses Gesetzentwurfs eine umfangreiche schriftliche Anhörung durchgeführt und sind als Koalition zu dem Schluss gekommen, aufgrund dieser Anhörungsergebnisse keine Änderungen am Schulgesetz vornehmen zu wollen.
Ich will kurz die Gelegenheit nutzen, drei Gedanken aus meiner fachlichen Sicht anzumerken und ein bisschen zu dem einen oder anderen, was Herr Brodehl ausgeführt hat, aufzuklären.
Erstens. Das Grundkonzept der Gemeinschaftsschule sieht ausdrücklich vor, dass in binnendifferenzierter Form unterrichtet werden soll. Das ist im Schulgesetz so festgehalten. Unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler - so heißt es dort - „wird durch Unterricht in binnendifferenzierter Form entsprochen“. So weit, so gut. Das ist auch das Konzept einer Gemeinschaftsschule. Wir finden aber auch ergänzende Regelungen - ich zitiere -:
„Abweichend hiervon können ab der Jahrgangsstufe sieben in einzelnen Fächern nach Leistungsfähigkeit und Neigung der Schülerinnen und Schüler differenzierte Lerngruppen gebildet werden.“
Ich halte es für wichtig, an dieser Stelle festzuhalten, das bereits heute Differenzierung - im Gegensatz zu den Ausführungen, die gerade gemacht worden sind - im Grundsatz möglich ist.
Zweitens führt Differenzierung nicht immer zu besseren Ergebnissen - im Gegensatz zu dem, was wir eben gehört haben. Sollte man Veränderungen an diesem Punkt anstreben, muss man sich genau überlegen, wie man diese umsetzt. Das gilt insbesondere für die weniger leistungsfähigen Lerngruppen. Wir haben an der Entwicklung der Hauptschule gerade in der Endzeit der Schulart beobachten müssen, dass sich trotz guter pädagogischer Arbeit an den Schulen Restschulen entwickelt haben. Das kann man so einfach konstatieren. Das hat Auswirkungen auf die Einstellung und die Motivation von Schülerinnen und Schülern und damit auch auf Lernerfolge. Das ist nicht unbedingt erfolgreicher. Wenn man
also auf stärke Differenzierung setzen möchte, muss man sich auch kluge Konzepte dafür überlegen, um Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Da sage ich sehr deutlich: Es reicht nicht, einfach nur das Schulgesetz zu ändern. Das muss ein bisschen tiefer durchdacht sein. Das bringen die Vorschläge der AfD mit Sicherheit nicht mit.
Drittens. Ich mache seit fast 20 Jahren Bildungspolitik. Ich habe in der Schülervertretung angefangen. Ich erinnere mich noch sehr gut an Zeiten - ich vermute, Herr Habersaat auch -, in denen Bildungsdebatten in erster Linie ideologisch geführt wurden. Dann haben die einen für das dreigliedrige Schulsystem gekämpft und die anderen für die Schule für alle. Das muss man so festhalten. Das hat sich etwas beruhigt,
weil wir mehr an Sachfragen orientiert sind. - Nein, das finde ich nicht. Wir haben mit unserem Schulsystem einen sehr guten Kompromiss aus einer Gemeinschaftsschule und Gymnasien gefunden. Wir sind hier und da dabei, das weiterzuentwickeln. Wir haben in diesem Land ein Schulsystem, das in diesem Haus, aber auch im Land insgesamt eine sehr große Akzeptanz hat.
Mittlerweile wissen wir auch - das ist entscheidend -, dass das Schulsystem gar nicht so entscheidend für den Lernerfolg von Schülern ist. Wichtiger sind die Ausstattung und die Ausbildung der Lehrkräfte im Klassenraum. Bildung findet im Wesentlichen im Klassenraum statt. Das sollte der Fokus sein.
Deshalb kümmert sich die Landesregierung mit allerhöchster Priorität sehr intensiv um das Thema Unterrichtsversorgung und um solche Programme darüber haben wir heute ja auch schon sehr intensiv und gut diskutiert, wie ich finde - wie den Bildungsbonus. Das sind am Ende die Themen, die wir in den Fokus unserer bildungspolitischen Auseinandersetzung setzen wollen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einer sehr deutlichen Ablehnungsempfehlung kommt dieser AfD-Antrag aus dem Bildungsausschuss zurück. Er hätte auch nicht mehr und nicht weniger zur Folge als das Ende der Gemeinschaftsschulen, wie wir sie kennen, und damit das Ende unseres gegenwärtigen Bildungssystems. Deswegen ist diese deutliche Ablehnung absolut zu Recht erfolgt, meine Damen und Herren.
Wir haben heute Nachmittag schon darüber gesprochen, dass das Bildungsministerium Leistung, Chancengleichheit und Wohlbefinden als die Ziele, die nach unserem Schulgesetz zu verfolgen sind, in den Mittelpunkt stellt. Das ist absolut richtig, und das verträgt sich nicht mit Ihren Gedanken einer Sortierung von Schülerinnen und Schülern in unterschiedliche Sorten Mensch. Aus Ihrer Sicht mag das sinnvoll sein. Ihre Taktik ist ja das Ziel, immer vergleichsweise moderat aufzutreten - eben beim Europa-Punkt schon nicht mehr so -, aber in der Substanz harte ideologische Politik aus anderen Ländern zu übernehmen.
Ihr Kollege aus Baden-Württemberg, ein Dr. Balzer, äußerte sich zum Thema AfD und Schulpolitik wie folgt: Deutsche Schulen stünden in einer sinnvollen Traditionslinie. Das Gymnasium sei aus der Tradition der akademischen Ausbildung, die Realschule aus der Tradition der Kaufleute und Handeltreibenden und die Hauptschule aus der Tradition der Handwerker entstanden. Wenn wir diese Traditionen ernst nähmen und behutsam weiterentwickelten, um die uns alle Welt beneideten -, würden wir Erfolg haben. - Genau so ist es eben nicht, meine Damen und Herren. Das Ständewesen ist abgeschafft.
Das war genau das, was PISA am deutschen Bildungssystem am Schärfsten kritisiert hat, nämlich die Abhängigkeit der Bildungs- und Lebenschancen von der sozialen Herkunft. Und das scheint das zu sein, was Ihre Partei wiederherstellen will.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass es Ihnen gelungen ist, mit diesen „Vorwärts in die 60er-Jahre!“-Parolen die üblichen Verdächtigen in der Anhörung zu mobilisieren und auch Zustimmung zu erhalten.
Es gibt ja ein paar Leute, denen die Bildungsgesetzreformen der vergangenen zehn Jahre ein Dorn im Auge sind. Zum Beispiel vergeben wir in Schleswig-Holstein schon längst keine Haupt- und Realschulabschlüsse mehr. Wer einmal in seinem Leben eine Gymnasialklasse einen Tag lang in den unterschiedlichen Fächern begleitet, der verliert sofort den Glauben an die homogene Lerngruppe. Gucken Sie sich einmal die gleiche Klasse im Sportunterricht, im Mathematikunterricht und im Deutschunterricht an; das sind völlig unterschiedliche Welten, die Sie da erleben. Das hat mit homogener Lerngruppe überhaupt nichts zu tun.
Ihr bildungswissenschaftlicher Kronzeuge ist Ihnen unterwegs abhandengekommen. In der Antragsbegründung zitieren Sie Herrn Professor Esser. Der hat deutlich gemacht, dass sich sein Untersuchungszeitraum auf die 17. Legislaturperiode bezogen hat, also die letzten Schulgesetznovellen überhaupt nicht einbezogen hat. Die von Ihnen erwartete Herzlichkeit Ihrem Antrag gegenüber ließ er jedenfalls deutlich vermissen. Und das war auch gut so.
§ 43 des Schulgesetzes hat Kollege Loose schon referiert. - Endlich gehen wir hier mal Seit‘ an Seit‘ bei einem Thema. Es gibt also bereits heute schon Möglichkeiten, zu differenzieren, aber im Rahmen der Gemeinschaftsschulidee, wie wir sie heute haben.
Mit dieser Bestimmung ist ein ausreichendes Maß an pädagogischer Flexibilität geschaffen worden. Das gibt den Gemeinschaftsschulen die Möglichkeit, so zu arbeiten, wie sie das für richtig halten.
Die Gemeinschaftsschulen sind Schulen des gemeinsamen Lernens. Sie sind und bleiben für die Eltern hoch attraktiv. Wenn sie vor der schwierigen Entscheidung stehen, welche weiterführende Schule es denn für ihr Kind nach der Grundschule sein soll, dann ist es eben häufig die Gemeinschaftsschule, für die sie sich entscheiden.
Das Modell, das Sie sich wünschen, wäre ein Schritt zurück in die Vergangenheit. Das würde die Gemeinschaftsschulen nicht nur schwächen, sondern es würde sie ihres Wesenskerns berauben.
Es wird deshalb niemanden wundern, dass auch wir der Empfehlung des Bildungsausschusses heute zustimmen werden.
Und, Herr Kollege Loose, damit das mit der Gemeinsamkeit nicht zu weit geht und zu lange dauert, beende ich meine Rede eine Minute vor Schluss. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor meinem Mandat hier im Landtag war ich Lehrerin an einer früher sogenannten Kooperativen Gesamtschule. Es gab Haupt-, Realschul- und Gymnasialklassen. Diese Schule wurde dann zu einer Gemeinschaftsschule.
Eine Situation, die mich geprägt hat, war eine Vertretungsstunde im Englisch-Unterricht einer etwa achten Hauptschulklasse. Ich begann, mit den Schülerinnen und Schülern auf Englisch zu sprechen. Da sagte ein Schüler sinngemäß: „Mit uns können Sie nicht Englisch sprechen. Wir verstehen Sie nicht. Wir sind Hauptschüler.“ Was für ein Selbstbild haben diese Schülerinnen und Schüler mit sich herumgetragen. Wie viele Misserfolgserlebnisse müssen sie gehabt haben, um so eine Selbsteinschätzung zu bekommen? Und wie schwer ist es, dieses Negativbild positiv zu wenden?
Wer den Stempel „Hauptschule“ zu tragen hatte, wird auch im Berufsleben nur schwerlich Freude an Fortbildungen und lebenslangem Lernen haben. Das ist eine Bürde für die einzelnen Schülerinnen und Schüler und inakzeptabel für eine moderne Gesellschaft.
Durch das Packen in Schubladen waren die Schülerinnen und Schüler in diesen gefangen. Den Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler wurde mit den Hauptschulklassen nicht entsprochen. Wir Grüne wollen die Hauptschule und das dreigliedrige Schulsystem nicht durch die Hintertür wieder einführen.